ANNA ABSOLUT

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Schwestern im Geiste

Es ist noch gar nicht so lange her, da habe ich die vierköpfige Grazer Indie-Punk-Formation ANNA ABSOLUT im Ox zu ihrem 2021 auf 30 Kilo Fieber Records erschienenen zweiten Album „2x3“ interviewt. Nun wurden in Tom Zwanzgers Stress-Studios in Graz zehn neue Songs aufgenommen, um nur ein Jahr nach dem letzten Release erneut in LP-Form veröffentlicht zu werden. Warum so ein Tempo vorgelegt wird, wie das alles beim Publikum ankommt und welche Themen warum behandelt werden, fragen wir bei Mo (voc, gt) und Joschi (gt) nach.

Bei eurer Plattenpräsentation im Grazer PPC ging es neulich stimmungsmäßig ziemlich ab. Ist das bei euch immer so?

Joschi: Die Release-Show in unserer Homebase Graz war für uns schon etwas ganz Besonderes. Dass so viele Menschen da waren, um mit uns das neue Album „Ultramarin“ zu feiern, hat uns emotional sehr gepackt, was sich offensichtlich von der Band aufs Publikum übertragen hat. Immer ist das natürlich nicht so. Alle kennen sie, diese Gigs vor zwanzig oder dreißig Leuten, von denen ein Großteil dann auch noch draußen eine rauchen sind. Aber meistens ist die Stimmung während unserer Auftritte gut, und die Rückmeldungen nach den Konzerten sind äußerst positiv. Vor allem wohl, weil unsere Frontsau Mo es schafft, das Publikum mitzureißen.
Mo: Und die Runde Schnaps, die wir den Leuten im ersten Drittel der Show vorsorglich ausgeben, erledigt dann den Rest.

Außerdem hatte ich den Eindruck, dass ein verhältnismäßig junges Publikum anwesend war, was mein Bild von der alternden Punk-Szene etwas ins Wanken gebracht hat. Wie seht ihr das?
Mo: Auch wir haben bandintern schon immer wieder über ein „Nachwuchsproblem“ im Punkrock gesprochen. Wenn man Konzerte seiner Jugendidole besucht, bestätigt sich diese These ja auch ein wenig. Der Punk hat eben zur Zeit nicht denselben Zulauf wie andere musikalische Subkulturen, etwa HipHop. Woran das liegen mag, kann man aber schwer beantworten. Ich fände es billig zu sagen, die Jungen interessieren sich eben einfach nicht für Punk. Es ist durchaus die Aufgabe der Szene, jüngere Fans anzusprechen und ein Image zu vertreten, mit dem sich auch ein junger Mensch identifizieren kann. Wir merken verstärkt, dass es genug Teenager und Anfang Zwanzigjährige gibt, die sich in unserer Musik komplett verlieren können. Nicht etwa, weil wir die Patentlösung zur Mobilisierung der Jugend gefunden hätten, aber es ist schon so, dass man hie und da auch die „alten“ Scheuklappen des Punk ablegen muss – zumindest in gewissen Bereichen. Diese Musikrichtung bietet uns so viele Möglichkeiten, und sich wieder verstärkt politisch und sozialkritisch zu zeigen, gefällt der heutigen Jugend immens. Wir unterschätzen die Jungen gern, das ist kein Haufen von Ignorant:innen, sondern eine Generation mit einer ganz klaren Vision von einer humanistischen Welt.

Ihr seid in relativ kurzer Zeit als Band recht bekannt geworden, spielt große Gigs, es gibt offenbar eine Fanbase. Scheint ja gut zu laufen für euch? Woran liegt das?
Joschi: Einerseits ziehen wir an einem Strang und klemmen uns dahinter, unseren vagen Traum von einer Clubtour mit circa 200 Leuten pro Show vielleicht einmal wahr werden zu lassen, so dass alle in der Band auch Aufgaben rund ums Musikmachen herum wahrnehmen, ich denke da an Grafikdesign, Videoproduktion, Social Media, Pressearbeit etc. Das teilen wir uns entsprechend unserer Stärken auf, und es funktioniert. Andererseits ist Punk keinesfalls tot, Mo hat das vorhin schon angedeutet. Die Faszination für die Musik spüren wir um uns herum, von jung bis alt. Schließlich haben wir super Menschen kennen gelernt, die uns in aller Freundschaft unterstützen. Grüße an dieser Stelle vor allem an Bernd von unserem Label 30 Kilo Fieber Records!

Das bringt uns zum neuen Album. Zehn Songs sind drauf, ihr behandelt textlich sehr unterschiedliche Themen. Um was beispielsweise geht es in „Schwestern im Geiste“?
Mo: Da unsere Band von Beginn an ein Projekt von vier Freunden war, war es naheliegend, irgendwie dieses Ineinanderflechten unserer Lebenswege auch in einen Song zu verpacken. Textlich war hier das Ziel, alles Schöne unserer Freundschaften in das Lied einfließen zu lassen. Es gibt so vieles, das uns über die letzten Jahre positiv begleitet hat. Was wir bestimmt nicht im Sinn hatten, war eine Bro-Culture-Hymne. Daher rührt vielleicht auch das „Schwestern“ im Titel des Stücks, wie er nun auf der Platte steht.

„Mythos Scholmer“ und „Liebe kann man so nicht schreiben“ sind ja so etwas wie sehr konträre Liebeslieder. Was davon ist aus dem Leben gegriffen?
Mo: Als alter Fantast und oftmals gedankenverlorener Melancholiker liebe ich es, Songtexte aus dem luftleeren Raum zu saugen. Also es genügen oft kleinste Beobachtungen oder zwischenmenschliche Auffälligkeiten, um mich irgendwie zu einer Textidee zu leiten. Diese beiden Songs sind eigentlich ganz gute Beispiele dafür. „Mythos Scholmer“ ist etwa die komplett absurde Fiktion rund um einen Namen, der im Zuge einer unfassbar skurrilen Verwechslung zustande kam.

Und wie viel greift ihr aus dem Leben, was inspiriert euch zu Songs?
Joschi: Ich stimme Mo da zu. Oft reichen die kleinsten, vermeintlich unbedeutenden Beobachtungen aus und mir schießt eine Textzeile durch den Kopf. Dann muss ich sofort mein Handy zücken, die Memo-Funktion aktivieren und die Idee festhalten. Du kannst dir vorstellen, was für ein Nonsens in meinem Cloud-Konto mittlerweile herumschwirrt. Aber da war zum Beispiel auch der „heute-show“-Beitrag mit Lutz van der Horst an der Frankfurter Börse, der mich zu „Kanonen und Violinen“ inspiriert hat oder die andauernde Verschwörungsmythen-Diskussion rund um QAnon, die wir ergänzt um eine Prise Neoliberalismus-Kritik im Song „Adrenochrom“ aufgreifen. Wir verarbeiten Themen, die uns bewegen und aus unserer Sicht einen Text wert sind. Interessanterweise findet sich das Thema „Liebe“ im Sinne von „Beziehung“ bei uns erstmalig auf „Ultramarin“. Einer dieser Songs ist die von dir angesprochene Nummer „Liebe kann man so nicht schreiben“, wo Mo die Erlebnisse aus gescheiterten Beziehungen in seinem Umfeld aufarbeitet. Musikalisch inspirieren uns Bands, die wir aktuell selbst hören, aber auch die Einflüsse, die alle von uns aus ihren musikalischen Vor- oder Side-Projekten mitbringen. Felix ist zum Beispiel nicht nur ein begnadeter Drummer in zwei Bands, sondern hat auch im elektronischen Bereich schon viele ausgefeilte Sachen produziert. Georg wiederum hatte bis ANNA ABSOLUT nichts mit Punk am Hut und ist jetzt OIDORNO-Fan, haha. Sein Bassspiel bereichert unseren Sound ungemein. Mo und ich sind klassisch Deutschpunk-sozialisiert, aber wir haben natürlich auch das eine oder andere Experiment gewagt, zum Beispiel im Bereich Drum’n’Bass oder Austropop. Am Ende kannst du dir das so vorstellen, dass einer von uns ein paar Textzeilen und Akkorde mitbringt und wir dieses Fragment im Proberaum gemeinsam austüfteln. Damit ist die Bandchemie wohl der entscheidendste Faktor für den finalen Song.

Einen Song widmet ihr auch dem Widerstandskämpfer Karl Drews. Erklärt doch bitte für Nicht-Grazer:innen, wer das war? Warum hat er einen Song bekommen?
Mo: Das ist ein sehr persönlicher Song, wohl der persönlichste am Album, wenn nicht sogar im gesamten ANNA ABSOLUT-Œuvre. Karl Drews war der Cousin meines Großvaters und einer der bedeutendsten Akteure des steirischen Nazi-Widerstands. Schon als Teenager habe ich mir seine Abschiedsbriefe durchgelesen und mich mit seinem antifaschistischen Wirken auseinandergesetzt. Und schon damals hat es mich sehr gewundert, dass der Name Drews niemandem etwas sagte – im Übrigen auch nicht meinem Geschichtslehrer. Das Lied ist ein Versuch, sowohl die Person Karl Drews als auch die Bedeutung einer Idee, die Wichtigkeit des politischen Widerstands hervorzuheben.

Und wie steht ihr zu anderen in euren Songs angesprochenen Themen wie „Impfzwang“ ...?
Joschi: Diese weitreichende Frage möchte ich ohne jegliche Ironie beantworten. Impfzwang gab’s ja nie einen und die in Österreich beschlossene Impfpflicht wurde, ohne dass diese je durchgesetzt wurde, nach wenigen Monaten wieder abgeschafft. Auch wenn die Corona-Situation einen gewissen Neuheitswert hatte – einen gewissen, weil, man denke an das prominente Beispiel Bill Gates, schon vor Jahren vor der Gefahr von Pandemien gewarnt wurde – und daher natürlich auch Fehler gemacht wurden. Hier wäre von Anfang an konsequente Aufklärung, Stichwort „Impfkampagne“, das Mittel der Wahl gewesen. So, befürchte ich, hat die gesamte Politik großen Schaden genommen und einiges an Spielraum für aktuelle und künftige Krisen verloren.

„Cancel Culture“ ...
Joschi: Die sogenannte Cancel Culture wird größtenteils von Männern in Machtpositionen und dann auch noch in reichweitenstarken Medien – ohne jegliche Zensur – herbeigeredet, indem auf kuriose Einzelbeispiele referenziert wird. Wenn es so offensichtlich um Machtverlustängste geht, richtet sich die Debatte inhaltlich also selbst. Die Welt dreht sich nun einmal weiter, warum soll ich da stehenbleiben? Darum stelle ich meine Standpunkte in sachlichen Diskussionen auch gerne auf den Prüfstand. Nehmen wir als Beispiel das Lieblingsthema der Cancel-Culture-Debatte, das Gendern. Das generische Maskulinum abzufeiern, geht für mich heute nicht mehr klar, vor ein paar Jahren aber war eine geschlechtergerechte Sprache bestimmt noch nicht so stark in meinem Bewusstsein verankert. Offen für Veränderungen zu sein, bedeutet aber keineswegs, seine Meinung ständig zu ändern. Vielleicht sollten wir uns darauf einigen, dass das stärkere Argument und nicht das Argument des oder der Stärkeren gewinnen sollte. Auf der anderen Seite, nur weil ich etwas nicht gutheiße, einer anderen Meinung bin und kein Blatt vor den Mund nehme, will ich ja niemanden missionieren.

... und Lisa Eckhart?
Joschi: Lisa Eckhart verfolge ich nur am Rande. Uns kam der Name im Kontext von Antisemitismus-Vorwürfen unter. Ich persönlich feiere andere österreichische Kabarettist:innen wie Alfred Dorfer oder Josef Hader. Deren Satire ist auch nicht gerade zimperlich und dennoch gibt’s weit und breit keine Antisemitismus-Vorwürfe. Um jetzt noch den Bogen zur „Cancel Culture“ zu spannen: Nur weil die Performance mancher Künstler:innen nicht meinen Geschmack trifft, überkommt mich, um es sinngemäß mit den Worten von Alfred Dorfer aus seinem aktuellen Programm zu sagen, noch lange keine „liberale Schnappatmung“.

Euch gibt es seit 2018, 2022 habt ihr schon euer drittes Album veröffentlicht. Viel Output in relativ kurzer Zeit. Wie macht ihr das?
Mo: Haha! Viel zu lange keinen Punk gemacht, da hat sich so viel aufgestaut, das jetzt raus muss. Und seid gewappnet: Es könnte durchaus sein, dass bald wieder ein wenig Schrott, von dem wir denken, er sei gut, in die Welt rausgeht.
Joschi: Mir kommt es so vor, dass das früher normal war. Ich habe neulich die Diskografie der WOHL$TANDSKINDER durchgehört, die haben in sieben Jahren sogar sechs Alben veröffentlicht. Wir versuchen einfach, die ruhigeren und konzertfreien Phasen zu nutzen, um unsere Ideen auszuarbeiten und Demos aufzunehmen. Während der Pandemie war das natürlich heftig. Da war uns so langweilig, dass wir mit „2x3“ gleich ein ganzes Album aus dem Boden gestampft, in Eigenregie produziert und über 30 Kilo Fieber rausgebracht haben. Im letzten November hatten wir wieder so eine Phase, in der wir an neuen Sachen herumgeschraubt haben

Macht ihr nebenbei auch etwas anderes? Arbeit, Studium, nix?
Joschi: Wir haben alle studiert, arbeiten zwischen Teil- und Vollzeit und machen auch sonst einiges. Mo ist neben seinem Brotjob zum Beispiel als Schauspieler und Kabarettist tätig und Felix und Georg spielen in der Indierock-Band GRAND HOTEL SCHILLING. Ich selbst spiele nebenbei Tischtennis, wobei ich an meine früheren mehr oder weniger glorreichen Bundesliga-Zeiten nicht mehr anknüpfen kann. Schuld ist wohl die viele Zeit, die in die Band geht.

Noch einmal zum Album, das Cover ist in Gelb-Blau gehalten, und erinnert damit an die ukrainische Flagge. Zufall oder Statement?
Mo: Tatsächlich ist das reiner Zufall. Das Album planen wir ja bereits seit knapp zwei Jahren. Auch die Idee zum Artwork, um das sich immer unser medienaffiner Bassist kümmert, ist bereits weit über ein Jahr alt. Wenngleich auch damals schon der Konflikt im europäischen Osten wie ein Pulverfass war, so konnte – oder wollte – man sich damals die große Tragödie noch nicht vorstellen. Die Wahl der Farben hatte daher zu dieser Zeit keinen politischen Hintergrund. Dennoch wurde das Artwork nach dem Ausbruch des Kriegs von uns bandintern noch mal zum Thema gemacht. Und wir beließen es dabei. Insofern ist es also vielleicht doch eine Art Statement.