WONK UNIT

Foto© by Mark Richards

Es kann nur besser werden

WONK UNIT aus London werden von jenen Menschen, die sie mal live erleben durften, für eine der mitreißendsten Punkbands dieser Tage gehalten. Speziell Bandkopf Alex Wonk ist ein Phänomen, ein packender Frontmann, ein Energiebündel, an dem aber die Corona-Pandemie nicht spurlos vorbei gegangen ist. Anlässlich des neuen Albums „Uncle Daddy“, das soeben auf Kidnap Music erschienen ist, beantwortete Alex meine Fragen, an zwei Stellen aber auch Keyboarderin und Co-Sängerin und -Songwriterin Vez.

Alex, wie geht es dir? Das neue Album ist gerade erschienen, also sollten es glückliche Tage sein, aber dann erhebt das untote Corona-Monster wieder sein Haupt ...

Alex: Es waren ein paar schwierige Jahre, was mein Familienleben angeht, und viele Inhalte auf dem Album dokumentieren das. Auf der positiven Seite bedeutet das aber auch, dass Corona das geringste meiner Probleme war, haha, und ich habe es irgendwie nicht bemerkt. Um ganz ehrlich zu sein, ist mein Gehirn wie ein Muskel von der Belastung im Januar „gerissen“. Das war eine interessante Erfahrung. Ich bin jetzt seit 22 Jahren trocken und auf dem Weg der Genesung, und eines Tages, als ich durch einen Park ging, war ich überrascht, als ich anfing zu stolpern, also wirklich zu stolpern. Ich ging nach Hause, fiel in ein seltsames benebeltes Loch und hatte für den Rest des Tages zu viel Angst, meine Augen zu öffnen. Als ich es dann tat, bewegten sich die Vorhänge buchstäblich, wie auf LSD. Ich traute mir selbst nicht, ich traute der Realität nicht. Die Ärzte erklärten mir, dass das Gehirn ein Muskel ist und man sich ausruhen sollte, wenn es erschöpft ist. Ich war nicht in der Lage, das zu tun, also brach ich zusammen. Ich bekam Medikamente und eine Therapie und kämpfte mit dem Album „Uncle Daddy“, wenn sich meine Seele nicht gerade wie eine vertrocknete Hülse anfühlte. Eine Menge Wut kam heraus – das ist wohl einfach WONK UNIT. Ich bin ehrlich. Der Kampf geht weiter, aber ich bin jetzt ein anderer Mensch. Ich bin viel ruhiger, geduldiger und knallhart, haha.

Wie ging das mit dir und Punk einst los?
Alex: 1992 gründete ich eine berüchtigte Punkband namens THE FLYING MEDALLIONS. Wir waren total verrückt. Wir waren nicht einmal Musiker, uns ging es nur um das Chaos auf der Bühne und extreme Partys. Wir hatten in der Musikpresse, im NME oder Melody Maker, von all diesen so genannten wilden Bands gehört, aber als wir sie im wirklichen Leben trafen, waren sie einfach „normal“, wie langweilige normale Menschen. Uns wurde klar, dass es bei den meisten Bands nur ein von den PR-Abteilungen der Labels inszenierter Presse-Hype war. Rückblickend kann ich die Hassliebe, mit der uns die Leute begegneten, gut verstehen. Wir zogen Fußball-Hooligans und Freaks an. Wir waren keine schlechten Menschen, wir waren nur sehr jung und naiv und kamen aus einer Zeit, als Skateboarding noch wild und eine einzige Party war. Wir brachen in den Mainstream ein wie heute IDLES und SLAVES, aber wir waren unkontrollierbar. Wir haben jede Gelegenheit, die sich uns bot, versaut, indem wir absolut darauf geschissen haben. Wir waren in der Mainstream-Musikszene, aber im Grunde waren wir eine verdammte Oi!-Band, haha. 1995 verunglückten wir auf einer Tour in Frankreich, Dougie, unser Bassist, starb und Stuey wurde schwer verletzt. Das war das Ende der Band und das Ende der Liebe zum Punk für mich. Nichts schien mehr neu zu sein, all die späteren Bands kamen mir vor wie eine seltsame Garage-Rock-Fancy-Dress-Party, bei der Retro-Mode und Ästhetik wichtiger waren als die Musik. Das war aber nur meine damalige Meinung, heute schätze ich viele dieser Bands. WONK UNIT sind fast zufällig entstanden. Ich hatte nie vor, wieder Punk zu machen, aber das Nüchternsein hat mir die Tür zu talentierten Musikern geöffnet, während vorher alle nur Idioten waren. Mir wurde klar, dass Punk wieder aufregend sein kann, und hier sind wir nun, mit Album Nummer zehn oder so? Es ist einfach wunderbar, Musik nur für mich selbst zu machen, es ist so wichtig für mich. Sie treibt mir die Dämonen aus.

„Anger is an energy“, sang John Lydon einmal mit PiL – woher nimmst du deine Energie?
Alex: Ich schreibe nie, wenn ich glücklich bin, denn ich habe dann kein Bedürfnis zu schreiben. Ich schreibe, weil ich das brennende Verlangen habe, mich von allem zu befreien, was mich quält, sei es Liebe, Sucht oder Schmerz. Skateboarding macht mich am glücklichsten.

Aus dem letzten Ox-Interview weiß ich, dass du schon vor einigen Jahren mit dem Trinken aufgehört hast. Wie sehr hängt deiner Meinung nach der Gebrauch von Drogen in der Punk-Szene mit dieser „Energie“, den zerstörerischen und kreativen Kräften zusammen?
Alex: Ich habe keine Zeit für verbitterte, abgestumpfte Arschlöcher, die ihre Abhängigkeit verleugnen. Ich sehe so viele talentierte Musiker, die nach und nach ihre Seelen an ihr Gift verlieren. Für den Nicht-Süchtigen kann der Freizeitkonsum von Alkohol und Drogen wirklich Spaß machen und hilfreich sein, aber für den geborenen Süchtigen ist es ein Weg ins Elend und zum Verlust. Ich habe alle Zeit der Welt für alle Mit-Süchtigen da draußen, die gesund werden wollen.

Die Punk-Szene brüstet sich immer damit, wie sehr sie sich um alle möglichen Dinge kümmert, aber wenn es um Drogen geht, um Speed oder Koks, schweigt sie. Viele ziehen es vor, ein bisschen Pulver zu schnupfen, anstatt darüber nachzudenken, dass sie mit ihrem Geld Drogenbarone auf der ganzen Welt unterstützen. Dein Standpunkt?
Alex: Ja, verdammte Heuchler. Die unglaubliche Ironie ist, dass viele moralisch rechtschaffene Freiheitskämpfer ihr K von vergewaltigendem, mordendem, tyrannischem Abschaum kaufen. Scheiß auf sie.

Für dieses Album hat Vez einige Songs geschrieben und gesungen. Ein Zusammenhang mit der notwendigen Debatte über die Unterrepräsentation von nicht-männlichen Personen in der Punk-Szene?
Alex: Das lasse ich Vez beantworten. Ich kann aber sagen, dass sie die beste Songwriterin ist, die ich je getroffen habe. Ich liebe Vezzy über alles.
Vez: So sehr ich auch meine Haltung als Feministin und Frau in der Punk-Szene vertrete, möchte ich nie, dass diese über meine Position als Künstlerin und Musikerin gestellt wird. Nicht alles, was wir sagen oder tun, ist zwangsläufig ein Statement oder eine Auseinandersetzung mit einer bestimmten Debatte. Ich habe „Raise my glass“ und „Bloodstains“ geschrieben und aufgenommen, weil Alex auf mich gesetzt hat, mich als Künstlerin mag und denkt, dass unsere Arbeit sich gut ergänzt. Diese Songs spiegeln einfach mein Leben wider, so wie die meisten WONK UNIT-Songs das Leben von Alex widerspiegeln. Alex wollte diese Lieder auf „Uncle Daddy“ haben, weil er sie mochte, und zufällig bin ich eben auch eine Frau. Es machte zu der Zeit einfach Sinn, unsere Arbeit zusammenzubringen. Es hatte den schönen Nebeneffekt, dass sich viele unserer nicht-männlichen Fans dadurch mehr gesehen fühlten, und so eine Sichtbarkeit ist wichtig, egal aus welchem Grund wir sichtbar sind. „Female-fronted“ ist kein Genre, und wenn Musik nur auf das Geschlecht reduziert wird, kann es dazu führen, dass ein Teil ihrer eigentlichen Message verlorengeht. So lange Frauen in der Szene noch als Novum gelten, bleibt die Unterrepräsentation weiterhin ein Problem.

Apropos, Vez: Es gibt mehr Synthesizer auf dem Album. Was ist sonst noch neu und anders?
Vez: Das wichtigste „neue“ Element ist, dass die meisten Songs auf „Uncle Daddy“ zwar von Alex geschrieben wurden, einige aber bei den Proben von uns beiden zusammen erarbeitet wurden. Es war schön, in der Anfangsphase des Albums einen gemeinsamen kreativen Input zu haben, das hat uns als Band wirklich zusammengeschweißt und uns als Musiker vorangebracht. Ich weiß, dass ich auch für unseren Schlagzeuger Max spreche, wenn ich das sage.
Alex: Was anders ist? Vielleicht die Bitterkeit. Es ist die wütendste Platte bisher. Ich war wirklich wahnsinnig, als ich einige Sachen aufgenommen habe. Die meisten Gitarrenparts habe ich mit einer Telecaster eingespielt. Normalerweise hasse ich Telecaster, hahaha.

WONK UNIT werden oft für ihre energiegeladene Bühnenshow gelobt. Was sind deine eigenen Erwartungen an eine gute Show, und was erwartest du von anderen Bands, die du live siehst?
Alex: Ich weiß nie, wie ich auf der Bühne sein werde. Ich schauspielere nicht. Ich finde es unmöglich, mich an Setlisten zu halten. Wir sind keine Band, die eine Bühnenshow probt. Ich scanne den Raum und gebe das, was das Publikum will. Ich gebe absolut alles, bei jedem einzelnen Gig. Es ist mir egal, ob es vor fünf oder 5.000 Leuten ist. Ich liebe WONK UNIT und ich liebe unsere Auftritte. Ich habe Spaß. Nur wenige Bands bringen mich wirklich in Fahrt. Ich liebe es, von anderen Bands unter Druck gesetzt zu werden. Ich mag es, wenn ich mich steigern muss, wenn die Band, die vor uns auftritt, es absolut krachen lässt. Macht mich nervös, blast uns live weg, ich würde mich gerne herausgefordert fühlen und als der größte Frontmann im Punkrock entthront werden.

Was macht Kidnap Music zu eurem perfekten Partner für Deutschland, wie seid ihr auf Alex und PASCOW gestoßen?
Alex: Wir haben vor ein paar Jahren mit PASCOW auf dem Ruhrpott Rodeo gespielt und die Band CHRISTMAS hat mich mit der Kidnap-Familie bekanntgemacht. Ich finde es gut zu wissen, dass es in Deutschland ein Plattenlabel gibt, das sich richtig um unseren Kram kümmert, und ich hier nicht allein bin, der Ein-Mann-Wonk-Kaiser, der ein paar Platten über die sozialen Medien verhökert, haha. Ich habe keine Ahnung vom Geschäft, ich liebe einfach die künstlerische Seite der Dinge.

Kannst du uns ein paar Songtexte erläutern? Fangen wir an mit „Traditional punk song“.
Alex: WONK UNIT waren schon immer politisch, aber auf eine subtile Art, dieser Song ist alles andere als das. Ein riesiger Prozentsatz der Babyboomer, der gesegnetsten Generation, die je gelebt hat, hat es geschafft, das Vereinigte Königreich und die Zukunft unserer Jugend gefühlt in kürzester Zeit zu versauen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Tories eines Tages aus dem Amt entfernt werden. Füttere die Boomer weiter mit Hass und sie werden die miesen Bastarde weiter wählen. Die Labour-Partei in Großbritannien ist am Ende. Jeremy Corbyn war als Parteivorsitzender unsere letzte Hoffnung. Scheiß drauf, was Labour getan hat. Ich habe meine Mitgliedschaft gekündigt, als sie ihm 2020 in den Rücken gefallen sind. Er hat eine ganze Generation wieder aufgerüttelt, er hatte den Menschen den Glauben an die Politik zurückgegeben und ihnen gezeigt, dass es nicht so sein muss, wie es ist. Ich werde der Labour-Partei zähneknirschend dennoch immer meine Stimme geben, denn wer sonst hätte eine Chance zu gewinnen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das Ende der Tory-Herrschaft in den nächsten zehn Jahren kommen wird. Wir sind am Arsch.

„The pathetic merry go round of existence“?
Alex: Haha, ich habe mich in den letzten zwei Jahrzehnten so gut erholt, dass ich das Leben wirklich geliebt habe. Ich leide zwar nicht an Depressionen, aber in den seltenen Fällen, in denen ich es tue, fühle ich mich sehr düster, auf so eine Morrissey/THE SMITHS-Art, haha. Die Scheiße wiederholt sich, alles verläuft in Zyklen. Das jämmerliche Existenz-Karussell, hahaha.

„Cyclists“?
Alex: Ich bin selbst Radfahrer. Und ich respektiere den Verkehrsfluss und denke nicht, dass man als Radfahrer die Straße blockieren sollte, nur weil man dazu verleitet wird. Die Anspruchshaltung von einigen Radfahrern bringt aber den Rest von uns in Verruf. Das Gesetz der Straße besagt, dass du als Radfahrer auf größere Fahrzeuge Rücksicht nehmen solltest, weil sie dich zermalmen könnten und schwieriger zu beherrschen sind. Das sagt einem der gesunde Menschenverstand. Ich habe den Song geschrieben, als ich auf dem Weg zu einem Festival eine Stunde lang in einer Autokolonne hinter zwei Radfahrern auf einer Landstraße feststeckte.