TONY SHAW

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Intoxicated

Eine meiner derzeitigen Lieblings-Live-Bands aus meiner Wahlheimat Melbourne sind INTOXICA, ein Punk/Rockabilly-Quintett, das seit 1988 konstant die hiesigen Rock'n'Roll-Venues beschallt. Ein paarmal habe ich diese Veteranen-Band bereits auf dem "sticky carpet", wie die Bühne im nahegelegenen Greyhound Hotel genannt wird, live erlebt. Die charismatische Darbietung von Songs wie "Petrolhead", "Squad car" oder "I wanna wear your skin" sorgt jedes Mal zusammen mit eingestreuten Covern wie "Nobody but me", "Boss Hoss", "Bad news travels fast" für ausgelassene Partystimmung. Frontmann Tony Shaw wird auf der "Grunnen Rocks"-Website als "Cool Aussie guy" bezeichnet, ein Titel, den er selbst herunterspielt. Drei der fünf INTOXICA-Mitglieder spielten zuvor in den CORPSE GRINDERS, die Jello Biafra in einem MRR-Artikel über die 1983er Australien-Tour der DEAD KENNEDYS als "the most entertaining band in Australia" beschrieben hat. Tony singt seit den späten 90ern ebenfalls bei THE EXOTICS, bei denen auch seine Frau Sue am Schlagzeug sitzt. Ich unterhielt mich mit Tony und Sue bei ihnen zu Hause, um ein wenig mehr über den Underground Melbournes in den 80er und 90er Jahren zu erfahren.

Tony, wie sah deine musikalische Sozialisation aus?


Ich bin mit den Platten von meinem Vater groß geworden, Little Richard, Bill Hailey, Gene Vincent und so weiter. Zur gleichen Zeit hörte ich Gary Glitter und SLADE im Radio. Das war in den 70ern. Kurz danach hörte ich Punk. Ich fing an, mir mit Freunden lokale Punkbands wie THE SICK THINGS und THE ZORROS anzuschauen. Der Crystal Ballroom war zu der Zeit der bekannteste alternative Punkrock-Venue, gelegen in St. Kilda, welches damals ein Rotlichtviertel war. Zu dieser Zeit war jeder, den ich kannte, in einer Band. Meine erste Band, die CORPSE GRINDERS, waren Freunde von mir. Phil, unser Schlagzeuger spielte zuvor bei THE ZORROS. Sie besaßen wie ich eine Vorliebe für alte amerikanische Hot Rods. Ich spielte ihnen damals viel 50s Rock'n'Roll vor und wir schauten uns häufig THE CRACKAJACKS an, die zu der Zeit die beliebteste Rockabilly-Band in Melbourne waren. Wir waren sehr jung und hatten von Anfang an relativ viel Publikum bei unseren Gigs, da wir mit unserer Mischung aus Punk und Rockabilly als eine Art Novelty-Act angesehen wurden. Da hatten wir noch nichts von den CRAMPS oder METEORS gehört. Die SONICS waren meine Lieblingsband und ich war Fan von Hasil Adkins. Unser erster Gig war entweder mit HUNTERS & COLLECTORS oder mit BIRTHDAY PARTY, ich bin mir da nicht mehr ganz sicher.

Was für andere Venues gab es zu der Zeit? Gibt es Unterschiede zur heutigen Rock'n'Roll-Szene?

Der Crystal Ballroom war definitiv der bekannteste und beliebteste Laden. Bei den Konzerten gab es immer viel Publikum, alle möglichen alternativen Leute, aber hauptsächlich Punks. Der Laden hat irgendwann in den 80ern zugemacht. Aber es gab damals auch schon die gleichen Läden wie heute: The Tote, The Corner, The Prince Of Wales, The Greyhound und The Espy Hotel. Diese Venues bilden sozusagen das Gerüst der Live-Musik-Szene, auch wenn die jeweiligen Besitzer gewechselt haben. Damals flippten viele Leute aus bei Konzerten, da das Punk-Ding noch relativ neu war. Viele Leute standen gleich in der ersten Reihe, es gab Mosh Pits und so weiter. Heute passiert das bei Gigs von meinen Bands nicht mehr oft, ich denke aber, das kommt daher, dass unser Publikum mit uns zusammen älter geworden ist.

Mir scheint, Rockabilly war zu der Zeit besonders in Melbourne beliebt. AuGoGo Records veröffentlichen 1984 eine Melbourne-Compilation namens "A Sleep At The Wheel", auf der die CORPSE GRINDERS zusammen mit einer Reihe anderer Rockabilly-beinflusster Bands vertreten sind.

Der Grund dafür, dass es in Melbourne mehr Bands gab, die von 50s-Rock'n'Roll beeinflusst waren, als anderswo in Australien, dürfte wohl Hound Dog's Bop Shop gewesen sein. Der Betreiber dieses Plattenladens importierte haufenweise amerikanischen 50s-Rock'n'Roll und 60s-Garage-Punk. Bei Hound Dog habe ich auch zum ersten Mal die SONICS gehört, die mich mit ihrem Sound weggeblasen haben. Generell waren Melbourne-Bands nicht so sehr an Charterfolg interessiert wie beispielsweise die Sydney-Bands. Die HOODOO GURUS zum Beispiel waren eine Sydney-Band aus der Retro-Underground-Szene, die in den 80ern Mainstream-Erfolge erzielte. THE CHURCH sind ein weiteres Beispiel hierfür. Melbourne- und Brisbane-Bands zogen eine "ehrlichere" Rock'n'Roll-Szene vor. In Melbourne war es St. Kilda, wo sich die Szene versammelte, es war sleazy, voll von Freaks, Op Shops, Fast Food und heruntergekommenen Gebäuden. Für Künstler und Musiker war es eine preiswerte Gegend zum Leben. In Brisbane war es das Fortitude Valley-Viertel. Die Bands aus den anderen australischen Städten klangen zu dieser Zeit wirklich jeweils sehr unterschiedlich. In unserer Sparte gab es in Melbourne noch die OLYMPIC SIDEBURNS, in Sydney noch THE JOHNNIES, sie waren die "große" Underground-Band damals, und in Brisbane TEX DEADLY & THE DUM DUMS. Tex Perkins hat in einem CORPSE GRINDERS-Song Background-Vocals beigesteuert, das waren seine allerersten Aufnahmen. Ich bin aber heute nicht mehr mit ihm in Kontakt. In Melbourne gab es zu dieser Zeit im Grunde zwei verschiedene Lager. Zum einen gab es diese Bands, die wir damals "arty farty" nannten, BIRTHDAY PARTY, THE MOODISTS und so weiter, und zum anderen die Rock'n'Roll-Bands, worunter wir alles von Punk über 50s-Style Rockabilly bis hin zu eher 60s Pop/Rock-Bands wie die HUXTON CREEPERS verstanden. Kurz nach unserer Gründung gab es hier noch eine ähnliche Band, THE TOMBSTONE HANDS, die ebenfalls auf besagter Compilation vertreten ist. Wir versuchten allerdings, niemals in irgendeine bestimmte Subszene zu passen.

Erzähl mir von eurer ersten selbstbetitelten Platte.

Wir waren in Sydney auf einer kleinen Tour zusammen mit THE BIRTHDAY PARTY. Wir spielten im Trade Union Club, dem damals beliebtesten Laden in Sydney. Roger Grierson, der der Manager der JOHNNIES war, sprach uns um vier Uhr morgens an, ob wir am gleichen Tag um sieben Uhr morgens eine Platte aufnehmen wollten. Natürlich sagten wir ja und liefen noch halbbetrunken im Studio ein. Die Platte kam 1984 auf Man Made Records raus. Für die Zeit war das schon eine große Sache, denn an Plattenverträge war damals schwer ranzukommen. Keiner von uns war an einer musikalischen "Karriere" interessiert und die meisten Bands verfolgten die Punk-Ideologie der Do-It-Yourself-Cassetten-Releases. Plattenverträge waren meistens den eher am Mainstream orientierten Pubrock-Bands wie COLD CHISEL oder THE ANGELS vorbehalten, damals die Könige der Pubrock-Szene, welche in Australien zeitgleich mit der Underground/Punk-Szene existierte. Die anderen Anwärter für einen Plattenvertrag waren natürlich DURAN DURAN- und von New Romantic beeinflusste Bands.

Wie ging es weiter?

Als zwei Bandmitglieder, Arthur Matsakos und Warren Rough, der ebenfalls bei THE CRACKAJACKS spielte, uns verließen, entschieden wir uns, mit zwei neuen Gitarristen, George Spencer und Nick DelRey, unter dem Namen INTOXICA weiterzumachen. Dieses Mal hatten wir einen Manager und unser erster Gig war mit Johnny Thunders, als er in den späten 80ern nach Australien kam. Ich habe einen Joint mit ihm zusammen geraucht, aber zu der Zeit war ich kein Fan von Thunders. Erst später lernte ich seine musikalischen Fähigkeiten und sein Songwriting richtig zu schätzen und zu würdigen. Als wir ihn supportet haben, hat er zusammen mit Jerry Nolan und Glen Matlock gespielt. Mit INTOXICA haben wir dann drei Alben auf Shock Records veröffentlicht.

Welche Shows sind dir am besten in Erinnerung geblieben?

Wir spielten mit Debbie Harry bei ihrer Australientour, sind aber von einem Promoter, wegen eines Kommentars meinerseits bezüglich des Publikums und weil wir einen Getränke-Rider geklaut hatten, während der Tour als Support rausgeschmissen worden. Der gleiche Promoter bucht hier für das "Big Day Out"-Festival, er ist wohl noch immer sauer auf uns, daher werden INTOXICA wohl nie beim "Big Day Out" spielen können. Uns ist das egal. Wir lachten damals darüber. Mit meiner anderen Band, THE EXOTICS, habe ich aber beim "Big Day Out" gespielt. Weitere internationale Bands und Musiker, für die wir den Support gemacht haben, waren THE POGUES, STRAY CATS, THE DAMNED, 5678's, Andre Williams, T-Model Ford, Link Wray und Dick Dale. Insgesamt gesehen spielen wir aber lieber mit lokalen Bands als mit internationalen Bands, da wir eine "Bar-Band" sind. Wir mögen kleinere Pubs wie das Greyhound Hotel.

Du hast noch in einigen anderen Bands gesungen.

Ich habe bei THE FIREBALLS und THE STRIKES, eine Art 60s-Coverband, gesungen. Sie haben den Weg für THE LIVING END geebnet und hätten deren Mainstream-Erfolg verdient gehabt.

Und wann ging es mit den EXOTICS los?

Wir fingen 1997 an. Meine Frau und ich dachten damals ständig darüber nach, gemeinsam eine Band zu gründen. Sie war zuvor in THE WET ONES und ebenfalls in GIRL MONSTER, eine in den späten 80ern in Melbourne bekannte All-Girl-Pop-Rock-Band. Sue und ich hatten beide die gleichen Platten zu Hause in unserer Sammlung, daher war es für uns völlig normal, zusammen mit Ollie an der Gitarre und mit meinem Cousin Tim am Bass in einer Band zu spielen.

Wie geht es weiter?


Mit den EXOTICS nehmen wir demnächst neue Songs auf. INTOXICA spielen seit Jahren ein ähnliches Set, aber die Booker rufen mich trotzdem noch an.