KNUCKLE PUCK

Foto© by Anam Merchant

Musik für ein gutes Gefühl

„20/20“ heißt das neue Album von KNUCKLE PUCK aus Chicago. Es ist musikalisch wie textlich tatsächlich eine kleine Seltenheit in diesen Tagen, denn es geht da eher positiv zu. Überhaupt präsentiert sich Gitarrist Nick Casasanto trotz des Wahnsinns, der derzeit allein in Sachen Pandemie, Politik und Polizei um ihn herum tobt, erstaunlich aufgeräumt und zuversichtlich.

Nick, beginnen wir mal philosophisch: In einem Interview hast du neulich gesagt, dass die Botschaft eures neuen Albums zusammengefasst lautet: „Lebe mehr im Moment – weniger in der Zukunft und in der Vergangenheit.“ Warum dieser Rat?

Ich glaube, es ist für viele Menschen einfacher, voraus- oder zurückzuschauen, als sich auf den gegenwärtigen Augenblick zu konzentrieren. Gerade jetzt trifft das zu. Zu einer Zeit, in der die Welt verrücktspielt und völlig dysfunktional ist.

Das stimmt wohl. So geht es mir auch. Wie häufig erlebst du es selbst, dieses „Nicht in der Gegenwart-Leben“?
Sehr häufig. Ich glaube, jeder von uns entgleitet jeden Tag der Gegenwart. Ich kann mich da nicht ausschließen. Und das ist etwas, woran ich arbeiten muss. Hart arbeiten muss.

Wie tust du das?
Vor allem durch Meditation und Selbstfürsorge.

Die vielbeschworene Achtsamkeit?
Genau. Das ist der Schlüssel dazu.

Gerade als Künstlerin und Künstler ist es heutzutage schwer, in der Gegenwart zu leben: Wegen der Pandemie habt ihr keine Möglichkeit, live zu spielen. Ihr könnt eure Arbeit nicht wirklich präsentieren und nicht von anderen würdigen lassen. Etwas ganz Entscheidendes, Wesentliches fehlt also.
Du hast es auf den Punkt getroffen. Und ich freue mich darauf, wieder auf Tournee zu gehen. Aber trotzdem denke ich: Dies ist auch eine unglaublich wertvolle und einmalige Gelegenheit für uns, für alle, präsent zu sein. Da zu sein. Jeder kann jetzt mehr Zeit und Mühe in wichtige Beziehungen investieren. Jeder kann sich – und gerade Künstler – neue Fähigkeiten aneignen. Lernen, die eigenen Instrumente besser zu beherrschen etwa. Weißt du, es gibt mehr im Leben als Live-Musik. Und schau dich um: Ich denke, dass eine Verschnaufpause hier und da vielleicht sogar dringend nötig war.

Worum geht es bei eurem Albumtitel „20/20“?
Das lässt sich kurz und knapp zusammenfassen: Für mich geht es dabei um das Erwachsenwerden – in der Gegenwart.

Was die Gegenwart angeht: 2020 als Jahr war bisher ja eher eine große Enttäuschung ...Wie fühlt es sich denn an, ein neues Album zu veröffentlichen, auf dem es ums Erwachsenwerden und das Feiern des Lebens im Hier und Jetzt geht – und drumherum wüten Corona, Trump, Polizeibrutalität und Rassismus?
Ich stimme dir zu, dass es in diesem Jahr bislang vieles, zu vieles gab, das einen wütend macht. Aber ich glaube auch, dass viele Menschen sich schlichtweg nicht genug Zeit lassen und Mühe geben, um sich von dieser ganzen Negativität zu befreien. Schon vor der Pandemie wollten wir als KNUCKLE PUCK damit beginnen, neue Songs zu schreiben, neue Musik zu spielen. Musik, die den Menschen vor allem eines gibt, ein gutes Gefühl im Leben. Und es ist gerade die von dir angesprochene Zeit, die Tatsache, dass es von Tag zu Tag schlimmer und schlimmer wird da draußen, die uns bestätigt, dass wir genau das Richtige getan haben. Wenn man so will: Die Köpfe in unserer Band waren am richtigen Ort. Sie haben richtig gedacht. Negatives, Schlechtes, desillusionierende Politik und Ungerechtigkeiten gibt es überall. Schon immer. Aber Musik zu hören, das hat mich immer schon aus allem Schlamassel, aus allen düsteren Gedanken rausgeholt. Musik hat es immer geschafft, dass ich mich wohl fühle. Und um noch mal konkret auf deine Frage zurückzukommen: Die Veröffentlichung von Musik in diesem Jahr 2020, unter all diesen Voraussetzungen, ist vielleicht seltsam und fühlt sich komisch und ungewohnt und irgendwie nicht ideal an. Aber gerade jetzt brauchen wir sie mehr denn je.

„20/20“ ist euer drittes Album. Man sagt ja, das zweite sei das schwierigste, weil es zeigt, dass eine Band den von ihr eingeschlagenen Weg und die Fähigkeit, als Gemeinschaft zu bestehen, bestätigen kann. Demnach habt ihr also das Schwerste schon hinter euch, oder?
Haha, das wäre schön und das würde ich gerne so nehmen. Aber es ist anders. Wir arbeiten ständig daran, auch nach diesem dritten Album, unsere Arbeitsweise als Band, als Team zu verbessern, zu verfeinern. Und wir hoffen täglich, dass wir diesbezüglich auch keine Rückschläge erleiden mögen.

Wie kann man die vermeiden?
Viele Bands haben nach einer erfolgreichen ersten Platte einfach zu hohe Erwartungen an ihre zweite und dritte. Davon können wir uns zwar nicht freisprechen, aber wir versuchen, dies so gut wie möglich auszublenden.

Was hat sich in den vergangenen Jahren für KNUCKLE PUCK am meisten verändert?
Die Art und Weise, wie wir Songs schreiben. Damals trafen wir uns, jammten einfach zusammen, schauten YouTube-Videos an – und gingen dann zu einem Taco Bell oder hingen irgendwo einfach nur rum. Das sind nicht die besten Voraussetzungen, um an Songs zu arbeiten. Heute dagegen ist unser Leben doch wesentlich strukturierter. Und dem hat sich eben auch unser Schreiben angepasst. Außerdem sind wir einfach auch technisch besser geworden. Und wir sind noch viel engere Freunde, als das zu Beginn der Band der Fall war.

Freunde und zur Band geworden seid ihr in eurer Heimatstadt Chicago. Die Stadt verbinde ich stets mit RISE AGAINST, die als Punkband den Sprung in den Mainstream geschafft haben und extrem populär sind. Wie viel „Platz“ bleibt für eine Band wie euch, wenn nebenan derlei Szene-Giganten leben?
Haha, es wird immer Platz bleiben. Keine Angst. Tatsächlich glaube ich, dass es derzeit sogar mehr Platz gibt als je zuvor.

Okay. Wie ist sie demnach, die Szene in der Stadt?
Ich lebe zwar seit zwei Jahren in Los Angeles. Zudem hat mich eine globale Pandemie im Moment ein wenig aus dem Dunstkreis der Musikszene Chicagos gebracht, haha. Aber seit den frühen Jahren von KNUCKLE PUCK existierte dort immer ein sehr gutes Umfeld. Zuvor war das ein bisschen anders. Als wir anfingen mit der Musik, gab es keine große Gemeinschaft, keine wirkliche Szene. Klar: Es gab Bands. Und es gab Shows. Aber nicht so ein richtig enges Gemeinschaftsgefühl, wie man es etwa in Boston oder der Bay Area in Kalifornien findet. Aber ich denke, dass wir selbst und zahlreiche andere Chicagoer Bands, die nach uns kamen, in dieser Hinsicht einiges bewirkt und ziemlich viel verändert haben. Wir haben etwas mit aufgebaut. Und zwar in ziemlich kurzer Zeit. Ich hoffe, dass dieses Gemeinschaftsgefühl durch Corona jetzt nicht zerstört wird. Dass es vielleicht sogar noch stärker ist als zuvor, wenn alles einmal vorbei ist mit dieser Pandemie. Ich hege jedenfalls die Hoffnung, dass es einen Haufen Kids gibt, die mit der zusätzlichen Zeit, die sich jetzt haben, vor allem eines anfangen: in ihren Garagen zu jammen.