Frauen müssen draußen bleiben?

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#PunkToo, Sexismus und Repräsentation in Musikmagazinen

Anfang des Jahres gab es Aufruhr in der Punk-Szene: Mit #PunkToo ist Jahre nach der #MeToo-Debatte nun auch eine durch Hashtags verbreitete Diskussion über die Stellung von Frauen im Punk entfacht worden. Was in der Szene schon lange Thema ist, hat so neuen Aufschwung und Aufmerksamkeit bekommen. Einer der großen Aufreger war dabei auch ein Interview mit Ruhrpott Rodeo-Veranstalter Alex Schwers in Ox #153. Es gab Vorwürfe von zu wenig Diversität und Repräsentation bis hin zu Pink-Washing und Sexismus. Was es dabei aber kaum gab: Quellen, Statistiken, Zahlen. Eine Lücke, die geschlossen gehört.

Als Frau in der Punk-Szene hat man es nicht immer leicht. Halte ich mich sonst eher in einem Teil der Szene auf, in dem das Publikum zu gefühlt 99% aus Mädchen und jungen Frauen besteht, siehe Bands wie ALL TIME LOW, SLEEPING WITH SIRENS oder WATERPARKS, ist das Publikum im Punk deutlich gemischter, deutlich männlicher. Als ich dann sechs Monate als Praktikantin in der Ox-Redaktion verbracht habe und es anschließend darum ging, meine Praxisarbeit zu verfassen, bot sich mir die Gelegenheit, das Thema Frauen im Punk wissenschaftlich zu untersuchen. Genauer gesagt habe ich mir von den drei Musikmagazinen Ox, Visions und Rock Hard jeweils eine Ausgabe von 2010 und eine von 2020 vorgeknöpft, um festzustellen: Wie hat sich die Repräsentation von Frauen in Musikmagazinen in den letzten zehn Jahren entwickelt?

Bereits Ox-Kollege Roman Eisner hat sich in der Vergangenheit in zwei Kolumnen mit dem Thema Frauen in Musikmagazinen kurz und knackig auseinandergesetzt und dabei Titel wie das Ox, Visions, Plastic Bomb und sogar die Bravo näher unter die Lupe genommen, die alle, bis auf die Bravo, nicht sonderlich gut abgeschnitten haben. In letzter Zeit ist diese Diskussion vor allem durch den Hashtag PunkToo noch einmal neu angeheizt worden, dabei wurde häufig sachlich argumentiert, zu oft aber mit haltlosen Vorwürfen und Signalwörtern um sich geworfen.

Es stellt sich daher die Frage: Was ist Wahrnehmung, was Fakt? Wie haben sich die Musikmagazine in den letzten zehn Jahren wirklich entwickelt? Vor allem wenn man bedenkt, dass die #MeToo-Debatte erst 2015 hohe Wellen schlug und gendergerechte Sprache seit kurzem auch in den Massenmedien an Popularität gewonnen hat. Um diese Fragen beantworten zu können, hat sich ein Blick ins Ox, Visions und Rock Hard gelohnt. Ob das die wichtigsten Publikationen der Szene sind, darüber lässt sich streiten. Nicht zu bestreiten ist, dass diese drei Magazine im Nischenbereich „Punk/Alternative/Metal“ auflagenstark vertreten sind und damit eine große Reichweite haben.

Schaut man sich die Ausgaben von 2010 an, muss berücksichtigt werden, dass es zwar noch keine #PunkToo-Bewegung gab, aber die Riot Grrrl-Bewegung zu diesem Zeitpunkt auch bereits beinahe zwanzig Jahre her war. Wurde mit der Riot Grrrl-Bewegung in den Neunzigern ein wichtiger Meilenstein in der feministischen Geschichte gesetzt, so schien davon 2010 nicht mehr viel übrig geblieben zu sein. Lautstark hatten Frauen damals mehr Platz in der Punk-Szene eingefordert, 2010 ist das Ergebnis, dass in der untersuchten Ausgabe des Ox zu knapp 90% Männer zu Wort kommen, Visions hat einen männlichen Redeanteil von knapp 80% und Rock Hard übertrumpft beide mit knapp 92% Männern in den Interviews der September-Nummer 2010.

Der Riot Grrrl-Hype scheint also nur vorübergehend Wirkung gezeigt zu haben, zwanzig Jahre später ist von dem Spirit „Girls to the front“ zumindest in den Musikmagazinen nicht mehr viel zu spüren. 2020, knapp dreißig Jahre nach den Riot Grrrls, würde man meinen, es habe sich nach weltweiten Debatten wie #MeToo grundlegend etwas geändert. Die gegenwärtige Szene wirkt aber alles andere als ein Ort der Zuflucht oder der Sicherheit. Allein im Pop Punk-Bereich ist es schon an der Tagesordnung, dass eine Band nach der anderen sich gezwungen sieht, auf Twitter eine Notes-App-Entschuldigung zu posten. Wieso? Weil es schon wieder heftige Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs gegen Pop-Punk-Musiker gibt, mit endlosen Twitter-Threads, in denen User:innen von ihren Erfahrungen mit Bands und deren Mitgliedern berichten. Das sind definitiv keine Einzelfälle, wie erst vor kurzem bei A DAY TO REMEMBER zu sehen. Bereits 2020 gab es Missbrauchsvorwürfe gegen deren Bassisten Joshua Woodard, die er zurückwies. Nach der Ankündigung ihrer Tour mit BRING ME THE HORIZON im Oktober kochten die Vorwürfe wieder hoch und Woodard verließ daraufhin die Band, beteuert aber weiterhin seine Unschuld.

Genauso wenig gab es in den letzten zehn Jahren in den Musikmagazinen Fortschritte, was die Repräsentation von Frauen angeht. Während im Ox der Frauenanteil gleich geblieben ist und Visions 2020 im Vergleich zu 2010 eine Frau weniger im Heft hatte, hat Rock Hard in der untersuchten Ausgabe von 2020 den Frauenanteil mal eben auf bloß eine Interviewpartnerin reduziert.

Die meisten dürfte dieses Ergebnis wenig überraschen, war es bereits häufiger ein Vorwurf gegen Musikmagazine, Festivals und andere Szene-Institutionen, nicht genügend Frauen eine Bühne zu bieten. Auch ein Blick auf die Cover zeigt, dass Frauen hier rar gesät sind. Ein Vorwurf der #PunkToo-Bewegung hat sich damit in Zahlen bestätigt, ist aber nicht das Einzige, was lautstark im Internet diskutiert wird. Denn Frauen in Musikmagazinen Raum zu geben, ist die eine Sache, aber wie über sie berichtet wird, wie mit ihnen in Interviews gesprochen wird, das ist eine andere.

Sexistische Berichterstattung, das ist ein grundsätzliches gesellschaftliches Problem und betrifft in den Massenmedien auch eine Person wie Angela Merkel, was heute kaum noch vorstellbar ist. So hat der Spiegel, der prinzipiell als Qualitätsmedium gilt, 2005, als Angela Merkel durch ihre Kandidatur zur Bundeskanzlerin auf den Plan trat, einen ganzen Artikel ihren Schweißflecken gewidmet. „Darf Frau Merkel nicht schwitzen?“, lautete damals die Überschrift. Ob das wirklich von allgemeinem Interesse war? Fraglich. Es kommt aber immer wieder vor, auch heute in unserer „woken“ Gesellschaft, dass Frauen in der journalistischen Darstellung auf ihr Geschlecht, ihr Aussehen, ihre Beziehungen zu Männern reduziert werden. Zum Beispiel wenn die Gitarristin einer Band zur „Freundin von“ wird, wenn der weibliche Körper zum Gegenstand der Betrachtung mutiert, wenn die äußerliche Erscheinung eine zentrale Rolle einnimmt – Wieso trägt sie ausgerechnet eine so tief ausgeschnittene Bluse? Oder eine so hochgeschlossene Bluse? Oder einen Pullover anstelle einer Bluse? – und der Inhalt in den Hintergrund gerückt wird.

Eine zentrale Rolle hat das Aussehen bei den drei Musikmagazinen nicht eingenommen – außer vielleicht beim Visions-„Style-Check“ von MY CHEMICAL ROMANCE-Sänger Gerard Way in Ausgabe 212 von 2010, den er allerdings selbst kommentierte, so dass er wohl kein Problem damit hatte. Das einzige „Vergehen“ der Redaktion war hier vielleicht, auf Bravo-Niveau gerutscht zu sein. Wobei die Bravo, zu ihrer Verteidigung, als Vorbild dienen könnte, denn sie hat, wie Ox-Kollege Roman Eisner bereits in seiner Kolumne festgestellt hatte, in dem von ihm angeschauten Heft zu 42% Artikel über Musikerinnen und dazu außerdem eine Chefredakteurin.

Sexistische Glanzaussagen gibt es demnach wenige – aber es gibt sie, vor allem 2010. Ob sie im Auge des Betrachters wirklich sexistisch sind oder nicht, darüber lässt sich streiten, fraglich sind sie dennoch. So wurde die IN THIS MOMENT-Frontfrau Maria Brink in Rock Hard-Ausgabe #280 von 2010 als „überhotte Alice“ bezeichnet, in keinem der anderen 39 Interviews wird ein Mann als überhot, heiß, scharf oder mit einem sonstigen Synonym für geiles Aussehen beschrieben. Und bevor der Vorwurf der einseitigen Berichterstattung aufkommt, auch das Ox fällt 2010 negativ auf, wenn in einem Interview mit DETROIT7 die Sängerin mit einem kleinen Mädchen verglichen wird: „Tomomi, du hast sehr viel Soul in deiner Stimme, was nicht so recht zu dem kleinen Mädchen auf dem Bandfoto passen will“ (Ox #89). Springt man ins Jahr 2020, ist zu konstatieren: Das Aussehen der Interviewpartnerinnen spielt hier keine Rolle mehr, allerdings gibt es auch nicht so viele.

Nun geht es aber vor allem um die Entwicklung, die diese Musikmagazine in den letzten zehn Jahren durchgemacht haben und um den Vorwurf, auch jetzt noch ein „all boys club“ zu sein. Was in letzter Zeit immer wieder für Streit und Auseinandersetzungen gesorgt hat, ist das Drama um gendergerechte Sprache: Gendern oder nicht gendern? Mit Gendersternchen, Unterstrich, Binnen-I oder doch lieber dem Doppelpunkt? 2010 galt Gendern sicherlich noch alles andere als salonfähig, auch wenn es bereits seit den Siebzigern Bücher und Studien zur Genderlinguistik gibt. Im Jahr 2021 ist das Gendern aber vor allem ein Ausdruck von Modernität und Inklusion: Ja, wir meinen Frauen wirklich mit, wenn wir von Musiker:innen, Veranstalter:innen, Journalist:innen sprechen.

Während das Gendern vor allem auf Social-Media-Plattformen angekommen ist, sieht das in den Musikmagazinen unserer Szene anders aus. Einzig im Ox wird gegendert – und hier muss noch einmal berücksichtigt werden, dass es in der Analyse nur um die auflagenstarken Magazine Ox, Visions und Rock Hard ging –, und das bereits seit 2010, auch wenn in der untersuchten Ausgabe nur ein einziges Mal ein gegenderter Begriff auftaucht, mittlerweile häufen sich im Ox die Doppelpunkte. Was viele in der Szene als selbstverständlich betrachten, ist es offensichtlich nicht – sonst würden Visions und Rock Hard ebenfalls gendern. [Nachtrag: In der Oktober- sowie der November-Ausgabe 2021 des Rock Hard kündigt Boris Kaiser im Editorial an, dass künftig verstärkt mit Doppelpunkt gegendert werden soll.]

Zuletzt war auch interessant zu sehen, wie sich die drei Musikmagazine mit dem in der Szene viel diskutierten Thema Sexismus auseinandersetzen – falls sie sich denn überhaupt damit beschäftigen. Gerade im letzten Jahr sind immer wieder kritische Stimmen laut geworden, die vor allem bei Festival-Line-ups die Frage gestellt haben, warum hier so wenige Frauen gebucht werden. Die Antworten waren meistens wenig zufriedenstellend, nicht selten gepaart mit dem Verweis, es würde schlicht nicht genug Frauen in Bands geben. Was 2010 noch nicht thematisiert wurde, fand 2020 deutlich mehr Aufmerksamkeit in der Musikpresse. Gerade das Ox hat sich in diesem Jahr ausführlich mit dem Thema Frauen in der Punk-Szene auseinandergesetzt, erst kürzlich mit einem sechsseitigen Artikel über Frauen in der Rockmusik, in dem versucht wurde, Licht ins Dunkel der wenig diversen Line-ups zu bringen.

Neben dem Ox hat sich in den analysierten Ausgaben aber auch das Visions mit dem Thema Sexismus auseinandergesetzt. Beim Rock Hard kam das Thema Sexismus in keiner der beiden untersuchten Ausgaben vor. In diesem Zusammenhang muss aber auch erwähnt werden, dass vor allem das Ox in die Schusslinie der #PunkToo-Bewegung geraten ist, nachdem das eingangs erwähnte Interview mit Ruhrpott Rodeo-Macher Alex Schwers erschienen ist und noch einmal, nachdem NOFX-Frontmann Fat Mike in Ox #154 mit seinen Aussagen zu Frauen im Punk wenig glänzte. Inwieweit ein Musikmagazin für die Aussagen seiner Interviewpartner:innen verurteilt werden kann, ist zwar diskutabel, aber das ist ein anderes Thema. Ob die im Netz geäußerten Sexismus-Vorwürfe gegen das Ox Auslöser für eine vermehrte Thematisierung waren? Vielleicht. Was letztlich zählt, ist aber, dass das Thema mehr Aufmerksamkeit bekommen hat. Es wird darüber gesprochen, es wird in Interviews und Artikeln immer wieder aufgegriffen.

Stark verändert haben sich die drei Magazine in den letzten zehn Jahren dennoch nicht, was die Repräsentation von Frauen angeht. Der Frauenanteil in diesen Heften ist immer noch brutal niedrig, in 225 ausgewerteten Interviews sind gerade einmal 25 Frauen zu Wort gekommen – gegenüber 200 Männern. Auch das Argument, es würde nicht genug Frauen in Bands geben, zieht nur bedingt – zwar ist es durchaus statistisch belegt (siehe Ox #156 „Sängerinnen und Instrumentalisten“), dass weniger Frauen in Bands spielen als Männer, jede Menge Frauenpower in der Szene gibt es dennoch.

Spannend ist jetzt vor allem, wie die Szene sich in naher Zukunft weiterentwickelt. Was im Pop bereits angekommen ist – Frauen, die die Charts stürmen, die auf riesigen Bühnen stehen, die Festival-Line-ups füllen – könnte dem Punk noch bevorstehen. Diskussionen im Internet wie die #PunkToo-Bewegung zeigen, dass Musikmagazine sich den Debatten um weibliche Repräsentation, gendergerechte Sprache und Feminismus nicht entziehen können. Und diesmal wird die Bewegung anders als bei den Riot Grrrls kaum durch zu viel mediale Aufmerksamkeit, zu viel Mainstream, zu viele Poser wie ein Feuer wieder erlöschen, denn wenn Cancel Culture und Gen Z uns eins gelehrt haben, dann dass das Internet immer nur vorübergehend vergisst.