HATEBREED

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Alles eine Frage der Phrasierung

Angeteasert wurde das neue HATEBREED Album „Weight Of The False Self“ bereits Anfang des Jahres. Nachdem auch hier zuerst das Corona-Virus dazwischenkam, dürfen wir uns jetzt endlich am neuen Album der Band erfreuen. Wenn die Pandemie zuschlägt, dann schlagen HATEBREED eben zurück. Was es vom Aufnahmeprozess zu erzählen gibt und welche Musik ihn durch schwere Zeiten trägt, erzählt uns Sänger Jamey Jasta im Interview.

Mit „Weight Of The False Self“ legt die Hardcore-Maschine aus Connecticut ihr achtes Album vor. Am Erfolgsrezept hat sich seit ihrem 1997er Debüt „Satisfaction Is the Death Of Desire“ wenig geändert, aber der Teufel steckt bekanntlich im Detail und so haben auch HATEBREED weiter an den Details gearbeitet. Dabei stand es zu Anfang des Schreibprozesses noch gehörig auf der Kippe, ob die Songs den HATEBREED-typischen Optimismus ausstrahlen würden. „Ich hatte zwei Sets von Texten geschrieben“, beginnt Sänger Jamey Jasta, „eines davon war sehr optimistisch und positiv, das andere eher düster und pessimistisch. Als die Fertigstellung der Musik dann immer näherrückte, haben sich die Lyrics so langsam in meinem Kopf aussortiert. Wir waren ja vier Jahre mit ‚The Concrete Confessional‘ unterwegs und ich habe jeden Abend gesehen, mit welchen Songs die Leuten connecten und mit welchen weniger. Ich selbst bin mit allen möglichen Musikrichtungen groß geworden, das reichte bis hin zum Ska. Und wenn ich eines gelernt habe, dann dass es die Singalongs sind, die ich Abend für Abend performen und sehen will. Wenn dir die Leute die kompletten Texte zurückschreien, ist das schon was Besonderes. Aber auf dem neuen Album ist etwas für jeden Geschmack dabei. Trotzdem habe ich das Gefühl es sind eine Menge Hymnen auf dem neuen Album.“

Neben den Bandmitgliedern ist vor allem ein Mann für den typischen HATEBREED-Sound verantwortlich: Produzent Zeuss, der sich vor allem ganz zu Beginn der ersten großen Metalcore-Welle mit GOD FORBID, SHADOWS FALL und ALL THAT REMAINS einen Namen machte. Neben seiner Arbeit mit Rob Zombie ist er auch für den Klang vieler klassischer Hardcore-Platten mitverantwortlich, darunter Scheiben von MADBALL, TERROR und eben HATEBREED. Nach all den Jahren gehört Zeuss als Produzent genauso zur Band wie die ikonischen Singalong-Passagen von Jamey Jasta. „Wir haben versucht, alles so DIY wie möglich zu halten. Wir wollten kein großes Studio, wir haben alles in unserem eigenen aufgenommen. Wir hatten einen guten Zeitplan. Mir war vor allem die Frage wichtig, wie man den ganzen Prozess etwas entspannter gestalten kann. Ich hatte immer genug Zeit zwischen den Aufnahmen, um mich stimmlich zu erholen. Zeuss ist jemand, bei dem wir nicht zu sehr unter Druck standen und so mussten wir auch nichts überstürzen. Wir konnten mit ihm auch eine Menge verschiedener Amps und Basssounds ausprobieren. Ebenso beim Klang der Drums. Ich glaube, wir haben so viele Gitarrenchecks gemacht, wie bei keinem anderen Album, haha. Aber das ist es alles wert. Wenn ich an ‚Perseverance‘ denke, da fällt es mir schwer, die Kickdrum anzuhören. Jetzt auf ‚Weight Of The False Self‘ findet sich keine einzige Line, die ich noch mal verbessern wollen würde. Jeder von uns konnte seine persönlichen Stärken voll und ganz ausspielen. Zeuss ist für uns so was wie ein sechstes Bandmitglied“.

Kein Wunder also, dass der Produzent eng mit der Band verbunden ist. „Normalerweise komme ich irgendwann im Songwritingprozess mit den Vocals und dem Phrasing der Texte dazu. Wie damals bei ‚Rise Of Brutality‘, das war für Zeuss das Majorlabel-Debüt und wir brauchten einen sehr starken Nachfolger für ‚Perseverance‘ und irgendwann kam ich mit der Melodie“ – Jasta beginnt „Live for this“ zu singen und zu phrasieren – „und darauf kam dann das Riff. Ich denke immer, man will auch, dass das Label glücklich ist mit dem, was man da abliefert. Zum Beispiel bei ‚Looking down the barrel of today‘, was ja der meist gestreamte Song von uns auf Spotify ist, denke ich immer daran, dass ich auch da fünf bis zehn verschiedene Phrasierungen im Kopf hatte zu Anfang. Es ist gar nicht so einfach, einen weiteren Song in dieser Größenordnung zu schreiben. Im Laufe der Arbeit an ‚Weight Of The False Self‘ kam unser Gitarrist Chris mit einigen Riffs dazu und nach eben erwähntem Schema habe ich ein paar Lyrics zu den Riffs phrasiert, einfach um zu schauen, wie es passt. Nebenbei liefen Sachen, die uns inspirierten, auf einem Bildschirm. Zwar ohne Ton, aber es waren Konzerte von MEGADETH und IRON MAIDEN, beide live in Rio, und ich sah, wie die Menge bei beiden Bands vollkommen verrückt spielt, und dann fingen wir an, die Riffs an das Tempo der Menge auf dem Monitor anzupassen, so dass sie quasi auf unsere Gitarrenarbeit sprangen. Dann kam ich irgendwann mit der Line ‚There’s no harm done, until the harm is done‘, weißt du so ein ‚Eye for an eye‘-mäßiges Konzept, und das Phrasing passte perfekt über den Beat und Zeuss meinte einfach nur: ‚Wow, das ist eine catchy Hook!‘ und so begannen wir, zu dieser Idee zu jammen. Auch wenn die Songs nicht so stark variieren, wir hatten bei den Aufnahmen einen echt ungewohnten und neuen Schreibprozess.“

Um das titelgebende Gewicht des falschen Selbst zu tragen, gibt es ein ganz besonderes Hilfsmittel: Musik. Aber welche Musik genau hilft Jamey Jasta durch die schweren Zeiten? „Oh da gibt es viel! Es gibt so viel Musik, die für immer zu mir gehört und mich an die Zeit erinnert, in der ich sie entdeckt habe. ‚Chaos A.D.‘ und ‚Territory‘ von SEPULTURA kommen mir da als erstes in den Sinn. Wenn ich das höre, dann fühle ich mich noch immer, wie damals mit 15, als ich diese Musik für mich entdeckt habe. Dabei lassen sich die Texte für mich sehr gut in die heutige Zeit transportieren. Heute denke ich bei ‚Territory‘ zum Beispiel daran, dass das ‚neue umkämpfte Territorium‘ auch persönliche Daten, etwa das eigene Konsumverhalten betreffend, sind. ‚The Age Of Quarrel‘ von CRO-MAGS ist auch so ein Album, das ich noch immer sehr liebe. ‚Don’t tread on me‘ werde ich wohl immer mit dem Gefühl verbinden, das ich beim ersten Hören hatte. RANCID kommt mir ebenfalls in den Sinn. Diese Musik erinnert mich daran, dass ich mich nicht von anderen Leuten runterziehen lassen soll. Und dann ist da natürlich noch ‚Holy Wars‘ von MEGADETH.“

In einem ersten Teaser für „Weight Of The False Self“ gab es Szenen aus einem Kellerkonzert der Band aus dem Jahre 1995 zu sehen. Dazu die Worte „From basement shows to a global hardcore metal phenomenon“. Gibt es etwas, das Jamey aus diesen frühen Tagen vermisst? „Nein! Wenn du älter wirst, dann entwickelst du natürlich zwangsläufig eine Menge mehr Lebenserfahrung. Viele Leute wollen dich im Laufe deines Lebens in diesen Basement-Tagen festhalten und dich klein halten. Aber du musst die Ambitionen haben, diese Keller hinter dir lassen zu wollen. Wir hatten damals keine Eltern, die uns einen Van oder Equipment gekauft hätten. Es war eine seltsame Gegend, in der wir groß geworden sind. In New Haven hast du die renommierte Yale-Universität, aus der schon eine Menge großer Leute hervorgegangen sind, und zwei Blocks weiter findest du ein richtiges Ghetto mit Bandenkriegen und Prostitution. Ich habe gerade zu Beginn meiner Laufbahn viele Bands gesehen, die von Eltern oder anderen finanziert wurden. Je mehr man selbst aufbaut und je erfolgreicher man wird, umso mehr möchte man auch, dass andere Erfolg haben und ihr Potenzial ausleben. Wir hatten nie viele Leute, die uns im Weg stehen wollten, und jetzt, da wir erfolgreich sind mit dem, was wir tun, können wir etwas zurückgeben und das ist ein großartiges Gefühl. Das ist wahrer Erfolg für mich – wenn du so viel hast, dass du etwas davon zurückgeben willst. Wenn ich jetzt Bands sehe, die solche Basement-Shows spielen, dann wünsche ich mir von ganzem Herzen, dass sie Erfahrungen sammeln, wachsen und lernen, mit der ewig währenden Veränderung umzugehen. Wenn man sich in 25 Jahre langem, konstantem Wachstum befindet, kann man nicht der Vergangenheit nachhängen. Mit Wachstum meine ich natürlich nicht nur finanzielle Dinge, es geht mir vor allem um Erfahrung. Du musst immer darauf bedacht sein, dich weiterzuentwickeln und damit die Veränderung zu erreichen, die du selbst sehen willst.“

Auf welchen Song des neuen Albums freut sich Jamey Jasta am meisten in den kommenden Live-Sets? „Das wäre wahrscheinlich der Opener ‚Instinctive (Slaughterlust)‘. Am 23. Oktober kommt dazu auch ein Video. Er hat einen ganz eigenen Riffstil und andere Vokalphrasierungen. Gerade gestern Nacht habe ich ihn mir noch mal angehört und der Song hat einfach alles, was ich liebe. Der Groove ist da, aber auch das Tempo.“

Vor kurzem veröffentlichten HATEBREED übrigens auch ihr eigenes Bier und kurze Zeit später sogar eine eigene Nudelmarke: Jasta Pasta. Die große Frage ist nun, wie genießt man Jasta Pasta am besten? „Meine Tochter hat gestern eine großartige Marinara-Sauce gemacht. Broccoli, Zwiebeln, Knoblauch, ein Esslöffel Tomatenmark und eine Vierteltasse mit Gemüsefond. Dann hat sie das alles auf mittlerer Hitze köcheln lassen und dazu eine Art veganen Käse selbst gemacht.“ Und wenn ich dann mit meinem Hatebreed-Bier und meinen Jasta Pasta auf der Couch sitze – welchen Film kann Jamey mir empfehlen? „Oh haha. Ja, da habe ich einen für dich. ‚Tread‘ heißt der Streifen. Ich habe ihn gestern auf dem amerikanischen Netflix gesehen – keine Ahnung, ob der auch bei euch in Deutschland verfügbar ist. Ohne zu viel verraten zu wollen, es geht um einen Verrückten, der ... halt, nein. Guck ihn dir an, ohne dass du etwas darüber weißt.“