LESS THAN JAKE

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Der Silberstreif am Horizont

Chris DeMakes sitzt beim Skype-Gespräch in seinem Arbeitszimmer, schwenkt die Kamera einmal rund und gewährt einen Blick auf Gitarren und Bücher und viel Arbeitszeug. Und all das passt, wie sich im Interview zum neuen Album „Silver Linings“ seiner Band LESS THAN JAKE zeigen soll, wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge: Chris hatte in den vergangenen Monaten nämlich kaum Zeit, sich um Corona Gedanken zu machen oder die erzwungene Tourpause zu beklagen. Er hatte durchaus genug zu tun im eigenen Arbeitszimmer, wie er erzählt. Und dass für ihn Internet- oder Autokino-Konzerte oder Gigs mit Abstand so gar nicht infrage kommen. Wie Ska und ernste Texte zusammenpassen. Und warum ein Paradies manchmal trügerisch sein kann.

Chris, im Opener eures neuen Albums, „The high cost of low living“ heißt es: „I found my paradise“. Welches Paradies hast du bisher für dich gefunden?

Meine Familie zum Beispiel. Und die Band natürlich. Diese Zeile ist auch ein eher ironisch gemeinter Satz. Er bedeutet: Wenn du Samstagabends zehn Bier trinkst, dann fühlst du dich wie im Paradies – bis du am nächsten Tag aufwächst. Bis du bemerkst: Scheiße! Morgen ist schon wieder Montag und ich muss zur Arbeit. Und zu allem Überfluss hast du auch noch einen wahnsinnigen Kater. Sprich: Dein Paradies dauerte gerade mal vielleicht zehn Stunden. Die Stunden am Abend zuvor. Und die Stunden im Schlaf.

Diese Situation kenne ich definitiv. Aber ist es derzeit nicht eher schwierig, so ein Paradies zu finden? Selbst wenn man sich betrinkt, muss man es ja wegen der Pandemie alleine tun ...
Das stimmt. Und viele Menschen haben derzeit wirklich eine richtig schlechte Zeit. Aber ich weigere mich, so zu denken. Zu negativ zu denken. Ich sehe es anders.

Wie denn?
Schon vor Corona hatte ich einige persönliche Dinge und Projekte auf den Schirm, die nichts mit LESS THAN JAKE zu tun hatten und die ich jetzt in Angriff nehmen konnte. Zuvor hatte ich diese Zeit nicht, weil wir als Band seit 28 Jahren quasi ohne Pause getourt sind. Beziehungsweise: Wir waren vielleicht mal zwei Monate am Stück daheim. Maximal. Das war’s. Und da war es nicht möglich, mich Dingen außerhalb der Band zu widmen. Seit Beginn der Pandemie aber habe ich sechzig, siebzig Stunden pro Woche in diese Sachen investieren können. Ich war also ordentlich beschäftigt und hatte gar keine Zeit für negative Gedanken. Daran zu denken, dass ich nicht mehr rausgehen kann. Das war äußerst gut und gesund für mich, dieses Positive.

Welche Projekte waren das?
Mein erstes Soloalbum, an dem ich arbeite. Mein Buch unter dem Titel „Blast From The Past“, das bald herauskommt mit allerlei dazugehörigen Dingen wie Postern und Shirts. Und überhaupt: Songs. Die schreibe ich auch für andere. Als Auftragskomponist. Ich habe neulich mal gezählt und festgestellt, dass ich meinen 113. Song in zehn Monaten geschrieben habe. Du siehst, ich war zuletzt wirklich rund um die Uhr beschäftigt.

Dennoch ... du hast es angedeutet: LESS THAN JAKE sind bekannt als Live-Band. Und auch ihr musstet zuletzt Auftritte absagen. Mehrfach. Ist diese Unmöglichkeit von Konzerten nicht etwas, das euch besonders hart trifft? Härter als andere Künstler?
Ja, das kann man irgendwie schon so sagen. Denn wir haben, wie gesagt, tatsächlich nie eine richtige Pause gemacht. Waren immer unterwegs. Aber ich habe viele Bekannte und Freunde in der Szene, denen es wirklich richtig schlecht geht. Und viele von denen wissen nicht, ob sie nach dem Ganzen überhaupt noch im Musikbusiness tätig sein werden. Sie müssen sich nach anderen Einnahmequellen, nach neuen Jobs umschauen. Und mit denen leide ich. Ich persönlich komme dagegen klar. Ich habe keine Depressionen gehabt. Und das ist ein Glück!

Punkrock ist ein sehr physisches Musikgenre. Mehr als andere. Es geht extrem um das Miteinander, um Körperlichkeit bei Konzerten. Ist Punk besonders hart von Corona betroffen?
Das will ich so nicht sagen. Aber es ist in diesem Genre womöglich besonders heikel, wenn wir über Konzerte mit Abstand, mit Social Distancing sprechen. Auch wir hatten diese Diskussionen innerhalb der Band. Und wenn wir intern diskutieren und uns demokratisch mehrheitlich für etwas aussprechen – zum Beispiel für solche Konzerte –, dann ziehe ich mit. Natürlich. Aber ganz ehrlich, ich halte nichts davon. Für mich zählen nur richtige Gigs. Ohne Abstand. Ich kenne nichts anderes und will auch nichts anderes ausprobieren nach geschätzten 4.000 Shows. Ich will erst wieder auf die Bühne gehen, wenn alle kommen können. Und ich hoffe, dass das eines Tages auch wieder möglich sein wird. Ich will rausgehen und mein Ding durchziehen. Ich will eine Menge vor mir haben, die tanzt und schwitzt. Und wenn das nicht gegeben ist, dann bin ich nicht interessiert. Das mag sich egoistisch anhören. Aber so ist es nicht gemeint. Ich kann mir nur nicht vorstellen, Gigs mit Maskenpflicht durchzuziehen.

Hierzulande boomten im Frühjahr und Sommer die Autokino-Konzerte. Ich konnte mir die nicht antun.
Das kann ich gut verstehen. Zudem ich auch nicht weiß, ob das so viel sicherer ist. Irgendwann musst du vielleicht mal auf die Toilette, packst da den Türgriff oder was an – und steckst dich an. Letztlich ist es doch so: Wenn du derzeit rausgehst und vor Leuten spielst, dann gefährdest du womöglich trotz Abstand und Hygienekonzepten deine Fans. Da gewinnt niemand etwas.

Euer neues Album heißt „Silver Linings“. Was hat es damit auf sich?
Es geht um Hoffnung. Ein Beispiel: Derzeit ist da diese Pandemie. Aber wenn demnächst jemand mit einem Impfstoff um die Ecke kommt, wäre das ein „silver lining“.

Im Deutschen ist das der Silberstreif am Horizont, also „Silver lining on the horizon“.
Genau so ist es. Aber um das klar zu sagen, bei dem Titel geht es nicht um Corona. Den hatten wir schon vorher gefunden, im Dezember 2019. Er stammt von unserem Trompeter. Er schlug ihn vor – und wir fanden ihn gut. Denn er passt zu uns – wir sind eben eine durchweg positive Band.

Im Info zum Album sagst du, ihr hättet euch in den Songtexten auf „Silver Linings“ zum ersten Mal erlaubt, euch verletzlich zu zeigen. Das hört sich nun nicht unbedingt nach Optimismus an.
Das mag sein. Und ja, auf dieser Platte geht es auch um Verlust. Um den unseres langjährigen Drummers Vinnie Fiorello etwa, der uns vor knapp zweieinhalb Jahren verließ und der wichtig für uns war. Aber auch um die Verluste, die jeder Mensch im Leben erfährt: Verwandte, Freunde, Bekannte sterben. Beziehungen zerbrechen. Lebensabschnitte enden. Das ist unter anderem ein Thema in unserem neuen Stück „Dear me“, das von unserem Saxofonisten stammt. Trotzdem, am Ende ist da immer Hoffnung. Und LESS THAN JAKE sind eine Band, die diese Hoffnung trotz allem auch musikalisch ausdrückt, mit Ska, mit Punk, mit dem Uptempo-Beat.

Passt das zusammen, traurige Texte und lustige Musik?
Durchaus. Das haben wir auch schon auf früheren Platten so gemacht. Einige unserer Texte würden auch auf eine Death-Metal-Platte passen, haha. Genau diese Mixtur ist für uns unheimlich faszinierend und ein wichtiger Aspekt, speziell von „Silver Linings“. Ich weiß natürlich, dass es Menschen gibt, die sagen: LESS THAN JAKE? Das ist doch diese verrückte Partyband. Die haben Fans, die in Kostümen rumrennen. Die ballern mit Konfettikanonen um sich ... Und manchmal ist es tatsächlich so, dass die ernste Aussage eines Textes im Sound, beim Tanzen untergeht. Aber es gibt sie, unsere ernste Seite.

Ärgert es dich, wenn die Menschen feiern und abgehen zum schnellen Beat – und sich dabei so gar nicht um die Aussage des Songs scheren?
Das kann schon ärgerlich sein. Das machen viele Leute. Und manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich die Leute darauf hinweisen will. Für mich als Musiker ist das manchmal hart. Aber auf der anderen Seite will ich auch niemandem vorschreiben, zu aufmerksam zu sein in diesen Momenten. Das kann einem auch viel verderben. Ich kenne das ja selber. Ich erlebe es oft, dass ich beim Konzert nicht die Show genieße, sondern anfange, die Musik zu analysieren: Wie spielen die das? Welcher Akkord ist das? Was kommt jetzt? Und so weiter. Und das kann extrem störend sein, haha. Manchmal will ich einfach auch so sein wie alle anderen und nur die Musik abfeiern, haha.