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1984

Jean-Christophe Derrien, Rémi Torregrossa

Gut, wenn man erst kürzlich die literarische Vorlage einer Graphic Novel gelesen hat, denn es hilft ungemein bei der Einschätzung der immer auf Verkürzung und Reduktion setzenden zeichnerischen und textlichen Umsetzungsweise dieser Kunstform. Und ich muss ganz klar sagen: Die Franzosen Jean-Christophe Derrien („Szenario“) und Rémi Torregrossa (Zeichnungen) haben einen maximal leidlich guten Job gemacht. Orwell skizziert in seinem dystopischen Roman aus dem Jahr 1948 einen Überwachungsstaat, in dem nicht nur alle Bürger:innen ständig überwacht werden (zuhause von einem Bildschirm mit Kamera, auf dem der „Große Bruder“ permanent präsent ist), sondern in dem auch ein „Wahrheitministerium“ damit beschäftigt ist, die Sprache selbst zu reduzieren, mit dem Ziel, dass irgendwann das, was nicht gesagt werden darf, auch schon rein lexikalisch unausdrückbar geworden ist. Zudem wird permanent die Berichterstattung und Geschichtsschreibung angepasst. Hauptfigur ist Winston Smith, der in eben jenem Ministerium arbeitet, zu zweifeln beginnt, zum Dissidenten wird – und gebrochen und linientreu endet. Der Roman ist purer Horror, ungemein intensiv – und in Form einer Graphic Novel nur rudimentär und fragmentarisch umsetzbar bzw. umgesetzt worden. Zeichnerisch ist an diesem zu 99% mit Schwarzweißbildern arbeitenden Werk nichts auszusetzen, aber so ziemliche alle enorm wichtigen Details, der Kontext, viel Subtext, bleiben auf der Strecke. Mir kommt diese Umsetzung vor, als habe man hier eines der wichtigsten Werke der Weltliteratur in den Blinkist-Schredder geworfen. Taugt meines Erachtens maximal als Teaser für das „richtige“ Buch.