VAGEENAS

Foto© by Sarah Könecke

From Babette with love

Spätestens, wenn sie auf der Bühne steht mit THE VAGEENAS oder dem Soloprojekt BABETTE AND HER CLONE, hinterlässt sie einen bleibenden Eindruck. Augenfälliges Rosa, volle Lebensenergie, große Kreativität, Agilität und Interaktion bei Auftritten machen Babette so bemerkenswert. Kürzlich feierte sie ihren sechzigsten Geburtstag. Im Interview geht es um frühe und letzte Jahre, die aktuelle Platte „12 Space Punk Power Hits“ von BABETTE UND DIE SCHMETTERLINGS und darum, wie die mindestens nächsten zwanzig Jahre so sein sollten.

Babette, du magst also die Farbe Rosa?

Rosa ist total schön. Ich verbinde Rosa nicht mit Barbie oder durch eine „rosa Brille“ zu gucken. Rosa, Pink, da gibt es viele Differenzierungen, ganz schlimm ist Fleischwurstfarben, so ein graues Rosa. Ich liebe Rosa, die Farbe tut mir gut. Rosa ist einfach toll, die Welt darf gerne rosa sein, auch mal mit rosa Glitzer-Funkelstaub.

Wann wurdest du immer mehr rosa? Deine Haare, deine Kleidung, Accessoires, deine Wohnung ...
Es begann vor rund 15 Jahren. Einen Auslöser gab es 1994: Ich war mit Jenz Bumper – wir haben zusammen THE VAGEENAS gegründet – für dreieinhalb Wochen in den USA. In dieser Zeit hat mein damaliger Freund meinen Golf rosa angemalt, goldene Stoßstangen und Glitzer dazu. Vielleicht hat das alles losgetreten!

Rosa war, bis ins letzte Jahrhundert hinein, die Farbe für Jungen, das „kleine Rot“. Rot galt als entschlossen und kriegerisch, Blau als anmutig und für Mädchen.
Das wusste ich bis gerade nicht. Finde ich aber super interessant. Hätte ich nie gedacht. Ich dachte, es wäre schon immer so gewesen, Rosa: Mädchen – Blau: Jungen. Gut, dass Zeiten und Gegebenheiten sich ändern können. Ob vonnöten oder nicht, entscheidet ja jeder für sich selbst.

Aber du bist kein Rosa-Mädchen, du bist anders rosa.
Da zitiere ich den Punkrock-Sekretär Dirk Schäpers, Hausfotograf des Don’t Panic, einer Musik- und Konzertkneipe in Essen: „Babette pendelt zwischen dem Rosa-Mädchen Klischee und dem genauen Gegenteil!“

Du warst mal Windelmodell. Wie bist du aufgewachsen?
Haha, stimmt, mein Vater hatte früher eine Firma, da war ich Windelmodell, als Baby prangte mein Bild auf der Packung. Geboren bin ich in Gelsenkirchen, zeitweise wohnten wir in Gladbeck. Meine Eltern sind oft umgezogen, bestimmt fünf Mal. Ich musste häufig die Schule wechseln. Das war schon nervig. Ich hatte aber nie Probleme Menschen kennen zu lernen. Allerdings war ich bereits als Kind gerne alleine. Ich hatte nie gerne Besuch. Furchtbar war es, wenn Freunde der Eltern da waren und deren Kinder ins Zimmer kamen und spielen wollten. Ich liebe es, alleine zu sein. Was nicht heißt, dass ich keine Gesellschaft mag. Und ich war ein Pferdemädchen: Als wir im ländlichen Gruiten wohnten, heute ein Ortsteil von Haan, westlich von Wuppertal, gab es dort ein Trakehnergestüt. Dort konnte ich Ställe ausmisten, Pferde pflegen, füttern, im Tausch durfte ich reiten. Das war toll. Mit elf Jahren bekam ich ein kleines Shetlandpony. Die Überraschung gab es zu meiner Konfirmation. Meine Eltern drückten mir eine Karte in die Hand: „Dein Geschenk steht auf einer Weide zum Aussuchen!“ Ich bekam vor Freude keine Luft mehr. Ich musste sogar brechen, um anschließend nur noch zu heulen, so glücklich war ich. Der Haflinger wurde immer dicker und plötzlich hatte ich drei Ponys.

Die Pferdezeit endete, als du zu deinen Großeltern gezogen bist, oder?
Als sich meine Eltern scheiden ließen, bin ich mit 17, 18 Jahren zu den Großeltern nach Gelsenkirchen gezogen. Ich begann, in einer stahlverarbeitenden Fabrik in Velbert zu arbeiten, Fließbandarbeit. Ich musste das nicht machen, aber ich wollte meinen Großeltern etwas geben. Das war eine üble Arbeit. Morgens heulte ich vor der Schicht, fuhr mit dem Bus die lange Strecke von Gelsenkirchen nach Velbert ... aber ich verdiente gut. Ein Dreivierteljahr zog ich das durch. Später habe ich auch ein Fachabi in Sozialpädagogik gemacht und ein halbes Jahr lang „studiert“. Eigentlich saß ich nur in der Mensa, um dort billig zu essen, und habe für Zuhause die Mitstudenten nach Resten gefragt, das war mein Studium. Aber so habe ich Jenz Bumper mit seinem gelben Motorroller kennen gelernt! Ich bin kein Arbeitsmensch. Also im Sinne arbeiten, um sein Leben zu unterhalten. Ich beziehe Hartz IV, heute Bürgergeld, schon recht lange. Es ist manchmal etwas mühselig, sich mit dem einen oder anderen Sachbearbeiter auseinanderzusetzen, aber das ist es mit dem einen oder anderen Arbeitgeber bestimmt nicht minder.

Warum auch nicht? Nicht alle können, wollen im herkömmlichen Sinne arbeiten. Warum sollen sie dann nicht Bürgergeld oder besser ein bedingungsloses Grundeinkommen erhalten? So entsteht Raum für kreative oder soziale Kapazitäten.
Deswegen denke ich so, wie ich denke: Ich bekomme Geld dafür, dass ich Miete, Strom, Lebensmittel zahlen kann. Ich muss gucken, wie ich auskomme, klar, aber ich weiß es wirklich wertzuschätzen. Denn so kann ich Dinge machen, die mich erfüllen. Zwei Geschenke hat das Leben mir gegeben: Gesundheit und Zeit. Ich versuche, mein Leben so zu leben, wie ich es möchte, auch wenn ich finanziell eingeschränkt bin. Ich würde gerne viel mehr verreisen. Aber ich jammere nicht, so ist es eben. Ich habe mal im Billigschnäppchenladen meines Bruders gearbeitet, das hat mir Spaß gemacht. Oder in Mettmann in einer Gärtnerei. Da war ich tatsächlich glücklich. Ich bin mit den Kollegen gut klargekommen, hatte einen tollen Chef, alle kannten THE BRIEFS und THE VAGEENAS. Die haben mich eingestellt, obwohl ich überhaupt keine Fachkenntnisse über Pflanzen hatte, einfach weil ich so war, wie ich war. Ich habe auch keine Ahnung von Obst, trotzdem jobbte ich zeitweise an einem Obststand. Mein Chef musste mir erst mal erzählen, welche Beeren welche sind oder was eine Pomelo ist. Dort habe ich so viel Obst gegessen wie noch nie in meinem Leben.

Das war in Berlin ...
Ich hatte schon immer den Traum, mal in Berlin zu wohnen, weil es dort klasse ist und ich gerne dort bin. Eines Tages ergab es sich, in eine WG zu ziehen. Wohngemeinschaften sind gar nichts für mich, aber diese Wohnung hatte zwei Eingänge und eine Küche. Für mich gab es zwei Zimmer, keine Küche und ein winziges Bad. Ich konnte dort nicht auf Toilette gehen und gleichzeitig die Tür schließen, die Füße ragten in die Dusche. Dennoch für mich optimal, denn ich hatte ja meine eigene Wohnung, eine Küche brauche ich nicht. Ein kleiner Backofen, eine Kochplatte und eine Kaffeemaschine reichen. Ich war mitten in Kreuzberg, in der Nähe vom Paul-Lincke-Ufer, gut zum Spazierengehen, unweit vom Wild at Heart, Cortina Bob. Das war alles klasse. Aber ich merkte, dass mir das Ruhrgebiet und die Leute fehlen. Zurück in Wuppertal zog ich in eine Wohnung für 150 Euro. Die war so winzig, dass selbst ich groß wirkte. Die Wohnung hier in Essen ist ein Palast dagegen. Ich habe die Möglichkeit, von einem ins andere Zimmer zu gehen Ich habe einen Balkon, ein Bad mit Fenster und Wanne. Nie hatte ich in einer Wohnung alles. Und es ist total hell. Einerseits wohne ich hier sehr zentral, andererseits ist der Wald nicht weit.

War Berlin teurer?
Ich komme mit wenig aus. Ein weiser Mensch hat einmal gesagt, dass der sicherste Reichtum die Armut an Bedürfnissen ist. Ich mag diese Aussage. Ein großes Bedürfnis von mir ist Kaffee. Und auch im beispielsweise teuren London gibt es den sehr günstig dank Instantkaffee und Tauchsieder, passt in jede Tasche, kann man sich auf dem Klo brühen, da gibt’s oft Steckdosen. In London muss dann aber natürlich noch der Adapter für die Steckdose mit in die Tasche!

Glaubst du, dass du jetzt angekommen bist, oder hast du das Bedürfnis wieder umzuziehen?
Momentan nicht. Aber ich bin ja Realistin, ich wohne in der dritten Etage und irgendwann komme ich hier nicht mehr hoch. Solche Gedanken hat man sicherlich nicht mit dreißig. Irgendwann geht’s nicht mehr und dann muss ich gucken. Ich will ja unabhängig bleiben, mit niemanden zusammenwohnen. Wer weiß, vielleicht ziehe ich doch mal mit meinem Freund zusammen. Alter mache ich nicht an einer Zahl fest, sondern wenn ich mich so fühle und denke: Ruhe, Ruhe, Ruhe. Ein Traum von mir ist, wenn ich alt bin, in einem Häuschen am Meer samt Hollywoodschaukel zu wohnen. Träumen ist toll!

Beschreib mal deine Wohnung. Woher bekommst du all die Dinge, was bedeuten sie dir?
Es sind Sachen, mit denen ich was verbinde und die von Umzug zu Umzug mitkommen. Es sind Dinge, die ich schön und bunt finde, die einfach sinn- und zwecklos sind. Aber sie erfreuen meine Augen und mein Gemüt. Ich sortiere auch Dinge aus. Die kommen dann zum Verschenken in einen schönen Karton, den stelle ich auf die Straße. Dort suche ich eine schöne Ecke aus, regnen darf es nicht. Einfach wegschmeißen kann ich nicht. Wenn ich mich von Stofftieren trenne, müssen es immer mindestens zwei sein. Damit keines alleine im Karton auf ein neues Zuhause wartet. Ich mag Bilder und Poster, aber eben auch ganz viel Krimskrams. Beispielsweise Zwerge, die auf einem Stück Rasen herumstehen, mittendrin ein Frankenstein-Monster. Wenn ich Staub wische, mache ich ein Foto, damit ich genau weiß, wie die standen. Ich fühle mich in diesem Bunten total wohl. Die meisten finden das lustig. Es gibt viel zu gucken, aber um darin zu wohnen, wäre es ihnen zu viel.

Es ist hier sehr aufgeräumt ...
Ich bin ein sehr ordentlicher Mensch. Anders würde es nicht gehen. Ich möchte es hier schön haben, das gibt mir Ruhe. Wenn ich so gucke, dieses Bunte, Fröhliche, ja auch Kindliche, das gibt eine Art Sicherheit. Es ist ein schönes Gefühl, nach Hause zu kommen und mir klar zu machen, das ist meine Wohnung. Ich verlasse die Wohnung auch immer aufgeräumt. Ich weiß ja nicht, was draußen passiert, aber wenn ich nach Hause komme, weiß ich, dass mich innere Ruhe inmitten von fröhlich Buntem erwartet.

Hattest du nicht früher ein riesiges McDonald’s-Plakat an der Wand hängen?
Das würde ich nicht mehr aufhängen. Ich gehe ja auch nicht mehr zu McDonald’s, seit ich Vegetarierin bin. Es war eigentlich schon immer so, dass ich mir Tierleid nicht angucken kann. Damit meine ich nicht, dass ich meine Augen verschließe, ich weiß, dass es das gibt. Als ich noch Fleisch gegessen habe, war mir das auch alles bewusst, aber zufrieden war ich nicht mit mir. Du kannst nicht auf der einen Seite Heulkrämpfe bekommen und beim Tiertransporter weggucken, und auf der anderen Seite zu McDonald’s gehen. Es hat lange, zu lange gedauert, aber vor ungefähr zwanzig Jahren bin ich von heute auf morgen zur Vegetarierin geworden. Ich sage nicht, dass es mein Leben lang so bleiben wird. Ich glaube, dass es so bleiben wird, aber generell tue ich mich schwer damit, „nie“ zu sagen.

Du engagierst dich für Tiere in Form von Hundeschutz?
Engagement ist zu viel gesagt. Ich unterstütze Menschen in Rumänien finanziell, aber ich könnte mehr tun. Als ich in Berlin wohnte, fand in der Ukraine die Fußball-EM statt. Vor diesen Spielen gab es „Säuberungsaktionen“, viele Straßenhunde wurden gefangen. Ich habe mich sehr hineingegeben, habe über das Internet Aufklärung betrieben, habe versucht, Hunde zu vermitteln. Das hat mich fertig gemacht, diese Bilder, dieses Wissen darum, was dort – und nicht nur dort ... – geschieht, ich habe nicht schlafen können, nur geweint. Es ging so weit, dass ich in Gewissenskonflikte geriet, wenn ich mir eine Pizza gönnte, die mehr kostete als eine Billig-Pizza. Denn die Euros hätte ich spenden können. Ich versachliche zu wenig. Meine Hochachtung und mein Respekt den Menschen, die das schaffen. Den Abstand brauchst du, sonst rettest du kein Tier. Dafür braucht es Mitgefühl anstelle von Mitleid. Ich versuche aktuell, den Weg vom Mitleid hin zum Mitgefühl zu finden, was generell für mein Leben gut wäre.

Wenn es um deine Projekte geht, hast du bestimmte Ansprüche. Mit viel Engagement und großer Kreativität gestaltest du Artwork, Goodies, Merchandise. Zum Beispiel die Hemden, die du zusammensuchst und selbst bedruckst – da steckt viel Liebe drin.
Genau das ist es doch. Wenn man etwas liebt, dann widmet man sich dem mit Liebe. Man gibt sich nicht mit dem zufrieden, was sein muss: Platte eintüten, fertig und verkaufen. Ich plane das nicht, aber lange überlegen muss ich auch nicht. Es ergibt sich so. Ich komme an ein paar Secondhand-Hemden, bedrucke die, lasse mich vom Ergebnis begeistern und mache dann noch mehr. THE VAGEENAS sind mein Baby, das hört sich behämmert an, ist aber so. Ich will ja, dass es dem Baby gut geht und es viele neue Freunde findet!

Du kannst dich offenbar auch immer sehr gut an dir selbst entzünden.
Ich glaube ja, weil ich immer so begeistert bin, was aber auch daran liegt, dass ich mit wenig etwas hinbekomme. Das ufert so aus, dass ich Sachen wie Hemdenbedrucken richtig zelebriere. Ich mache es mir mit einem Bügelbrett auf dem Balkon schön und bedrucke Secondhand-Textilien mit einem Linoleumstempel mit dem THE VAGEENAS-Schriftzug, den ein Freund Mitte der Neunziger Jahre für mich geschnitzt hat. Diesen Stempel nutze ich heute noch. Mein Balkon ist nur zwei Quadratmeter groß, aber ich liebe es, draußen zu sein, da geht vieles leichter! Es ist nicht so, dass ich dasitze und grüble. Täte ich das, käme da überhaupt nichts bei heraus. Alles entsteht im Herzen, nicht im Kopf. Es ist einfach da und passiert. Es verselbstständigt sich, dann wird es zu einer Riesenflamme, wie bei der Schmetterlingsplatte. Ich mache eine kleine Sache und auf einmal entsteht eine Manege. Und ich begeistere mich, wie toll das alles aussieht. Ich begeistere mich für die Dinge, nicht für mich.

Du siehst nicht nur den Arbeitsakt an sich, dem du schnell überdrüssig wirst wie der Fließbandarbeit, sondern es ist immer sehr ganzheitlich.
Genau, es ist keine Fließbandarbeit, zack, mach. Sondern ich überlege mir, welche Farben gut zu welchem Oberteil passen könnten, sortiere und gucke, wo der Druck hinpassen würde, oben, unten, auf die Tasche. Ich arbeite also schon, nur würde der Sachbearbeiter vom Jobcenter das nicht so sehen, auch wenn ich ihm ein bedrucktes Hemd mitbringen würde ... Und so ist es auch mit Platten. Ich mag es, wenn noch viel Zeug mit dabei ist. Am schönsten ist es, wenn die Leute selbst was zusammenbasteln müssen.

In diesen Momenten bist du wohl ganz du. Im Underdog Fanzine hast du 2014 mal in einem Interview gesagt: „Am meisten habe ich mich selbst geprägt.“
Das habe ich gesagt? Boah, klug, wow.

Da passt doch alles rein, dass du gerne alleine bist, mit dir zufrieden bist, nicht viele Leute brauchst.
Dass ich mir genüge, das stimmt. Toller Satz.

Bist du ein Gesamtkunstwerk?
Auf keinen Fall. Ich höre es immer wieder, aber ich selbst würde mich nie – da nutze ich ruhigen Gewissens das Wort „nie“ – so bezeichnen. Ich bin Babette, ich bin, wie ich bin. Es schmeichelt vielleicht etwas, aber ich kann mich mit der Aussage nicht identifizieren. Menschen erschaffen Kunst. Aber ich selbst hatte nie die Intention, mich zu erschaffen. So rumlaufen, wie man möchte und wie es einem gefällt, das fühlt sich einfach gesund an. Nicht mehr und nicht weniger.

THE VAGEENAS gehen 2024 ins dreißigste Jahr ...
Unsere letzte Platte ist 2007 herausgekommen. Das sind 16 Jahre. Infolgedessen ein ziemlich absurdes Phänomen, dass Leute immer noch gerne auf unsere Konzerte kommen und Spaß haben, obwohl nix Neues dazukommt. Ein in der Tat absurdes Phänomen, aber zugleich auch eines, über das ich mich immer wieder aufs Neue total freue! Ich bin jedem, der sich uns immer wieder anschaut, dankbar dafür, denn, ganz klar, gäbe es kein Publikum, gäbe es THE VAGEENAS nicht mehr. Ein wirklich von Herzen kommendes, großes, rosafarben glitzergesprenkeltes Danke! Es gibt mir viel, wenn ich auf der Bühne herumhüpfe, vor allem die Interaktion mit dem Publikum. Das ist, denke ich, auch etwas, was dieses „Phänomen“ mit ausmacht. Es gibt keine neuen Lieder, aber immer mal wieder neue Spoken Words. Wenn dann noch Leute zu mir kommen und sagen, dass sie durch unser Konzert mal den Alltag vergessen konnten, was kann man – in meinen Augen – mehr erreichen als Band? So ist es bei mir mit THE BRIEFS oder KOTZREIZ. Auf deren Konzerten fühle ich so mit. Das, was von der Bühne rüberspringt, lässt mich den Alltag vergessen. Wenn genau das auch THE VAGEENAS schaffen, ist das für mich komplett wundervoll! Aus diesem Grund lasse ich es mit der Band auch nicht, trotz mancher Widrigkeiten.

Dein kreatives Potenzial hast du währenddessen in andere Kanäle gelenkt. Es tauchte ein Klon auf ...
2009 fehlte uns mal wieder ein Gitarrist. Beste Gelegenheit, mich mit Texten zu beschäftigen, die ich mal auf Deutsch geschrieben habe. Ich bat Volker von MOLOTOW SODA um Hilfe, vier Texte davon zu vertonen. Das gefiel mir so gut, dass ich überlegte, die anderen Texte ebenfalls zu vertonen, aber das dann mit einer Band. Daraus hat sich 2010 das Projekt BABETTE UND DIE SCHMETTERLINGS entwickelt. Es kamen noch drei Cover hinzu, schlussendlich existierten zwölf Lieder, die wir auch aufgenommen haben. Und wir hatten einen Auftritt in Berlin. Nach einem halben Jahr war es mit dem Projekt wieder vorbei. Aber nun gab es diese zwölf Lieder, viel zu schade, um damit nichts zu machen. In mir wuchs die Idee, mit einer Playback-Version alleine aufzutreten samt meinem Klon Onni – das ist finnisch und bedeutet Glück. Onni ist ein aufblasbares Skelett. Wir hatten ein paar Auftritte und Onni hat die gesamte Bandbreite des Playback gespielt, sie ist ein wahres Multitalent. Dazu habe ich live gesungen. Irgendwann waren THE VAGEENAS wieder vollzählig und mein Solo-Ausflug war vorerst beendet. Nach meiner Rückkehr aus Berlin, 2014, begann die Idee in meinem Herzen zu brodeln, mit den zwölf Liedern eine Platte zu machen. Es gestaltete sich etwas kompliziert, die Aufnahmen zu bekommen. Erst 2021 erhielt ich die. Unser Gitarrist Volker, zugleich bei DIE SCHWARZEN SCHAFE und Inhaber des Tumult Soundstudios in Düsseldorf, hat alles gemischt und gemastert. Wieder verging Zeit, Corona, Vinylknappheit, Labelsuche ... Wer bringt eine Platte heraus von einer Band, die es nicht gibt? Der liebe Monster von meinem Allerlieblingslabel des Vertrauens Wanda Records! Monster und ich kennen uns seit Beginn von THE VAGEENAS. Monster begleitete uns auf vielen Touren quer durch den Osten Deutschlands. Das gesamte Artwork der Platte hat Sandy Sandtierchen gezeichnet. Ich wiederum habe aus den Texten und Zeichnungen die Druckvorlagen für Cover und Textheft kopiert, ausgeschnitten, zusammengeklebt. Und jetzt ist diese wunderbare strahlend pinke Platte endlich da, mit Textheft, Blumensamen, Download-Code, Postkarte, Aufkleber, und zeitgemäß auch mit Tattoo! Ich bin unendlich stolz auf die Platte! Und was braucht man zu einem Release? Ein wunderherrlichtolles Promo-Video! Das hat Kollek gedreht. Ich habe mir selbst ein Drehbuch geschrieben und hatte null Ahnung von Videodrehs und bat Kollek, keinen Schnitt zu machen. Ich hatte Bedenken, es würde sonst unrealistisch wirken. Kollek überzeugte mich schnell vom Gegenteil. Ich habe Kollek da einfach vertraut, wir kennen uns seit über vierzig Jahren, und ich kenne viele Videos, die Kollek gedreht hat. Was soll ich sagen ... das Video unterstreicht so was von die Musik und hätte nicht toller werden können! Ein riesengroßes Danke an Volker und Sandy und Monster und Kollek! Ohne eure Hilfe und Unterstützung wären die Schmetterlings niemals losgeflogen!

Auf der aktuellen LP singst du auf Deutsch, wie sind die Texte entstanden?
Es sind keine weltbewegenden Texte. Kleine, nette, charmant verpackte Geschichten über Alltäglichkeiten. Alle Texte sind von mir. Bei den Coverversionen habe ich die Texte in den Strophen nicht ersetzt, aber um den Refrain herum einen eigenen Text geschrieben. Nur bei „Pank“ von Nina Hagen singe ich den Originaltext. Auf Deutsch zu schreiben, macht mir aufgrund meines simplen Schulenglischs – wo dann so tolle Reime rauskommen, wie gun/fun, boy/toy, brain/pain – mehr Spaß. So habe ich mehr Spielraum. Außerdem singe ich anders als bei THE VAGEENAS, da schreie ich ja mehr.

In welche Läden gehst du, welche Wege nimmst du auf dich?
Ich gehe gerne auf Konzerte. Ich mag diese netten, kleinen Läden, wie das Wageni in Bochum, in Essen das Don’t Panic, Anyway und die Freak Show, Indie in Duisburg, AK47 in Düsseldorf, Druckluft in Oberhausen, Sonic Ballroom in Köln, das AJZ Wermelskirchen oder AZ Mülheim. Daneben mag ich den Bahnhof Langendreer in Bochum oder das Zakk in Düsseldorf mit dem Biergarten. Als ich noch ein Auto hatte, bin ich weitere Strecken für Konzerte gefahren. Da war ich beispielsweise oft im AJZ Bielefeld. Jetzt mit Bus und Bahn ist der Radius kleiner geworden. Aber nach Berlin ist es niemals zu weit! Und THE BRIEFS stehen da ja sowieso auf einem anderen Planeten! Sobald sie in Europa waren, habe ich mich ins Flugzeug gesetzt und bin kreuz und quer hinterher gereist. Dank der seinerzeit Ultrabilligfluglinien, Tauchsieder im Gepäck und Mehrbettzimmer-Hostel war das möglich! Sogar 9.000 Kilometer vor fünf Jahren: Ich war zehn Tage in Amerika und habe siebenmal THE BRIEFS gesehen!

Der allerweiteste Weg, den du aber regelmäßig auf dich nimmst, ist der nach Blackpool, oder?
Der Weg ist gesetzt, da überlege ich gar nicht. Seit 2007 fahre ich regelmäßig in diese englische Stadt zum Rebellion Festival. Nur während Corona musste ich pausieren. Natürlich war ich zum ersten Mal wegen THE BRIEFS dort. Sie spielten auch außerhalb des Festivals auf der Pre- und Aftershow. Da brauchte es keine weiteren Gründe, um zum Rebellion zu reisen. Eigentlich bin ich gar kein Festival-Mensch, aber die Konzerte finden in unterschiedlichen Sälen im Winter Gardens statt, einem Gebäude aus dem vorletzten Jahrhundert. Ich kann mich durchaus mal dem Konzertgeschehen entziehen, mal zum Strand gehen. Blackpool an sich ist irre, abgefahren, auch traurig. Und diese Stadt zusammen mit dem Festival, das ist einfach echt bizarr. Vielleicht schaffe ich es auch mal, mir andere Seiten der Stadt anzugucken und den schönen Park landeinwärts zu besuchen.

Es geht ja noch weiter: Beim diesjährigen Rebellion Festival hast du einen Auftritt!
Ich hatte es ein paar Mal versucht, mit THE VAGEENAS beim Rebellion aufzutreten, aber es kam nicht zustande. Bis auf letztes Jahr. Da kam tatsächlich ein Bewerbungsbogen zurück! Ich habe alles ausgefüllt, zurückgeschickt, und ... ja ... ist eine viel zu lange Geschichte. Und letztendlich entscheidend ist einfach das wunderbare Resultat, dass THE VAGEENAS nächstes Jahr auf dem Rebellion spielen werden. Dafür dürfen Onni und ich dieses Jahr in der schönen Spanish Hall auftreten! Ich finde das voll komplett total und echt im wahrsten Sinne des Wortes völlig unglaublich! Ich bin so was von aufgeregt, und freue mich da auch einfach nur ohne Anfang und Ende immer wieder drüber und drauf!

Oft nach Auftritten kommen Frauen auf dich zu, bedanken sich und sagen, dass es toll ist, was du machst. Glaubst du, dass sich für Frauen im Punkrock in den letzten Jahrzehnten einiges verändert hat?
Über positives Feedback freue ich mich bei allen sehr, aber ich empfinde es noch mal anders, wenn eine Frau zu mir kommt und sagt, es war super. Ob sich etwas geändert hat? Im Punk gibt es so viele Möglichkeiten, ob du Oma, Opa, Frau, Mann, Hamster bist, wie in nur wenigen Bereichen dieser Welt. Ich kann nicht sagen, ob sich etwas geändert hat, weil ich da nichts Schlimmes sehe. Die Frauen, die ich kenne, sind Frauen, die für etwas stehen, sich selbst definieren und hinter dem stehen, was sie machen. Sie tun es mit viel Herzblut. Ich kenne keine:n, die oder der da nicht wahrgenommen wird. Ich finde es ganz furchtbar, wenn Bands nur deswegen angefragt werden, weil dort eine Frau mitspielt. Ich will doch nicht nur auftreten dürfen, weil ich dieses oder jenes Geschlecht habe, sondern weil Leute die Band gucken wollen.

Du glaubst, die Möglichkeiten waren, sind immer da, die Pfade wurden nicht breiter, einfacher, selbstverständlicher?
Es wird heute mehr thematisiert, was nicht verkehrt ist, nur meines Erachtens nach in einem zu überzogenen Maße. Es gab immer Frauen, die Veranstaltungen organisieren, die Bookerin sind, für Fanzines schreiben oder Musik machen. Da denke ich auch an früher, an Frauen wie Lene Lovich, Wendy O. Williams, Suzi Quatro, Shanne Bradley ... die Liste ist sehr lang. Ich glaube nicht, dass diese Frauen sich die Frage gestellt haben: „Werde ich wahrgenommen oder nicht?“ Natürlich wurden sie wahrgenommen, diese Frauen haben sich über sich selbst definiert, haben sich mit ihrem Auftreten und ihrer Musik ausgedrückt.

Gesamtgesellschaftliche Strukturen spiegeln sich im Kleinen, also auch in der Punkrock-Szene wider. Ich habe schon den Eindruck, dass Frauen anders wahrgenommen werden. Zeit, ihnen Raum, Bühne zu geben ...
Du hast recht, das Große wird auch ins Kleine übertragen. Es tut sich was in der Welt, und das findet auch im Punkrock statt. Kein Mensch darf sich unterdrücken lassen und jede:r sollte gehört werden – wollen. Ich kann jedoch der #PunkToo-Debatte, so, wie sie geführt wird, nicht zustimmen. Ich selbst empfinde diese Debatte oft als nicht wirklich zuträglich all dem gegenüber. Das ist schade. Es ist ein wichtiges Thema, aber in der „Ausführung“ wird es überzogen. Dadurch kann es an Ernsthaftigkeit verlieren und in Absurdität verfallen. Toleranz geht verloren. Das ist lediglich meine Meinung. Niemandes Meinung darf Anspruch auf Richtigkeit haben und niemand muss meine Meinung teilen.

Du hast kürzlich deinen sechzigsten Geburtstag gefeiert. Denkst du nun anders über das Leben nach? Wirst du sentimentaler? Wie stellst du dir dein Leben in den nächsten zwanzig Jahren vor?
Sentimental bin ich seit sechzig Jahren. Ob ich jetzt über Treppenlift und Rollator nachdenke? Nein, ich merke einfach, dass ich älter werde. Es klappt ja noch alles recht gut. Angst? Ich glaube schon. Ich bin so ein agiler Mensch, der sich gerne bewegt. Wenn das nicht mehr geht, werde ich das nicht schön finden. Andererseits ist es ein Prozess und diesem nähert man sich an. In zwanzig Jahren bin ich achtzig ... Ich möchte noch viele Auftritte mit BABETTE AND HER CLONE und mit THE VAGEENAS haben. Das mache ich so lange, wie es meine Knochen zulassen. Die Falten können mir um die Füße schlorren, das ist mir egal. Aber meine Knochen müssen funktionieren, wenn ich wie ein Flummi durch die Gegend hüpfe. Wenn das nicht mehr ist, möchte ich das nicht mehr machen. Ich werde mich nicht mit einem Stuhl auf die Bühne setzen, hm, oder ich fahre mit dem Rollator hin und her. Da könnte auch Onni vorne drauf sitzen. Irgendwann wird sicherlich der Zeitpunkt kommen, dass ich einfach Ruhe möchte. Und da kommt das Häuschen am Meer wieder ins Spiel. Und die Hollywoodschaukel, du siehst, irgendwie bleibe ich in Bewegung!

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Diskografie

BABETTE VAGEENA AND HER CLONE: Peng! Peng! Peng!/Future (Split-7“ w/ ROXY EPOXY, Drunk’n’Roll/That Lux Good/Höhnie/Strictly Commercial/Militanz/Elfenart/RilRec/Flix/Aldi-Punk/Fight The System/Subwix, 2008)
BABETTE UND DIE SCHMETTERLINGS: „12 Space Punk Power Hits“ (LP, Wanda, 2023) VAGEENAS: „Punk-Rock Single Of The Month“ (7“, Self-Released, 1994) • „I Wanna Destroy“ (7“, Plastic Bomb, 1995) • „Live In Hell“ (LP, Teenage Rebel, 1996) • „Here Are The Vageenas / Earworms“ (Split-10“ w/ SLIDE AND THE QUESTION MARKS, Incognito, 1996) • „Best Of Punk Rockers From Hell“ (7“, Self-Released, 1997) • „We Are The Vageenas“ (7“, Plastic Bomb, 1998) • „Absolutely Live & Sick“ (CD, Bondage, 1999) • „When Music Hurts ...“ (LP/CD, Plastic Bomb, 2003) • „Obnoxious“ (7“, Self-Released, 2003) • „Teenage Music“ (CD/LP, Plastic Bomb, 2006)