BILLY TALENT

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Zu groß für eine Schublade

BILLY TALENT haben sich mittlerweile von einer ehemaligen Supportband der BEATSTEAKS zu wahren Rockgrößen gemausert, haben dieses Jahr zwei Echos gewonnen und spielen in den richtig großen Hallen. Das alles allein in der Zeit zwischen ihrem ersten und ihrem zweiten Album, wohlgemerkt. Sind BILLY TALENT also jetzt, nach dem überragenden Erfolg ihres zweiten Albums, "Billy Talent II" zu total abgehobenen Superstars mutiert? Ich habe im Interview mit Sänger Ben und Drummer Aaron versucht, das herauszufinden ...

Warum seid ihr schon wieder in Deutschland auf Tour? Ihr wart ja vor fünf Monaten erst hier ...


Ben: Wir lieben Deutschland! Wir waren gerade in Kanada auf Tour, jetzt sind wir in Europa unterwegs, nicht nur in Deutschland, wir waren für ein Konzert in England, wir haben in Österreich gespielt, wir hatten drei Shows in Frankreich, außerdem in Dänemark, Schweden, Spanien und jetzt sind wir noch einmal nach Deutschland zurückgekommen und dann geht es nach Amerika. Wir waren also drei Monate in ganz Europa unterwegs.


Wie habt ihr so ein großartiges Album hinbekommen?

Ben: Haha. Danke. Ians Songwriter-Begabung hat sich verbessert, unsere musikalischen Fähigkeiten haben sich verbessert und wir haben uns einfach den Arsch aufgerissen. Wir haben jeden Tag viele Stunden daran gearbeitet, es zu dem besten Album zu machen, das wir machen konnten. Wir haben unser Bestes gegeben und freuen uns, dass es den Leuten gefällt, denn darum geht es.


Was denkt ihr, warum seid ihr schon mit eurem ersten Album so bekannt geworden?

Ben: Ich hab keine Ahnung. Wir verstehen eigentlich überhaupt nicht, was gerade los ist, wir schätzen es aber sehr und versuchen, es solange zu genießen, wie es dauert.

Aaron: Ich denke, es liegt an der unglaublichen Präsenz und dem scharfen Verstand unseres Bassisten Jon. Das haben wir alles nur ihm zu verdanken.


Wer hat euch damals eigentlich entdeckt?

Ben: Jenn Hurst, ein Mädel, das für Warner Music in Kanada arbeitete und mit mir zusammen gewohnt hat. Sie war die Erste, die je an uns geglaubt hat. Und ich habe nie mit ihr geschlafen. Niemals. Nicht, dass die Leute nachher denken, ich hätte mich hochgeschlafen ...


Man hört eurer Musik an, dass ihr Punkrock/Hardcore-Einflüsse habt. Stimmt das und inwiefern ist euch das heute noch wichtig?

Ben: Wir lieben definitiv viele Punkbands und wir mögen viele Elemente des Hardcore. Aber andererseits mögen wir auch Reggae und HipHop und klassischen Rock. Wir sind von so vielen verschiedenen Musikstilen beeinflusst worden, so dass es schwierig ist, zu sagen, dass wir nur eine Punkrock- oder Hardcore-Band sind. Ich denke, wir sind in erster Linie eine Rockband, die HipHop, Reggae und Punkrock wirklich sehr liebt.


Was ist euer Lieblings Punk- oder Hardcore-Album?

Aaron: "The Shape Of Punk To Come" von REFUSED ist etwas ganz Besonderes. "White Pony" von den DEFTONES ist mein Lieblingsalbum.

Ben: Punkrock? Mein Lieblings-Punkrock-Album? Ich würde sagen "London Calling" von THE CLASH, wenn das Punkrock ist. Und mein liebstes Hardcore-Album ist ... ich würde sagen REFUSED, aber ist das Hardcore? Ist das Punkrock? "The Shape Of Punk To Come". Oder das erste Album von RAGE AGAINST THE MACHINE.


In "Where is the line" singst du: "Where is the line between your fashion and your mind". Geht es hier um Modepunker? Und: denkst du nicht, dass solch ein Trend auch euch geholfen hat, berühmt zu werden?

Ben: Es geht in dem Song nicht um Modepunker, sondern um ein Magazin in Toronto, das uns niemals unterstützt hat, und über die Leute, für die dieses Magazin wie eine Bibel ist. Ich mag Mode, man sollte nur in einer bestimmten Szene die Mode nicht Überhand nehmen lassen und dabei vergessen, worum es eigentlich geht. Wenn du ein Arschloch bist, ist es egal, was du anziehst. Ich höre viele verschiedene Arten von Musik und mein Kleidungsstil veranschaulicht nicht notwendigerweise, was für ein Mensch ich bin.


Findest du, dass junge Leute leidenschaftlicher sein und ihre Köpfe vielleicht für mehr als schicke Frisuren gebrauchen sollten?

Ben: Ja, aber ich denke auch, dass es im Moment nicht wirklich viel Inspirierendes gibt. Jugendliche haben keine Vorbilder mehr. Es gibt keine großen Menschen, die einen Weg aufzeigen.

Aaron: Es gibt keine Martin Luther Kings mehr.

Ben: Ja, es gibt keine Leute, die uns inspirieren und uns zu etwas anspornen, die Jugend richtet sich mehr nach innen und finden diese Kraft in sich selbst. Ich denke, dass die Jugend heute so privilegiert ist, was den Zugang zu Informationen betrifft, dass sie versuchen können, sich selber zu erziehen und schon in einem jungen Alter gute Menschen werden. Ich denke, das ist sehr wichtig.


Meinst du, dass sie ihre Möglichkeiten zu wenig nutzen?

Ben: Ich denke, dass die Leute das vielleicht alles noch nicht ganz begreifen. Vielleicht schätzt man das erst mit dem Alter wirklich. Die Kids, die zu unseren Shows kommen und mit denen wir manchmal nach der Show reden, sind wirklich intelligente, gute Menschen. Und das ist heutzutage wirklich wichtig.


Wie wart ihr, als ihr jung wart?

Ben: Das genaue Gegenteil!

Aaron: Ja, das stimmt. Ich bin nur mit meinem Fahrrad rum gefahren und hab mit meinen Freunden Musik gemacht. Ich hab mich eigentlich für nichts anderes interessiert.

Ben: Ja, ich hab mich hauptsächlich für Mädchen und Nicht-zur-Schule-gehen interessiert. Und in meiner Band singen.

Aaron: Wenn du mein Sohn wärst, wäre ich so enttäuscht ...


Ben, haben die anderen Mitglieder der Band ein Mitspracherecht bei den Lyrics oder bestimmst du ganz alleine, was du schreiben willst?

Ben: Aaron und Jon helfen mir oft dabei. Ich präsentiere ihnen meine Ideen, rede mit ihnen darüber und dann setze ich mich mit Ian hin und wir basteln die Songs zusammen. Im Grunde ist jeder an allem beteiligt.


Bist du schon mal mit einer Idee oder einem fertigen Text um die Ecke gekommen, bei dem der Rest der Band gesagt hat: Oh, Gott, nein!

Ben: Haha. Ja! Also, es ist dann mehr so, dass ich sage: Hey, das ist doch cool! Und die anderen sagen: Nein, ist es nicht! Und ich: Na gut ... Und dann lassen wir es.

Aaron: Wir setzen uns schon damit auseinander, aber es ist nicht so, dass es irgendwas gibt, worüber wir Ben nicht reden lassen würden. Es gibt zwar Sachen, die albern klingen, aber wenn sie wichtig sind, was sie eigentlich immer sind ...


Ben, ich hab ein Interview mit dir auf der Homepage von PETA2 gelesen. Findest du, dass es für eine Band wichtig ist, politische beziehungsweise ethische Verantwortung zu übernehmen?

Ben: Ich denke nicht, dass es für jede Band zwingend notwendig ist. Ich meine, manche Bands singen darüber, Party zu machen und sich jeden Tag zu betrinken, manche singen über politische Themen. Wir sind so in der Mitte.


Ihr betrinkt euch jeden Tag und singt über Politik.

Ben: Haha, genau. Nein, aber man sollte über alles reden können, über Politik, die Umwelt ... Im Grunde geht es nur darum, ein guter Mensch zu sein, andere Menschen mit Respekt zu behandeln und unsere Unterschiedlichkeiten zu schätzen und sich gegenseitig zuzuhören. Ich denke, dass das sehr wichtig ist. Aber ich finde nicht, dass es für jede Band notwendig ist, das muss jeder selbst entscheiden.


Wenn du also in einer Band wärst, die sich nicht öffentlich für solche Sachen einsetzen würde, würdest du das als Privatperson tun?

Ben: Ich denke ... Ich dachte eigentlich immer, dass ich mich mehr für die Gemeinschaft einsetzen und damit in meiner Nachbarschaft anfangen sollte, aber ich hab so wenig Zeit.


Was würdest du da machen wollen?

Ben: Oh, in meiner Nachbarschaft gibt es eine Organisation, die etwas dafür tut, dass sich die direkte Umgebung, in der man lebt, verbessert. Sie unterstützen unseren kommunalen Abgeordneten und arbeiten, um Dinge auf Bundesebene zu verändern. Da würde ich gerne mitmachen. Ja, ich denke, dass die Welt besser sein könnte, wenn jeder ein bisschen weniger über sich selbst und mehr über andere Menschen nachdenken würde.

Aaron: Ich denke, dass es sich immer lohnt, wenn man sich für irgendwas einsetzt. Ich hab die letzten, mittlerweile anderthalb Jahre wirklich hart gearbeitet, um einen Stipendiums-Fond für junge Leute mit MS aufzubauen und vor einem Monat wurde er vorgestellt. Es ist ein gutes Gefühl, der Gemeinschaft etwas zurückgeben zu können.


Haben die Fans euch eigentlich dazu bewegt, "Watoosh!", das Album eurer Vorgängerband PEZZ, zu rereleasen?

Aaron: Ja. Wir haben mitgekriegt, dass wirklich viele Leute das Album hören wollten und wir haben uns entschlossen, es in Deutschland und auf unserer Website in Kanada zu veröffentlichen. Es haut mich um, dass die Leute das Album wirklich hören wollen. Etwas, das wir vor fast acht Jahren aufgenommen haben. Es überrascht uns, aber es ist ziemlich cool. Wir haben fünfhundert gemacht, 420 verschenkt, vielleicht fünfzig verkauft und dreißig verloren ...


Wie gefällt es den Fans?

Ben: Manche mögen es, andere verstehen es nicht wirklich. Das ist was ganz anderes als BILLY TALENT, es enthält viele verschiedene Musikstile. Wir wollten den Leuten zeigen, wie wir angefangen haben, so dass sie einen Referenzpunkt haben. Wo unsere Musik einmal enden wird, werden wir sehen.

Aaron: Manche Leute wünschen sich, dass wir Songs von diesem Album live spielen, was wir nicht tun werden. Aber die Leute wollen es hören.

Ben: Wir haben es nicht unter dem Namen BILLY TALENT veröffentlicht, weil es nicht wirklich BILLY TALENT ist, es sollte nicht zu viel Aufmerksamkeit auf dieses Album gerichtet werden. Es ist ein Stück aus unserer Vergangenheit, aber wir blicken jetzt in die Zukunft.


Ihr habt allerdings seitdem keinen Wechsel in der Besetzung der Band gehabt.

Ben: Nein, niemals.


Wie stellt ihr euch die Zukunft vor?

Ben: Ich freu mich darauf, wieder ins Studio zu gehen und das nächste Album aufzunehmen. Wir sind jetzt noch fünf Monate mit diesem Album auf Tour, dann sind wir fertig, wir waren dann für zehn Monate auf Tour. Ja, ab ins Studio, Billy Talent III.


Das letzte Album ist ja gerade erst raus ...

Ben: Ja, lass uns ein Neues machen ... Wir fangen im September an, dafür zu schreiben, und dann werden wir weitersehen.