BAYSIDE

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Die Essenz all ihrer Stärken

Die New Yorker BAYSIDE gibt es seit mittlerweile 14 Jahren. Und seit 14 Jahren werden sie für großes Punkrock-Kino im Stile von HOT WATER MUSIC abgefeiert. Von Anfang an waren sie irgendwie anders als viele andere Bands: BAYSIDE verließen freiwillig ein Majorlabel, um mehr Indie zu sein. Und jetzt trauen sie sich tatsächlich, ihr eigenes, neues und bislang überall hochgelobtes Album gänzlich frei von Understatement „Cult“ zu nennen. Dass wir uns angesichts dieser Umstände Frontmann Anthony Raneri im Rahmen der gemeinsamen Europatour mit ALKALINE TRIO kurz vor dem Auftritt im Kölner Stollwerck zum Interview schnappten, war da nur logisch.

Anthony, euer Gitarrist Jack O’Shea wurde bei den Alternative Press Awards in der Kategorie „Bester Gitarrist“ nominiert.


Ja, das ist ein richtig großes Ding mit Feier und Verleihung und TV-Show und so. Ich hoffe, die Leute stimmen im Internet ordentlich für ihn, haha.

Was einem indes beim Hören eurer Alben zuerst auffällt, ist dein famoser, für Punkrock untypisch klarer Gesang. Du hättest eigentlich eine Nominierung in der „Bester Sänger“-Kategorie verdient.

Oh, das ehrt mich. Danke dir. Aber ich weiß nicht, nach welchen Kriterien die Jury des Awards da ausgewählt hat. Ich halte mich selber natürlich für den Besten am Mikrofon, haha. An der Gitarre dagegen hätte ich keine Chance gegen Jack. Ich benutze die Gitarre ja vor allem dann, wenn ich an Songs arbeite. Auf der Bühne bin ich nur für die Begleitung zuständig.

Nominiert seid ihr als BAYSIDE zudem auch nicht in der Kategorie „Band mit den treuesten Fans“. Dabei tut ihr sehr viel in dieser Richtung. Dazu muss man sich ja nur einmal euren neuen Song „The time has come“ anschauen.

Wir haben da die Fans aufgefordert, ihre eigenen Versionen des Stückes aufzunehmen und sie als Videos ins Internet zu stellen. Das war richtig lustig! Und in der Tat: Wir haben eine sehr, sehr treue Fangemeinde. Da sind Leute bei, die sich unser Bandlogo auf den Körper tätowieren ließen oder die uns schreiben, dass sie ausschließlich BAYSIDE hören. Wahnsinn! Entsprechend fühlen wir uns natürlich verpflichtet, diesen Menschen etwas zurückzugeben.

Wie kann man als derart idealistische und nicht ganz unbekannte Band diese Fan-Nähe aufrechterhalten?

Natürlich ist es irgendwann nicht mehr möglich, sich nach der Show mit allen Fans zu treffen und mit jedem ein Foto zu machen. Das haben wir in den vergangenen Jahren selber erfahren müssen. Und das ist schade. Aber: Die Technologie heutzutage hilft uns da ein bisschen. Wir treiben uns schon recht ausgiebig in sozialen Netzwerken herum. Dort kann man den Kontakt zu den Menschen außerhalb der Band noch pflegen. Ich nehme mir dazu regelmäßig Zeit. In einer Stunde kann man schon eine stattliche Zahl an Posts beantworten.

Euer neues Album „Cult“ habt ihr auf dem Indielabel Homeless Records veröffentlicht und dafür einen Major, Wind-Up, verlassen. Normalerweise läuft das doch andersherum.

Wir waren knapp zwei Jahre bei Wind-Up, haben dort mit „Killing Time“ ein Album veröffentlicht – und dabei haben wir uns sehr unwohl gefühlt. Die Verbindung Major und Punkrock passte einfach nicht. Wir mussten Dinge tun, auf die wir eigentlich keine Lust hatten. Wir sind jetzt seit 14 Jahren eine Band. Da ist es schwer, sich von jemandem, der von außen kommt, sagen zu lassen, was man zu tun und zu lassen hat.

Zum Beispiel?

Nimm das Beispiel Radiosender. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Radiosender sind wichtig. Es ist schön und wichtig, dass die unsere Songs spielen, darüber freuen wir uns. Aber wir sollten einmal an so einem saublöden Wettbewerb teilnehmen, bei dem Fans Tickets für eine BAYSIDE-Show gewinnen konnten. Eine BAYSIDE-Show auf einem Boot wohlgemerkt. Ich bitte dich: Geht es noch bescheuerter? Nein! Das hat mit Punk, mit unserer Auffassung von Punk und mit den Aufgaben, die eine Band unserer Meinung nach zu erledigen hat, rein gar nichts zu tun! Wir haben BAYSIDE nicht gegründet, um Unplugged-Akustiksongs auf einem Boot zu klimpern!

Wie schwer war es für euch, auf euer altes Label zuzugehen und zu sagen: „Das war’s! Wir sind raus bei euch!“?

Nicht so schwierig. Ich würde eher sagen, wir haben es ihnen schwer gemacht, mit uns weiterzumachen. Zu dem Zeitpunkt, als wir mit einem lauten „Tschüss! Wir haben keinen Bock mehr auf den ganzen Mist!“ ausgestiegen sind, waren sie schon soweit, dass sie sagten: „Alles klar. Gute Entscheidung.“ Wir haben sie vorher genug genervt und kirre gemacht mit unseren Wünschen und Vorstellungen, haha.

Kommen wir mal auf eure Songs vom neuen Album zu sprechen. Wenn ich „You’re no match for me“ höre, frage ich mich: Welche Frau hat dich dermaßen auf 180 gebracht, dass du sie so zum Teufel jagst?

Haha, das war eine Ex von mir. Aber der Song ist nicht nur auf sie bezogen, sondern generell auf Menschen, die um die eigene Person immer wieder ein großes Drama machen und lieber in Selbstmitleid versinken, als einmal in sich zu horchen und zu schauen, was sie selbst anders machen könnten. Bei denen sind es immer die Stadt, das Umfeld, der Job, die Menschen drumherum, die sie runterziehen – aber nie sie selbst. Nie ihre eigene Einstellung.

Was an den BAYSIDE-Songs, die du ja schreibst, auffällt: Du bist nicht nur ein Musiker, sondern jemand, der immer eine Botschaft vermitteln will. Eine, die über schöne Melodien und Akkorde hinausgeht.

Definitiv. Das ist einer der Gründe, warum diese Band schon so lange so gut funktioniert. Nur mit eingängigen Melodien hätte das nicht geklappt. Auf unserem ersten Album „Sirens And Condolences“ von 2004 war unser damaliger Bassist noch für die Texte zuständig. Ich habe mir seine Entwürfe nur geschnappt und Akkorde darüber gelegt. Das war sehr bequem. Aber als er dann die Band verließ, war ich gezwungen, selber Songs zu schreiben. Das war nicht einfach, ich war sehr aufgeregt und unsicher. Und der einzige Weg, diese Aufgabe zu bewältigen, war für mich: Ich gehe hin und schreibe all das auf, was mir gerade durch den Kopf geht. Ich habe sämtliche anderen Gedanken über Bord geworfen und mich nicht darum gekümmert, ob sich etwas intelligent oder nett anhört. Ich habe einfach drauflos geschrieben. Und so gehe ich noch heute vor.

Trotzdem bedeutet dies ja nicht, dass man gleichzeitig auch gute Songtexte schreibt. Was ist also dein Erfolgsgeheimnis?

Ich versuche nie, wie ein Poet oder Dichter zu klingen. Ich schreibe meine Texte eher wie jemand, der Tagebuch führt. Das macht sie wohl ehrlich und direkt und für viele Menschen greifbar.

Fällt dir das Schreiben von Songs mittlerweile leichter als früher?

Nein, ganz im Gegenteil. Es wird immer schwerer. Denn mein Leben ändert sich stetig – daheim, auf Tour, überall. Das war mit 22 einfacher. Da war ich jung, wütend, traurig, verknallte mich, ließ mir mein Herz brechen. Und zwar täglich. Da gab es zig Dinge, die mich zu Songs inspirierten, weil ich wegen jeder Kleinigkeit verrückt wurde. Jetzt, im fortgeschrittenen Alter, muss ich tiefer graben. Es geht weniger um derlei unzählige einzelne Situationen wie eine Trennung von der Freundin, einen Streit mit einem Freund, eine Prügelei. Es wird härter und komplexer, weil man viel mehr nachdenkt und Dinge anders einschätzt.

Eine große Veränderung in deinem Leben dürfte die Geburt deiner Tochter Ende des vergangenen Jahres gewesen sein.

Ja, so ein Ereignis ändert einfach alles. Natürlich wusste ich das auch vorher. Ich wusste, dass sich mein tägliches Leben komplett umdrehen würde. Ich wusste aber nicht, dass diese Geburt einen so unfassbar positiven Effekt auf meine Empfindung generell haben würde. Damit meine ich: Selbst wenn ich meine Tochter auf Tour nicht um mich herum habe, ist alles anders und schöner als früher. Denn mit Kindern merkst du erst, was wirklich wichtig ist. Dinge, die dich vorher stressen und ärgern, machen dir nichts mehr aus. Sie sind dir egal, weil sie so klein und unbedeutend sind. Und so etwas fließt natürlich auch in meine Songs ein.

Etwa auch in dem Sinne, dass du jetzt verstärkt auf deine Wortwahl achtest? Ganz nach dem Motto: „Ich will nicht, dass meine Tochter sich in zehn Jahren, wenn sie meine Texte versteht, dafür schämt“?

Haha, nein, daran denke ich noch nicht. Aber natürlich kann das irgendwann kommen. Sie wird älter, und spätestens im Teenager-Alter werde ich darüber nachdenken müssen, welche Art von Vorbild ich für sie abgebe als Punkrock-Vater.

Gehen wir mal auf ein weiteres Merkmal ein, das BAYSIDE-Songs auszeichnet: Sie sind oftmals eine Kritik an deiner eigenen Generation.

Ja, ich denke in der Tat sehr häufig über meine Generation nach. Weißt du, im vergangenen Jahr starb mein Großvater. Er war ein unglaublich fürsorglicher Ehemann. Er war auf seine Weise ein verrückter Held, weil er in schweren Zeiten seine Familie durchbrachte und die Kriegsgefangenschaft überlebte. Und so war er nicht alleine. So war seine ganze Generation! Und dann schaue ich auf uns: Wir verarschen und mobben uns gegenseitig im Internet. Und wir produzieren den ganzen Tag über irgendwelche erbärmlichen Reality-TV-Shows. Soll das einmal unser Vermächtnis an unsere Nachkommen sein? Ich hoffe nicht! Immerhin, wir haben noch Zeit, etwas dagegen zu tun. Wir müssen uns das nur immer wieder bewusst machen. Und genau das versuche ich in meinen Songs.

Viele Fans sagen, euer neues Album sei euer bestes und homogenstes, weil es die BAYSIDE-Stärken – Melodien und relevante Texte – so stark zusammenbringt, wie keine Platte zuvor. Wie erklärst du dir diese Einschätzung?

Nun, ganz einfach: Wir als Musiker sehen das genauso. Definitiv. Und das nicht nur, weil wir natürlich Fans unserer eigenen Band sind, haha. Wir haben an diesem Album so lange und hart gearbeitet wie nie zuvor. Und als wir am letzten Aufnahmetag „Cult“ noch mal anhörten, sagten wir alle: Das ist es! Diese Songs sind die Essenz von all unseren Stärken – und sie klingen trotzdem neu und frisch! Daher ja auch der Name der Platte: Er ist eine Reminiszenz an die BAYSIDE-Historie und an unsere Fans, die uns seit jeher als „Kult“ bezeichnen.