PLAGUE PITS

Foto

Die Pestgruben der Gegenwart

PLAGUE PITS aus Bern sind aktuell eine der wirklich spannendsten Bands in Sachen Minimal Synth, Post-Punk und Cold Wave mit EBM-Einflüssen. Ähnlich wie etwa THE RESIDENTS halten sich die Bandglieder eher im Hintergrund, veröffentlichen eigentlich keine Bandfotos im herkömmlichen Sinne und stellen den DIY-Charakter ihrer Songs und Sounds in den Mittelpunkt.

Euer Sound erinnert mich an die frühen Achtziger Jahre und Bands wie CABARET VOLTAIRE, PSYCHE, THE NORMAL, FRONT 242, OPPENHEIMER ANALYSIS oder THE HUMAN LEAGUE. Sind das passende Referenzen für euch?

Uns gibt es in dieser Form erst seit Herbst 2021. Klar, die Bands, die du nennst, sind schon wichtig für uns. Man könnte auch noch DARK DAY und diese ganzen Minimal-Wave-Geschichten wie zum Beispiel DEUX nennen. Das waren schlussendlich alles Punks, die die Synthesizer für sich entdeckt haben. Anfang der Achtziger kamen all diese neuen, einigermaßen erschwinglichen Technologien zusammen: Synthesizer, Vierspurgeräte, selbst bespielbare Kompaktkassetten. Das hat zu einer Demokratisierung des kreativen Ausdrucks geführt und zu einer neuen Experimentierfreude, deswegen ist diese Zeit ja musikalisch so spannend. Das hat sich damals selbst im Mainstream niedergeschlagen. Wir sind auch große Fans von Stock, Aitken & Waterman [Produzenten von DEAD OR ALIVE, BANANARAMA, Rick Astley, aber auch Debbie Harry und Malcolm McLaren, Anm. d. Red.]. Trotz der Stimmung in den Achtzigern, die mindestens so apokalyptisch war wie heute, gab es in dieser Musik noch ein Versprechen von Zukunft. Das hätten wir heutzutage bitter nötig. Andere wichtige Referenzen sind Bands wie CRASS, ZOUNDS oder auch RUDIMENTARY PENI. Wir haben schon den Anspruch, nicht nur persönliche Befindlichkeiten zu verhandeln, sondern uns auch zu positionieren.

Wie groß ist euere Begeisterung für analoge Synthies?
Wir haben einfach keinen Bock, alles nur am Laptop zu machen. Man sitzt schon genug vor dem Bildschirm heutzutage. Klar gebrauchen wir den Computer auch extensiv, aber das Haptische und Eigenwillige eines Analog-Synths ist noch mal was anderes. Da darf man auch mal etwas „abnerden“. Aber wir sind diesbezüglich nicht puristisch. Man muss auch sehen, dass viele dieser Geräte ganz schön ins Geld gehen. Schlussendlich geht es darum, ob der Song funktioniert. YELLO sind schon spannend, wie sie mit einem Fuß in der Avantgarde und dem anderen im Mainstream standen, ähnlich wie KRAFTWERK. Und sie sind ja immer noch dabei, die haben 2020 wieder eine Platte rausgebracht. Obwohl Dieter Meier jetzt vor allem Wein und Steaks von seiner Ranch in Argentinien verkauft. Das gibt es bei uns im Supermarkt.

Vor über vierzig Jahren ist der legendäre Sampler „Swiss Wave“ erschienen, mit prägenden und wegweisenden Acts wie GRAUZONE, die wie ihr aus Bern stammen. Prägt eine Stadt wie Bern diese Art von Sound?
Es ist schon bezeichnend, dass die meisten Schweizer Bands, die irgendwie überregional Beachtung gefunden haben, mehr oder weniger aus dieser musikalischen Ecke kommen, ob YELLO, THE YOUNG GODS, KLEENEX oder eben GRAUZONE. Und damit sind wir wieder bei den Achtzigern, weil es damals in der Schweiz eine ziemlich prägende Jugendbewegung gab, die sich autonome Kulturräume erkämpft hat, wo Bands proben und auftreten konnten. Damals war das noch ein echter Gegenentwurf zur sehr konservativen Schweizer Gesellschaft und man musste sich alles selber erschaffen. Ich glaube, dass es eher diese Situation ist, die sich in dieser Musik widerspiegelt. Das ist heute schon sehr anders. Ehemalige autonome Kulturräume wie die Rote Fabrik in Zürich oder die Berner Reitschule sind größtenteils professionalisiert, die Mieten sind hoch, besetzen ist immer schwieriger geworden und man kann sich jederzeit und überall kulturell berieseln lassen. Bern als Stadt hat für unsere Musik keine Bedeutung. Die spezifisch schweizerische Mischung aus neoliberaler Pseudofreiheitlichkeit und oppressiver Spießigkeit mit einem gesunden Schuss Menschenverachtung hingegen schon. Zum Kotzen.

Gibt es Clubs in der Schweiz, in denen ihre eine Live-Plattform für eure Musik findet? In den Achtziger Jahren waren ja etwa das Totentanz in Basel oder die „Katakombe“ die erste Adresse.
Die goldenen Zeiten des Totentanz haben wir leider nur noch am Rande miterlebt. Aber es gibt auf jeden Fall einige gute Clubs in der Schweiz, die auch offen für verschiedene Musikrichtungen sind. Zu nennen wären da das Hirscheneck in Basel, die Berner Reitschule, der Sedel in Luzern, die Usine in Genf oder eben die Rote Fabrik in Zürich. Was ein bisschen fehlt, sind die kleineren, niederschwelligeren Orte, irgendwelche Keller in besetzten Häusern oder dergleichen, das waren oft die besten Konzertorte, und die sind in den letzten 15 Jahren recht ausgedünnt geworden.

PLAGUE PITS haben bisher ausschließlich Tapes veröffentlicht. Für mich besitzt das auch einen spannenden Retro-Aspekt, ist eben ein charmant anachronistisches DIY-Format. Wollt ihr euch Vinyl per se „verweigern“ als unverrückbares Bekenntnis zum DIY-Spirit oder ist das schlicht eine Kostenfrage?
Ja und ja. Wir fühlen uns dem Kassetten-Underground der Achtziger schon verbunden, auch wenn die Musik oft um einiges experimenteller war. Aber die Idee, dass jeder zu Hause irgendwas machen kann, man sich gegenseitig austauscht und unterstützt, dieses Demokratische und Unkommerzielle an der Kassettenszene war schon etwas ganz Besonderes. Heute geht es überall um Selbstdarstellung und Selbstvermarktung. Wir mögen an Tapes, dass alles schnell und niederschwellig funktioniert, mit kleinen Stückzahlen und wenig Investitionsaufwand. Die ersten Tapes, die wir rausgebracht haben, haben wir tatsächlich bei uns zu Hause überspielt, die Cover selbst kopiert, geschnitten und gefalzt. Das hat uns die Möglichkeit gegeben, einfach mal was rauszubringen und zu schauen, ob das überhaupt irgendjemanden interessiert. Monatelang auf eine Veröffentlichung zu warten, ist echt nervtötend. Aber falls das jemand anders bezahlen sollte, können wir uns schon vorstellen, mal eine Compilation oder etwas auf Vinyl rauszubringen.

Florian Schneider von KRAFTWERK hat einmal gesagt: „Es ist keine Band, es ist ein Konzept. Wir nennen es die ‚Mensch-Maschine‘.“ Folgt ihr einem ähnlichen Gedanken?
Vielleicht in dem Sinne, dass wir als die Personen hinter der Musik nicht so relevant sind. Als wir die Band gegründet haben, waren wir stark von der Desillusionierung der Corona-Zeit geprägt. Als das Ganze im Winter 2020 angefangen hat, dachte man für eine kurze Zeit, jetzt sei man als Gesellschaft gezwungen, solidarisch zu handeln, um die Pandemie zu überwinden. Dass sich dieses Gefühl so rasch in Luft aufgelöst hat und in Schwurblertum und „die Alten und Kranken für die Wirtschaft opfern“ mündete, hat uns schon zu denken gegeben. Wenn wir nicht mal das hinbekommen, wie sollen wir es denn jemals schaffen, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Klimakatastrophe zu mildern? Das war das Gefühl, das eigentlich allen unseren Stücken zugrunde liegt. Von dem her ist es schon ein bisschen konzeptuell.

„Plague pit“, deutsch: „Pestgrube“, ist der informelle Begriff für Massengräber, in denen im Mittelalter die Opfer des Schwarzen Tods bestattet wurden. Nicht zwingend ein positiv besetzter Begriff. Wie kam es zur Wahl des Bandnamens?
Die Massengräber und Kühllaster der Corona-Pandemie haben einen starken Eindruck bei uns hinterlassen. Millionen sind gestorben, bei einem nicht unbeachtlichen Teil davon hat man das einfach in Kauf genommen, damit die Wirtschaft schön brummt – oder damit man seine Patente behalten kann. Ich weiß nicht, wie das in Deutschland ist, aber in der Schweiz spricht davon niemand mehr, das wird total verdrängt. Das war der Grund, warum wir PLAGUE PITS als Bandnamen gewählt haben. Und die Corona-Massengräber sind ja auch nur ein Vorgeschmack auf die Massengräber der Klimakatastrophe. Wir sind keine Prediger, aber vielleicht macht sich ja irgendjemand aufgrund unseres Namens oder unserer Texte Gedanken dazu, der oder die diese Themen bis dahin noch nicht so auf dem Schirm hatte.