GANG OF FOUR

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Funky Marxists

GANG OF FOUR, 1977 in Leeds gegründet und eine der einflussreichsten Post-Punk-Bands ihrer Zeit, wurden durch ihr Debütalbum „Entertainment!“ weltweit bekannt und sind, abgesehen von zwei längeren Pausen von 1983 - 87 sowie 1997 - 2004, bis heute aktiv. Ich hatte das leider viel zu kurze Vergnügen, mit dem Gitarristen Andy Gill zu sprechen.

Letzte Nacht fand ich in meinem Plattenregal eure erste Single „Damaged Goods“, erschienen 1978 auf Fast Product, dem damaligen Label von Produzent Bob Last. Wie ist euer Verhältnis heutzutage, habt ihr noch Kontakt?

Wir haben gar keinen Kontakt, denn er schuldet uns bis heute eine Menge Geld.

Nur für die Single oder auch für den „Mutant Pop“-Sampler mit Bands aus Leeds, Sheffield und Edinburgh, den er veröffentlichte?

Mit den Platten machte er eine Menge Geld, das er nicht an die Künstler weitergab. Wir lieben ihn nicht gerade!

In welcher Weise hat euch die erste Punk-Welle mit Bands wie THE SEX PISTOLS, THE CLASH, BUZZCOCKS etc. beeinflusst? Haben euch deren oft plakative und direkte Aussagen wie „Anarchy in the UK“ bestärkt in eurem Tun?

Ich denke nicht, dass wir musikalisch irgendetwas übernahmen. Jon und ich sahen 1975 DR. FEELGOOD, was uns nachhaltig beeindruckte. Ansonsten gab es Mitte der Siebziger Glamrock oder Hippie-Bands wie THE GRATEFUL DEAD, die waren einfach nur langweilig und witzlos. Vor sechs Monaten erschien ein großartiger Film von Julien Temple namens „Oil City Confidential“, über die Geschichte von DR. FEELGOOD, der zeigt, wie gut die waren. Ein paar Jahre später, als RAMONES, SEX PISTOLS und CLASH ihr Ding machten, war das schon toll, aber ich lernte nicht sehr viel daraus, auch wenn ich die Herangehensweise von Malcolm McLaren spannend fand. Als wir 1977, in der Hochphase von Punk, erste Konzerte spielten, machten wir schon etwas völlig anderes, obwohl einige Leute unsere Musik als Punk bezeichneten.

Ich las, dass Jon King und du Ende der Siebziger in Leeds Kunstgeschichte studiert habt. Ich war vor etwa fünf Jahren dort und fand die Stadt interessant, nette Altstadt, viele junge Menschen und Studenten. War das früher schon so?

Nein, das war leider noch völlig anders. In vielen dieser alten Industriestädte wie Manchester, Newcastle und Liverpool lag in den späten Siebzigern die Industrie am Boden, die Werften und Baumwollspinnereien waren pleite. Dadurch gab es viele Arbeitslose und große Slums, wo Familien in schlimmen Verhältnissen lebten. Keine Heizung, das Wasser lief von den Wänden der kleinen viktorianischen Häuser.

Ich war selbst in den Neunzigern noch überrascht, wie spartanisch viele meiner Freunde in London lebten.

Meine Frau kam während ihres Studiums für zwei Jahre nach Deutschland, den Namen der Stadt habe ich leider vergessen, aber sie war angenehm überrascht von dem Lebensstandard. Wir dagegen lebten in billigen Behausungen, die kurz vor dem Verfall standen. Die Stimmung in Leeds war „straight“, im Sinne von heterosexuell. Es gab Streitereien mit Migranten, die rechte Strömung erstarkte und es war nicht vorstellbar, dass Studenten mit ihren schwulen Freunden friedlich durch die Stadt liefen. Wir machten Musik und interessierten uns für Kunst, wir hatten deshalb reichlich Ärger und viele Schlägereien. Das prägte uns natürlich auch entscheidend. Maggie Thatcher kam erst im Mai 1979 an die Macht und hatte deshalb nicht den ganz großen Einfluss auf unser erstes Album „Entertainment!“, aber es hatte schon diese „Rechts-Links-Polarisierung“ eingesetzt. Dieses Interesse an Politik ist heute kaum mehr vorstellbar. Ich würde sagen, der Tiefpunkt war vor drei bis vier Jahren erreicht, als sich wirklich niemand mehr dafür interessierte.

Als Tony Blair abtreten musste und sich die Skandale der Abgeordneten in Bezug auf Erstattung von Kosten für illustre Sachen wie private Gartenteiche häuften?

Ich gebe aber zu bedenken, dass die Abgeordneten durch die Öffentlichkeit und die Gesetzgebung quasi dazu gedrängt wurden, sich derart zu bedienen. Ihnen wurde nur ein vergleichsweise geringes Grundgehalt zugestanden, aber für die Sonderaufwendungen gab es kein Limit. Man hätte sie besser angemessen bezahlen sollen. Ich habe ein gewisses Verständnis für ihr Verhalten.

Euer Album „Entertainment!“ nennen viele der heutigen Bands wie LIARS, FRANZ FERDINAND, THE RAPTURE oder RADIO 4 als wichtigen Einfluss für ihre Entwicklung und haben damit großen Erfolg. Späte Genugtuung oder Blick zurück im Zorn?

Wir waren wohl nie die Band, die sich „wirtschaftlich“ schlau verhalten hat, wir haben womöglich viele falsche Entscheidungen getroffen. Wir hätten uns kaum beschwert, mehr Platten zu verkaufen, aber es war kein Makel für uns. Wenn ich die heutigen Bands höre, schmeichelt es uns. Sie tun uns einen Gefallen, indem sie indirekt junge Menschen auf unsere Konzerte locken. Die Hälfte der Besucher heutzutage, manchmal sogar noch mehr, ist unter 25.

Es heißt, Jon und du ziehen einen guten Teil der Kreativität aus den musikalischen Differenzen. War dem auch bei „Content“ so?

In einigen Bereichen denken wir sehr ähnlich, in einigen auch nicht. Es war aber immer eine gesunde Beziehung.

Das neue Album „Content“ enthält den Song „Who am I?“ mit der Textzeile „You can’t steal when everything is free/Who am I when everything is me“ – geht es euch hier auch um den Punkt der allgegenwärtigen Verfügbarkeit von kostenlosen Informationen und Kulturgütern im Internet?

Ganz sicher ein großer Teil davon. Leute werden faul, egozentrisch, narzistisch. Der Song handelt aber auch vom Siedlungsbeginn der Pilger in Amerika, dem Goldrausch, der Eroberung der Wildnis ... eine Art „genetic documentary“ in schneller Einzelbildabfolge.

Ihr seid auf einem neuen Label, Grönland, habt ihr schon den Boss getroffen?

Ja, klar, Herbert Grönemeyer ist ein Freund von mir, den ich durch seinen ehemaligen Partner, den Fotografen Anton Corbijn, vor über zehn Jahren kennen lernte. Wir treffen uns oft und ich mag ihn. Ich spielte ihm nie unsere Musik vor, weil ich dachte, er würde sie nicht mögen. Er war fast beleidigt, haha. Die Zusammenarbeit mit seinen Leuten in Berlin ist angenehm und sehr effektiv.

Gibt es einen Hauptgrund, warum ihr nicht mehr auf einem Majorlabel seid?

Das alte System funktioniert nicht mehr. Sie geben dir einen Vorschuss, aber sie wollen dafür Anteile am Merchandise und von den Live-Einnahmen. Keine Band kann so überleben.

„Natural’s not in it“, ein Song vom Album „Entertainment!“, wurde in einem Werbeclip für die Microsoft Xbox benutzt. Siehst du da keinen Widerspruch zu eurem Image als die „funky marxists“?

Es war natürlich eine große Chance, unsere Musik einem größeren Publikum rund um den Globus näher zu bringen. Und natürlich, es bringt uns ein sicheres Einkommen, was heutzutage für Musiker selten genug passiert. Junge Bands würden sich die Frage niemals stellen, sondern zugreifen. Sponsoring ist allgegenwärtig und ganz ohne funktioniert ein Leben als Musiker kaum mehr. Wenn Lady Gaga ein Video dreht, geht es von vorne bis hinten um Product Placement. Wir unterschrieben für „Entertainment!“ ja auch nicht bei Rough Trade, sondern bei EMI. Einige Fans und auch die Presse fanden das verächtlich, aber für uns war es ein möglicher Weg. Wir erforschen – damals wie heute – die Beziehung zwischen kreativer Arbeit, der ökonomischen Ausgangslage und dem Weg, wie sie bei den Menschen ankommt. Es ist wie eine Berufung.