FRACHTER

Foto© by Tobias Schied

Provinzielle Selbstverortung

Als Punkband aus Weimar in Thüringen hat man es nicht leicht. Da ist einerseits diese historisch der Hochkultur um Goethe und Schiller verpflichtete Stadt als Homebase zum Musikmachen. Da sind andererseits aber auch all die kleinen Orte drumherum, in denen der braune Sumpf noch lange nicht trockengelegt ist. FRACHTER können ein Lied davon singen. Sie veröffentlichen jetzt mit „Bad Sterben“ ihr Debütalbum – und erzählen im Interview von genau diesen Dingen. Zu sagen haben Sänger Aaron und Schlagzeuger Philipp aber auch etwas zum Zustand der Punk-Szene, zu Wortspielen und zur Piefigkeit in der Provinz.

Euch gab es bis etwa 2018 unter dem Namen RADIO KILL, dann folgte die Umbenennung in FRACHTER. Wie kam das?

Aaron: Unser Bassist Dome und ich machen das schon ganz lange zusammen und kennen uns auch schon ewig. 2014 haben wir angefangen, 2017 kam Philipp als neuer Schlagzeuger zur Band. Und ein Jahr später haben wir gemerkt, dass das musikalisch doch etwas anderes geworden war – und wir haben das umgelabelt. Wobei sich diese Umbenennung zu jeder Zeit ziemlich harmonisch angefühlt hat. Das war kein Bruch. Das war alles im Fluss.

Bei Google habt ihr durch den neuen Namen natürlich klar verloren: RADIO KILL ist wesentlich einfacher zu finden als FRACHTER.
Aaron: Das stimmt, haha. Aber man kann ja nicht nur nach Google gehen. Der Name ist einfach schön.

Was meinst du mit „schön“? Wegen der Bedeutung oder vom Klang her?
Aaron: Es ist eher der Klang. Es ging uns nicht um das Wort an sich oder um den Frachter, der laut „Tagesschau“-Meldung mal wieder irgendwo steckengeblieben ist. Zudem waren wir alle einverstanden mit den Namen. Das ist sehr wichtig. Und er strahlt etwas aus, was wir mit unserem Sound assoziieren.

FRACHTER – das hört sich hart, schwer an. Und der Name passt perfekt zu euren Songtexten und Songtiteln. Da gibt es „Zylinder“, „Eigenheim“, „Atacama“. „Homo Faber“. Viele einzelne, kurze, prägnante Wörter, die manchmal ziemlich kryptisch wirken und irgendwie mit Bedacht gewählt scheinen. Das erinnert schon stark an TURBOSTAAT, FJØRT oder MUFF POTTER. Liege ich damit richtig?
Aaron: TURBOSTAAT und MUFF POTTER sind wichtige Bands für uns, ja. Diese Richtung ist gut, der verwehre ich mich nicht.

Ein schönes Beispiel: In „Homo Faber“ singt ihr: „Es thront über den Baustellen dieser Innenstadt / Nur was sich ändert, bleibt bestehen / Ein Presslufthammer stampft im Takt.“ Bei KOTZREIZ hört sich das so an: „Bauarbeiter stuerb, du machst die Stadt kaputt“. Nach weniger Poesie.
Aaron: Stimmt, haha. Das ergibt sich aber auch einfach so. Die Texte schreibe meistens ich. Und wenn ich etwas Spannendes sehe, dann schreibe ich es mir auf. Diese Zeile ist mir genauso eingefallen wie „Zwischen den Wahlplakaten für ein besseres Leben sind die SUVS geparkt“, als ich durch Jena gegangen bin. Insgesamt zeigt sie, dass die Texte auf „Bad Sterben“ auch anders sind als die auf unseren EPs zuvor. Da ging es eher um die Introspektive. Jetzt wollte ich dagegen nach außen gehen. Mich nicht nur mit mir selbst beschäftigen, sondern auch gesellschaftlich aktiver werden.
Philipp: Die Texte entstehen auch wie Collagen. Das erkennt man deutlich. Aaron ist gut darin, Sachen aufzufangen und dann zusammenzupuzzlen.
Aaron: Diese Gesellschaftsperspektive schwingt immer mit. Es geht um „Individuum versus wir“. Beziehungsweise was macht die Gesellschaft mit einem? Das ist meiner Meinung nach ein spannender Ansatz.

Was macht ihr eigentlich beruflich?
Philipp: Ich bin Lehrer.
Aaron: Ich studiere Soziologie.

Passt irgendwie. Und ihr liebt Wortspiele. Das fängt ja schon beim Albumtitel an, „Bad Sterben“. Ein Begriff, den es bislang noch nicht gegeben hat, oder?
Aaron: Das ist wahr. Ich mag es zwar durchaus, etwas Griffiges zu haben. Aber ich mag es auch, wenn nicht alles sofort eindeutig ist. Bei „Bad Sterben“ spielt Humor eine große Rolle. Das fing mit einem Gag an: Unser Bassist wollte „Bad Steben“ sagen, das ist eine kleine Stadt in Oberfranken, war aber besoffen – und sagte „Bad Sterben“. Und das fanden wir sofort großartig! Denn das reflektiert irgendwie unsere Herkunft: Wir kommen ja alle aus Dörfern in Thüringen. Insofern spielt diese provinzielle Selbstverortung eine Rolle.

Aber als Band seid ihr in Weimar zu Hause?
Aaron: Ja. Ich pendele zwar immer zwischen Jena und Weimar. Philipp wohnt noch weiter weg. Aber das ist nach wie vor die Base.

Wie kann man sich die Punk-Szene in einer Stadt vorstellen, in der es eher um Schiller und Goethe geht?
Aaron: Klein. Aber ich weiß gar nicht, ob es eine Weimarer Szene gibt. Es ist eher eine Szene zwischen Weimar, Jena und Erfurt. Also in ganz Thüringen.

Philipp: Es gibt viele kleine Initiativen und Zentren, die sich stark machen für eine linke Musik- und Politikszene und für Subkulturen. Da geht was. Und drumherum ist dann eben dieser Sumpf mit vielen Konservativen, Rechtsoffenen und Rechten.

Wie sehr habt ihr mit diesem Sumpf zu kämpfen?
Aaron: In Weimar selbst ist man eigentlich noch so ein bisschen auf einer Insel, weil es sich aufgrund seiner Geschichte und seines Status als Stadt des Bildungsbürgertums versteht. Aber zuletzt ist auch hier richtig viel Scheiße gelaufen. Ein feministisches Café hat beispielsweise schließen müssen, weil es immer wieder Fascho-Schmiereien gab. Zudem werden Stolpersteine beschmiert. Darüber gibt es gerade einen heftigen Diskurs, weil es sich natürlich nicht mit dem Image Weimars verträgt, dass die Stadt ein Neonazi-Problem hat. Trotzdem, gegenüber dem, was da mitunter auf dem Land los ist, sieht es in Weimar noch ganz gut aus. Auch in Jena. Das ist ja die Studi-Stadt schlechthin. Und hier werden sowieso noch mal ganz andere Debatten geführt. Etwa darüber, dass an der Uni der Lehrstuhl für Geschlechtergeschichte abgesägt werden soll. Auf dem Dorf dagegen geht es darum, ob du eine Antifa-Flagge auf eine Feier mitnehmen kannst. Weil dann nämlich plötzlich die lokalen Faschos vorbeikommen ...

Als Band, zumal aus dem Punk-Kontext, wird man also zwangsläufig auch politisiert.
Aaron: Genau. Ich meine: Die AfD ist hier stärkste Partei. Und das ist keine gemäßigte, wirtschaftsliberale AfD, sondern eine mit knallharten Neo-Faschisten wie Höcke.

Mal abseits der Musik, Philipp, wie ist das für die als Lehrer?
Philipp: Ich bewege mich von diesen studentischen Bubbles in Weimar, Erfurt und Jena noch mal ein ganzes Stück entfernt im Ländlichen. Da komme ich sowohl beruflich als auch privat tatsächlich kaum um dieses Thema herum. Und dazu unterrichte ich eben auch noch Deutsch und Politische Bildung und bekomme durchaus Gegenwind wegen der Inhalte, die ich vermittle. Vor allem von Eltern.

Ich würde gerne noch auf einen speziellen Song zu sprechen kommen: „Keine Szene machen“. Ein charmanter Rundumschlag gegen Szene-Dogmen. Was sagt ihr als junge Band, wie steht es um die Punk-Szene?
Aaron: Einschränkend muss ich sagen, ich habe uns als Band nie klar einer Szene zugeordnet. Wir haben immer eher zwischen den Stühlen gesessen. Entweder haben wir viel mit Beer-Punkbands zusammengespielt. Oder mit Hardcore-Bands, weil das hier lange das Ding schlechthin war. Wie auch immer, ich habe immer das Gefühl, innerhalb der Szene bewegt man sich zwischen kompletter Reflexionsunfähigkeit und totaler Distinktionswut. Also entweder heißt es: Ich bin straight edge und viel besser und allen anderen moralisch total überlegen. Oder es gibt gar keine Reflexion darüber, warum es zum Beispiel, sagen wir mal, nicht so geil ist, halbnackt ins Publikum zu springen. Wir hatten diesbezüglich in der Vergangenheit jedenfalls durchaus schon die eine oder andere Erfahrung mit Bands, mit denen wir zu tun hatten, die nicht so doll waren. Daher dieser Song.

Machen wir uns nichts vor, gewisse Probleme haben viele auch erst in letzter Zeit wirklich auf dem Schirm. Vor zehn Jahren war das alles gefühlt noch gar kein Thema. Gerade ihr als junge Band dürft doch quasi direkt in diese Entwicklung hineinwachsen, oder?
Aaron: Absolut. Auch bei uns ist das in den letzten Jahren viel stärker ins Bewusstsein gerückt. Wir haben irgendwann gemerkt: Wir sind die x-te Männerband. Gerade bei Konzerten. Und haben darüber nachgedacht. Bei unserer Gründung war das noch kein Thema. Da haben wir mit den Kumpels zusammengespielt – und das war’s. Heute überlegen wir, dass wir bei unserer Release-Party eben nicht nur mit Männerbands auf der Bühne stehen wollen. Das ist ein wichtiger und richtiger Entwicklungsprozess. Ich finde die kämpferischen Debatten, die daraus erwachsen, zwar manchmal durchaus schwierig. Aber es ist gut, wenn man sich als Männerband mal einen Kopf darüber macht und Dinge anstößt.