ELLIOTT

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In der Ruhe liegt die Kraft

Es war eine Zeit lang ziemlich still geworden um die Revelation-Helden ELLIOTT, vielleicht gar so still, dass es sich auf das neue Album ausgewirkt hat. Jedenfalls ist das dritte Werk „Song In The Air“ bemerkenswert ruhig geworden – und mit Emo hat das nun auch nicht mehr wirklich was zu tun. Sänger Chris Higdon gab am Telefon Auskunft.


Hi Chris, hast du gerade etwas Zeit zum Plaudern?


Ja sicher, ich warte gerade auf die anderen, da wir nachher proben wollen, aber noch ist niemand da.

Probt ihr also zu Hause?

Ja, momentan schon. Als wir das Album aufnahmen, lebten und arbeiteten wir in einer alten Lagerhalle. Doch die mussten wir kürzlich räumen. Nun sind wir quasi obdachlos, wohnen, wo man uns gerade aufnimmt und proben wo immer es möglich ist – das wäre z.B. gerade das Haus meiner Eltern in Louisville, Kentucky.

Ist es schön dort zu leben?

Ja, eigentlich schon. Ich würde nicht gerne in einer riesigen Stadt wohnen wollen. Hier ist es eher ruhig, ein guter Platz, um Musik zu schreiben und zu spielen, weil man kaum von außen beeinflusst wird. Hier gibt es niemanden, der versucht, dir diese oder die andere Band als neuen Hit zu verkaufen und dich somit in eine Richtung drängt. Hier herrscht, zugegeben, schon eine zurückgelehnte Stimmung.

Was für ein Gefühl ist es denn, mit einem neuen Album auf die Bildfläche zurückzukehren?

Ein gutes, obwohl wir auch etwas nervös sind. Die Aufnahmen haben ja leider wesentlich länger gedauert, als eigentlich geplant war. Es wird interessant zu beobachten, wie die Musikindustrie und die Fans auf die neue Scheibe reagieren werden. Bisher haben wir festgestellt, dass dich besonders die jüngere Fanbasis schnell vergisst, wenn du nicht alle drei oder vier Monate auf Tour kommst.

Eigentlich habt ihr ja erst eine EP geplant, und dann ist ein neues Album daraus geworden. Wie kam es dazu?

Lange Zeit haben wir das ganze Vorhaben auch als EP angefangen. Wir hatten sie sogar schon fertig eingespielt, doch dann merkten wir, dass wir das Äußerste aus dieser Veröffentlichung rausholen sollten. Also wurde doch eine LP daraus. Deshalb hat das Ganze auch so lange gedauert, weil wir erneut ins Studio zogen und lange an den Songs gearbeitet haben, so dass die neueren perfekt mit den älteren zusammenpassen und ein homogenes Ganzes ergeben.

Euer letztes Album „False Cathedrals“ war schon ein ganzes Stück ruhiger als das Debüt „U.S. Songs“. Mittlerweile seid ihr noch viel ruhiger geworden. Habt ihr keine Angst, dass eure Fans irritiert sein könnten und sich eventuell abwenden?

Ich weiß nicht so genau, ob die Ruhe sie verschreckt. Live sieht das Ganze schon anders aus, da es lauter ist, die Stimmung und die Atmosphäre viel intensiver sind. Die Energie, die wir live in die Stücke investieren, geht auf das Publikum über. Also muss ich sagen, dass sich das Gesamtbild unserer Arbeit erst erschließt, wenn man uns live sieht. Zumal wir eigentlich nicht so viel auf Erwartungshaltungen geben – wenn man als Künstler ehrlich ist und ehrliche Arbeit abliefert, ist das auch nicht nötig, denke ich. Außerdem gibt es natürlich auch Fans, die mit uns wachsen und unsere Entwicklung nachvollziehen können. Die Songs unseres Debüts sind ja auch nicht gerade gestern entstanden, sondern wurden 96/97 aufgenommen, was ja mittlerweile auch schon eine ganze Weile zurück liegt.

Wie werdet ihr das mit den Streicherarrangements, die doch eine immense Rolle auf „Song In The Air“ spielen, auf der Bühne handhaben?

Das kommt ganz darauf an, wo wir auftreten, aber da wir keinen Keyboarder oder so was haben, werden wir die Streicherparts höchstwahrscheinlich mit einem ADAT Recorder einspielen, auf dem wir vorher die entsprechenden Zusatzparts aufnehmen werden. Falls es jedoch irgendwie möglich ist – es kommt halt immer auf die Location an – möchten wir schon gerne Streicher dabei haben, am liebsten natürlich unsere Freunde um Christian Frederickson von den RACHELS, der uns auch bei den Aufnahmen unterstützt hat. Eigentlich sind die ja ein Streicher-Quartett, also Cello, Violinen usw., aber sie machen auch Gebrauch von Piano, Gitarren und Percussion. Sie sind ebenfalls aus Louisville, man kennt sich, und so haben sie eben ihren Teil zum Album beigetragen.

Auch wenn man mittlerweile nicht mehr viel davon hören kann, aber würdest du nicht auch sagen, dass ELLIOTT eigentlich als Hardcore-, bzw. Posthardcore-Band starteten?

Ja, das stimmt wohl. Wir alle haben unsere Wurzeln in diesem Genre, in der örtlichen Punk- und Hardcore-Szene hier in Louisville. Aber wir alle haben schon immer unsere unterschiedlichen Geschmäcker und Vorlieben in unsere Musik miteingebracht, einfach um zu testen, was wohl dabei herauskommen wird. Doch über die Jahre hinweg haben wir uns schon einen eigenen Namen gemacht, denke ich. Als wir als Band zusammenwuchsen und sich ein eigener Sound herauskristallisierte, kam es aber auch zu den üblichen künstlerischen Differenzen, weshalb uns Gitarrist Jay Palumbo auch kurz nach den Aufnahmen von ‚False Cathedrals’ verließ. Das neue Album ist deshalb auch das erste, was wir mit Jason Skaggs am Bass und Benny Clark an der Gitarre eingespielt haben. Unser alter Bassist Jonathan Mobley verließ uns aus finanziellen und familiären Gründen, da es für ihn einfach zu viel Zeit in Anspruch nahm, auf Tour zu gehen, wenn du eine Frau zu Hause hast und obendrein noch Kinder aufziehen willst. Jason, der neue Bassist, wird aber auch nicht mit uns auf Tour gehen, da er ebenfalls eine Familie zu Hause hat.

Da man von eurer anfänglichen musikalischen Basis ja nun nicht mehr viel heraushören kann, würdest du sagen, dass ihr als Musiker weiser geworden seid?

Weiser würde ich nicht sagen. Wir haben eben immer versucht, uns vorwärts zu treiben, uns weiter zu bilden als Musiker. Die Sachen, die auf MTV laufen, und sich heute Punk schimpfen, sind nicht das, was ich unter Punk verstehe, sind nicht das, was 1976 seinen Lauf nahm. Also auch wenn wir rein musikalisch nicht mehr Punk sind und nicht mit Powerchords um uns werfen, so ist unsere Art auf der Bühne, unsere Art, wie wir die Band handhaben, schon Punk, eben im Sinne der inneren Einstellung.

Was, würdest du denn sagen, ist dir wichtiger – dass ein Song rockt, oder dass er möglichst atmosphärisch ist?

Puh, das ist eine schwierige Frage! Darüber streiten wir uns jeden Tag, wenn wir proben. Live würde ich sagen, ist es schwerer, eine intime Atmosphäre zu schaffen, so intim wie im Studio. Auf der Bühne will man einfach alles geben, doch wenn der Sound nicht stimmt, wird’s manchmal nicht so atmosphärisch, wie wir es gerne hätten. Um ehrlich zu sein, möchten wir am liebsten beides – rocken und gleichzeitig eine tolle Atmosphäre schaffen. Man sollte immer rocken, egal ob es sich dabei um ein langsames, gemächliches oder um ein aggressives Stück handelt. Mit deiner Frage hatte übrigens auch unser Ex-Gitarrist Jay zu kämpfen, der sich eben auf die Rock-Seite geschlagen hat. Er hat jetzt eine neue Band namens 32 FRAMES, die sind ebenfalls auf Revelation.

Was ist denn ein „Song In The Air“?

Hm, ursprünglich war das einfach eine Zeile in den Lyrics des Titeltracks. Diese sollte dort die Ehrlichkeit und Anwesenheit einer Person und die daraus resultierende Hoffnung beschreiben. Erst ganz am Ende, als wir mit den Aufnahmen fertig waren, haben wir den Songs und danach auch dem Album einen Titel gegeben. Dabei hatten wir uns darum bemüht, dass alles möglichst schlüssig zusammenpasst. Der Sound ließ sich mit diesem Titel assoziieren. Wichtig in diesem Gesamtbild ist uns auch das Artwork.

Das Stück erinnert mich an die Isländer SIGUR ROS.

Ja, und Jason bedeutet diese Band sehr viel. Sie haben da so einen Song auf ihrem ersten Album, und er hat ihn im Kreisssaal laufen lassen, als sein Baby zur Welt kam. Immer, wenn er sich nun diesen Song anhört, kann er sich besonders gut diese Situation vor Augen rufen. Aber davon abgesehen, mag ich diese Band sehr. Das ist unglaublich schöne, bewegende Musik. Als ich sie einmal live sah, fand ich das umwerfend, weil ihre Songs dann noch mehr wirkten, als nur auf CD.

Als ich euch mal live sah, war ich schwer von eurem Schlagzeuger Kevin Ratterman angetan. Selten habe ich so einen guten Schlagzeuger gesehen, der derart einfallsreich und akzentuiert zu Werke geht. Doch Kevin macht ja noch einiges mehr, fass doch mal das Wichtigste zusammen.

Ja, er ist schon ein sehr talentiertes Individuum und obendrein noch einer der am härtesten arbeitenden Menschen, die ich je kennen gelernt habe. Als ich ihn zum ersten Mal traf, war ich 16 oder 17 Jahre alt, und er etwa 13. Er saß in der Garage seines Stiefbruders, hatte zwei dicke PA-Boxen hinter seinem Kopf und spielte Schlagzeug zu MÖTLEY CRÜE. Jahre später, nach meiner Zeit bei FALLING FORWARD, waren wir auf der Suche nach einem Schlagzeuger. Jemand erwähnte damals Kevins Namen und ich dachte: Yeah, let’s give him a call! Mittlerweile hat er sein eigenes Studio, außerdem hat er erneut unser Album gemixt und zum größten Teil produziert. Das war ein ganz schönes Stück Arbeit für ihn, weil auch ein ziemlicher Druck auf ihm lastete. Neben dem Schlagzeug hat er außerdem die Keyboards eingespielt und die Streicher-Arrangements ausgearbeitet. Einige andere Bands hat er ebenfalls schon produziert, z.B. THE RISE aus Austin, Texas, aber auch allerhand kleine Bands hier aus Louisville.

Du hast gerade FALLING FORWARD erwähnt. Hast du mit dieser Band eigentlich deine aller ersten musikalischen Erfahrungen gesammelt?

Ja, das war meine erste Band. Ich war damals in der Highschool, das war 1992 und ich dürfte etwa 17 gewesen sein. Das Ganze hielt ein paar Jahre und wir haben nur eine Platte aufgenommen. Allerdings muss ich zugeben, dass es mir ziemlich schwer fällt, mir die Scheibe anzuhören. Damals war das sicher gut und ehrlich, aber mittlerweile würde ich behaupten, dass es vielleicht gar zu ehrlich war. Benny spielte übrigens ebenfalls früher bei FALLING FORWARD.

Kannst du von der Musik leben oder hast du nebenher einen Job?

Wenn wir nicht im Studio oder auf Tour sind, dann haben wir zum Teil Tagelöhner-Jobs. Was anderes läuft nicht, da wir ja manchmal vier bis sechs Monate unterwegs sind. Natürlich sind diese Jobs dann nicht unbedingt die, die man wirklich gerne ausüben möchte, aber wenigstens haben wir die Möglichkeit, sie problemlos zu beenden, wann immer wir möchten. Benny hat aber einen ganz guten Job, er ist der Manager des örtlichen Plattenladens Earecstasy, ein wirklich ausgezeichneter Shop.

Chris, ich danke dir herzlich für das Interview und wünsche dir viel Erfolg mit dem neuen Album.