PORNOPHON

Foto© by Diana Mühlberger

Ulmer Schule

Als Hardcore bezeichnete die Band aus Ulm selbst mal ihre Musik, 2017 wurde ihnen der Begriff aber von FAUST-Orgelmann Irmler ausgetrieben, als sie in dessen Studio aufnahmen und hinterher auf dessen Klangbad-Label landeten. Bei genauer Beschäftigung entdeckt man hinter diesen Begriffen eine spannende Band mit zig interessanten Angriffspunkten, die Fragen aufwerfen, die wiederum von Thorsten Laszlo Schmid (dr), Dirk Bayer (bs), Christoph Buck (gt) und Bernhard Seidt (voc) beantwortet wurden.

Bitte eure Geschichte so far im Schnelldurchlauf.

Bernhard: PORNOPHON gibt’s jetzt seit 1998. Wir sind mittlerweile zu viert, klassische Besetzung mit Schlagzeug, Bass, Gitarre und Gesang. Es gab auch mal eine zweite Gitarre und eine zweite Stimme, aber zu viert ist es doch entspannter, Probetermine zu finden. PORNOPHON kennt hier in Ulm vermutlich jede:r, die/der härtere Musik mag, darüber hinaus wird’s eher mau – weil wir nämlich eine stinkfaule Truppe sind und nur ein paar kleinere überregionale Ausflüge gemacht haben. Neben Live-Gigs – die unsere Hauptmotivation fürs Musikmachen sind – waren wir auch schon einige Male im Studio für ein paar EPs und den mittlerweile dritten Longplayer „Ulmer Schule“.

Gutes Stichort: Ich verstehe das einerseits als Anspielung auf die aus Hamburg, andererseits gab es die „Ulmer Schule“ ja wirklich mal, vor 500 Jahren, Stichwort: Ulmer Münster. ... Welchen Bezug, welche Beziehung habt ihr zu eurer Heimatstadt, die, wenn wir es mal genau nehmen, einen recht bescheidenen Beitrag zur Punk/Hardcore-Geschichte geleistet hat, zumindest was überregional bekannte Bands betrifft.
Bernhard: Der Text zum Titelsong „Ulmer Schule“ entstand, als einer von uns mal an einer Schule arbeitete. Dort gab’s ein Gespräch mit einem Kind, das mitbekommen hatte, dass der Opa seines kurdischen Schulfreundes von einem Düsenjäger in die Luft gesprengt worden war. Das Kind war darüber sehr entsetzt und hat sich aufgeregt, dass so was Blödes wie Düsenjäger von den blöden Erwachsenen überhaupt gebaut wird. Das Absurde an der Sache: Gegenüber von dem Schulgebäude stand und steht ein alteingesessener Ulmer Waffenfabrikant, verantwortlich neben anderen Dingen für Ortungssysteme. Diese Situation hat den Text inspiriert.
Dirk: Um ehrlich zu sein, haben wir dabei überhaupt nicht an die Münsterbauhütte gedacht. Als der Titel stand, ging es uns dann eher um die Hochschule für Gestaltung. Und zu Ulm noch das: Ja, die eine Band, die Ulm auf die Landkarte der Punk/Hardcore-Geschichte setzt, fällt uns gerade auch nicht ein – es gibt wohl keine.
Bernhard: Aber erwähnenswert sind vielleicht die Ulmer Clubs Beteigeuze, CAT, das Schilli und der Kaos-Keller Langenau – zumindest als Tourstops haben sich diese Läden definitiv überregional etabliert mit langen Jahren guter Bookingarbeit. Cheers an den Hasscontainer, Never Again, Useless Concerts, Affenkrach, Broken Stage und wie sie alle heißen. Aktuelle Ulmer Bands, die wir lieben, gibt’s natürlich auch: MOLTKE&MÖRIKE mit sehr tanzbarem Pogo-Pop und die großartigen und durchaus überregionalen VAN HOLZEN mit Wahnsinnstexten und einer Gitarre zum Niederknien.

Wie genau ging denn die Irmler-Story mit dem Hardcore?
Thorsten: Hardcore als korrekte Zuschreibung zu unserer Musik ist eigentlich eh seit 2005 vorbei, wir haben den Begriff eher aus Bequemlichkeit lange weiter geführt. Der gute Jill, ein Möbelstück aus dem Beteigeuze, hat unseren Sound um diese Zeit herum mal für uns damals sehr treffend als „Hardcore mit Augenzwinkern & Humor“ bezeichnet, da sieht man schon ganz gut, dass der Begriff alleine nicht ausreicht, um uns zu beschreiben.
Bernhard: Wir haben uns dann, wie sich das so gehört, einen eigenen Gattungsbegriff ausgedacht und uns ewig lange als „Lo Fi Indoor Terror“ bezeichnet. Das passt uns jetzt aber auch nicht mehr so richtig. Und als wir dann 2017 in Scheer beim FAUST-Krautrocker HaJo Irmler zum Aufnehmen unserer „Propheten“-Platte, damals noch mit englischen Texten, waren und ihm klarmachen mussten, was wir da gerade in seinem Studio eigentlich treiben, haben wir halt als Stichwort „New York Hardcore“ versucht – da war er entsetzt und hat uns mehr oder weniger gesagt, dass wir als Ulmer gefälligst was Eigenes machen sollen und nicht irgendeinen amerikanischen Kram nachmachen, „braucht kein Mensch“! Tja, irgendwie hat der gute Mann vollkommen recht, ich habe als erste Maßnahme dann mal angefangen, auf Deutsch zu texten, und so entstand „Ulmer Schule“.

Euer Artwork ist sorgsam designt. Was hat das mit der 1968 aufgelösten Ulmer „Hochschule für Gestaltung“ zu tun?
Bernhard: Hingeranzte und lieblose Gestaltung ist ein Affront und eine grauenhafte Schande für alle Beteiligten, also für die verantwortlichen Musiker:innen und das zahlende Publikum gleichermaßen. Quelle der Inspiration für das LP-Klappcover war übrigens Otl Aichers Buch „Innenseiten des Kriegs“, in dem er sehr eindringlich seine Erfahrungen während des Zweiten Weltkriegs beschreibt.

Im Inneren des LP-Klappcovers finden sich Fotos von Nikita Teryoshin: Maschinengewehre, drumherum Schnapsgläser ...? Wer ist da, und was hat das mit der Waffenindustrie in Ulm zu tun?
Bernhard: Nikita Teryoshin ist ein junger Fotograf, lebt in Berlin, war 2020 für den World Press Photo Award nominiert und veröffentlicht regelmäßig international, in Deutschland zum Beispiel im SZ Magazin. Dort haben wir auch seine Serie „Nothing Personal“ entdeckt, entstanden ab 2016 auf den größten Waffenmessen der Welt, wo er die ganze Perversion der Waffe als reguläre Handelsware in klare Bilder packt: Anzugtypen stehen mit fetten Uhren an Messeständen mit Schokolade zum Snacken, Preislisten zum Verhandeln und Schnäpsen zum Abschlüsse begießen. Die Serie findet sich auf seiner Internetseite nikitateryoshin.com, echt sehenswert. Wer sich also unsere Scheibe zulegt, hat damit eine sehr seltene Gelegenheit, gleichzeitig ein hochwertiges Werk der zeitgenössischen Fotografie in einem ungewöhnlichen Format zu erstehen.

In einem Text, der vor dem russischen Überfall auf die Ukraine entstand, heißt es: „Es ist nur ein blöder Kindertraum / Eine Welt ganz ohne Waffen zu bauen.“
Christoph: Der blöde und naive Kindertraum einer waffenlosen Welt bleibt auch weiterhin blöd und naiv – das bestätigt Putins Überfall ziemlich eindrücklich.
Dirk: Aber vollkommen egal, wie blöd und naiv der Wunsch sein mag, so hat der Traum trotzdem seine Berechtigung: Wer wollte verbieten, von einer besseren Welt zu träumen?