EXPLOITED

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Watties not dead

Ich habe echt lange mit mir gerungen, ob ich wirklich ein EXPLOITED-Interview machen und und im Heft haben will. Denn wie kaum eine andere Band, die SEX PISTOLS mal ausgenommen, stehen die Schotten für verpeilte Kid-Punks, die keine Ahnung von irgendwas haben, aber garantiert je ein T-Shirt von EXPLOITED und eines von den SEX PISTOLS besitzen, ersteres natürlich mit dem Klassiker-Spruch „Punks not dead“, der ja schon grammatikalisch falsch ist – „Punkers nicht tot, ey“. Und die Gerüchte über Frontmann Wattie sind sowieso zahllos, wobei Großverdiener und Technofan noch die freundlichsten Verdächtigungen sind. Aber was soll’s, wirklich was erfahren kann man nur, wenn man die Leute trifft, und so saß ich einem eigentlich echt netten Wattie morgens gegen halb zwölf in einem Bochumer Café gegenüber, während der sich seinen ersten Scotch mit Cola genehmigte. Ach ja, die Sprache ... Was die Schotten – THE EXPLOITED stammen aus Edinburgh – aus Englisch machen, kann nur mit dem „Deutsch“ der übelsten Hinterwäldler-Schwaben oder -Sachsen verglichen werden. Unmenschlich ...


Wattie, wann warst du das erste Mal in Deutschland?


Das ist lange her. Von 1975 bis 1978 war ich bei der Army in Münster stationiert. Da war ich aber noch kein Punk. Ich bin damals zur Army gegangen, um aus der ganzen Scheiße rauszukommen. Ich war 17, hatte schon jede Menge Ärger, hatte keinen Job und keine Lust mehr auf den ganzen Gang-Scheiß – und so ging ich in die Army. Na ja, bei den meisten Leuten ist es dann so, dass sie bei der Army dann zu Verstand kommen und ein ordentliches Leben beginnen, aber bei mir war es dann anders herum. Ich lernte während der letzten sechs Monate bei der Army Punk kennen, und dann fing der Ärger an, weil meine Zivilkleidung ab da dann eben etwas anders aussah. Die steckten mich dafür auch mal eine Woche in den Bunker, und dann habe ich die Sache hingeschmissen. Seitdem war ich so oft mit der Band in Deutschland, dass ich mich gar nicht mehr erinnern kann – aber das erste Mal spielten wir 1981 in Berlin. Wir spielten da komischerweise auf einer türkischen Hochzeit. Das war ein unglaubliches Bild: Diese Hochzeitsgesellschaft und dann all die Punks, Punkermädchen mit Ratten auf der Schulter und so weiter ...

Mit dem „System“ hattest du also schon vor der Band zu kämpfen – da bringt der Titel des neuen Albums, „Fuck The System“, doch eigentlich die Sache genau auf den Punkt.

In dem Song geht es um mein Leben, wie es heute ist. Die Regierung in Großbritannien greift derzeit ganz hart ins Leben der Leute ein, geben dir 50 Pfund die Woche Arbeitslosengeld und erwarten dann, dass du einen Job annimmst für 10 Pfund mehr die Woche – und du sollst dann Leistung zeigen wie jemand, der 500 Pfund bekommt. Das ist Sklavenarbeit, und darum geht es in dem Song, eben wie das System junge Menschen aus den untersten sozialen Schichten ausbeutet.

Wie ist deine persönliche Situation heute?

Also in der Band sind fast alle arbeitslos, und wenn wir Konzerte spielen, verdienen wir damit natürlich etwas Geld. Aber in den letzten vier Jahren haben wir kaum live gespielt und vor allem am neuen Album gearbeitet. Und wenn wir jetzt wieder mehr Shows spielen, kommen wir auch endlich wieder aus der Arbeitslosigkeit raus.

Und da denkt jeder, THE EXPLOITED würden jede Menge Kohle machen.

Als ich die Band gründete, war ich 21 und völlig naiv – und die anderen auch. Wir dachten, wir machen eine Platte und machen damit etwas Geld, doch stattdessen sind wir völlig abgezockt worden – um mindestens 200.000 Pfund. Die ersten zehn Jahre mit dieser Band bin ich wirklich völlig abgezockt worden, und als ich das dann kapiert hatte, brauchte ich fünf weitere Jahre, um an diese ganzen Leute ranzukommen und zu retten, was noch zu retten war. Mir ging es damals nicht gut, ich war mental sehr labil, die ganze Sache machte mich fertig. Die lachten mich aus, wenn ich sagte, ich wolle was von meinem Geld und fragten, was ich denn gegen sie unternehmen wolle. Nichts! Nur so ein Beispiel: Das eine Label gehörte gar nicht dem Typen, den ich für den Boss hielt, der war nur ein Strohmann, und die wollten von mir dann irgendwelche kommerzielle Scheisse, für die ich auch viel Geld bekommen sollte, worauf ich aber keine Lust hatte. Und nur mal so als Vergleich, wie die Plattenfirmen damals mit den Bands umgingen: Ich bekam damals 100 Pfund die Woche ausgezahlt, und THE DAMNED, die da echt schon recht groß waren, gerade mal 35 Pfund die Woche. 100 Pfund waren recht viel für die damalige Zeit. Als dieser Typ dann die Firma übernahm und ich mich weigerte ‚kommerziell‘ zu werden, strich er mir einfach die 100 Pfund. Die damalige Besetzung der Band brach dann auch auseinander, während ich versuchte, eine neue Band zusammenzustellen, aber das klappte auch nicht so recht. Wie ich schon sagte, ging es mir dann psychisch ziemlich schlecht, ich wollte bald fünf Jahre mit der ganzen Sache nichts mehr zu tun haben. Seit zehn Jahren bin ich jetzt aber wieder voll dabei, habe versucht aus meinen Fehlern zu lernen und alles besser zu machen. Ich kümmere mich jetzt um fast alles selbst und verdiene seitdem auch erstmals wirklich Geld mit der Band.

Und vorher hat alles Geld das Label eingesteckt?

Die Aufnahmen der Live-Platte ‚On stage’ haben 60 Pfund gekostet, und davon wurden über 100.000 verkauft – noch Fragen?

Verblüffend finde ich, dass bis heute jede Menge Punk-Kids in aller Welt mit Bands wie RAMONES, SEX PISTOLS und EXPLOITED in diese Szene einsteigen. Und alle haben EXPLOITED-Shirts an.

Ich habe keine Ahnung, wer daran verdient. Wir kommen aus Schottland, wir waren arm, wir hatten nie Geld, uns einen Anwalt leisten zu können. Erst seit letztem Jahr habe ich mich darum kümmern können, den Merchandise-Firmen in England und den USA mal auf den Zahn zu fühlen, was die in unserem Namen so alles verkauft haben. Die Sache läuft jetzt, ich hatte eben nie das Geld, es mit denen mal aufzunehmen.

Über dich, über euch, gibt es zwei Gerüchte, die immer wieder auftauchen: das erste lautet ...

... dass ich ein Nazi bin, oder?

Äh, ja ...

Schön, wie kommt’s dann, dass wir in Israel spielen konnten, zwei Shows in Tel Aviv? Nur mal so als Beispiel? Das Gerücht kommt daher, dass wir uns damals als kleine Punks Hakenkreuze tätowiert haben, nur so als Provokation, wie eben Sid Vicious auch. Das hatte keinen politischen Hintergrund, das war rein aus Schock-Gründen. Ich habe das Tattoo immer noch, aber wie gesagt, das bedeutete damals nichts, das war reine Provokation, das schockte das Establishment. Später spielten wir dann bei den ‚Rock Against Racism’-Festivals, ich war bei den MEKONS, bei MAGAZINE, bei JOY DIVISION – mit meinem Hakenkreuzarmband, wie andere auch, das bedeutete aber nichts. Ich war eben schon immer ein Rebell, ein Punk. Und ja, immer wieder kommt dann dieser Nazi-Vorwurf, ich habe schon Stunden mit Leuten diskutiert, die einfach nicht kapieren wollten, dass die frühe Punkszene da einfach anders drauf war. Und zugegeben, wenn mich Leute so rein gar nicht damit in Ruhe lassen, fangen sie sich auch mal was ein. Genauso habe ich mich auch schon mit Nazi-Skinheads geprügelt. Und doch, immer wieder diese dummen Vorwürfe, das nervt.

Der zweite Vorwurf ist, dass du später in den Achtzigern und Neunzigern nur noch einen Irokesenhaarschnitt gehabt hättest, weil es in deinem Plattenvertrag stand.

Das habe ich auch schon mal gehört – und auch, dass ich stinkreich sei und zwei Nightclubs besitze. Ich, der ich nicht mal in irgendwelche Nightclubs reingekommen bin! Aber um das klar zu stellen: Ich besitze vier Nightclubs, hehehe!

Das passt auch zu dem Gerücht, dass du fast nur noch Techno hörst.

Das ist kein Gerücht, das ist eine Tatsache. Aber nicht Techno, sondern Gabba. Aber was den Iro anbelangt: Vor mir gab es nur einen einzigen anderen Punk, der einen Iro hatte, und das war der Typ von DISCHARGE. Und das war bei ihm nicht mal Absicht, er hatte einfach einen Autounfall gehabt und im Krankenhaus wurde ihm dann ein Teil der Haare abrasiert. So kam er zu seinem Iro. Wir waren die erste Band mit Iros, und ich lief zehn Jahre so rum. Das war ganz schön hart, weil mit so einem Aussehen bist du in keine Kneipe reingekommen, hast keinen Job bekommen. Das war für mich aber okay, ich wollte mein eigenes Leben führen und eben nicht sein wie alle anderen. Irgendwann hatte ich dann aber auch die Nase voll davon, es bedeutete nichts mehr, jeder hatte einen Iro, das war eine Pop-Mode. Meine damalige Plattenfirma kam dann an und meinte, ob es nicht besser sei, wenn ich weiterhin einen Iro hätte, aber meine Antwort blieb Nein. Punk ist doch, dass man macht, was man will und nicht das, was andere von dir erwarten. Und nein, ich bin auch nie von einer Haarsprayfirma gesponsort worden! Aber Geschwätz wie dieses hat auch dazu beigetragen, dass ich einen schlechten Ruf hatte, denn irgendwann nervt das so, dass einem auch mal die Hand ausrutscht, verstehst du?

Wie kamst du denn von Punkrock zu Gabba, dieser extrem schnellen, harten Abart von Techno?

Ich höre diese Musik schon seit über zehn Jahren. Damals, Anfang der Neunziger, gab es kaum Punkbands, kaum eine Band tourte, und wir selbst spielten fast nur im Ausland, weil die Konzertszene total am Arsch war. Gabba war für mich damals eine Entdeckung wie ganz zu Beginn die Punkmusik – so aggressiv, verrückt und kraftvoll kam das. Die Szene ist vor allem in Holland sehr stark, in Rotterdam, und da bin ich auch seit damals regelmäßig.

Euer neues Album geht wieder stärker zu euren Wurzeln zurück, ist nicht mehr so metallisch, was mir persönlich nicht so besonders gefiel.

Der Unterschied von ‚Beat The Bastards’ zu den alten Platten ist vor allem, dass wir erstmals Geld und Zeit für die Produktion hatten. Das ist der einzige Unterschied. Was das neue Album anbelangt, so weiß ich nur, dass es ein EXPLOITED-Album ist, mit ganz ähnlicher Gitarrenarbeit wie bei der Platte zuvor, aber wieder mehr punkigen Elementen, eben wie die frühen Sachen. Textlich ist es ein sehr persönliches Album. In ‚Noise annoys’ geht es um mich, wie ich meine Nachbarn nerve und die die Bullen rufen, in einem anderen geht es um meine Freundin und so weiter.

Letzte Frage: Es ist kurz vor zwölf und du hast kurz nach dem Frühstück schon einen Scotch-Cola auf dem Tisch stehen ...

Die Plattenfirma zahlt, das muss man ausnützen, hehe. Na ja, meine Freundin sagt immer, ich sei ziemlich schlimm in Sachen Alkohol, aber ich war schon viel schlimmer. Vor 14 Jahren war ich richtig am Arsch, habe jeden Abend eine Pulle Whisky getrunken. Heute habe ich mich ziemlich gut unter Kontrolle. Ich bin jetzt 45 und meine Freundin hält mir immer vor, ich wolle ja sicher nicht wie Joe Strummer mit 50 tot sein ... Nein, ich bin heute echt viel ruhiger, prügele mich nicht mehr so oft und all das. Mit dem Alter wird man eben wohl doch etwas klüger, hehe.