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CRASS

The Feeding Of The 5000 / Stations Of The Crass / Penis Envy / Christ The Album / Yes Sir, I Will / Best Before 1984

Über die Jahre ist das musikalische Vermächtnis von CRASS (1977-1984) immer wieder neu aufgelegt worden. So war zuletzt 2010-2012 unter dem Namen „The Crassical Collection“ der Großteil der Releases der britischen Anarchopunk-Ikonen überarbeitet worden, sowohl im LP- wie im CD-Format.

Und hier beginnt die Verwirrung: Damals war noch Southern Records zuständig, die verkündeten im August 2010 auf ihrer alten Website, die archiviert wurde, nach neuen CD-Versionen auch die Neuauflage von „The Feeding Of The Five Thousand“, „Stations Of The Crass“, „Penis Envy“ und „Christ The Album“, „repressed from new DMM metalwork created from the original vinyl master tapes, in the original poster sleeves“.

Seitdem sind fast zehn Jahre vergangen und mittlerweile kümmert sich One Little Indian um den CRASS-Katalog – jenes Label, das 1985 von FLUX OF PINK INDIANS-Bassist Derek Birkett gegründet wurde und das wie einst Southern einen direkten Bezug zu jener UK-Anarchopunk-Szene der frühen Achtziger hatte.

Und auf diesem Wege sind nun das 1978er CRASS-Debütalbum „The Feeding Of The 5000“, „Stations Of The Crass“ (1979), „Penis Envy“ (1981), „Christ The Album“ (1982), „Yes Sir, I Will“ (1983) und „Best Before 1984“ (1986) neu aufgelegt worden.

Auf der Plastikhülle, in der die aufwendigen Faltcover stecken, prangt jeweils der Sticker „Remastered by Alex Gordon at Abbey Road Studios, as close as possible to the sound of the original release, ‚as it was in the beginning‘.“ Es scheint sich also um neu remastertes Vinyl zu handeln (Discogs listet nur Arbeiten seit 2015 von ihm), nicht nur um Nachpressungen von „The Crassical Collection“, aber das ist mangels verlässlicher Quellen aktuell nicht verifizierbar.

Kein Grund also, seine alten CRASS-Platten zu verkaufen, auch wenn der Sound der Neuauflagen auf mich wirklich sehr frisch wirkt. Was nun das Werk von CRASS grundsätzlich betrifft, so kann man sie in ihrer Bedeutung für die Ausformung der Punk-Szene von einer juvenilen Protest- und Provokationsbewegung sowie einem Kunst- und Pop-Phänomen hin zur ernsthaft für gesellschaftliche Veränderungen eintretenden, ja kämpfenden Bewegung gar nicht überbewerten.

Deutlich machen das die Passagen mit Penny Rimbaud und Gee Vaucher (beide sind mittlerweile im Punk-Opa- und Punk-Oma-Alter und sehen auch so aus) in dem 2011er Dokumentarfilm „Noise & Resistance“, in dem es um die weltweite DIY-Bewegung geht, für die CRASS bis heute direkt wie indirekt Vorbilder sind.

Punk als die gesellschaftlichen Verhältnisse in Frage stellende, gegen die Grenzen von überkommener Moral, Geschlechterverhältnissen, Religion und Nation angehende Idee wurde musikalisch, inhaltlich, stilistisch und ikonografisch maßgeblich von der Band aus Südengland geprägt.

Deshalb ist es so wichtig, dass das von Grafikerin Gee Vaucher geschaffene Artwork im dem Original sehr ähnlichen Faltposter-Style – man braucht hier schon die Fläche einer Bettdecke, um es auszubreiten und die Texte lesen zu können – enthalten ist.

2011 schrieb ich: „Blasiertes Feuilleton-Pack und linke Spießer, für die Punk ein lustiges Phänomen war und ist, die kurz gesagt nichts kapiert haben, sollten sich mal Texte wie ‚The Gasman Cometh‘ von ‚Stations Of The Crass‘ zu Gemüte führen – ein universelles, auch heute angesichts von Protesten in Griechenland oder Ägypten noch aktuelles Szenario von staatlicher Unterdrückung und der vielfachen Gleichgültigkeit dafür.“ „The Feeding Of The 5000“ war das Debütalbum, das auf Small Wonder erscheinen sollte und schon bei der Herstellung Probleme machten: Die Arbeiter im Presswerk weigerten sich, die Platte wegen des angeblicher blasphemisches Inhalts von „Asylum“ (mit der schönen Zeile „I vomit for you Jesu“) zu pressen – CRASS gründeten daraufhin ihr eigenes Label, wo auch die weiteren Alben erschienen.

„Stations ...“ kam zuerst 1979 raus, als Doppel-12“, deren Seiten 1, 2 und 3 auf 45 rpm liefen, wohingegen Seite 4 auf 33 rpm lief und 17 Live-Songs aus dem Jahre 1979 enthielt. 1981 folgte „Penis Envy“, das Album, auf dem Steve Ignorant aus konzeptionellen Gründen nicht als Sänger zu hören ist, denn dem Freud’schen Penisneid-Konzept folgend ging es auch um Feminismus – und so übernahm Eve Libertine (teils auch Joy De Vivre) den Gesang.

Musikalisch präsentiert sich das Album elaborierter als die ersten beiden, die durch ihren Maschinengewehr-Rhythmus und scharf gebellte Vokalpassagen große Härte ausstrahlen. Mit nur neun Stücken sowie dem Bonustrack „Our wedding“ (seinerzeit inkognito als Flexi-7“ als Beilage eines Jugendmagazins erschienen) war und ist „Penis Envy“ ein kurzes Vergnügen.

„Christ The Album“ schließlich erschien nach einjähriger Arbeit daran 1982 als Doppelalbum – und frustrierte die Band, war es doch im Februar 1982 fertiggestellt worden, zum Veröffentlichungszeitpunkt aber bereits „veraltet“, denn mit dem im April 1982 begonnenen Falkland-Krieg (Großbritannien gegen Argentinien) hatte der Protest gegen die Regierung Thatcher einen Höhepunkt erreicht, ohne dass das auf dem Album kommentiert werden konnte.

Die Non-Album-Singles „Sheep Farming In The Falklands / Gotcha“ (1982) und „How Does It Feel To Be The Mother Of 1000 Dead? / The Immortal Death“ (1983) waren das Resultat. Musikalisch waren CRASS nach ihrem „Penis Envy“-Ausflug auf „Christ“ wieder so scharf und bissig wie zuvor.

15 Songs enthielt das originale Album, 15 sind auch auf der Neuauflage an, und auf LP2 finden sich die Live-Songs von „Well Forked – But Not Dead“. Zusammen mit Penny Rimbauds Buch „Shibboleth“ und Steve Ignorants Autobiografie ist der CRASS-Katalog Pflichtmaterial, dessen Kenntnis man bei jedem, der ernsthaft mit Punk sich auszukennen und zu beschäftigen vorgibt, voraussetzen muss.