OTHER

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Zurück zum Punk-Spirit

Seit mehreren Jahren schon bilden die Kölner THE OTHER die internationale Spitze des Horrorpunk. Einst als MISFITS-Coverband gegründet, präsentieren sie heutzutage bei Festivals wie dem M’era Luna, dem Wave-Gotik-Treffen, in Wacken oder beim Ruhrpott Rodeo ihre eigenen Songs und können dabei auf ein Repertoire aus sieben Alben zurückgreifen. Nummer acht folgt jetzt mit „Haunted“ – und stellt nach dezenten Ausflügen in den Metal eine Rückkehr zum punkigeren Sound dar. Warum das so ist, warum es THE OTHER sogar in der Corona-Krise einigermaßen gut geht und wie er zur Reunion seiner ewigen Helden MISFITS steht – das erklärt Frontmann Rod Usher im Interview.

The Haunted“ klingt nach Punkrock. Zuletzt war es eher Metal.

Das mit dem Punk war auch die Intention. Neben dem Plan, alles ein wenig düsterer, gruseliger und ernster zu machen.

Waren THE OTHER dir bei den letzten Platten zu Metal-lastig?
Die Alben davor klangen schon so, das stimmt. Und für manche in der Band kann es gar nicht genug Metal sein. Aber am Ende muss man eben auch immer sehen, wo man herkommt. Und THE OTHER kommen einerseits aus der Punkrock- und andererseits aus der Gothic-Szene. Ich denke, unsere Fans wollen catchy Songs haben – und nicht Stücke mit drei Riffs, bei denen man erst mal genau zuhören und nachdenken muss. Die Herangehensweise hieß diesmal: back to the roots. Zurück zum Punk-Spirit. Und zurück zu dieser düsteren Seite. Ein kompaktes Album. Ein Album mit einem roten Faden.

Der Wunsch nach Neuem impliziert immer auch Unzufriedenheit mit den Sachen davor.
Die letzten Alben waren für die Zeit, in der sie herauskamen, alle gut und passend. Wir haben viel darauf ausprobiert. Aber auf der letzten Scheibe waren 15 Songs. Und vielleicht wäre es besser gewesen, ein paar wegzulassen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Attitüde, Atmosphäre, Arschtritt, Dynamik – darum ging es dieses Mal. Wir haben unsere Trademarks noch mehr herausgearbeitet.

Gab es einen bestimmten Moment, in dem dir klar wurde: Wir müssen wieder etwas zurück zu den Wurzeln? Die vielumjubelte Reunion der MISFITS zum Beispiel als Referenzband schlechthin für euch?
Ja, aber es war nicht die MISFITS-Reunion. Es war zum einen unser Supportgig für DANZIG 2018 in Köln, der sicherlich eine Rolle gespielt hat. Da war ein Publikum, dem man anmerkte: Die stehen alle auf diesen einen, auf diesen typischen DANZIG-Sound und haben den total abgefeiert. Eine Band, die funktionieren will, braucht eben ein Alleinstellungsmerkmal. Eine USP, eine Unique Selling Proposition, wie der Marketingfachmann sagen würde, haha. Und wir haben im Studio wirklich noch viel an eigentlich schon fertigen Songs für „The Haunted“ verändert und herumprobiert. Das war prägend. Was zum anderen eine Rolle spielte, das waren die Akustikgigs, die wir nach dem letzten Album gespielt hatten. Für so ein Unplugged-Set mussten wir monatelang proben. Weil Stücke dafür alleine über die Melodie funktionieren müssen. So dass diese abgespeckte Instrumentierung sie eben trägt. Es geht um Chöre, Harmonieren und Licks. Nicht um verkopfte Arrangements. Man bekommt plötzlich ein ganz anderes Gespür dafür, wie so ein Song letztlich funktioniert. Das war eine harte Schule, die uns gezeigt hat, woran wir arbeiten müssen.

Wie fühlt es sich eigentlich an, ein neues Album herauszubringen, während die Welt draußen stillsteht?
Es hört sich seltsam an, aber es ist irgendwie unser Glück. Natürlich, wir können es nicht live promoten. Alle Konzerte sind verschoben und wir können es – weil die Clubs ja 2021 auch mit allen anderen Bands voll sind – erst im Herbst nächsten Jahres live auf die Bühne bringen. Mit allem Drum und Dran verlieren wir fast zwei Jahre. Aber wir können Interviews geben, in gewissem Rahmen Videos drehen. Und wir arbeiten ja noch an unserem Hörspiel, das im September rauskommen soll. Zudem haben wir uns entschieden, gerade jetzt auch weiter Songs zu spielen. Vielleicht bringen wir Ende 2020 ja noch mal eine Single raus. Kreativ sind wir gerade gefordert. Wir können uns austoben. Bei uns gibt es keinen Stillstand.

Soviel Positives bekommt man dieser Tage nicht so oft zu hören ...
Ich bin zum ersten Mal im Leben wirklich froh, dass ich nicht von der Musik leben muss. Ich kenne viele, die jetzt wirklich getroffen sind. Darunter Clubbesitzer, Techniker, Booker. Bei denen sind meine Gedanken. Um die mache ich mir Sorgen. Unsere ehemalige Bookerin überlegt, ob sie jetzt wieder in den alten Beruf zurückgeht und Marktleiterin im Supermarkt wird. Bye-bye Rock’n’Roll, bedeutet das.

Du hast es schon erwähnt: Ihr arbeitet auch an einem THE OTHER-Hörspiel. Wie kam diese Idee zustande?
Die Idee ist über einen Podcast entstanden. Eigentlich dachten wir über einen Film nach. Aber wir haben schon recht früh festgestellt, dass wir niemals gute Schauspieler sein werden und jedes Schauspielangebot ablehnen müssen. So ehrlich muss man sein, haha. Also kamen wir eben alternativ auf ein Hörspiel. So in der Tradition dieser Grusel-Reihe bei „Europa“, die in den Siebziger und Achtziger Jahren mal bekannt war. Mit neonfarbigen Covern. „Angriff der Vampire“, „Angriff der Killerameisen“ und so etwas. Horror-Trash eben, haha. Und wir haben dann mit Thomas Williams tatsächlich einen Autor gefunden, der schon für die „John Sinclair“-Reihe geschrieben hat. Er hat uns ein Drehbuch erstellt, eine Geschichte auf den Leib geschrieben. Als wir das lasen, erkannten wir: Krass! Das kann ja wirklich funktionieren! Und dann haben wir Mille von KREATOR, Michael Rhein von IN EXTREMO, Anna von ROSENSTOLZ, Dr. Mark Benecke und Bestsellerautor Wolfgang Hohlbein als Sprecher gewinnen können. Die deutsche Stimme von Ben Affleck spricht zudem das Intro. Das ist natürlich der Wahnsinn! Es ist ein absolutes Liebhaber- und Fanprojekt.

Was hältst du – als Superfan der Horrorpunk-Gründerväter, die ja auch euch inspirierten – eigentlich von der MISFITS-Reunion, die ja darauf gründet, dass Glenn Danzig sich nach Jahren der Funkstille doch wieder mit Jerry Only zusammengetan hat?
Das ist eine seltsame Sache. Ich hatte kurz vorher noch mit Glenn gesprochen und ihn – mal wieder – gefragt, ob er sich genau das vorstellen könnte. Und da sagte er mir: „Nie im Leben!“ Und keine drei Monate später war es dann soweit ... Klar, ich würde mir die Original-MISFITS jederzeit liebend gerne ansehen. Ich hatte auch vor, dafür nach New York zum Gig in den Madison Square Garden zu reisen. Aber als ich dann erfuhr, dass die Tickets für das Konzert schon über 200 Dollar kosten sollten ... Nee, nee. Ich sehe das ohnehin ambivalent. Denn mein Verhältnis zu Jerry Only und dem späteren, kurzzeitigen Sänger Michale Graves ist ja nicht nur von positiven Gefühlen geprägt.

Weil ...?
Jerry hatte mich damals gerichtlich angegangen, als ich mein früheres Label Fiend Force Records betrieb. Er bestand darauf, die Rechte an allem zu besitzen, was etwas mit dem Begriff „Fiend“ zu tun hat. Das hat mich sehr gestört, denn ich kannte ihn eigentlich aus früheren Zeiten als Gentleman. Und bei Michale Graves ging und geht es um Politik. Um sein Conservative-Punk-Movement, mit dem er und andere ja ausdrücken wollten, dass das moderne Rebellentum konservativ und nicht mehr links sein müsse. Und um diese Pro-Trump-Posts und gemeinsamen Fotos mit dem rechten Verschwörungstheoretiker und Neofaschisten Alex Jones, die irgendwann folgten. Und bei all dem tritt Graves dann trotzdem in Punk-Clubs auf. Obwohl es diese Strukturen ja gar nicht geben würde, wenn das Konservative in der Hand hätten. Unfassbar! All das spielt übrigens auch eine Rolle in unserem neuen Song „Absolution“. Wir äußern uns ja nicht oft politisch. Aber manchmal geht es nicht anders. Wenn ich sehe, was mittlerweile in derlei Hinsicht abgeht. Bis hinein in die Szene. Welche Statements da kommen. Gequirlte Kacke ist das. Jeder wird ja mittlerweile zum Verschwörungstheoretiker und Impfgegner und was weiß ich. Ich erlebe Leute, die ich eigentlich zu kennen glaubte – und die plötzlich solche Dinge von sich geben.

Was steckt hinter dem Albumtitel „Haunted“, „heimgesucht“?
Es geht um ein Haus wie das vorne auf dem Cover. Eines mit vielen Zimmern, das heimgesucht wird, das im Innern geprägt ist von den vielen negativen Eindrücken und Sünden all seiner ehemaligen Bewohner. So wie ein menschlicher Geist, der von Gedanken und schlimmen Erinnerungen heimgesucht wird. Dessen vielen Bereiche besetzt sind davon. Wir alle werden ja gejagt von Informationen und politischen sowie gesellschaftlichen Dingen. Wir sind heimgesucht von vielen negativen, düsteren Eindrücken, die in der Welt dort draußen auf uns einwirken.