PESTPOCKEN

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Make Punk a threat again!

Corona-bedingt mussten PESTPOCKEN ihre geplante Tour mit KOTZREIZ schon zweimal verschieben. Bedauerlicherweise, hatte doch die hessische Hardcore-Punk-Band mit ihrem letzten Album „Another World Is Possible“ eines meiner Highlights des Jahres 2020 veröffentlicht. Wir sprechen mit Danny, Gesang und Gitarre, über ihre Aktivitäten während der Pandemie-bedingten Zwangspause wie auch über ihr letztes Album, Besetzungswechsel und die gesellschaftliche Relevanz von Punk heutzutage. Die übrigen PESTPOCKEN sind Andrea, Gesang und Gitarre, Tom, Gitarre, Eddy, Bass, und Tille am Schlagzeug.

Danny, gibt es neue Termine für die Aggropunk-Tour mit KOTZREIZ?

Aktuell soll die die Tour im November dieses Jahres stattfinden und wir hoffen wirklich, dass aller guten Dinge drei sind. Falls das wieder nicht klappen sollte, verschiebt sich die Tour erneut um fast ein Jahr auf September 2022.

Wie konntet ihr die Zwangspause als Band nutzen, wo ihr doch nicht mehr in einer Stadt wohnt?
Dadurch, dass Andrea nach Berlin gezogen ist, während der Rest der Band auf drei hessische Städte verteilt lebt, ist es nicht einfacher geworden. Dazu kamen diverse Lockdowns und da es zudem keine anstehenden Konzerte gab, für die wir hätten proben müssen, haben wir die Bandaktivitäten zeitweise komplett heruntergefahren und uns anderen Dingen gewidmet. Momentan versuchen wir, uns wieder regelmäßiger zu treffen, neue Songs zu schreiben und brennen darauf, endlich wieder loslegen zu können.

Bis zum Erscheinen eures letzten Albums „Another World Is Possible“ hatte es ja doch einige Jahre gedauert. Was waren die Gründe?
Nach dem „No Love For A Nation“-Album gab es einen Umbruch innerhalb der Band, bei dem drei Bandmitglieder zeitlich versetzt ausgestiegen sind. Sobald wir auf einer Position einen Ersatz gefunden und diesen eingespielt hatten, mussten wir eine neue Lücke füllen. Das war eine ziemlich unproduktive Phase, in der wir uns gefühlt permanent im Kreis gedreht haben. Dann hatte Tom eine mysteriöse Handverletzung und konnte fast ein Jahr nicht Gitarre spielen, worunter wiederum das Songwriting litt. Ganz so lange hätte es vermutlich trotzdem nicht dauern müssen, aber mehr Ausreden fallen mir gerade nicht ein.

Auf dem „Another World Is Possible“-Cover sind drei toughe Kids abgebildet. Warum habt ihr dieses Motiv gewählt? Fechten es die Enkel jetzt besser aus?
Der Grundgedanke hinter „Another World Is Possible“ war, dieses Mal einen positiv besetzten, hoffnungsvollen Albumtitel zu wählen. Utopien liegen stets in der Zukunft und diese lässt sich durch Jugend vermutlich besser verkörpern. Was allerdings keine Ausrede sein soll, sich aus aktuellen Kämpfen zurückzuziehen. Veränderungen können nur gemeinsam organisiert und erkämpft werden.

Vom Sound her ist das Album wesentlich knalliger und kompakter, aber auch die Songs wirken griffiger. Woran liegt das?
Den personellen Umbruch und die damit einhergehenden neuen musikalischen Einflüsse hatte ich ja bereits angesprochen. Dazu kamen deutlich professionellere Rahmenbedingungen. Da Tom in seinem eigenen Tonstudio, Chaos AD in Frankfurt, selbstständig arbeitet, hatten wir für Songwriting und Recording perfekte Möglichkeiten, viel Zeit und deutlich mehr Spielraum für Experimente.

Songs wie „Generation me“, „Treibsand“ oder „Die Welt steht Kopf“ stehen neben „Wir stehen wieder auf“ und „Another world is possible“. Was überwiegt bei euch – das Negative oder doch der Gedanke „Wir haben keine Chance, also nutzen wir sie“?
Wie du bereits angemerkt hast, haben wir relativ lange an dem Album gearbeitet, daher flossen unterschiedliche Stimmungen und politische sowie persönliche Ereignisse in die jeweiligen Themen ein. Zu sagen, was alles beschissen ist, ist wichtig, um sich Luft zu machen – auf Dauer ist das allein meiner Ansicht nach aber zu destruktiv. Es gibt tausend Dinge und Zustände, die uns nach wie vor zum Kotzen bringen, aber nichts ist in Stein gemeißelt und eine andere, bessere Welt ist definitiv möglich!

Das Stück „Battle of Cable Street“ hat die erfolgreiche Blockade einer Demonstration der British Union of Fascists im Londoner East End am 4. Oktober 1936 zum Thema. Was war der Anlass für euch, darüber einen Song zu machen?
Ich fand das Thema deswegen spannend, weil es zeigt, was möglich sein kann, wenn sich Menschen organisieren und geschlossen agieren. Trotz eines massiven und brutalen Einsatzes von berittenen Cops, gab es damals kein Durchkommen für die Faschisten, die bewusst durch ein jüdisches Viertel marschieren wollten. Diese Blockade war ein krasses Statement, das nicht von Parteien, sondern durch dir Bevölkerung gesetzt wurde. Es besitzt bis heute Symbolkraft und ist ein wichtiges Ereignis in der antifaschistischen und somit unserer Geschichte.

Passend dazu zielt das neue geplante Versammlungsgesetz in NRW darauf ab, Blockade-Trainings, Nazi-Blockaden oder auch „Ende Gelände“ zu kriminalisieren. Da wird „Don’t talk 2 police“ noch aktueller ...
Die Kriminalisierung antifaschistischen Widerstands war schon immer ein Mittel der Herrschenden, um legitimen Protest zu diskreditieren. Allerdings ist es echt erschreckend, was für Gesetze in der jüngsten Vergangenheit durchgewinkt wurden. In dem von dir angesprochenen Versammlungsgesetz werden durch absichtlich schwammige Beschreibungen die Grundrechte extrem eingeschränkt. Hier kann die Polizei aufgrund eigenem Ermessensspielraum schalten und walten, wie sie will. Was das bei einer Institution, die die Interessen der Herrschenden vertritt und durch täglich neue rassistische „Einzelfälle“ auf sich aufmerksam macht, bedeutet, kann sich jede:r selbst ausmalen. Und um den Bogen zu unserem Song zu schlagen: Es gibt einfach keinen Grund, mit Bullen zu reden. Unabhängig von der Schuldfrage, ist es kontraproduktiv, eine Aussage zu machen. Vielmehr ist es wichtig, die eigenen Rechte zu kennen und zu nutzen.

Auf dem Album finden sich mit „Über 20 Jahre“ und „Wie ein Faustschlag“ zwei Songs, in denen ihr auf die Bandvergangenheit zurückblickt. Hättet ihr „damals“ beim Einspielen eures Demotapes „Gießen Asozial“ gedacht, dass es PESTPOCKEN so lange geben würde?
Da wir keinerlei Ambitionen bei der Bandgründung hatten, haben wir uns auch keine Gedanken gemacht, wo das Ganze hingehen oder wie lange es die Band geben könnte. PESTPOCKEN ist für alle Beteiligten ein Hobby und solange es Spaß macht, wird es uns weiterhin geben – sorry an die Hater! Aus der Retrospektive betrachtet ist es allerdings schon krass, dass es die Band schon fast seit einem Vierteljahrhundert gibt.

Ihr singt in „Wie ein Faustschlag“ über „eine Jugend, die hoffentlich niemals endet“. Seht ihr Punk als vergreisende Jugendbewegung? Oder ist doch noch genug Sprengkraft vorhanden?
Spannende Frage. Wenn man sich auf Konzerten umguckt, könnte man schon den Eindruck bekommen, dass Punk zu einer Subkultur der alten weißen Männer wird, um es drastisch auszudrücken. Meiner Ansicht nach hat Punk viel an Radikalität eingebüßt und ist daher für junge Menschen weniger interessant. Auf der einen Seite ist es cool, dass Punk politischer geworden ist, auf der anderen Seite ist es schade, dass er seine Kanten verliert, vieles durch Verbote geregelt wird und die politischen Inhalte sich oft nur auf das Herunterbeten von Diskriminierungsformen beschränken. So schafft sich Punk vielleicht selbst ab, denn das bekommt man auch bei den Jusos. Punk ist mit Sicherheit nicht komplett im Arsch, aber ich würde mir wünschen, dass die Szene wieder etwas diverser, unangepasster, nach außen unangenehmer, und AZs wieder etwas pluraler wären. Make Punk a threat again!

„Generation me“ beschreibt treffend das oft rücksichtslose Verhalten der Altersgruppe Ü30 bis Mitte sechzig. Wie seid ihr auf den Vergleich „Generation Stockholm-Syndrom“ gekommen?
In meinem Bekanntenkreis habe ich häufiger eine, für mich unverständliche, Überidentifikation mit dem Arbeitgeber feststellen können. Das Konzept, ein Drittel des Tages dafür zu opfern, um ein bisschen Geld für sich und deutlich mehr für den Arbeitgeber zu erwirtschaften, finde ich fragwürdig, und sich über Arbeit zu definieren, absolut unverständlich. Ausnahmen bestätigen die Regel. Da lag der bewusst überspitzte Vergleich mit dem Stockholm-Syndrom auf der Hand.