BAD RELIGION

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Exzessive Gewalt in Musik verpackt

Brett Gurewitz, der Boss von Epitaph Records und Gitarrist von BAD RELIGION, hält anlässlich der anstehenden Veröffentlichung von „The Empire Strikes First“ Hof im Kölner Hyatt-Hotel, das 14. Album seiner Band. Und da es nun mal so ist, dass der Herr ein sowohl netter wie sehr vielseitiger und kompetenter Gesprächspartner ist, fand ich mich Ende April in einem schicken Konferenzzimmer des Hotels ein, lümmelte mich wie Gurewitz in einen der wirklich enorm mächtigen Lederchefsessel, ließ meinen Blick über den in der Sonne glitzernden Rhein gen Dom schweifen, nippte am eben servierten Kaffee, dachte „Punkrock!“ und begann meine messerscharfen, knallharten Fragen zu stellen.

Brett, wie viel Kaffee erlaubt der Doktor denn?

„Eine Menge! Ich trinke jeden Morgen italienischen Espresso, vier davon zusammen in einer dieser riesigen amerikanischen Kaffeetassen – und davon dann zwei.“

Die Droge deiner Wahl.

„Ja, und meine einzige. Das heißt Kaffee und Sex. Und Zucker nehme ich auch nicht mehr in den Kaffee. Ich habe festgestellt, dass mich der nur noch hungriger macht, von daher versuche ich mich einzuschränken.“

Dann gleich mal zum Thema. Das neue BAD RELIGION-Album ist sehr politisch geworden, und das bringt mich zur Frage, ob du diese Website conservativepunk.com kennst.

„Oh mein Gott, sind diese Typen denn verrückt? Dave Smalley ist da Kolumnist, das kotzt mich an. Diese Typen haben jetzt ihr Coming-Out, auch wenn es solche Meinungen schon immer im Punk gab, nimm nur SKREWDRIVER. Nur hat bislang kaum mal jemand drüber gesprochen, und ‚conservative punk‘ ist ja vielleicht auch nur ganz altmodischer Faschismus. Johnny Ramone wird auf dieser Website auch zitiert, wobei im Gegensatz zu ihm Joey und DeeDee eine ganz andere Meinung hatten. Aber, haha, das verleiht dem Eisernen Kreuz, mit dem sich Johnny seine Lederjacke schmückte, eine neue Bedeutung. Mich macht diese ganze Sache wütend, ich bin der Meinung, für solche Standpunkte ist im Punkrock, ja im Rock‘n‘Roll an sich, kein Platz. Wenn diese Typen Mitglied bei den ‚Young Republicans‘ werden wollen, dann sollen sie doch! Ich halte das lieber mit Jello Biafra und sage ‚Nazi punks fuck off!‘“

Also ist Punkrock auch im Jahr 2004, nach dem Durchlaufen so ziemlich aller Stadien der Kommerzialisierung, noch notwendigerweise offen politisch?

„Es gab sicher eine Zeit, da Punk immer weniger politisch wurde. BAD RELIGION machen da keine Ausnahme: Die erste Platte, ‚Suffer‘, mit einem Song wie ‚The land of competition‘, und ‚No Control‘, sind politische Alben. Mitte der 90er dann, mit ‚Recipe For Hate‘ und ‚Stranger Than Fiction‘, vergaßen wir dann zwar nicht unsere politischen Wurzeln, aber andere Themen – auch persönliche – schienen uns wichtiger. Die neue Platte nun ist unsere bisher politischste, politischer als ‚No Control‘ und ‚Generator‘. Auf ‚Generator‘ brachten wir unseren Protest gegen den ersten Golfkrieg zum Ausdruck. Jetzt, zwölf Jahre später, sind wir wieder genau am gleichen Punkt angelangt: Damals lag die US-Wirtschaft am Boden, die Arbeitslosigkeit war hoch, das Haushaltsdefizit groß wegen Reagans massiver Steuererleichterungen für die Reichen, und wir zogen gegen den Irak in den Krieg – unter einem Präsidenten namens Bush. Und jetzt frage ich dich: Was ist heute anders?
Auf ‚Generator‘ stellten wir Fragen nach der Bedeutung von Religion in Verbindung mit Politik, wir schrieben einen Antikriegs-Song, aber alles in allem war es eine ziemlich poetische Platte, zumindest für Punk-Verhältnisse. Beim neuen Album war meine Meinung, sich von der ganzen Poesie zu verabschieden und klar unsere Botschaft zum Ausdruck zu bringen, damit sie jeder hört, auch wenn sie nicht jeder versteht. Deshalb haben wir die Platte ‚The Empire Strikes First‘ betitelt, mit Songs wie ‚Let them eat war‘ oder ‚Los Angeles is burning‘. Die Aussage ist unmissverständlich: Die Welt ist verrückt geworden, es hat sich alles verdreht und es ist einfach nicht okay, wenn die USA andere Länder provozieren und gegen den Willen der restlichen Welt angreift. Und um auf Punkrock an sich zurückzukommen: Ich weiß ehrlich nicht, wer heute die Stimme der Jugend sein soll, die Stimme des Rock‘n‘Roll – ich höre sie nicht. Klar, BAD RELIGION machen den Mund auf, aber ich bin 41, die anderen nicht viel jünger. Da wäre es schon gut, wenn andere Bands diese Lücke schließen.“



Kennst du junge Bands, die das Zeug dazu haben?

„Mit Einschränkungen. Ich habe gerade eine Band aus der Bay Area gesignt, THE COUP – nur ist das keine Punkband, die machen Hip-Hop. Aber sie sind politisch radikal und werden textlich sehr deutlich. Und dann kommt ja ‚Armed Love‘, die neue Platte von THE (INTERNATIONAL) NOISE CONSPIRACY, ein sehr politisches Album, aber das ist ja auch keine neue Band. Von daher stelle ich mir auch die Frage, wo die Stimme des Dissens‘ aus dem neuen Underground ist. Stattdessen gibt es conservativepunk.com, gibt es all diese neuen Punkbands, die eigentlich christliche Bands sind: die stehen auf Bush, weil er einer dieser Born-Again Christians ist! Ich verstehe das nicht! Ich verstehe das einfach nicht, genau wie ich auch Straight-Edge nie verstanden habe. Es ist also Punk, die Zehn Gebote zu befolgen? Schon mal was von freiem, eigenständigem Denken gehört, davon, alle Dogmen abzulehnen?“

No gods, no masters ...

„... think for yourself. Genau. Mich frustriert das alles, und speziell diese ‚conservative punk‘-Sache, die ja eigentlich ein Oxymoron darstellt.“

Wie gehst du mit dem Konflikt um, der sich etwa bei einer Band wie T(I)NC auftut, wo radikale, deutliche und kluge Aussagen in einem – zumindest sehen das manche Leute so – Kontrast stehen zur Kommerzialisierung von Musik.

„Ach, für mich ist so was kleinlich, reine Erbsenzählerei. THE CLASH waren eine sehr politische Band, aber auch die Mitglieder von THE CLASH besaßen Autos, die sie mit Benzin betanken mussten, wie jeder andere auch. Mein Punkt ist: Ich liebe Musik, das war die erste Liebe meines Lebens. Aber abgesehen von meiner Liebe zur Musik als einer Form von Kunst glaube ich auch, dass Musik die Kraft hat, gesellschaftliche Veränderungen hervorzurufen. Man kann jetzt also die Musik von THE CLASH betrachten und andererseits die Tatsache, dass Bandmitglieder schöne Häuser in einem schönen Stadtteil besitzen – huch, wie heuchlerisch! Aber das wiederum verhindert nicht, dass ihre Musik eine starke Kraft zur Veränderung entwickelt hat. Ich finde das gut! Oder nimm John Lennon: Als ich damals ‚Imagine‘ hörte, kam das für mich einem religiösen Lied gleich!“

Und weißt du, was die hier in Deutschland gemacht haben? RWE, der größte Atomkonzern, hat die Rechte an dem Song für eine Coverversion gekauft und setzt die zur Untermalung eines TV-Spots ein. Dazu fällt einem nichts mehr ein.

„So was macht mich wahnsinnig! Für mich war ‚Imagine‘ damals das Lied, das mein Wertesystem prägte. Mich bewegte es dazu, ein besserer Mensch werden zu wollen. Und ich hoffe, da draußen ist irgendwo ein junger, neuer John Lennon, dessen Weltsicht eine andere ist als die von Dave Smalley.“

Kommen wir noch mal auf den vermeintlichen Widerspruch zurück, einerseits etwas zu sagen zu haben – wie etwa T(I)NC, und andererseits damit wirtschaftlich erfolgreich zu sein.

„Hm, ja, es gibt da einen gewissen Konflikt, ich kann das nicht leugnen. Und mit ‚Man with a mission‘ habe ich auf dem ‚Recipe For Hate‘-Album auch einen Song dazu geschrieben: eine Textzeile lautet da ‚Everyone is a hypocrit‘, ‚Jeder ist ein Heuchler‘. Die Welt ist eben nicht schwarz und weiß, wie ich als Kind noch dachte, es gibt Abstufungen. Im Buddhismus heißt es sinngemäß, man solle auf sein Leben und seine Arbeit zurückblicken und versuchen Gutes zu tun. Wenn ich das mache, sehe ich Platten und Musik, die ich gemacht habe, mit denen ich Geld verdiene, und ich denke nicht, dass ich jemanden verletzt habe. Dass jedoch meine Schuhe Gummisohlen haben, die aus Öl hergestellt wurden, an dem die Familie von George W. Bush verdient hat, darüber kann und will ich mir keine Gedanken machen. Also ja, es gibt Widersprüche auch in meinem Handeln, aber ich denke, man muss sich auch das Große, Ganze anschauen, ein gutes Leben leben und für das Positive eintreten. Und sowieso wird es dieser Tage ja nicht leichter für Musiker zu überleben, denn die Leute wollen für CDs kein Geld mehr bezahlen. Von daher muss man auch sagen, dass der Musikbereich sowieso keiner ist, den sich jemand aussucht, der nur am Geld interessiert ist.“

Du hast es eben schon erwähnt: Die CD-Verkäufe gehen allenthalben zurück, Downloader und Filesharer werden von Anwälten verfolgt – wie stehst du dazu, wie sehr ist Epitaph betroffen, das ja jüngst auch seine Belegschaft etwas reduziert hat?

„Eins vorweg: Wir sind eine Indie- und Punkrock-Firma, wir haben diesen D.I.Y.-Hintergrund und deshalb mussten wir schon immer mit wenig auskommen, und tun das bis heute – im Gegensatz zu den großen Plattenfirmen. Von daher leiden wir derzeit weniger unter den Problemen der Musikindustrie als andere. Die Majors sind in großen Schwierigkeiten, keiner von denen hat eine Idee, was gerade abgeht und was sie machen sollen – die haben einfach nur Angst. Ich habe ständig Meetings mit Managern von Majorlabels, die mich zum Mittagessen einladen und von mir wissen wollen, wie meiner Meinung nach die Plattenfirma der Zukunft aussieht. Und die bekommen immer diese simple Antwort, die sie freilich nicht hören wollen: ‚In der Plattenfirma der Zukunft werden die Angestellten mit fliegenden Autos zur Arbeit kommen und Roboter kochen uns das Essen‘. Hehe. Okay, aber das ist die ferne Zukunft. Was die nahe Zukunft anbelangt, so habe ich keine Idee. Grundsätzlich weiß ich natürlich, dass die Leute keine Lust mehr haben auf CDs, und die MiniDisk saugt auch. Von daher kann eine Antwort lauten, mit einem cooleren Format aufzuwarten. Ich bin kein Wissenschaftler, von daher kann ich das nur aus dem Bauch heraus sagen, aber es müsste so was sein wie der iPod von Apple, in den man gekaufte Alben im Memory-Stick-Format einschiebt oder so was in der Art. Etwas, das klein, sexy und cool ist. So was wird jemand erfinden, und die Umsätze der Musikindustrie werden wieder explodieren.“

Du glaubst also, die Leute werden wirklich auch weiterhin in einen Laden gehen, um Musik zu kaufen?

„Ja, aber das, was sie da kaufen sollen, muss cool sein. Ich meine, du weißt doch, die Leute kaufen alles, die sind Konsumenten, die wollen kaufen! Du musst ihnen nur was geben, was gut ist. Die CD ist einfach ein altes Medium, eine alte Technologie, ist nicht mehr cool und sexy, bekommt Kratzer und sieht beschissen aus.“

Aber wie willst du die Leute dazu „erziehen“, wieder etwas zu kaufen, das sie derzeit in Form von Download-mp3s umsonst bekommen können?

„Also ich denke, dass das neue Format, wie immer das aussehen mag, nur eine andere Art sein wird, mp3s zu kaufen. Klar kann man sich die auch downloaden, aber das braucht Zeit, das ist Arbeit, und es gibt viele Leute, die einfach nur in den Plattenladen gehen wollen, um sich die ‚Greatest Hits‘ von QUEEN zu kaufen. Die wollen die gleich haben, nicht downloaden und danach suchen! Klar wird es auch weiterhin Leute geben, die Spaß daran haben, sich Musik umsonst zu besorgen, aber das Problem der Musikindustrie ist von ihr selbst ausgelöst: Sie bietet den Leuten einfach nichts Cooles zu kaufen. Und dazu kommt, dass zu viele Platten rauskommen, aber nicht genug wirklich gute. Platten dürfen nicht nur zwei, drei gute Songs enthalten, das ist auch eine Lehre, die uns das mp3-Phänomen erteilt: Nimm‘ ‚Exile On Mainstream‘ von den ROLLING STONES, da sind nur gute Songs drauf und nicht nur zwei. Klar kannst du davon einen downloaden, aber dann hast du eben nicht dieses Album, auf dem jeder Song gut ist, bei dem die Reihenfolge perfekt ist. Okay, jetzt habe ich mich als alter Mann geoutet, aber egal. Oder nimm die BEATLES, die beste Band aller Zeiten: Die waren nur sechs Jahre zusammen, und jede ihrer Platten hat vielleicht zwei shitty Songs, aber eben auch zehn außergewöhnliche. Und so lautet eine weitere Forderung, dass die Plattenfirmen die Musiker zwingen müssen, bessere Platten zu machen.“

Aber jeder, der ein Plattenlabel macht – also auch du – ist doch überzeugt, die besten Platten überhaupt zu veröffentlichen.

„Hm, nein, da stimme ich dir nicht zu. Viele der Typen, die ich aus diesem Business getroffen habe, sind nur auf Planerfüllung aus – Hauptsache, jeden Monat kommt eine bestimmte Anzahl neuer Releases.“

Aber bei Epitaph ist das anders ...

„Na ja, ich mag auch nicht wirklich jede Platte, die ich veröffentlicht habe. Sehr oft bin ich leidenschaftlicher Fan unserer Veröffentlichungen, aber es kommt eben auch vor, dass ich eine Band signe, und dann nimmt sie eine Platte auf, die nicht das Potential der Band widerspiegelt, und wo ich froh wäre, sie nicht herausbringen zu müssen. Aber ich bin eben nicht die Art von Plattenboss, der einer Band sagt, sie müsse noch mal ins Studio und die Platte noch mal aufnehmen. Es ist ja schließlich deren Kunst, die müssen daran glauben, und wenn sie zufrieden sind, ist es eben, wie es ist. Es ist eine schwierige Entscheidung, und manchmal muss man einer Band auch die künstlerische Freiheit zugestehen, eine miese Platte zu machen. Und dann gibt es ja auch noch die Hoffnung, dass ich mich täusche, und die Platte brillant ist, haha.“

Wie viele Stunden hat eigentlich dein Tag – 48? Wir reden hier vom Plattenmachen, und du hast eben erst selbst mit BAD RELIGION eine neue Platte gemacht, davor ein Projekt namens ERROR, dazu produzierst du und bist auch noch der Boss von Epitaph.

„Hahaha, also ich habe zwar viele verschiedene Jobs, aber die mache ich nicht alle gleichzeitig, von daher geht das schon. Epitaph ist meine Firma, ich bin der Boss, aber der muss ja nicht alles selbst machen, und so habe ich gute Leute, die für mich arbeiten. Die habe ich eingestellt und geschult, die wissen, wie ich über bestimmte Dinge denke, die können für mich entscheiden, und ich vertraue ihnen. Im Zweifelsfall fragen sie mich, ansonsten versuche ich es zu vermeiden, zwei Dinge gleichzeitig zu machen. Wenn eine neue Platte ansteht, dann mache ich nur das, wenn ich produziere, konzentriere ich mich darauf, und wenn ich ein Interview gebe, dann telefoniere ich auch nicht. Es hat Jahre gedauert, das zu lernen – viele Jahre, einen kompletten Zusammenbruch, und beinahe wäre ich auch noch gestorben. Denn weißt du, was passiert, wenn du all deine Arbeit erledigt hast? Du hast nur noch mehr Arbeit geschaffen! Du schafft es nie wirklich, alles zu Ende zu bringen. Ich gebe auch zu, dass ich mittlerweile E-Mails einfach lösche, denn manche Leute nutzen die wie einen Chat, und das kostet verdammt viel Zeit. Und so ist das ganze Leben. Wirklich geschafft kriegst du nie was, und dann stirbst du. Von daher darf man sich da nie zuviel Gedanken drüber machen.“

Dann sprechen wir doch mal darüber, was du so gemacht hast in letzter Zeit. ERROR zum Beispiel.

„Ich war schon immer ein Fan von harter, extremer Musik, und es gab mal eine Zeit, als die Musik von BAD RELIGION als das wahrgenommen wurde, doch diese Zeit ist lange vorbei. Wir haben zwar immer noch eine Menge Energie, doch die Musik generell hat sich eben weiterentwickelt. Als Künstler, als Musiker wollte ich aber mal was machen, das über mein bisheriges Schaffen hinausgeht. Und so kam ich zusammen mit meinem Nachbarn und Freund Atticus Ross auf die Idee, ein gemeinsames Projekt zu starten. Er ist Programmierer und Soundtüftler, arbeitet mit den Hughes-Brüdern an der Musik zu Horrorfilmen, mit Trent Reznor von NINE INCH NAILS, mit Clint Mansell von POP WILL EAT ITSELF und so weiter. Er ist aber kein Songwriter, sondern eben Programmierer, und so kamen wir eines Tages auf die Idee, gemeinsam was zu machen: Ich als jemand, der vom Machen elektronischer Musik keine Ahnung hat, sie aber mag, und er, der auf Punk steht, aber nicht weiß, wie man so was macht. Das Ziel war also, möglichst extreme Musik zu machen, und so habe ich mich um einen Sänger gekümmert, Greg von DILLINGER ESCAPE PLAN, den ich kannte, weil ich ja eine EP mit denen auf Epitaph gemacht habe. Er stellte sich als perfekter Sänger für dieses Projekt heraus, wobei die Leute ERROR entweder lieben oder hassen, je nachdem, ob sie auf Industrial Noise stehen oder nicht. Mein Ziel war, dass jemand ‚normales‘ die CD einlegt und dann sagt, das sei ja gar keine Musik – dann habe ich mein Ziel erreicht, hehe. Und so war das früher auch mit BAD RELIGION-Platten, doch da kommt heute nur ein ‚Ach, das ist aber nett!‘. Bei ERROR habe ich völlige musikalische Freiheit, das ist exzessive Gewalt in Musik verpackt, nur so zum Spaß.“

Hat ERROR eine Zukunft?

„Ja, wir arbeiten nach der EP jetzt am Album. Und live soll das natürlich auch stattfinden, wobei Atticus und ich da nicht involviert sein müssen – ich sehe uns da eher in einer Rolle wie die Dust Brothers, als Produzententeam. Auf jeden Fall involviert wäre Leopold Ross, und dazu noch andere geeignete Musiker, die ERROR live auf die Bühne bringen können, zusammen mit Bands wie NINE INCH NAILS, THE LOCUST, DILLINGER ESCAPE PLAN oder MOGWAI. Und ich würde im Publikum stehen und hätte meinen Spaß – man muss seine Kinder auch ziehen lassen.“

Was sind deine Prioritäten in Sachen BAD RELIGION?

„Also ich werde ein paar Shows in den USA und Europa spielen, aber meine Arbeit habe ich im Vorfeld der Albumveröffentlichung gemacht, beim Songwriting und im Studio. Vier Monate haben wir uns ums Songwriting gekümmert, drei Monate geübt, aufgenommen und gemischt, doch jetzt, da die Platte fertig ist, sehe ich meine Arbeit als erledigt an. Mag sein, dass das ein paar Fans nicht verstehen, aber das ist mir egal. Wenn ein Album ansteht, ist das eben sehr viel harte Arbeit im Vorfeld, ich ziehe mich in die Berge zurück, nur mit meiner Gitarre, und schreibe neue Songs, konzentriere mich auf die Texte. Die anderen in der Band verstehen dann auch, dass ich nicht mit auf Tour gehe, denn ich habe ja noch das Label – und das war auch 1995 der Grund für meinen Ausstieg. Außerdem will ich ja auch nicht Brian Baker oder Greg Hetson ihren Job streitig machen. Wobei es natürlich durchaus cool kommt, wenn wir mit drei Gitarren spielen, aber wir sind ja nicht die LYNYRD SKYNYRD des Punk, hahaha. Ich denke, ich kann einfach im Vorfeld einer Albumveröffentlichung viel mehr für die Band tun als hinterher und setze so meine Prioritäten. Und sowieso gibt es Tolleres als mich alten Mann auf einer Bühne zu sehen, hahaha.“

„Los Angeles is burning“ ist ein Song auf der neuen Platte – warst du von den großen Bränden letztes Jahr betroffen?

„Nicht direkt, aber viele Freunde und Familienmitglieder. Viele Leute wissen einfach nicht, dass das eigentlich ein natürliches Phänomen für diese Gegend ist, wobei es alle paar Jahre auch zu so großen Feuern wie dem unlängst kommt. Was nun den Song anbelangt, so ist der metaphorisch gemeint und geht nicht direkt um diesen Brand, sondern ...“

Babylon is burning?

„Exakt, in diese Richtung geht das. L.A. ist das Medien-Mekka der USA, ja der Welt, da sitzen die großen Filmstudios und Fernsehsender. Und das brennt nieder – das ist doch eine Metapher? Und dann der Refrain: ‚So many lives are on the breeze even the stars are ill at ease‘ – sogar der Himmel trauert angesichts der vielen Toten ... Aber auch die Promis sind gemeint, die oben in den Hügeln von Hollywood um ihren zerstörten Tennisplatz trauern.“

Wie viele der Texte stammen denn von dir?

„Die Hälfte, die andere Hälfte stammt von Greg. Ich schreibe zu allen meinen Songs auch die Texte, was vielen gar nicht so bewusst ist.“

In den Texten tauchen immer wieder Begriffe wie „Gott“ und „glauben“ auf – an was glaubst du?

„Ich bin ein spiritueller Mensch, wobei ich meine Spiritualität in der Natur finde. Ich bin Bergsteiger, verbringe im Sommer wie Winter viel Zeit in den Bergen. In manchen meiner Texte tauchen deshalb solche Gedanken auf. Greg Graffin ist ein Atheist. Er glaubt, dass da draußen nichts ist, dass es kein ewiges Leben, keine Seele gibt. Aber er glaubt, dass wir durch die Wissenschaft zu einer höheren Erkenntnis gelangen können. Ich selbst bin auch von der Wissenschaft fasziniert und kann ihm darin weitgehend folgen, sowieso sind wir uns in vielem ähnlich. Der Unterschied ist, dass ich der Meinung bin, dass man als überzeugter Atheist an den Atheismus schon beinahe glauben muss wie an eine Religion. Ich habe eben das Gefühl, dass das ganze Universum eine Bedeutung haben muss, ich aber zu klein bin, um diese Bedeutung zu erfassen – das ist letztlich der Umfang meiner Spiritualität, die Erkenntnis, wie klein man selbst ist, wenn man auf dem Rücken liegend in den Nachthimmel blickt. Und es gibt natürlich auch Werte, die universell sind, Mitgefühl und Bescheidenheit als wichtigste, die in dieser Welt leider oft fehlen. Und so tauchen diese Themen auch immer wieder in meinen Texten auf.“

Brett, ich danke dir für das Interview.