KID DAD

Foto© by Max Zdunek

Tristesse mit Sonnenseiten

Nach einer ersten EP voller buntem Grunge haben es sich KID DAD für ihr Debütalbum „In A Box“ zum Auftrag gemacht, ihre emotionale Spanne nicht einfach nur ein bisschen zu erweitern, sondern wirklich textlich sowie musikalisch an ihr zu zerren. Die Paderborner Band lässt depressive Episoden zu, sie nimmt sich ihnen an, manchmal umarmt sie sie sogar. So offen wie im Entstehungsprozess sind die Jungs nun auch im Gespräch bereit, mit mir in den Tiefen ihrer „Box“ zu graben.

Das Album bespielt insbesondere das Gefühl von Ruhe, Stillstand und Einengung. Man ist sehr bei sich, alle Personen, die adressiert werden, wirken fern, schwer zu verstehen. Wie viel hat für euch Alleinsein mit Stärke zu tun?

Marius: Es geht nicht nur um das Alleinsein und die Schwierigkeiten dahinter. Ich sehe es als Gegenspiel aus: „Ich will allein sein, bin es aber nicht“ und „Ich bin allein, will es aber nicht sein“. In gewisser Weise handelt „In A Box“ von dem Wunsch herauszufinden, wie man tickt, warum man manchmal einsam ist. Der Begriff der Box ist so gesehen eigentlich doppeldeutig. Manchmal ist die Box das Gefängnis, aus dem ich unbedingt in Richtung Freiheit aus­brechen muss, und manchmal ist die Box ein Rück­zugsort, in dem ich mich verschanzen kann. Ob Einsamkeit oder Alleinsein Stärke bedarf, ist meiner Meinung nach sehr abhängig von der mentalen Verfassung und jeweiligen Situation, in der sich jemand befindet.

Im Pressetext zum Album steht: „Damit verkom­men die Songs nicht zu selbstmitleidigen Aus­führungen, die niemand über dreißig ernst neh­men kann, sondern bleiben nachfühlbar.“ Wäre es schlimm für euch, doch als selbstmitleidig wahr­genommen werden?
Marius: Für mich wäre das nicht schlimm. Ich schreibe die Songs nicht absichtlich auf eine bestimmte Weise, um als „erwachsen traurig“ wahrgenommen zu werden. Ich denke nicht viel darüber nach, ob wir für kindisch, Emo oder einfach nur ehrlich gehalten werden. Mir ist das eigentlich recht egal, solange es ein Teilpublikum gibt, das sich da einfühlen kann. Wenn die Texte jetzt bei allen auf Lacher stoßen würden, würde ich wahrscheinlich schon etwas ändern. Ich würde meine Emotionen natürlich nicht einem reinen Lachpublikum zur Verfügung stellen wollen, die sich denken: „Hey, da fehlt eigentlich nur noch der Eyeliner oder Kajal.“ Solange es Leute gibt, die unser Zeug fühlen, ist aber alles cool.

„In A Box“ ist unüberhörbar weniger Grunge als „Disorder“. Die Wut wurde zurückgefahren und macht Platz für Zaghaftigkeit. Wäre ohne die Genreausweitung thematisch ein anderes Album entstanden?
Marius: Ich habe auch auf jeden Fall das Gefühl, dass diese Platte weniger zornig ist. Für mich hat die nun sehr viel größere Dynamikschere etwas viel Emotionaleres, als die ganze Zeit von A bis Z nur durchzuschreien oder immer laut zu sein. So wirken laute Passagen irgendwann nicht mehr laut, sondern werden einfach Standard. Ich habe das Gefühl, dass für das Album eine emotionale Steigerung passieren musste, und ich glaube dem Rest der Band geht es genauso. Das soll nicht heißen, dass „Disorder“ nicht emotional war. Aber ich habe das Gefühl, es war einseitig emotional.

„Limbo“ erzählt von einer eigentlich geliebten Person, deren Bild aber durch gewisse Umstände negativ verzerrt wird. Passend dazu konntet ihr den Song zum Release in eine Kampagne gegen häusliche Gewalt einbetten. Wie kam der Track ursprünglich zustande?
Marius: So komisch es klingt, ich habe vorher nicht groß über eine bestimmte Story nachgedacht. Die Geschichte hat sich beim Schreiben irgendwie von selbst erzählt. Ganz oft ist es so: Ich schreibe einen Text, der zwar einen roten Faden hat. Aber es entsteht eine Story, die ich erst später in meinem Leben verstehe, die zu meinem zukünftigen Ich spricht. Im Prinzip kann man es als Zeitkapsel sehen. Etwas, das ich mir selbst oder auch anderen für die Zukunft mitgebe. Letztendlich behandelt der Song das, was du gesagt hast. Man weiß nicht, ob man einer Person noch trauen kann, wer sie eigentlich ist, wozu sie fähig ist. Vor allem kann ich das aber genauso gut auf mich selbst projizieren, indem ich mich als Objekt sehe – also der Songwriter in dem Fall der Besungene ist. Bin ich der, für den ich mich halte? Du merkst schon, ich könnte dieses ganze Konstrukt gar nicht auf eine einzige Story herunterbrechen.

Wenn ein Song der absolute emotionale Tiefpunkt ist und ein Song den größten Hoffnungsträger darstellt, welche zwei Tracks würdet ihr da aus­machen?
Max: Ich glaube, die Antwort ist für mich sogar in einem einzigen Song zu finden. „Live with it“ bildet instrumental das Tief, aber textlich das absolute Hoch. Als Closing-Track schließt es für mich kom­plett alles ab, was in diesem Album behandelt worden ist. Du nimmst die Situation an, so wie sie ist, du verstehst sie und versucht das Beste daraus zu machen. Vielleicht kannst du nichts daran ändern, aber du ertrinkst wenigstens nicht in Selbstmitleid – was wir ja vorhin schon mal kurz hatten. Marius nickt gerade so, als hätte ich genau das Richtige gesagt. Interessanterweise haben wir darüber tatsächlich noch nie gesprochen.
Michael: Das trifft es wirklich ganz gut.
Marius: Du hast das schon ganz geil gesagt, indem du es in zwei Ebenen aufgesplittet hast. Das macht den Song ja auch irgendwie aus. Rein musikalisch finde ich „Happy“ am kraftvollsten, er pusht dich nach vorne und hat den stärksten Drive. Bei einer guten Anlage zieht „Naked creatures“ wahrscheinlich am meisten runter. Aber das kommt auf so viele Parameter an ... Für mich ist das Album mittlerweile eine Ansammlung von dermaßen vielen Emotionen, dass ich gar nicht mehr so recht weiß, welche davon gut oder schlecht sind, welche einen aufbauen und welche nicht.