DŸSE

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Ich bin eine Wand

Im August 2019 schleppte mich Robin von BOHREN & DER CLUB OF GORE mit zu einem Konzert in der Wuppertaler Börse. Headliner waren DŸSE, die ich bisher nur von ein paar einzelnen Songs kannte, die ich ganz gut, aber auch als etwas anstrengend empfand. Die Bands, die an dem Abend spielten, hatten es nicht leicht: Trotz gutem Line-up war der große Raum nicht annähernd gefüllt und es wollte keine rechte Stimmung aufkommen. Als DŸSE dran waren, stellten sie kurzerhand die Verstärker und das Schlagzeug mitten in den Zuschauerraum und wollten zwischen den Leuten auftreten. Der Veranstalter wurde nervös, das ginge doch nicht, der Sound könnte so gar nicht richtig abgenommen werden, das Licht sei nicht darauf eingestellt ... Die beiden Dÿsies blieben stur und starteten einfach so. Was dann abging, habe ich noch nicht erlebt: In dem vorher toten Raum war plötzlich eine Energie, die jeder, der an dem Abend da war, wohl noch heute nachempfinden wird. DŸSE legten ein Brett hin und gingen mit dem Publikum eine wirkliche Symbiose ein, anders ist das nicht zu beschreiben. Wie eine Band eine Veranstaltung so drehen kann, das ist schon eine hohe Kunst. Es sollte einer der letzten Auftritte von DŸSE vor der langen Konzertpause aufgrund der Corona-Situation sein. Jetzt kommt ein neues Album und die ersten „echten“ Gigs stehen wieder an.

Kommt es häufiger vor, dass ihr spontan das Setting bei einem Konzert ändert?

Jarii: Das passiert tatsächlich immer mal wieder und hat bei uns schon was von einer Tradition. Wir wollen uns ganz einfach wohl fühlen bei dem, was wir machen. Wenn wir merken, dass bei einem Konzert etwas nicht stimmt, es sind zu wenig Leute da, oder der Sound ist nicht so dolle, dann macht es für uns Sinn, umzuziehen und nur über unsere Backline zu spielen. Wir haben dann mehr Spaß, einen ehrlichen Sound und selber alles unter Kontrolle. Die Leute haben da in der Regel auch mega Bock drauf. Das passiert relativ selten, aber das ist dann etwas Besonderes, wo alle darin eintauchen können. Das macht Spaß und die Dynamik ist noch mal eine andere, weil man viel näher dran ist. Da entsteht etwas, das du von der Bühne runter so nicht erzeugen kannst. Das geht natürlich nicht immer.

Ist so etwas auch schon mal schiefgegangen und das Konzert wurde nicht so gut?
Andrej: War jemals ein Gig von uns scheiße?! Nee, eigentlich war es immer etwas Besonderes, wenn es so lief. Es fühlt sich nie gleich an. Wenn man so nah an den Leuten dran ist, gibt das einen zusätzlichen Schub an Adrenalin und Schweiß.
Jarii: Es gibt so Gigs, bei denen du von Anfang an merkst, dass die Stimmung nicht so geil ist. Und dann stehst du da auf der Bühne, bist in deinem Ding drin und spürst die eigene Musik nicht mehr. Das ist ein Zustand, den wir schon mal hatten. Da haben wir uns gesagt: Dagegen müssen wie etwas tun. Das Wichtigste ist doch, dass man sich als Band total wohl fühlt. Und wenn man eine bewusste Entscheidung trifft, etwas anders zu machen, macht das einfach total Spaß, egal ob da jetzt zwei oder 10.000 Leute dabei sind. Und das bekommen wir auch gespiegelt.

Ihr seid ja als intensive Live-Band bekannt. Wie war das, wenn ihr schon mal als Support vor großen Bands wie den BEATSTEAKS oder DIE ÄRZTE gespielt habt? Da spielt ihr doch vor Leuten, die euch größtenteils nicht kennen und auf den Hauptact warten. Konntet ihr das da auch so abrufen?
Andrej: Mit vielen großen Bands, die ganz dick im Geschäft sind, zu spielen, bedeutete für uns schon eine große Aufregung. Man stellt sich vorher Bilder vor, wie das werden könnte. Aber so richtig gebracht haben es uns eigentlich eher die eigenen Gigs mit Supportbands, die wir mochten oder zufälligen Bands, die wir dann kennen gelernt haben. Für mich sind Konzerte mit großen Bands witzig, aber das DŸSE-Feeling rüberzubringen an Fans der darauffolgenden Band, ist schwierig. Man fühlt sich so ein bisschen wie ein Lückenfüller, was aber auch spannend ist. Wir haben dadurch auf jeden Fall extrem viel dazugelernt.
Jarii: Wenn wir jetzt als Vorband vor DIE ÄRZTE spielen, ist doch klar, dass diese 10.000 Leute nicht in Punkrock-Kellern mit Noiserock groß geworden sind. Wir fühlen uns natürlich geehrt, dort eingeladen zu werden, aber wir lösen das eher mit Humor. Wir gehen da sicher nicht mit der Erwartung hin, diese 10.000 Leute dort zu überzeugen. Von daher bleiben wir ganz bei uns selbst und machen das mit Humor. Wir reden ja auch ganz gerne mit dem Publikum und nehmen die Leute so ein bisschen mit: „Hey wem es jetzt total super gefällt, der lässt jetzt mal die Hände unten!“ Dann fangen wir an zu zählen ... Mit so was bekommt man auch die Leute und die lassen sich vielleicht ein Stück weit darauf ein. Klar haben wir Respekt vor den großen Bands. Aber im Grunde sehen wir uns doch auf Augenhöhe und gehen entsprechend auf die Bühne. Wir machen eben das, worauf wir Bock haben.

Zum Thema Humor: Ihr spielt ja schon mit Witz und Ironie. Aber in der Art der Darbietung empfinde ich euch als total ernsthaft. Ihr macht euch total nackt und gebt alles. Das ist ja von der Performance her gar nicht ironisch gebrochen. Wie seht ihr das selber, etwas Witziges zu machen, ohne in den Klamauk zu kippen und eure Ernsthaftigkeit als Künstler zu verlieren?
Jarii: Natürlich haben wir Humor und können mit Leichtigkeit an Dinge herangehen. Aber alles, was wir machen, und unsere Themen haben eine ernsthaften Hintergrund. Wenn du jetzt die erste Single-Auskopplung von unserem aktuellen Album nimmst, „Laicos Neidem“, da geht es um den Umgang mit Medien und was diese mit uns anstellen. Wir schlagen damit eine Brücke zu diesem bekannten Foto vom Platz des Himmlischen Friedens, wo dieser Typ mit Einkaufstaschen in der Hand vor den Panzern steht. Das sind ja alles ernste Themen. Wir beschäftigen uns mit politischen Sachen, mit Feminismus, etc. Wir versuchen aber, spielerisch damit umzugehen und nicht wie beispielsweise SLIME damals mit „Nazis raus!“. Der Song läuft bei uns rauf und runter, aber wir gehen das einfach anders an. Unsere Botschaften sind vielleicht etwas subtiler. Wir müssen uns ja bei einem DŸSE-Konzert auch nicht unbedingt hinstellen und sagen: „Nazis sind scheiße!“ Die Leute bei uns sind, was das angeht, sicher ähnlich eingestellt wie wir. Vielleicht sind die Texte von uns zum Teil sarkastisch, haben aber immer eine ernste Basis. Vielleicht gehen wir bisweilen auch an eine Grenze, die Kunst manchmal braucht. Wir sehen das ein bisschen so wie einen Spielplatz. Du hast aber recht, wir nehmen uns schon ernst als Künstler, auch wenn es teilweise lustig rüberkommen sollte.

Ihr kommt aus dem „Osten“ und seid als Kinder in der DDR groß geworden. Würdet ihr sagen, dass euch das als Band ein Stück weit von Bands aus dem „Westen“ unterscheidet in dem, wie ihr seid?
Andrej: Um dazu etwas zu sagen, kenne ich natürlich die andere Seite nicht gut genug. Ich muss sagen, dass ich eine ganz gute Kindheit hatte, und vielleicht ist in dem, was wir tun, ein bisschen Kindsein noch mit drin, der spielerische Umgang. Bei mir ist das sicher so.

Mit „Osten“ meine ich ja nicht nur die Zeit in der DDR. Im Anschluss gab es ja spezifische Themen wie soziale Unsicherheit, Probleme mit Neonazis, die vielleicht eure Sozialisation geprägt haben.
Jarii: Das ist gar nicht so einfach zu beantworten. Aber vielleicht ist das tatsächlich für unsere Generation so, dass Musik noch ganz anders als revolutionäres Mittel empfunden wurde. Punkrock war für mich ein echter Impact. Im Westen hatte das einen viel längeren Vorlauf. Aber als ich 13 war, brach Punk über mich herein und das war eine Erlösung. Diese Freiheit, diese Aggressivität und Ehrlichkeit – das hat mich weggehauen! Und diesen Impact trage ich auch heute noch in meinem Herzen. Und das schlägt sich natürlich in unserer Musik und den Texten nieder. Wenn ich jetzt an befreundete Bands denke, habe ich manchmal das Gefühl, dass die durch die musikalische Sozialisation im Westen schon andere Möglichkeiten hatten und eher klingen wollten wie ihr großes Vorbild XY. Da stand weniger die Freiheit im Mittelpunkt, sich selber mit seiner Band auszudrücken, als vielmehr so zu sein wie wer anderes. Diesen Eindruck hatte ich früher. Das hat sich natürlich mittlerweile etwas geändert. Aber Bands aus dem Osten wie FEELING B oder SCHLEIM-KEIM, die sich noch zu DDR-Zeiten gegründet haben, mit deren Texten in der Zeit, das war wirklich gefährlich.
Andrej: Was mich beeindruckt hat, war, dass es kurz nach der Wende total viele Leute gab, die total aktiv waren, die Konzerte oder Fanzines gemacht haben. Man hatte das Gefühl, dass es eine echte Szene gab.
Jarii: Das ist ja leider mittlerweile etwas auseinandergebrochen.

Die coolen Leute gehen eben wie ihr nach Berlin oder Leipzig. In der Fläche, in der Provinz gibt’s die Leute ja nicht mehr.
Jarii: Ich selber wollte eigentlich nie nach Berlin gehen, bin aber letztendlich wegen der Familie hierher gezogen. Uns ist es aber wichtig, die Strukturen zu unterstützen. Wir haben zum Beispiel im Dezember immer eine Besetzte-Häuser-Tour gemacht und gehen da in die Pampa und spielen zehn Tage in kleinen Clubs, kleinen Läden, und auch gerne vor zehn Punkern. Wir finden es total wichtig, dass die Kultur da lebendig bleibt und dass die Bands auch dort hingehen. Wir sind jetzt auch keine soo große Band, aber dann passiert zumindest mal was. Und das sind meistens die schönsten Gigs, weil die Dankbarkeit dort eine ganz andere ist als in Berlin, München oder Frankfurt.

Zu der Zeit ab Corona: Da war ja erst mal Schicht mit Auftritten. Zuletzt habt ihr ja auch Online-Konzerte gespielt. War das eine schwere Entscheidung? Im ersten Jahr habt ihr das ja nicht gemacht. Wie sind da eure Erfahrungen?
Jarii: Wir waren uns von Anfang an ziemlich einig, dass wir keine Streaming-Konzerte machen, weil wir das, was wir live transportieren, auf gar keinen Fall über einen Stream hinbekommen. Das hat etwas mit dem Sound zu tun, mit der Atmosphäre, und ich muss auch ehrlich sagen, dass ich mir selber nicht ein einziges Streaming-Konzert angeschaut habe. Ich verstehe ja, dass das gemacht wird. Aber es hat ja auch Gründe, warum ich auf ein Live-Konzert gehe. Wir haben jetzt aber zwei so Dinger gespielt. Zum einen dieses ZDF-„Stay Live“, das haben wir gemacht, weil es eine Einladung von den BEATSTEAKS war. Die Bedingung war, dass das kein Livestream wird, sondern eher ein Mix aus einem Interview und ein paar Songs. Also kein ganzes Konzert am Stück. Da haben wir gesagt, okay, das machen wir, weil wir Bock hatten, mit Bernd von den BEATSTEAKS abzuhängen, was zu selten passiert. Das andere war das mit der Versteigerung der goldenen Toilette aus dem „Laicos Neidem“-Video. Das war im Rahmen einer Aktion von Tour d’Amour. Das ist ein Zusammenschluss von Leuten, die in der Corona-Zeit brachliegende Vans und so weiter dafür nutzen, um Hilfsgüter in Flüchtlingscamps zu transportieren. Das war dann unser Beitrag, dass wir diese Toilette versteigern und dafür einen Gig im Proberaum machen. Das hatte dann für uns eine gewisse Berechtigung, das zu machen. Am Ende konnten wir das Klo tatsächlich für 600 Euro versteigern und die Kohle bekam die Flüchtlingshilfe. Dafür war’s gut. Aber grundsätzlich macht es für uns keinen Sinn, ein Konzert zu spielen, das sich Leute auf dem Handy oder so anschauen, denn das, was wir rüberbringen wollen, können wir über das Medium nicht transportieren. Ich will den Schweiß riechen, ich will Bier trinken, mich durch die Leute drängeln. Das brauche ich und das bekomme ich an meinem Rechner nicht hin.

Wie hat es sich bei der ZDF-Sache angefühlt, im leeren SO36 zu spielen?
Jarii: Ungewohnt. Man kriegt das schon hin und es war den Umständen entsprechend gut. Das Schöne war, dass doch ein paar Leute da waren. Einige Medienleute, das Kamerateam und so weiter. Und beim zweiten oder dritten Song ging es auch, weil wir ganz viel aus uns selber herausholen. Wir benötigen jetzt nicht unbedingt das Publikum, um da reinzukommen. Wir haben wie sonst auch blöde Geschichten erzählt und das haben dann die paar Leute abgefeiert, die da waren. Von daher ging das eigentlich. Und machen wir uns nichts vor: Meine Mutti freut sich auch, wenn sie das ZDF guckt und ihr Sohn ist da drinnen mit dem Quatsch, den er macht. Allein den Bus zu packen, das Schlagzeug im Proberaum abzubauen, da reinzuräumen: Das war’s schon wert!
Andrej: Dieses ganze Prozedere, das vorm Gig stattfindet: Früh aufstehen und los! Das war echt schön. Als wir dann am SO36 ankamen, war das ganze Produktionsteam schon da, und das sind auch schon ein paar Leute gewesen. Da war es aber mucksmäuschenstill, alle waren voll konzentriert.
Jarii: Die Idee war ja, dass wir mit einem „Paten“ einer größeren Band gemeinsam Musik machen. Ich hatte Bernd dann vorgeschlagen, „Out of tune“ zu spielen. Das ist ein Song, in dem es darum geht, dass man ganz schlecht singt, die Rhythmen sind alle schief, also alles kreuz und quer. Uns geht’s darum, dass es ja nicht wichtig ist, alles gut zu machen. Wenn man Bock hat, Musik zu machen, ist es doch egal, wenn man schief singt. So ist doch Punkrock entstanden. Scheiß drauf, ob du Gitarre spielen kannst. Dann haben wir den Soundcheck mit Bernd zusammen gemacht. Die Leute vor Ort hatten ja eine Erwartungshaltung: Geil, jetzt machen DŸSE etwas mit den BEATSTEAKS. Und dann haben wir diesen schiefen Song gespielt. Die Gesichter von den Leuten im Raum ... die waren einfach fassungslos. Das war wirklich ein superschöner Moment. Also ich fand’s schön, haha. Aber das wollen wir wirklich rüberbringen: Leute, es geht nicht darum, superschön zu singen oder geil Gitarre zu spielen. Auch egal, wenn es fürs ZDF ist. Wenn wir den Song live spielen, können auch alle mitsingen. Normalerweise heißt es ja immer: Ich kann doch nicht singen. Aber genau darum geht ja in dem Song. Jeder kann mitmachen. Es geht nicht ums gut sein, sondern ums Mitmachen, ein Teil davon zu sein.

Glaubt ihr daran, dass es wieder so sein wird, dass die Menschen bei den Konzerten schwitzend aneinanderkleben, ungezählt, unorganisiert, ohne „Hygienekonzept“? Oder wird das nicht mehr kommen?
Andrej: Das wird wiederkommen. Die Leute haben Energie und haben jetzt so lange gewartet. Vielleicht braucht es eine Weile, aber das kommt wieder. Ich bin mir da sehr sicher. Die Leute werden das wollen, die Frage ist, ob sie es dürfen. Die Sache zieht sich ja schon sehr lang hin. Es wird weiterhin Mutationen geben, die Menschen sind sensibilisiert bis verängstigt. Was wir früher gemacht haben, mit 140 Leuten in einen 80er-Club, das ist doch ein einziger sabbernder Haufen, der ja heute als Superspreading-Event gilt. Dieser Knacks könnte sich ja noch Jahre durchziehen.
Jarii: Man kann ja nichts prophezeien. Ich glaube, dass dieser Knacks tatsächlich in der Gesellschaft steckt, und wenn man unterwegs ist, merkt man ja selber, wie unwohl man sich fühlt, wenn fremde Leute einem zu nah kommen. Das ist irgendwie komisch. Zumindest geht mir das so. Trotzdem denke ich, dass das Vertrauen wiederkommt. Das hat einfach damit zu tun, dass jetzt eine gewisse Befreiung kommt, jetzt da geimpft wird und wir dem mit Maßnahmen entgegentreten. Ich bin da langfristig optimistisch. Das wird wiederkommen. Es arbeiten gerade so unglaublich viele Leute daran, auch wenn das natürlich Leute sind, die unglaublich viel Geld damit verdienen wollen. Es wird daran gearbeitet und ich bin guter Dinge. Manchmal bin ich ein bisschen skeptisch, was die Gesellschaft an sich angeht. Wir bekommen ja auch mit, wie viele Querdenken-Vollidioten hier herumrennen. Aber in ein paar Jahren wird das wieder, und wenn es mit Impf- oder Testbescheinigungen sein sollte.

Ihr habt am 3. September ein neues Album am Start. Inwiefern hat Corona, haben die Maßnahmen die Produktion und den Release tangiert?
Jarii: Eigentlich sollte im Dezember 2020 bereits eine Vorab-Tour mit Pre-Releases stattfinden. Aber Corona hat das unmöglich gemacht. Die Booking-Agentur musste die Tour immer weiter nach hinten verschieben und parallel dazu wurde auch das Release-Datum immer weiter verschoben. Wir haben im April 2020 bereits mit den Aufnahmen begonnen und im Dezember hätte die Platte regulär erscheinen können. Alles hat sich jetzt um circa zehn Monate verschoben.
Andrej: Das hat der Platte selber eigentlich ganz gutgetan. Denn wir konnten dadurch ganz entspannt ohne Zeitdruck daran arbeiten. Sonst hast du ja immer einen strikten Zeitplan, wann du fertig werden musst. Insofern hat es der Produktion unheimlich gutgetan, dass wir durchatmen konnten und mit zeitlichem Abstand mit frischen Ohren daran gehen konnten.

Ihr hattet ja verschiedene Gastmusiker dabei ...
Jarii: Wir hatten die Idee, Freunde, Kollegen oder Leute, die uns inspiriert haben, einzuladen. Das ging los mit Farin Urlaub, der ja seit Jahren bekennender DŸSE-Fan ist. Der hatte Bock und so ist das Ding ans Laufen gekommen. Dann kam von DEICHKIND Porky hinzu, der freute sich auch, dass er mal nicht Texte schreiben musste. Das ging dann step by step superschnell eigentlich, so dass wir uns total geärgert haben, nicht mehr Songs produziert zu haben, um noch mehr Leute einladen zu können. Da sind auch viele Leute darunter, die wir schon lange kennen. Von KRAFTKLUB zum Beispiel hat der Vater des Bassisten das Cover unserer allerersten Single gestaltet. Wir hatten ja mal ein Projekt mit dem Namen „Du musst DŸSE werden“, da haben wir einen rudimentären Song gemacht, die Spuren ins Netz gestellt und andere den Song fertigstellen lassen. Wir hatten dann eine Jury und die hat zwei Songs ausgewählt, die dann aufs Album kamen. Das ist so eine Art Sicht der Dinge, wie wir als Band funktionieren. Wir wollen inspirieren und wir lassen inspirieren. Schöner als „Do It Yourself“ ist eigentlich „Do It Together“. Das war immer unser Anliegen und so ist auch das Album mit Freunden und Kollegen entstanden, ohne dass die genaue Vorgaben bekommen haben. Wir gehen damit jetzt auch nicht so hausieren. Wir hätten das marketingtechnisch ganz anders aufziehen können. Wegen der Corona-Situation hatten viele eben auch Zeit, da mitzumachen. Jetzt haben wir eine Platte voll mit guten Bässen und wir mussten es selber gar nicht machen. Vielleicht waren wir auch nur ein bisschen faul.

Wie haltet ihr das grundsätzlich? Produziert ihr eure Alben so, dass ihr sie anschließend live zu zweit ohne Bass auch eins zu eins spielen könnt, oder nehmt ihr einfach so fett es geht auf, ohne Rücksicht auf die Live-Reproduzierbarkeit?
Andrej: Live spielen und Alben produzieren sind zwei unterschiedliche Dinge. Die Platte soll für sich so gut klingen, wie es geht. Wenn wir das so aufnehmen würden, wie wir live spielen, wäre das eine total andere Mucke. Natürlich wollen wir jeden Song live spielen. Wir machen das dann zu zweit so gut es geht und nehmen die Studioproduktion als Basis. Jetzt auf der Platte gibt’s zum Beispiel Fill-ins von den Gastmusikern. Live improvisieren wir das dann irgendwie. Da spielt Spontanität eine viel größere Rolle. Es gibt Songs, die funktionieren live besser und andere vielleicht weniger. Deshalb spielen wir manche Songs live auch nicht so oft. Bei anderen merkt man dann beim Spielen, dass es ein gutes Live-Brett ist, was dich selber in dem Moment überzeugt.
Jarii: Für uns hat das unterschiedliche Qualitäten: Ich hasse Bands, die live genauso klingen wie auf Platte. Das finde ich langweilig. Was soll das? Ich will die live sehen! Da kann ich mir ansonsten auch einen Backing-Track anhören und zwei Kasperle auf der Bühne ansehen. Das will ich nicht. Ich will, dass es live klingt. Die sollen sich verspielen, die sollen ehrlich sein, die sollen runterrocken. Wir selber machen das Album eher so, dass es schön zu hören ist. Ein Album ist eben etwas anderes als eine Live-Situation. Live hast du ganz andere Mittel, um das geil zu machen. Beim Album setzen wir auch gerne Chöre, Streicher oder Bläser ein, wo wir genau wissen, dass wir das live nicht umsetzen werden. Aber da machen wir das auf eine andere Art und Weise, mit den Stimmen oder sonst wie. Aber dabei wirst du bei uns trotzdem nichts vermissen, weil wir da andere Qualitäten haben. Scheiß drauf, das ist doch das Live-Feeling.
Headbert & Robin of Gore