DREAM NAILS

Foto© by Marieke Macklon

Magischer Queerfeminismus

DREAM NAILS kommen aus London, spielen feministischen Punkrock und mussten wegen des Corona-Virus ihre Platte vom Frühling auf den Spätsommer verschieben. Eigentlich war ein Treffen bei einem Festival in Berlin geplant, aber natürlich fiel auch das ins Wasser. Also gab es einen Videocall, der so herzlich und lustig verlief, dass es sich nach fünf Minuten so anfühlte, als würde man mit ein paar alten Freundinnen telefonieren.

Eigentlich hätten wir uns schon im April bei einem Festival in Berlin getroffen und auch euer Album wäre bereits im Frühjahr erschienen – und dann kam dieses Virus. Wie geht’s euch damit?

Anya: Wir waren ganz schön niedergeschlagen. Niemand hatte gedacht, dass sich die Pandemie so entwickeln würde. Anfangs fanden wir es schade um unser Album, wir haben dann aber sehr schnell bemerkt, dass die ganze Welt einer Revolution ins Auge blickt.
Lucy: Es fühlte sich nicht mehr relevant an, auch wenn wir natürlich enttäuscht waren. Dafür werden wir im nächsten Jahr noch stärker zurückkommen, wenn wir endlich wieder Shows spielen dürfen. Wir haben das Album ja nicht abgesagt, sondern nur auf den Spätsommer verschoben. Auf Berlin hatten wir uns aber schon sehr gefreut.
Janey: Nach diesem Jahr ist die Welt vielleicht noch eher bereit für ein feministisches, post-pandemische Punk-Album.
Mimi: Und da wir es im Sommer veröffentlichen, passt es ganz gut. Denn es ist zwar ein wütendes, aber auch ein sehr sommerliches Album.
Anya: So kommen wir nicht in die Situation, zwei Singles herauszustellen und der Rest rückt in den Hintergrund. Das wäre schade gewesen, das Album ist voller Bangers!
Janey: Bangers, Bangers, Bangers!
Lucy: Wie nennt man das auf Deutsch?

Wir klauen im Deutschen ja viele englische Worte, also versteht hier jede:r, was ein Banger ist. Wir würden sie Hits nennen, aber das ist ja ebenfalls aus dem Englischen geklaut. Eure Songs haben Wumms, das trifft es ganz gut.
Janey: Wumms! So nennen wir unser nächstes Album.
Anya: Das wäre definitiv besser als „Bangers“.

Wie läuft eure Zusammenarbeit gerade? Ich sehe, dass ihr auch jetzt alle an unterschiedlichen Orten sitzt.
Janey: Wir haben zwar ein Label und eine Booking-Agentur, aber wir managen uns selbst. Das heißt wir sind sehr gut darin, miteinander in Kontakt zu sein. Jeden Montag haben wir einen Bandcall. Tatsächlich sind wir im Lockdown noch produktiver geworden.
Mimi: Wir haben einen Song geschrieben, der „No comment“ heißt. Darin geht es darum, die eigenen Rechte zu kennen, wenn man auf einer Demonstration unterwegs ist. Wir haben einander Sprachnachrichten geschickt, so ist der Song entstanden. Das haben wir dann a-capella aufgenommen und bei Instagram veröffentlicht.
Anya: Mich erinnert das an unsere Anfangszeit. Wir waren immer schon sehr DIY, aber gerade das jetzt war so sehr DIY, so roh und improvisiert. Das hat mir gut gefallen.

Wie habt ihr die Zeit im Lockdown sonst verbracht?
Anya: Wir haben ein paar Videoanleitungen veröffentlicht: Wie man einen Yorkshire-Pudding zubereitet, wie man Musik mit Löffeln macht, wie man selber Kosmetikprodukte herstellt. Das war zu Hochzeiten des Lockdowns.
Lucy: Wir wurden so gut in anderen Dingen bis zu dem Punkt, dass ich dachte, dass wir wohl nie wieder zurück zum Punk kommen.
Anya: Ja, du hast dich irgendwann beschwert und gefragt, ob wir jetzt endlich wieder anfangen könnten, Musik zu machen!
Janey: Wir sind DIY durch und durch.

Was war die wichtigste Lektion, die ihr in dieser irren Zeit gelernt habt?
Janey: Mir ist bewusst geworden, dass wir kaum Kontrolle über den Lauf der Dinge haben. Das vergisst man schnell im Alltag. Es gibt so viele Faktoren, die Einfluss auf das Leben haben und die man nicht vorhersehen kann. Ich habe gelernt, dass ich so flexibel sein muss wie möglich und dabei nicht ausflippen darf.
Anya: Geduld! Auch wenn das eine Hippie-Antwort ist.
Janey: Im Grunde: Einfach gar nichts erwarten, dann wirst du zufrieden sein.
Lucy: Hoffe auf das Beste, erwarte aber das Schlimmste.

Das klingt aber sehr traurig.
Mimi: Diese Phase hat den Menschen mehr Zeit gegeben, sich Gedanken über wirklich große Themen zu machen. Vorher hat die Arbeitswoche dafür gesorgt, dass man so beschäftigt und am Ende so müde war, dass kaum Zeit oder Luft blieb, über etwas nachzudenken. Und so wurde aus diesem „Wir backen alle Bananenbrot“ ganz schnell politischer Protest. Schau dir an, wie viele Menschen auf einmal in der Lage waren, zu „Black Lives Matter“-Protesten zu gehen. Normalerweise sind sie viel zu müde dafür.

Ihr seid eine sehr politische Band. Welchen Weg außer der Musik nutzt ihr, um eurer Meinung Ausdruck zu verleihen?
Janey: DREAM NAILS sind aus der Idee der direkten feministischen Aktion entstanden. Wir haben früher zahlreiche politische Stunts hingelegt, um gegen Maßnahmen der Regierung zu protestieren – zum Beispiel die Schließung von Beratungszentren für Frauen und Geflüchtete. Neben klassischen Demos haben wir Gebäude besetzt oder sind auf den roten Teppich von Filmpremieren gesprungen. Das hat natürlich gestört und für Aufsehen gesorgt, aber auch großen Spaß gemacht – was wiederum zu unserer Musik passt. Wir sind wütend, aber wir haben Spaß, wir können stören, aber wir tun niemandem weh.

Ihr seid sehr aktiv auf Instagram. Hättet ihr gedacht, dass die Plattform, die für Katzen- und Kaffeetassenfotos bekannt war, so politisch wird?
Anya: Nicht nur Instagram, bei TikTok sieht es gerade ja genauso aus. Dort findest du sehr viel guten Content zu #BlackLivesMatter. Es ergibt Sinn, dass sowohl Instagram als auch TikTok für politische Aktionen und Statements genutzt werden. Die Kanäle sind sehr unmittelbar. Es ist einfach, Wissen und Ressourcen zu teilen. Die Menschen fangen an, komplizierte Zusammenhänge so herunterzubrechen, dass jede:r sie verstehen kann. Ich habe so viel dadurch gelernt, Leuten bei Instagram zu folgen. Wenn es die Social-Media-Kanäle nicht gäbe, glaube ich nicht, dass der Protest, den wir gerade beobachten, so groß geworden wäre. London fühlt sich momentan an wie ein Pulverfass. Erst kürzlich gab es großen Krach zwischen Menschen in Brixton und der Polizei. Man merkt einfach, dass da draußen so viele Leute Interesse daran haben, zu lernen und Dinge zu verändern. Die sozialen Medien spielen da eine sehr große Rolle.

Ihr äußert euch nicht nur zu feministischen Themen, sondern versucht, das Ganze intersektional zu denken. Wie hat sich das entwickelt?
Janey: Wenn man zurückgeht zu den Anfängen des Feminismus, sieht man, dass viele Proteste von Women of Color angeführt wurden. Wir alle befinden uns in einem ewig andauernden Lernprozess, wenn es um Diskussionen über Gender, Rassismus und Ableismus geht. Als Band versuchen wir, sehr achtsam damit umzugehen, wen wir mit Jobs beauftragen: Wer macht Illustrationen für uns, mit wem arbeiten wir bei Musikvideos zusammen und wie können wir als weiße feministische Band die Plattformen, die wir haben, nutzen, um zum Beispiel Transpersonen oder Women of Color Raum zu geben.
Anya: Das macht die Band so wichtig für uns und auch für unsere Fans. Wir alle haben unterschiedliche Bildungshintergründe, wir sind auf unterschiedlichen Wegen zum Feminismus gekommen. Aber es ist so schön, die Band als Raum zu nutzen, all unsere Gedanken zusammenzubringen. Gemeinsam versuchen wir, besser zu werden, und gemeinsam lernen wir am meisten.
Lucy: Wichtig ist, dass wir keine Angst davor haben, Fehler zu machen. Fehler sorgen dafür, dass wir auch mal schwierige Gespräche führen müssen, aber auch daraus lernen wir. Wir haben großes Vertrauen in unsere Fans und wissen, dass sie uns Bescheid geben, wenn wir Mist bauen. Wir stehen in ständigem Kontakt, auch persönlich nach den Shows, oder wir sprechen mit anderen Bands backstage. In der Vergangenheit standen wir vor vielen Herausforderungen und haben uns immer wieder hinterfragt. Offen zu sein ist wichtig.
Mimi: Es geht ja nicht nur um die Musik und die Texte, sondern auch darum, mit wem wir zusammenspielen, wo wir auftreten.

Ist es da nicht ein großer Vorteil, eine DIY-Band zu sein und so die Entscheidungen selber treffen zu können?
Anya: Wir müssen uns wohl so schnell keine Sorgen wegen einem Sellout machen. Selbst wenn wir eine gute Band sind, feministischer Punkrock wird wohl immer eine Subkultur in der Musikszene bleiben. Das bietet uns natürlich sehr viele Freiheiten.
Janey: Wir waren mit großen Bands wie ANTI-FLAG auf Tour. Sie haben dafür gesorgt, dass wir ordentlich bezahlt wurden, sie haben ihr Equipment mit uns geteilt – und sie sind riesig! Sie waren sehr großzügig mit den Ressourcen, die sie haben. Das Gleiche gilt für CHERRY GLAZERR. Mag sein, dass viele Labels, Manager und Promo-Agenturen Entscheidungen für Bands treffen, gleichzeitig verlieren Bands nicht auf einmal ihre Verantwortung, nur weil sie größer geworden sind. Im Gegenteil, sie sollten ihre Reichweite clever nutzen.

Ihr bezeichnet euch selber gern als Hexen. Was steckt dahinter?
Anya: Das ist ein sehr weit gefasster Begriff. Als wir mit der Band angefangen haben, fühlte es sich an, als wäre das, was wir da zusammen machen, Hexenmagie.
Janey: Queerfeminismus ist magisch!
Mimi: Es ist ein Begriff, den wir nicht sehr ernst nehmen. Trotzdem sind uns viele Werte, die man mit Hexen verbindet, wichtig: Schwesternschaft zum Beispiel. Das waren Frauengruppen, die am Rande der Gesellschaft gelebt haben. Es geht uns ums Gemeinschaftsgefühl, das Teilen von Erfahrungen und Wissen. Die Gesellschaft hatte Angst vor den Hexen.

Kommen wir zurück zum Album. Welche Songs liegen euch am meisten am Herzen?
Lucy: Meiner ist „Texting back“. Es ist offensichtlich, worum es geht, und es fühlt sich immer ein bisschen wie eine Gruppentherapie an, wenn wir ihn spielen. Jeder kennt das Gefühl, wenn die Person, die du magst, sich nicht zurückmeldet.
Mimi: „Corporate realness“, weil es so eine tolle Rock-Nummer ist. Ich habe die Songs vorher schon geliebt, aber nachdem wir sie aufgenommen haben und mit dem Produzenten zusammengearbeitet haben, klingen sie so groß.
Anya: Deshalb ist „Kiss my fist“ mein liebster Track. Das war der letzte, den wir geschrieben haben, ein paar Wochen bevor wir ins Studio gegangen sind. Er ist eine Antwort auf eine homophobe Attacke auf queere Frauen in London. Er ist super wütend, aber auch sehr poppig. Wir haben den Song im Radio gehört und ich war so stolz auf uns!
Janey: Meiner ist auch „Kiss my fist“. Für mich ist er eine queere Hymne.

Wie schreibt ihr Songs, wenn ihr nicht in Quarantäne seid?
Mimi: Ehrlich gesagt haben wir eine Tabelle gemacht und die Songs nach Themen sortiert ... darf ich das überhaupt erzählen?
Alle: Ja!
Mimi: Also, wir haben sie sortiert und markiert, welche Songs eher lustig sind, welche sehr politisch und welche ein queeres Thema haben. Uns war die Balance wichtig. Das hatte großen Einfluss.
Lucy: Es gab Überschneidungen. Du kannst politisch sein und lustig. Oder wütend und queer. Und angry und queer und lustig!