AKELARRE

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Willkommen im Urlaubsparadies

Wer Urlaub macht, freut sich auf ein paar schöne Tage am Strand, Wärme, schöne Wanderwege und was immer man so für Vorlieben hat. Dass da aber auch Menschen leben, gerät bisweilen aus dem Fokus – egal, wie sehr der/die Urlaubende sonst dem Punkrock verpflichtet ist. AKELARRE aus La Laguna auf Teneriffa haben zum Thema Tourismus eine sehr explizite Meinung und bringen dieses musikalisch wie textlich mit großer Vehemenz zum Ausdruck, wie auch ihre Wut auf die gesellschaftlichen Verhältnisse generell.

Bitte stellt euch erst mal vor.

Helena (voc): Eines Tages bekam ich die Gelegenheit, ins Mikro zu kotzen und eine Band zu gründen, eine Punkband! Ich bin die Sängerin, oder eher diejenige, die schreit und spuckt. Singen war noch nie mein Ding, meine Stimme ist wie ein makaberer Witz, aber verdammt, ich habe genug Wut und Kraft, um deine Ohren mit den Texten zu durchbohren. Ich bin Krankenschwester, das ist mein Beruf, ich komme auf der Intensivstation ganz gut zurecht, und das war’s.
Luna (bs): Ich war von Anfang an in der Band. Helena und ich sind diejenigen, die von der ersten Besetzung übrig geblieben sind, da der Gitarrist und der Schlagzeuger aus beruflichen Gründen aufhören mussten. Ich bin kein Profi auf irgendeinem Gebiet, aber ich mache ein bisschen von allem. Ich habe meinen Abschluss in Anthropologie gemacht und man könnte sagen, dass ich mich dem Organisieren von selbstgeführten Veranstaltungen widme, verschiedenen Scheiß mache und von Zeit zu Zeit an allem arbeite, was mir in die Finger kommt. Die Band wurde 2021 gegründet ... Anfang 2022 verließen zwei Leute die Band, so dass wir nach einem neuen Line-up suchen mussten. Schließlich kamen die neuen Musiker hinzu und die Band bestand letztendlich nur noch aus Frauen – eine reine Hexenband also.
Miranda (gt): Ich kam im Sommer 2022 dazu. Ich bin in meinem letzten Jahr an der Universität.
Paola (dr): Ich bin seit September 2022 dabei, ich arbeite ein bisschen, was auch immer sich ergibt, ich verdiene damit meinen Lebensunterhalt.

Habt ihr ein musikalisches Vorbild, jemanden, der euch inspiriert hat?
Paola: Wir haben wirklich einen sehr vielfältigen Musikgeschmack, wir legen uns nicht auf einen Stil fest, sonst wäre das Leben ein bisschen langweilig!

Die meisten Menschen in Deutschland denken bei Teneriffa an Urlaub, Sonne, Meer und schöne Natur. Woran denkt ihr, wenn ihr Teneriffa in ein paar Sätzen beschreiben sollt?
Paola: Prekariat, Korruption, Umweltverschmutzung, Frustration, Elitedenken, Apathie ...
Luna: Wenn wir an Teneriffa oder die Kanarischen Inseln im Allgemeinen denken, fallen uns nicht dieselben Stichwörter oder Bilder ein wie Menschen vom spanischen Festland oder dem Rest Europas. Wir denken nicht an sauberes, kristallklares Wasser, einsame Strände, das Paradies und solchen Werbemist, den uns die Regierung und die Unternehmen zum Beispiel auf der FITUR, der Touristik-Messe in Madrid, verkaufen wollen. Wenn wir an die Kanarischen Inseln denken, denken wir an die Ausbeutung, die Monokultur des gefräßigen Tourismus, daran, wie schlecht es um die Unterstützung und Förderung der Kultur bestellt ist, an die prekären Arbeitsverhältnisse, das mangelhafte Bildungswesen und die schlechte Gesundheitsversorgung. Wir sprechen von einem „Paradies“, in dem es die höchste Rate an Armut und sozialer Ausgrenzung gibt, wo die niedrigsten Löhne und die höchsten Mieten zu finden sind. Auf den Kanaren wird die Natur zerstört, nur um das Land an ausländische Firmen zu verscherbeln, die dort Luxushotels für Touristen bauen und uns Arbeitsplätze versprechen. Wir wissen ganz genau, dass der Tourismus so nicht funktioniert, wir leben nicht einmal vom Tourismus, wir sterben vom Tourismus. Falls das noch nicht jedem klar war, wurde es durch die Pandemie noch deutlicher: In der Zeit, in der die Touristen nicht auf die Inseln kommen konnten, wurden wir völlig vergessen, denn Tourismus ist das Einzige, was gefördert wird und in das investiert wird.

Viele Deutsche, mich eingeschlossen, kennen Teneriffa von vielen Besuchen, aber je öfter man dort war und je mehr man sich mit den Einheimischen unterhält, desto mehr wird einem klar, dass es hier zwei parallele Welten gibt: hier die Touristen aus Deutschland, Großbritannien, Skandinavien usw., mit ihrer eigenen Infrastruktur, und dann die Einheimischen, die man aber nur sieht, wenn man das Hotel und die Touri-Hochburgen verlässt. Die einen wollen zwei Wochen entspannt Urlaub machen und freuen sich, dass auf den Kanaren alles so schön und billig ist, und die anderen wissen nicht, wie sie ihre Wohnung und ihr Essen bezahlen sollen. Wie erlebt ihr diese beiden Welten?
Miranda: Das ist das, was wir als „toxischen Tourismus“ bezeichnen: ausländische Besucher, die kommen, um eine fiktive Version der Kanaren zu konsumieren. Es ist eine Blase aus Hotels, Restaurants, Resorts und künstlichen Landschaften, die vorgibt, ein Bild zu verkaufen, das nichts mit der Realität der Insel, ihrer Menschen oder ihrer Traditionen zu tun hat. Es ist ein Tourismus, der sich nicht darum bemüht, die wirkliche Kultur kennen zu lernen, die dieses Land und seine Bewohner:innen auszeichnet.
Paola: Die Tourismusindustrie beutet das bisschen geschützten Raum, das noch übrig ist, weiter aus, um diese unwirklichen Räume zu erweitern und auf Kosten der Arbeiter:innen zu profitieren. Die Regierung verkauft ihr eigenes Land an Ausländer. Die wirklichen Probleme der kanarischen Bevölkerung haben keine Priorität, sobald es um Geld geht.
Luna: Unter anderem deutsche Touristen kommen und bleiben auf den Inseln, um zu sterben. Das ist im Laufe der Geschichte schon immer passiert, denn im Vergleich zu anderen Ländern hat die Insel ein optimales Klima, um bestimmte Krankheiten zu übertragen usw. Leider lernen die meisten Touristen nicht mal einen Bruchteil von dem kennen, was das Leben auf den Inseln ausmacht. Die Hotels sind so gestaltet, dass ihre Gäste sich nicht fremd fühlen, sie bekommen hier sogar das Essen, das sie von zu Hause gewohnt sind. Die Wahrheit ist, dass die Inseln verzweifelt um Touristen werben, deshalb haben wir so viel wirtschaftliche Unsicherheit und uns gehen die natürlichen Räume aus, wie immer ...

Die Kanarischen Inseln sind auch ein Ziel für Menschen aus Afrika, die in Booten hunderte von Kilometern über den Atlantik fahren, um zu diesem Außenposten der EU zu gelangen. Wie erlebt ihr diese Situation und wie geht die Bevölkerung auf den Kanaren damit um?
Luna: Die große Mehrheit dieser Menschen wird schutzlos in prekären und unhygienischen Migrationszentren festgehalten, wo sie Monate oder sogar Jahre darauf warten müssen, dass ihre Situation legalisiert wird und sie sich in die Gesellschaft integrieren können. Die Regierung und die privaten Unternehmen, die mit der Abwicklung beauftragt sind, profitieren von diesen Missständen. Am Ende des Tages geht es weder um die Sicherheit noch um die Versorgung dieser Menschen, also Ernährung, Hygiene, medizinische und psychologische Betreuung, Ausbildung, Beschäftigung. Die Behörden stellen ein paar Zelte dort auf, wo es am kältesten ist, und pferchen die Menschen für lange Zeit hinein. Die sind gezwungen, sich auf externe Unterstützungsnetzwerke zu verlassen, die in diese Lager kommen, um die Hilfe zu gewährleisten, die im Prinzip von den vor Ort zuständigen offiziellen Stellen erbracht werden sollte.

Ihr kommt aus La Laguna, dem kulturellen Zentrum von Teneriffa. Wie sieht die Musik- und Punk-Szene dort und anderswo auf Teneriffa aus?
Luna: Punk auf Teneriffa lebt allein von der Selbstorganisation, da es kaum Veranstaltungsorte gibt, die auf die Bedürfnisse und die Dynamik der Szene eingehen. Es ist eine kleine, aber gleichzeitig sehr eingeschworene Szene. Das Prinzip hier lautet: Wenn du willst, dass etwas passiert, dann mach es selbst ... Seit zwei Jahren gibt es ein kleines Punk-Revival, besonders bei jüngeren Leuten. Auf den Kanarischen Inseln gibt es legendäre Punkbands wie ESCORBUTO CRÓNICO, FAMILIA REAL, ATAÚD VACANTE, GUERILLA URBANA ... In den letzten Jahren sind drei Bands aus Teneriffa dazu gekommen: TENSÖ, ESKOLOPENDRA und wir, AKELARRE. La Laguna ist komplett auf den Konsum ausgerichtet, Kultur- und Freizeitangebote für junge Leute gibt es nicht. Der Treffpunkt ist das Ausgehviertel Cuadrilátero. Hier gehen die Leute jedes Wochenende feiern, was den Teufelskreis nur weiter anheizt. Junge Leute können sich nichts anderes leisten, als etwas trinken zu gehen und sich mit Freunden in den Bars zu treffen. Seit einigen Monaten erholt sich das Nachtleben von der Pandemie und so finden in Clubs wie La Bowie, El Rincón de Tintín und neuerdings auch im Vórtice Rock Café wieder Jam-Sessions statt. Da es sich jedoch um eine kleine Szene handelt, werden immer wieder dieselben Gruppen dazu eingeladen.

Wie sieht es mit der Vernetzung mit Bands von den anderen Kanarischen Inseln aus?
Luna: Wir haben kein etabliertes Netzwerk, auch wenn wir uns mehr Austausch innerhalb der Szene und gegenseitige Unterstützung der Bands wünschen würden.

Ihr seid eine reine Frauenband, wie wichtig ist dieser Aspekt?
Luna: Wir glauben, dass wir damit Feminismus und die weibliche Präsenz in der Punk-Szene stärken. Auch wenn so was inzwischen eigentlich normal geworden ist, finden sich es immer noch viele sexistische Verhaltensweisen und Strukturen. Wir wollen Frauen und Menschen mit abweichenden Identitäten ermutigen, auf die Bühne zu gehen, den Raum zu besetzen, der ihnen zusteht, und dieser ätzenden Haltung entgegentreten, die nur diese rückständigen Gewohnheiten und Überzeugungen nährt, die es endlich auszumerzen gilt.

Soweit ich weiß, dominiert auf den Kanaren eine ziemlich konservative politische Kultur. Wie wichtig, schwierig, herausfordernd ist es da, mit einer Punkband eine feministische und linke Position zu vertreten?
Luna: Wir haben eine anarchistische Position, deshalb lehnen wir das Politiktheater ganz ab und stehen dessen manipulativen sozialen und medialen Mechanismen sehr kritisch gegenüber. Es stimmt, dass es auf den Inseln eine sehr konservative Klassengesellschaft herrscht, was eine Menge Repression zur Folge hat, aber es existiert auch eine Art revolutionärer Widerstandsgeist, geboren aus dem Wunsch, unser Land gegen alle diejenigen zu verteidigen, die versuchen, es sich anzueignen oder davon zu profitieren – von seiner Kultur, seinen Orten, seinen Menschen. Auf einem so begrenzten Raum wie eine Insel fühlt man sich eher mal berufen, seine Meinung zu äußern – vor allem, wenn sie kontrovers ist ...

Ihr führt „Selbstverwaltung, Subkultur und Anarchismus“ als die ideologische Basis eurer Band an. Was bedeutet das konkret?
Luna: Wie bereits erwähnt, ist es nicht ganz einfach, Räume zu finden, in denen man kreativ sein, sich ausdrücken kann, für Aktivitäten jenseits des institutionellen Raums und der Stadt, Stichwort: Privatisierung. Deshalb haben wir ein Punk-Unterstützungsnetzwerk gegründet, in dem sich Sympathisanten der Szene organisieren, um eigene Veranstaltungen durchführen zu können, an einem sicheren, realen Ort, der uns repräsentiert und der uns erlaubt, frei unseren Hass und unsere Ablehnung zu artikulieren ... Ein Ergebnis dieser DIY-Einstellung ist das Festival Kaos en la Finca, das wir letztes Jahr in Eigenregie auf die Beine gestellt haben. Wir haben die zweitägige Veranstaltung auf der Finca von Mitstreitern organisiert, den Raum eingerichtet und die nötige Infrastruktur geschaffen, hauptsächlich mit recycleten Materialien. Zur ersten Ausgabe des Festivals haben wir Freunde aus Barcelona eingeladen, wie LUMPEN, IRREAL und ALGARA, die andere Hälfte des Line-ups bestand dann aus lokalen Bands. Es gab Plattenstände, veganes Essen, ein großes Lagerfeuer und Platz zum Campen. Wir arbeiten aktiv daran, das jedes Jahr zu wiederholen.

Ihr sagt auch: „Wir glauben an Punk als Werkzeug, um jegliche Form von Unterdrückung, Geschlechterrollen, Diskriminierung, Vorurteilen und Machtstrukturen abzubauen und zu zerstören.“ Was ist das Besondere an Punk, das andere Bewegungen nicht haben?
Luna: Ich bin dank Punk wieder eins mit mir selbst, eine Katharsis, ein Strudel, bis sich die aufgestauten Gefühle in Form eines Wutschreis entladen. Punk besitzt eine charakteristische Stärke, die es bei anderen Musikrichtungen nicht gibt: Punk ignoriert jeden Perfektionismus, Punk erschafft Schönheit aus dem, was andere als Unordnung, Chaos und Aggressivität ablehnen.

Und was halten eure Freund:innen, eure Familien davon?
Paola: Meine Familie unterstützt mich, solange ich glücklich bin mit dem, was ich tue, auch wenn sie mehrheitlich mit dieser Art von Musik nichts anfangen kann.
Miranda: Meine Familie war anfangs etwas schockiert, weil ich mich auf etwas eingelassen habe, das so aggressiv und politisch nicht korrekt ist. Das gibt manchmal Konflikte mit Familienmitgliedern, weil sie nicht verstehen, was dahintersteckt, trotzdem versuchen sie, mich zu unterstützen und kommen zu meinen Auftritten ...
Luna: Meine Familie mag keinen Punk, aber sie stehen alle hinter mir. Obwohl ich kaum glaube, dass sie uns besonders oft hören, hahaha.
Helena: Ufff ... Sie unterstützen mich prinzipiell bei allem. Aber ich warte immer noch darauf, dass sie mich mal bei einer Schulveranstaltung besuchen, hahaha.

Euer Name ist baskisch und bedeutet so was wie „Hexentanz“. Das löst eine Menge Assoziationen aus, angefangen bei der blutigen Verfolgung durch die katholische Kirche. Was steckt dahinter?
Helena: Hast du jemals den Satz gehört: „Wir sind die Enkelinnen der Hexe, die ihr nicht verbrennen konntet“? Nun, genau das sind wir, die Rache, der Kampf, die Wut, die Gemeinschaft ... Es geht um das, was wir alle innerlich fühlen, wenn wir eine Ungerechtigkeit sehen oder erleben müssen, es geht um die Scheiße, die dich zerfrisst und erwürgt, und die nur schwer oder gar nicht zu bewältigen ist, es geht um das, was dich dazu antreibt, Dampf abzulassen und all den Hass, den diese erbärmliche Gesellschaft erzeugt, explodieren zu lassen, wir sind wir alle. Durch unser neues Line-up repräsentieren wir noch besser das Konzept des Hexenzirkels ...

Wenn man auf einer Insel weit weg von Europa lebt, wie schafft man es dann, internationale Kontakte zu knüpfen und Konzerte zu spielen? Hier, in der Nähe von Köln, muss eine Band nur eine Stunde fahren und kann in dreißig verschiedenen Städten spielen, aber bei euch ...?
Luna: Wir sind immer auf die Finanzierung von Flugreisen angewiesen. Der Vorteil ist, dass die meisten von uns einen Kanaren-Einwohnerrabatt von 75% erhalten, der allerdings nur für Reisen innerhalb Spaniens gilt. Wenn du jedoch wie Paola, unsere Drummerin, Ausländerin bist, wird das Ticket fast unbezahlbar. Also touren wir immer kreuz und quer über unsere Halbinsel, das reduziert die Reisekosten auf ein Minimum. Aber all das wird uns nicht davon abhalten, auch mal weiter wegzufahren und andere Orte kennen zu lernen.

Wann kommt ihr auf Tour nach Deutschland?
Luna: Wir sind definitiv am 4. August in Berlin beim Canarias Calling im SO36 und freuen uns mega über diese Gelegenheit. Wir würden aber gerne noch mehr Konzerte in Deutschland spielen, also meldet euch bei uns!