WHILE SHE SLEEPS

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Brave new society

Sie waren schon immer eine spezielle Band für sich. Nicht nur musikalisch gingen die fünf Jungs aus Sheffield stets unbeirrt ihren eigenen Weg, auch bauten sie eine enge Verbindung zu ihren Fans auf, wie sie sonst bei kaum einer anderen Band besteht. Wir sprechen mit Gitarrist Mat Welsh über das neue Album „Sleeps Society“ sowie die gleichnamige Community-Plattform und darüber, wie so eine einzigartige Band-Fan-Beziehung neue Chancen für die Musikindustrie eröffnet.

Eure zuletzt veröffentlichte Single trägt den Titel „You are all you need“. Könntest du uns mehr über die Bedeutung des Songs erzählen?

Tendenziell – und das gilt für all unsere Songs – wollten wir die Bedeutung und Interpretation von „You are all you need“ komplett der Vorstellungskraft der Hörer überlassen. Natürlich hatte ich ein bestimmtes Thema im Kopf, als ich den Track schrieb, aber wir möchten den Fans immer die Möglichkeit geben, den Inhalt auf die eigene Situation zu übertragen. Für mich geht es im Song darum, dass wir im Leben immer nach der Bestätigung durch andere suchen und dass jemand uns sagt, dass wir gut genug sind in dem, was wir tun. Diesem Gedankengang folgend wollten wir eine alternative Lebensweise aufzuzeigen, in der man sich nicht durch den Wunsch nach Bestätigung von seinen Träumen abbringen lässt. Das sagt auch der Refrain: „I’d rather be underrated, the minor not the major / I don’t need liberation, a higher state of being“. Die Menschen neigen dazu, das bis zu dem Punkt zu verfolgen, an dem sie letztendlich merken, dass dieser Zuspruch durch andere langfristig nicht glücklich macht. In der Mitte des Songs sagen wir; „Find the proof that you are all you need“ und das ist im Grunde die Kernbotschaft des Tracks. Leute sollen durch diese Zeile daran erinnert werden, dass sie selbst das Wichtigste sind und keine anderen Menschen brauchen, die ihnen das bestätigen. Du musst nichts tun oder erreichen, wohinter du nicht tatsächlich stehst.

Ist diese Botschaft ein roter Faden, der sich thematisch durch „Sleeps Society“ zieht?
Definitiv! Der erste veröffentlichte Song, der Titeltrack „Sleeps Society“, behandelt dasselbe Thema. Auch hier geht es darum, nicht in die klassischen Konventionen zu passen und sich eher einem alternativen Teil der Gesellschaft zugehörig zu fühlen. Und genau das bietet die Metal-Szene. Sie ist eine eigene Welt, die Außenstehende nicht verstehen, die nichts von der gewaltigen Gemeinschaft wissen, die hier besteht. Das Album beschreibt zusammengefasst, wie sehr wir diese Gemeinschaft lieben. Das ganze Konzept der Sleeps Society basiert darauf, unseren Fans eine Art Zuhause zu geben, wo sie als alternative Gruppierung absolut sie selbst sein können. Wir möchten ihnen zeigen, dass es okay ist, wenn man nicht weiß, welchen Job man später ausüben möchte und dass es auch Perspektiven abseits der konventionellen Norm gibt, zum Beispiel in kreativen Berufen, und dass man auch hier nachhaltigen Erfolg haben kann. Dieses Sinnbild von Selbstständigkeit und Selbstbestimmtheit zieht sich durch das ganze Album.

Wie fühlt es sich an, in den aktuell sehr unsicheren Zeiten neue Musik zu veröffentlichen?
Es ist definitiv ein anderes Gefühl. Trotzdem kam uns diese Auszeit in gewisser Weise sehr gelegen. Natürlich vermissen wir Shows und Tourneen, aber als uns klar wurde, dass Corona nicht nur für ein paar Wochen bleiben würde, widmeten wir uns sofort neuen Projekten, für die wir ansonsten nie wirklich Zeit gefunden haben. Das Resultat war unter anderem die Sleeps Society. Hier hatten wir die Möglichkeit, auch ohne Konzerte aktiv zu sein und eine Verbindung mit den Fans aufzubauen. 2020 hat definitiv die Dynamik von WHILE SHE SLEEPS geändert, aber wir konnten auch Positives aus der Situation schöpfen. Ich bin dankbar für diese Zeit des kreativen Potenzials – aber gleichzeitig würde ich alles dafür geben, wieder Shows spielen zu dürfen, haha!

Also hattet ihr die Idee der Sleeps Society, einer Plattform für eure Fans, bereits vor der Pandemie?
Ja, es war schon seit längerem geplant, das Album zusammen mit der Plattform zu veröffentlichen. Wie wollten aber eigentlich auf den richtigen Zeitpunkt warten. Kurz nachdem wir mit der Konzeption der Sleeps Society angefangen hatten, ging es mit der Pandemie los. Von März bis September nutzten wir also die freie Zeit ohne Tourneen, um einerseits das Album und andererseits die Inhalte der Plattform zu erstellen. Und während die Arbeit an der Sleeps Society konkreter wurde, merkten wir, wie gut dieses Businessmodell zu der aktuellen Situation passt. Es wurde eine Art Gegenentwurf zu allem, was in der Musikindustrie falsch läuft. Aus einem simplen Akt der finanziellen Sicherheit wurde also ein branchenweites Statement. Besonders als die Regierung keinerlei Unterstützungsmaßnahmen für Kunst und Kultur einleitete, während große Industriekonzerne immense Hilfspakete erhielten, betrachteten wir das Projekt zunehmend auch als Weckruf.

Soll die Sleeps Society also als Leitbild für andere Bands fungieren? Siehst du in solchen Modellen vielleicht sogar die Zukunft für Newcomer?
Absolut! Das war eine der Hauptmotivationen für dieses Projekt. Wir wollten als erste Metalband dieses Konzept des direkten Supports und der unmittelbaren Band-Fan-Beziehung etablieren und überprüfen, ob dieses Modell funktioniert und ob Bands hiermit überhaupt überleben können. Sollte sich diese Idee bewähren, würde das die Musikindustrie komplett revolutionieren und wir könnten anderen Bands eine Alternative zu den altbekannten Geschäftsmodellen aufzeigen. Es würde beweisen, dass junge Bands nicht sofort den erstbesten Plattenvertrag unterschreiben und alle Rechte ihrer Musik an ein Unternehmen abtreten müssen, sondern sich ebenso gut direkt an ihre Fans wenden können – an die Menschen, für die die Musik letztendlich auch bestimmt ist und die uns dorthin gebracht haben, wo wir heute stehen. Wenn jeder nur zwei oder drei Euro pro Monat in solch ein Konzept investieren würde, könnten Bands dauerhaft davon leben, ohne ein Label über ihre Kunst bestimmen lassen zu müssen. Es sollte doch im Grunde nicht anders sein als dieses Interview; Ich möchte direkt mit dir sprechen und nicht irgendeinem Mittelsmann meine Antworten auf deine Fragen geben, der sie dann an dich weiterleitet. WHILE SHE SLEEPS haben 14 Jahre gebraucht, um nachhaltig von der Musik leben zu können – nun liegt es an uns, diesen Weg für nachkommende Bands weniger beschwerlich zu machen. Und tatsächlich beginnt diese Revolution schon jetzt! Die Leute von Patreon, über die die Plattform läuft, haben uns schon gesagt, dass andere Musiker das Konzept adaptieren und uns als Inspiration nennen. Genau das wollen wir! Bands sollen uns als Beispiel nehmen, Bands sollen diese Ideen stehlen! Dafür machen wir es. Klaut uns bitte nicht unseren Style, aber bitte: Lasst euch von der Sleeps Society inspirieren und löst euch von fremdbestimmten Strukturen der Musikindustrie.

Im zehnten Song des Albums, „Call of the void“, heißt es: „featuring Sleeps Society“. Welche Rolle spielt die Sleeps Society in diesem Track?
Während wir den Song planten, nahmen wir nur eine grobe Idee auf, bei der Sean und ich sangen. Wir hatten also zwei Gesangsspuren, die wir an die Fans weitergaben mit der Anweisung, selbst die Vocals aufzunehmen. Im Endeffekt haben wir also knapp 300 Menschen, die mit uns diesen Song singen und einen riesigen, digitale Chor ergeben. Wir machten allen Teilnehmern klar, dass wir nicht zwingend erfahrene Sänger suchen – wir selbst sind schließlich auf keine. Wir wollten, dass die Leute so singen wie sie es auch auf einem WHILE SHE SLEEPS-Konzert tun würden. Und genau dieses Gesamtbild aus so vielen Stimmen mit all ihren Höhen, Tiefen und eventuellen Imperfektionen verleiht dem Song seinen Charakter. Außerdem unterstreicht das die Verbindung zwischen Band und Fans einmal mehr. Sie haben das Album überhaupt erst möglich gemacht – wenn jemand ein Feature verdient, dann ja wohl sie. Die Lyrics sind aus „Crows“, unserer allerersten Single. So stellt „Call of the void“ also eine Art Neuerfindung unserer frühen Tage dar und schließt den Kreis.

Würdest du persönlich sagen, dass „Sleeps Society“ das Album ist, das am nächsten an euren Fans ist?
Das denke ich schon. Als wir „You Are We“ produzierten, haben uns die Fans schon einmal auf direktem Wege unterstützt, weil wir das Album damals über Kickstarter finanzierten. Diese Verbundenheit mit den Fans hat uns extrem dankbar für das gemacht, was wir tagtäglich tun. Es war unglaublich, mit den Fans zusammen an so einem Projekt zu arbeiten und deshalb unterlegten wir vor „Sleeps Society“, wie man das noch toppen könnte. Uns war klar, dass wir es nicht einfach wieder über Crowdfunding regeln konnten. Wir wollten etwas auf die Beine stellen, dass nicht nur dieses Album ermöglichte, sondern auch alle in Zukunft erscheinenden. Gleichzeitig erlaubte uns die Sleeps Society im Schreibprozess ein höheres Maß an Interaktion mit den Fans. Wir hatten beispielsweise Live-Streams, während wir Songs im Studio aufgenommen haben und die Mitglieder der Sleeps Society konnten uns direktes Feedback zu bestimmten Passagen geben. Also ja, so nah waren wir noch nie an unseren Fans.

Der erste Song auf „Sleeps Society“ heißt „Enlightenment (?)“ und hat die Zeile „It’s okay to not be okay“. Geht es hier explizit um mentale Erkrankungen, mit denen Menschen in der Pandemie zu kämpfen haben?
Obwohl Teile der der Lyrics schon vor Corona geschrieben wurden, bezieht sich der Song stark auf die aktuelle Situation. Es war im Grunde wie bei der Sleeps Society: Die Pandemie war nicht der Auslöser dafür, machte die Botschaft aber deutlich relevanter. Der Song soll aufzeigen, dass man seine Gefühle würdigen und als das wahrnehmen sollte, was sie sind. Auch aus negativen Emotionen kann man individuelle Erkenntnisse ziehen. Deshalb steht das Fragezeichen in Klammern am Ende des Titels. Gefühle, die für den einen unbedeutend sind, können für eine andere Person neue Perspektiven eröffnen und ein Schritt nach vorn sein. Trotzdem wollten wir den Song in einer positiven Stimmung konzipieren, weil Musik für uns und auch für andere eine Art Therapie sein kann. Die Menschen sollten diesen Track hören, wenn sie nicht gut drauf sind. Die Zeile „It’s okay to not be okay“ würdigt, dass man sich nicht immer gut fühlen kann, und soll gleichzeitig auf mentale Erkrankungen aufmerksam machen. Wir als Band hatten lange mit Depressionen und Ängsten zu kämpfen, von daher war es uns ein persönliches Anliegen, diese Botschaft zu vermitteln.

Wenn du „Sleeps Society“ in nur einem Wort beschreiben müsstest, welches wäre das?
Verbundenheit. Darum geht es. Es geht darum, sich zu öffnen. Es geht um die Verbundenheit, die Musik zwischen Menschen schaffen kann, und wie stark diese Verbindung sein kann, wenn Menschen sich gegenseitig unterstützen.