THRICE

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Kinder des Progrock

Wenn eine Band den Begriff Post-Hardcore definieren könnte, dann wären es wohl die 1999 in Orange County, Kalifornien gegründeten THRICE, die mit ihrem neuen Album „Horizons/East“ ein weiteres Mal beweisen, dass Musik und politische Inhalte einander nicht nur ergänzen, sondern sogar bedingen. Dazu zeichnen sie das Bild einer Dystopie, in welcher der einzige Ausweg manchmal nur das Träumen ist. Im Interview spricht Gitarrist Teppei darüber, was die Band mit der vielen Zeit im Lockdown angestellt hat, welche Band THRICE besonders auf diesem Album inspiriert hat und welchen Einfluss ein YouTube-Video auf einen Song der Platte hatte.

Der Titel „Horizons/East“ lässt bei eurer Bandgeschichte vermuten, dass da in Zukunft noch irgendwas kommen wird. Wann erscheinen „Horizons/West“, „North“ und „South“?

Das ist eigentlich eine logische Schlussfolgerung und ja, es wird in nicht allzu langer Zeit mit „Horizons/West“ einen direkten Nachfolger geben. Das liegt daran, dass wir mit einer gehörigen Menge an neuen Songs in die Aufnahmesessions gegangen sind, die wir am Ende nicht verwerfen wollten. Vor allem klangen sie nicht nach B-Seiten-Material. Beim letzten Mal hatten wir ja „Palms“ als reguläres Album und die „The Deeper Wells“-EP. Damit wurden wir aber den später veröffentlichten Songs irgendwie nicht gerecht. Jetzt fühlt es sich an, als hätten wir einen A- und B-Teil dieses Prozesses. Das erinnert mich an „Kid A“ und „Amnesiac“von RADIOHEAD. „North“ und „South“ wird es definitiv nicht geben.

Wenn du es schon ansprichst, bei ein paar Songs ist der Einfluss von Bands wie RADIOHEAD recht deutlich erkennbar.
Wir sind alle gigantische Fans der Band, und das jetzt schon eine halbe Ewigkeit. Tatsächlich waren die Engländer eine der Gruppen, auf die wir uns schon seit unserer Gründung alle einigen konnten. Ich würde sogar so weit gehen, dass alles, was wir musikalisch machen, irgendwie immer von RADIOHEAD beeinflusst ist.

Im Opener „The color of the sky“ kann man dazu noch Siebziger- oder Achtziger-Progrock raushören.
Damit liegst du ganz richtig. Schließlich sind wir alles Kids, die in der Zeit mit der Musik ihrer Eltern aufgewachsen sind. Bei meinem Dad waren es damals vor allem Platten von Bob Dylan, Neil Young, THE BEATLES und LED ZEPPELIN. Viel Zeug, das wir heute unter anderem als Classic Rock bezeichnen. Tatsächlich höre ich das heute auch wieder öfter als modernere beziehungsweise aktuelle Sachen. Mir ist aufgefallen, dass ich selbst meine Einflüsse erst dann wahrnehme, wenn ich die fertigen Songs höre. Da muss irgendwas unterbewusst passiert sein, dass ich genau auf diese Art Songs schreibe und Gitarre spiele. Für mich waren vor allem die Siebziger und Achtziger die prägenden Jahrzehnte, in denen sich Rockmusik am meisten verändert hat. Wobei natürlich die Sechziger auch nicht ganz uninteressant sind.

Trotz allem finde ich, dass es unter den zehn Titeln auch „typische“ THRICE-Songs gibt. „Scavengers“ oder „Buried in the sea“ sind zwei Beispiele, in denen vor allem der Bass von Eddie sehr präsent ist. Auf der anderen Seite versucht ihr mal wieder viel mit Synthesizern zu spielen und eine eher düstere Atmosphäre zu erzeugen.
Mittlerweile haben wir ja schon eine Menge Platten veröffentlicht, die alle irgendwie unterschiedlich klingen. Diese Variabilität in unserer Musik zeichnet uns aus und ist die Grundlage für unsere Songs, die übrigens dieses Mal alle in einer Session entstanden sind. „Scavengers“ ist ein sehr rockiger Song, während „Unitive/East“, der letzte Track, komplett experimentell ist. So bleibt die Sache für uns immer spannend. Wir setzen uns manchmal mit den fertigen Alben zusammen und gehen dann gemeinsam die Entwicklung durch. Das sind oft sehr amüsante Momente, wenn wir die Versionen der einzelnen Songs noch mal Revue passieren lassen.

Ab und zu macht es den Anschein, dass ihr eine sehr „wissenschaftliche“ Herangehensweise an das Songwriting habt. So soll einem Stücke die Fibonacci-Reihe zugrundeliegen, ein mathematisches Phänomen.
Das hört sich aufregender an, als es eigentlich ist. Es gibt bei mir eigentlich kaum einen Moment, in dem ich keine Gitarre in der Hand habe. Was vor allem meine Frau und Kinder etwas nervt. Meistens spiele ich einfach drauflos, ohne mir viele Gedanken zu machen. Ist dann etwas dabei, von dem ich denke, dass es was werden könnte, hole ich mir schnell mein Smartphone und nehme es auf. Andererseits finde ich es enorm spannend, auch ab und zu einen anderen Ansatz zu wählen. Dann stelle ich mir selbst Aufgaben, die ich auf meinem Instrument bewältigen möchte. Das mit der Fibonacci-Reihe kam so, dass einer von unserer Crew auf Tour mal ein Video bei YouTube darüber sah, wie häufig sich dieses mathematische Phänomen in der Natur wiederfindet. Besonders interessant war für uns, dass das auch Schallwellen und bestimmte Muster im Bereich Akustik betrifft. Das wollten wir zumindest in einem unserer Songs ausprobieren.

Inwiefern haben sich die Pandemie und die damit einhergehenden Lockdowns sowie ausgefallene Touren auf den Sound von „Horizons/East“ ausgewirkt?
Das Fundaments des Albums stand größtenteils schon vor Corona grob fest. Während der Lockdowns haben wir noch mehr Zeit gehabt, neue Sachen zu schreiben und uns tiefgehender mit unserer Musik auseinanderzusetzen. Wir waren gerade mit dem letzten Tourzyklus fertig, als es mit der Pandemie richtig losging, und hatten eigentlich nicht vor, eine so lange Pause einzulegen. Schlussendlich sind wir jetzt mit vielen neuen Songs aus der Geschichte herausgekommen. Daher auch „Horizons/East“ und „Horizons/West“. Eigentlich schreiben wir unsere Songs meistens gemeinsam, was im letzten Jahr nicht möglich war. So hat jeder von uns ein bisschen herumgedaddelt und seine Ideen hochgeladen. Das war ein neuer Ansatz für uns.

Ihr habt euch ein eigenes Studio eingerichtet. Wie hat die künstlerische Freiheit, für alles selbst verantwortlich zu sein, die Platte beeinflusst?
Wir haben viel Arbeit in die Ausstattung und den Aufbau unseres Studios gesteckt. Genutzt haben wir es schon länger als eine Art Hauptquartier, in dem wir auch proben können und so weiter. Dieses Mal haben wir aber großen Wert daraufgelegt, einen Sound zu erzeugen, der genau das repräsentiert, was wir uns vorstellen. Dazu haben wir eine ganzheitliche Betrachtungsweise an den Tag gelegt, was enorm spannend und befriedigend ist, aber auch eine riesige Herausforderung, da man wirklich für alles allein verantwortlich ist. Ich bin eigentlich kein Sound-Geek. Ich verwende seit Jahren immer das gleiche Setup, eine AC 30-Box, die ich mit unterschiedlichen Vox-Amps kopple. Ich meine, einer davon ist ein Thunderbolt, aber frag mich nicht, welches Modell es genau ist.

Was beeinflusst was mehr, die Texte die Musik oder anders herum?
Bei uns ist es zu 90% so, dass die Musik die Stimmung der Texte beeinflusst. Klar, ab und zu stehen die Texte über der Musik. Wobei Dustin eigentlich schon vor der Produktion einer Platte weiß, worüber er schreiben möchte beziehungsweise wie sie grob klingen soll. Die Lyrics selbst schreibt er jedoch erst zuallerletzt. Vorher singt er meist irgendwelche Melodien ein, in die er die Texte später einsetzt.

Ihr seid dafür bekannt, euch in euren Songs politisch klar zu positionieren. Stellenweise wirkt „Horizons/East“ sehr zynisch und dystopisch. Wie wütend wart ihr, als ihr ins Studio gegangen seid?
Die Beziehung zwischen Musik und Politik ist oft nicht gerade harmonisch. Überleg mal, welchen Einfluss Events wie Woodstock auf die Menschen in der damaligen Zeit hatten. Mit Musik kannst du deine Emotionen in einer Weise ausdrücken wie sonst in keiner anderen Kunstform. Darüber hinaus kannst du viel mehr Leuten deine politischen Ideale und Vorstellungen nahebringen. Uns hat vieles, was in Amerika seit Jahrzehnten passiert und 2020 anscheinend seinen Peak erreicht hat, enorm frustriert und wütend gemacht. Andererseits kannst du mit Musik auch versuchen, dich selbst besser zu verstehen. Das bedeutet, dass wir nicht zwingend eine krachige und wütende Platte schreiben mussten, nur weil wir von der Welt ultra angepisst sind.