35 Jahre später: NEUROTIC ARSEHOLES

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Angst (LP, Weird System, 1985)

Nachdem die Mindener Punkband NEUROTIC ARSEHOLES 1983 auf Aggressive Rockproduktionen ihr Debütalbum „Bis zum bitteren Ende“ veröffentlicht hatte, trennten sich die Wege von Band und Label, da AGR zunehmend auf Heavy Metal setzte. Mit dem Hamburger Label Weird System war bald ein adäquater Ersatz gefunden. 1984 waren NEUROTIC ARSEHOLES auf deren Sampler „Keine Experimente Vol. II“mit zwei Songs vertreten, die schon die musikalische Weiterentwicklung der Band andeuteten. Diese zeigte sich dann auf ihrer zweiten LP „Angst“, die 1985 ebenfalls auf Weird System erschien. Die Platte beginnt mit einem „Intro“ – für eine Punkband doch noch sehr ungewöhnlich. Und dann klingen leichte Gitarrenklänge aus den Boxen, die fast zaghaft wirken, dann kommen Bass und Schlagzeug hinzu. Der Sound bleibt gerade so lange so behutsam, um den Hörer zu verwirren, bis die Band im rasanten Tempo und mit voller Wucht loslegt. Der Sound von NEUROTIC ARSEHOLES wirkt auf der „Angst“-LP kompakter, vielleicht auch vertrackter, voller Melodien aber trotzdem mit Härte, Ecken und Kanten. Ebenso klingt auch Zombies Gesang um einige Nuancen höher, aber auch kratziger. Gefühlt bleibt beim Hören der LP kaum Zeit zum Atemholen, denn die Songs scheinen nahtlos ineinander überzugehen. Erst mit „Kein Tag ohne Liebe“, einem der eindrucksvollsten Liebeslieder der deutschen Punk-Geschichte, gibt es eine kurze Verschnaufpause, bevor es mit „Ce soir“ im Highspeed-Tempo weitergeht. Insgesamt 13 Songs sind es inklusive des „Intro“ und „Outro“, mit denen die Band auch ihre Konzerte eröffnete und beendete.
Auch die Texte waren besonders. Mit „Du Russe“ positionierte sich die Band klar gegen die BRD-Propaganda des Kalten Krieges, die den so genannten „Ivan“ als Verkörperung des Bösen darstellte – ganz anders als Bands wie COTZBROCKEN oder auch gerade OHL. Der Titelsong „Angst“, in dem es heißt „Angst essen Seelen auf, drum spiele nicht damit“, wirkt heute aktueller denn je – genauso wie „Eckensteher“, der 1991 noch mal auf dem „Nazis raus!“-Sampler von Weird System erschien. Textzeilen wie „Eure Zwangsjacke, die passt mir nicht“ aus „Land in Sicht“ unterschreibe ich heute immer noch. Die Platte hinterließ damals bei mir den gleichen Eindruck wie eines ihrer Konzerte – außer Atem und ausgepowert vor der Bühne und gerne alles gleich noch mal. Ein Kumpel hatte mir damals beide Scheiben auf eine C90-Kassette überspielt. Die erste LP auf Seite A, „Angst“ auf Seite B, auf beiden Seiten war noch Platz, den ich dann mit den Samplertracks der Band füllte. Nachdem Weird System die „Angst“-LP schon 2002 noch einmal veröffentlicht hatte, brachte das Label 2005 die „Gibt nicht auf“-Compilation raus, die sämtliche Songs von 1979 bis 1985 enthält.