Das Beggars Banquet-Label wurde 1977 im Zuge des DIY-Spirits von Punk in Großbritannien gegründet durch Nick Martin und Martin Mills, der in einem Beitrag der „Zeitgeisters Series“ von BBC Radio 4 zu Recht als „a wise old fisherman watching minnows waiting to catch a really big fish“ beschrieben wurde. Der Name des Labels ist einem ROLLING STONES-Album von 1968 entlehnt. Die ersten Releases stammen aus den Bereichen Punk, Goth, New Wave und Electronics. Heute ist daraus die Beggars Group geworden, zu der unter anderem das Label 4AD (zu 50%), XL Recordings, Matador und Rough Trade gehören. 2016 erwirtschaftete die Beggars Group einen Bruttoertrag von ca. 70,6 Millionen Pfund, gehört also zu den Großen im Geschäft, und 2014 bekam Martin Mills den „Pioneer Award“ der britischen Musikindustrie verliehen. Auch wenn bei der Beggars Group heute sehr unterschiedliche Musiker beheimatet sind, von Adele, Scott Walker, THE NATIONAL, RADIOHEAD, THE WHITE STRIPES bis hin zu QUEENS OF THE STONE AGE, liegt der subjektiv empfundene Charme und Reiz des Labels in der frühen Phase bis Ende der Achtziger Jahre. Die erste Veröffentlichung war die Debütsingle der Londoner Punkband THE LURKERS, deren Manager Mike Stone zu dieser Zeit den Laden von Beggars Banquet im Londoner Stadtteil Fulham leitete. Beggars Banquet zählt zusammen mit Stiff Records zu den ersten britischen Independent-Punk-Labels.
THE LURKERS - „Fulham Fallout“ (LP, 1978)
Die LURKERS, gegründet Mitte 1976, spielten ihren ersten Gig als Support für Screaming Lord Sutch vor etwa zehn Zuschauern. Oft als die „British RAMONES“ bezeichnet, waren sie eben von den RAMONES, den NEW YORK DOLLS, aber auch von SLADE und SWEET beeinflusst. Sie waren einer der ersten Punkbands, die im März 1977 zusammen mit EATER im legendären Roxy Club in London die Bühne rockten.
TUBEWAY ARMY - „Replicas“ (LP, 1979)
Das zweite und zugleich letzte Album der Elektro-Pioniere TUBEWAY ARMY um Gary Numan, stark beeinflusst durch KRAFTWERK und ULTRAVOX, mit der Hit-Single „Are friends electric?“, schaffte es im Juni 1979 auf Platz eins in den britischen Charts. Inhaltlich dreht sich „Replicas“ vor allem um futuristische Themen, da Gary Numan an einem ähnlich gelagerten Buch schrieb. Ursprünglich als Punk-Album gedacht, wird es während der Aufnahmen zu einem wegweisenden Album im Bereich Synthie-Wave, da Gary Numan eher zufällig im Studio über den Minimoog-Synthesizer stolperte. Da er sich ein derartiges Equipment nicht leisten konnte, lieh er sich den Synthie. Der Charterfolg „Are friends electric?“ – gecovert unter anderem von THE DEAD WEATHER, MOLOKO bis hin zu WEEZER – ist quasi spielerisch in wenigen Stunden entstanden.
Gary Numan - „The Pleasure Principle“ (LP, 1979)
Sechs Monate nach „Replicas“ erschien Gary Numans erstes Soloalbum „The Pleasure Principle“ mit seinem bis heute wohl bekanntesten Song „Cars“ (hier werden die gleichen Synthies wie bei „Autobahn“ von KRAFTWERK verwendet), der in den Achtziger Jahren in keinem New-Wave Club fehlen durfte, irgendwo zwischen „Ricky’s hand“ von FAD GADGET und „The voice“ von ULTRAVOX. Das Album erhebt sich auf den Grundfesten von Synthie-Pop und New Wave. Neben dem Minimoog entdeckte Gary Numan auch den Polymoog-Synthie für seine Musik, der es ermöglichte, die synthetischen Streichersätze über den Basslauf zu legen.
THE FALL - „This Nation’s Saving Grace“ (LP, 1985)
Pitchfork wählte einst das neunte Album von THE FALL auf Platz 13 der besten Alben der Achtziger Jahre, zumindest ist es unter den gefühlt 200 Alben von THE FALL eines der wirklich guten und das Herausragende in ihrer Zeit auf Beggars Banquet. Der Song „I’m Damo Suzuki“ ist eine Hommage an den Sänger von CAN und einige Songs klingen fast ein wenig wie PERE UBU. Ein Album, bei dem sich die Gitarristin Brix Smith, die damalige Frau von Mark E. Smith, innerhalb des Bandgefüges prominent nach vorne spielt und von entscheidender Bedeutung für den gesamten Sound der Band ist. Ihr größter Fan John Peel umschrieb die Band treffend mit den Worten: „They are always different, they are always the same.“
BAUHAUS - „Mask“ (LP, 1981)
„Mask“ ist das zweite Album von BAUHAUS, das mit Highlights wie „The passion of lovers“ und „Kick in the eye 2“ glänzt und dessen Cover eine Zeichnung von Gitarrist Daniel Ash ziert. Das Album ist ein Manifest in Sachen Goth und zementiert die monolithische Stellung von BAUHAUS in diesem Genre. „Mask“ enthält subtil und versteckt gesetzte Referenzen an den russischen Balletttänzer Vaslav Nijinsky, was nicht ganz so erstaunlich ist, wenn man sich die sehr spezielle Art der Bühnenperformance von Peter Murphy in dieser Zeit in Erinnerung ruft. BAUHAUS-Bassist David J und Peter Murphy standen im April 2018 nach über zehn Jahren beim Roxy Festival in Mexiko erstmals gemeinsam wieder auf der Bühne und spielten zwölf Songs von BAUHAUS, darunter auch das fulminante „The passion of lovers“.
THE CULT - „Love“ (LP, 1985)
Auch wenn bei den Aufnahmen zu „Love“ im Studio LED ZEPPELIN lief, waren THE DOORS doch prägender. „Love“ markiert den Ursprung und die Blaupause dessen, was zahlreiche Neo-Goth-Bands bis heute kopieren. Obgleich die Band durch die Umbenennung von SOUTHERN DEATH CULT in THE CULT bewusst ein Zeichen setzen wollte, um sich vom „Gothic-Ballast“, wie es Sänger Ian Astbury beschrieb, zu befreien. So ahmten Bands alles nach von der Optik bis hin zu Billy Duffys Breitwandpathos-Gitarre mit vielen Halleffekten, wie bei den Album-Highlights „The phoenix“, „She sells sanctuary“ und „The hollow man“ zu hören ist. Die Intention von Astbury für „Love“ skizzierte Gitarrist Billy Duffy so: „Ian was intent on making an acid rock album, he was very much into sixties San Francisco – BLUE CHEER who were the loudest, craziest acid band ...“
Peter Murphy - „Deep“ (LP, 1989)
Nach dem Split von BAUHAUS 1983 ist dies das dritte Soloalbum von Sänger Peter Murphy, das mit „A strange kind of love“ einen seiner besten Songs überhaupt enthält. Das Album scheint ein wenig den Geist von David Bowie zu atmen und Peter Murphy geht eine gekonnte Liaison mit Pop und musikalischen Einflüssen orientalischer Provenienz ein. NINE INCH NAILS waren der Opener auf seiner „Deep“-Tour 1990. Bis heute sind Trent Reznor und er Freunde und covern schon mal zusammen Songs von JOY DIVISION und THE NORMAL.
TONES ON TAIL - „Pop“ (LP, 1985)
Nach der Auflösung von BAUHAUS fanden sich Gitarrist Daniel Ash und Schlagzeuger Kevin Haskins mit dem BAUHAUS-Roadie Glenn Campling bei TONES ON TAIL wieder. Der wesentliche Unterscheid zu BAUHAUS war der intensivere Einsatz von Keyboards. Die Single-Auskoppelung „Performance“ ist einer der besten Songs aus dem gesamten mit BAUHAUS assoziierten Musikerkosmos: dunkel, dystopisch, tanzbar und mit einer Hookline, die in den Clubs der damaligen Zeit im Stroboskopgewitter die Wände hoch und runter kroch, um dann wie kaltes Öl von der Decke zu tropfen.
THE GO-BETWEENS - „16 Lovers Lane“ (LP, 1985)
Robert Forster gründete die australische Band THE GO-BETWEENS 1977 gemeinsam mit dem 2006 verstorbenen Grant McLennan in Brisbane, wo es heute die nach der Band benannte Go-Betweens Bridge gibt. Gemeinsam waren sie nicht weniger als Giganten eines von Melancholie und Eskapismus getränkten Gitarren-Pop-Songwritings in Moll. Bands wie THE NATIONAL, TINDERSTICKS oder die DEVASTATIONS zogen unzweifelhaft Inspiration aus ihren Songs. Robert Forster sagte einmal: „Eine Popgruppe ist das Romantischste, was zwei heterosexuelle Männer zusammen erschaffen können.“ Und auf unzähligen guten Alben – „16 Lovers Lane“ sei nur exemplarisch erwähnt – beweisen sie dies eindrucksvoll. Robert Forster nimmt bis heute ähnlich gelungene Soloplatten auf.
THE ICICLE WORKS - „s/t“ (LP, 1981)
THE ICICLE WORKS waren Anfang der Achtziger Jahre eine dieser Bands im Dunstkreis von THE BOLSHOI, ROSE OF AVALANCHE, THE WATERBOYS oder ECHO & THE BUNNYMEN, die einen melodiösen und dunklen Pathos-Rock spielten, der sich in der Spätphase der Band zunehmend Einflüssen von THE DOORS und Neil Young öffnete. Sänger und Gründer Ian McNabb spielte nach Auflösung der Band auch mit Neil Young, Mike Scott (THE WATERBOYS) oder Ringo Starr zusammen. Der richtige Erfolg blieb ihnen verwehrt, aber ihre ersten Alben sind bis heute hörenswert, insbesondere ihr Debüt von 1981.
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