IDIOT SIEGE

Foto© by Marie Paschold

Wut, Melancholie und Melodie

IDIOT SIEGE kommen aus Leipzig und haben kürzlich ihr Debüt „One Of Those Lives“ veröffentlicht. Ein druckvolles Album, das mich etwa an Veröffentlichungen auf No Idea Records erinnert hat. Erschienen ist es unter anderem auf My Ruin Records, dem Hauslabel von DUESENJAEGER, auf dem sich IDIOT SIEGE mit weiteren Bands wie zum Beispiel GVLLS oder HALB AUS PLASTIK in bester Gesellschaft befinden.

Ihr habt die Band 2017 in Leipzig gegründet. Was hat den Anstoß dazu gegeben?

Benji: Der erste Schritt lag bei mir und Jöran, unserem ehemaligen Basser und Co-Sänger – heute bei CHOKE BOY. Wir kannten uns bereits von einigen SIDETRACKED-Konzerten, die ich veranstaltet hatte, und sind über die Zeit Freunde geworden. Nachdem er seine Zelte auch in Leipzig aufgeschlagen hatte, lag es bereits in der Luft, dass wir zusammen Musik machen werden. Und so kam es auch. Die ersten Male trafen wir uns zu zweit im Proberaum und jammten ein wenig herum, bis die Sache mehr Form annahm und klar war, dass wir noch Unterstützung brauchen. Auf einen entsprechenden Post in einer Facebook-Gruppe meldete sich Gero als Drummer.
Dave: Ich bin über Benji dazugekommen. Entweder wurde ich oder habe gefragt, ob ich mitmachen will und kann. Ich weiß es nicht mehr genau. Ich hatte auf jeden Fall Lust, irgendwas Schnelleres und Punkigeres als sonst zu spielen.
Benji: Jöran musste zunächst überzeugt werden, dass eine zweite Gitarre ein großer Gewinn für unseren Sound wäre. Zu dritt lasse es sich leichter touren, war das Gegenargument. Aber Dave hat ja einen Bus. Zudem klingt es, als könne er sogar Gitarre spielen. 2019 wurde aber die Stelle am Bass vakant, die dann von Peter gefüllt wurde – wieder mit Hilfe einer Online-Annonce.
Peter: Genau! Also ich habe die Annonce in einem Telegram-Verteiler entdeckt, mir das Demo angehört und dachte, die Musik gefällt dir, mach da mit. Nachdem ich mir, mit Unterstützung von Dave und Benji, die Bassspuren rausgehört habe und sie spielen konnte, bin ich zur Probe gegangen und es hat gepasst. Da ich davor hauptsächlich Gitarre gespielt habe, habe ich einen krassen Lernprozess durchlaufen, habe viel herausgefunden und das Gesamtergebnis kann man, denke ich, gut auf der Platte hören.
Benji: Heute spielen wir in der Konstellation: Benji an Gitarre und Mikro, Dave an einer weiteren Gitarre, Gero am Schlagzeug und Peter, Bass und ebenfalls Gesang.

Man könnte meinen, es handele sich bei eurem Album um eine neue Veröffentlichung auf No Idea Records. Waren es Bands auf besagtem Label, die euren Stil beeinflusst haben, oder wer hat euch musikalisch inspiriert?
Dave: Ich musste das gerade recherchieren. Den Großteil der Bands auf dem Label kenne ich nicht. Aber die älteren CRUSADES-Sachen finde ich immer noch gut ...

Benji: Musste auch erst mal nachschauen, was da so rauskam, aber das meiste kenne ich auch nicht. Hier und da habe ich schon mal den Namen oder sogar einen Song gehört, mehr aber auch nicht. Manche Songs aus dem Bereich sind mir aber ein wenig zu ... cheesy. Meine Inspirationen für IDIOT SIEGE kommen aus verschiedenen über die Jahre gehörten Stilen: Früher das, was gerne als Skatepunk betitelt wird, darunter BAD RELIGION, und schwedischen Trallpunk, später auch US-Hardcore Richtung DAG NASTY oder sogar mal ein Crust-Song. Zuletzt so manche Punk-, Wave- und Oi!-Band, besonders aktuelle aus Frankreich.

Euer Demo habt ihr auf dem Leipziger Label Jean Claude Madame Records veröffentlicht. Euer Debütalbum erscheint nun außerdem in Kooperation mit My Ruin. Wie kam der Kontakt zustande?
Benji: Rosi von My Ruin schrieb uns im Februar 2021 an und fragte, ob es noch mehr Songs als unser Demo gäbe. Die waren zu diesem Zeitpunkt bereits bei Jean aufgenommen worden und durchliefen die tausendste Runde des Feinschliffs. Die wollte Rosi dann gerne auf Platte rausbringen, was uns unglaublich gefreut hat.
Dave: Es war tatsächlich perfektes Timing. Wir waren selbst am überlegen, wen wir alles nerven könnten, um die Platte zu veröffentlichen. Gar nicht so einfach, ein Debütalbum unter den aktuellen Bedingungen zu spreaden. Und dann schreibt uns auf einmal dieser nette und engagierte Mensch!

Derzeit wird viel über Frauen und Geschlechterrollen im Punkrock diskutiert. Was müsste aus eurer Sicht passieren, damit mehr Gleichberechtigung erreicht wird?
Dave: Es nehmen leider immer noch zu wenige Männer die Perspektiven nicht-männlicher Personen ernst. Wenn es zum Beispiel darum geht, sich ohne Vorerfahrung auf eine Bühne zu stellen. Bei mir haben sich die Leute damals gedacht – und auch gesagt: Haha, der ist total voll und die können auch alle nichts! Aber mit Sicherheit hat niemand mein Geschlecht zum Thema gemacht oder mein Aussehen und meine Kleidung bewertet – und ja, ihr unverbesserlichen Trottel, das ist ein Privileg!
Benji: Ich halte die Frage insofern für schwierig, da einerseits die Punkrock-Szene so über sich spricht, als stünde sie völlig außerhalb der patriarchalen Gesellschaft, was aber – gemessen an der Evidenz dieses Problems auch im Punkrock – nicht der Fall ist. Andererseits ergibt sich durch diese Sichtweise der Anspruch – zumindest bei einem bestimmten Teil der Protagonist:innen –, progressiver zu sein oder sein zu wollen als der Rest der Gesellschaft. Wer diesen Anspruch vertritt, sollte sich Daves ersten Satz zu Herzen nehmen und versuchen, empathischer und vor allem kein unverbesserlicher Trottel zu sein. Da hier ein Typ eine Band aus Typen interviewt, für ein Magazin, das – schätzungsweise – zum größten Teil von Typen gelesen wird, denke ich, treffen wir damit die richtigen Adressaten.