WIRE

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1 2 - 2003!

Wenn alte, vermeintlich legendäre Bands neue Platten aufnehmen, wieder auf Tour gehen, dann bin ich zuerst immer etwas misstrauisch, denn Beispiele wie vor ein paar Jahren die SEX PISTOLS und unlängst die DEAD KENNEDYS beweisen, dass so was grausamst in die Hose gehen kann – und die Hauptmotivation der Beteiligten, auf ihre alten Tage den Fans das Geld aus der Tasche zu ziehen, das früher nicht zu machen war, ist überdeutlich erkennbar. WIRE sind da ein anderer Fall. Colin Newman, Bruce Gilbert, Graham Lewis und Robert Gotobed – auch sie Pioniere der englischen Punkszene – wandten sich aber schon recht bald von den Klischees eben dieser ab und erweiterten ihr musikalisches Spektrum in den frühen Achtzigern mit elektronischen Einflüssen und wurden eigentlich nie von ihrer eigenen Revolution gefressen. Natürlich genossen sie Anerkennung, eine der plakativen Bands aus der ersten Reihe waren sie aber nie, und das sind sie auch heute nicht. Sowohl ihre beiden aktuellen EPs „Read & Burn 1“ und „2“ wie das Konzert im Bielefelder „Forum“ konnten überzeugen, und Colin Newman, der seit Jahren auch das ambitionierte Label Swim betreibt, erwies sich als sehr sympathischer Gesprächspartner.


Colin, wir unterhielten uns eben schon über dämliche Bandnamen. WIRE ist auch nicht gerade der Gipfel der Kreativität ...


Aber er ist einfach und leicht zu merken. Wir haben ihn aber ausgesucht, weil das so ein kurzes Wort ist. Wenn du mit anderen Bands spielst, werden aber oft die kurzen Bandnamen in größeren Buchstaben gedruckt, und so waren wir mit WIRE immer richtig schön groß dabei. Sehr praktisch gedacht, oder? Na ja, der Name hat aber auch was damit zu tun, dass wir nie geplant hatten, mehr als vier Konzerte zu spielen.

War der Name vor der Band da?

Puh, da muss ich nachdenken, denn die Geschichte von WIRE ist ziemlich verwirrend. Wir fingen als typische Kunsthochschul-Partyband an. Das waren Bruce Gilbert und ich, und noch ein gewisser George Gill. Wir haben uns dann auch bald der Backing-Sänger entledigt, und der Bassist musste auch gehen, der wäre sowieso lieber bei SWEET gewesen. Also waren wir bald nur noch zu dritt, drei Gitarren, ein Verstärker und Gesang. Wir probten in meinem Schlafzimmer zu Hause in Watford. Mit etwas Suchen fanden wir dann etwas später Graham und Robert für Bass und Schlagzeug. Dabei waren wir eigentlich noch die Band von diesem George, denn wir spielten seine Songs. Aber mit George führte das einfach zu nichts, denn er war an traditioneller Rockmusik interessiert und wir anderen nicht. Ich selbst war damals an all der neuen Musik interessiert, die aus den USA rüberkamen, etwa den RAMONES, Patti Smith und anderen Bands aus New York. Und ich hatte die Angewohnheit, auf den Konzerten anderer Bands in der ersten Reihe zu stehen und sie zu beschimpfen – das war so eine Art Hobby von mir, hehe. Mein Freund George allerdings war darin noch viel besser als ich, und er war also auf diesem Konzert, fand die Band erbärmlich schlecht und beschloss, ihnen eine Lektion zu erteilen. Also klaute er ihnen den Verstärker, doch weil das Konzert im oberen Stock dieser Kneipe oder so war, musste er damit die Treppe runter. Jedenfalls fiel er mit dem Verstärker die Treppe runter und brach sich ein Bein. Er musste dann sechs Wochen ins Krankenhaus, und wir probten in der Zwischenzeit ohne ihn. Ohne seine endlosen Soli lief das alles aber viel besser, und so veränderte sich die Band in den sechs Wochen ohne ihn erheblich, wir schrieben neue Songs, und das war dann die wirkliche Geburt von WIRE.

Wann war das?

Das war dann so Anfang 1977, das ganze Punkding lief also schon. Und wir wussten, dass wir nicht wie all die anderen UK-Punkbands sein wollten. Du musst dir einfach vorstellen, dass 1976 jedes Kind wie die SEX PISTOLS sein wollte. Die gründeten dann alle selbst eine Punkband und waren fast alle schrecklich. Zum Glück haben die wenigsten länger als für einen Auftritt existiert.

Und wie habt ihr da reingepasst?

Gar nicht! Wir wollten unser eigenes Ding machen, das, was nach dem Hype kommt. 1977 war eben nicht das Jahr des UK-Punk, sondern 1976. Und Anfang 1977 waren die SEX PISTOLS noch gut, doch Ende des Jahres hatten sie ihren Höhepunkt überschritten. Da waren sie eher eine Comedy-Gruppe, und man konnte erkennen, dass es kein Happy-End geben würde.

Du sagtest vorhin, ihr hättet euch an der Kunsthochschule getroffen. Nun gibt es ja seit Anbeginn der Punkszene diese zwei Fronten: einerseits die „echten“ Punk-Kids von der Straße, andererseits die Studenten-Punks, wobei im Nachhinein jeder so tut, als sei er damals ein harter Straßenpunk gewesen.

Haha, weißt du, wo der Unterschied liegt zwischen den beiden Gruppen? In der Intensität ihrer Lügen. All die Typen, die erzählen, dass sie die echten Straßenpunks gewesen seien, gingen doch auch zur Kunsthochschule, die geben es nur nicht zu. Das ist der Hauptunterschied. Die ganzen Arschlöcher, die erzählen, sie hätten nur von Arbeitslosenkohle in leerstehenden Wohnungen gehaust. Bullshit! Das musstest du halt sagen, um dazu zu gehören. Und viele kamen damit durch, denen glaubt man das noch heute – und die glauben das sogar selbst. Aber man muss auch sagen, dass von dieser Szene natürlich eine ziemliche Energie freigesetzt wurde, und es passierte auch einiges Gutes.

25 Jahre später gibt es Punk immer noch – und auch WIRE. Oder eher wieder?

Drücken wir es so aus: es gab Phasen der Aktivität und Inaktivität. Ich will aber auf keinen Fall angesichts neuer Platten und Tour von einer Reunion sprechen, das klingt einfach nur schrecklich. Du hast ja unsere neue Platte ‚Read & Burn 1’ gehört, oder? Für uns hat das nichts mit UK-Punk anno 1976 zu tun, das ist eine Platte aus dem Hier und Jetzt. Die Songs geisterten schon seit Herbst 2000 in unseren Köpfen herum, und im Frühjahr 2001 nahm das dann konkrete Formen an. Ich gebe zu, dass manche Songs vielleicht so einen gewissen Retro-Touch haben, aber das liegt daran, dass die musikalischen Elemente, die mich damals fasziniert haben, auch heute noch interessant sind. Aber derzeit läuft eben in den USA dieses massive 80er-Revival, das muss man auch sehen. Und es gibt auch zwei neue Bands, die das ganz gut umgesetzt haben, zum einen die LIARS, zum anderen MCLUSKY. IKARA COLT gefallen mir auch, die PARKINSONS nur eingeschränkt und LIBERTINES mag ich gar nicht. Aus dieser Brooklyn-Szene wiederum mag ich die YEAH YEAH YEAHS, während ich RADIO 4 echt nicht gut finde. ERASE ERRATA sind auch interessant. Diese Bands sind auch ganz schön retro, finde ich. Und INTERPOL klingen ja wohl total nach JOY DIVISION, oder? Und ein bisschen nach THE SMITHS. Ich hab’ mich mit dem Drummer mal unterhalten, und ich denke, die meinen das schon ehrlich, was sie da tun.

Wenn ich sonst Interviews mit Leuten von so alten Bands mache, sind die oft ziemlich raus aus der aktuellen Musikszene. Bei dir ist das ganz anders, wie kommt’s?

Weil es mein Job ist. Ich habe seit Jahren mit Swim mein eigenes Label, und das würde ja keinen Sinn machen, ein Underground-Label zu machen, wenn ich keine Ahnung von der aktuellen Underground-Musik hätte.

Erzähl mal etwas mehr zu Swim.

Das Label existiert seit rund zehn Jahren, und wir haben es mit der eigentlich wahnsinnigen Idee gegründet, man könne alle möglichen Arten von Musik mixen, eine ganz breite Palette von Musik präsentieren. Manchen war das dann auch zu breit, die haben das nicht verstanden. Aber in Deutschland etwa hatten wir Mitte der Neunziger mit G-MAN und deren Minimal-Techno etwas Erfolg und auch mit Gez Varley von LFO. Wir wollten aber nicht auf Techno reduziert werden, und ich hätte auch keine Lust auf zwanzig Platten gehabt, die sich ganz ähnlich anhören. Das ist schließlich mein Label, ich lebe das ja auch. Wir haben uns dann musikalisch weiterentwickelt. Das Ding ist, dass elektronische Bands alles zuhause am Computer machen können, für ganz wenig Geld. Bands wie die LIBERTINES dagegen brauchen teure Studiozeit, die irgendwer bezahlen muss, wie all diese ‚neuen’ Gitarrenbands. Und wenn das keiner tut, geht eine Menge Kreativität verloren – mit billigem Homerecording am Computer hast du diese Einschränkung aber nicht. Und da kommt wieder Punk ins Spiel: D.I.Y., Do It Yourself, das ist für mich das wichtigste Punkprinzip, und das kommt hier voll zum Tragen.

Was eure beiden neuen EPs anbelangt, so finde ich erstaunlich, wie punkrockig die Songs ausgefallen sind. Angesichts der eher elektronischen Platten, die WIRE in den Achtzigern gemacht haben, sowie aufgrund des Programms deines Labels, hätte ich das nicht unbedingt erwartet.

Haha, also beide Platten sind mit dem Computer aufgenommen worden. Aber klar, es gibt laute Gitarren.

Und wieso die beiden EPs statt eines Albums?

Es wird schon noch ein Album geben, aber wir wollten nicht gleich mit einem Album antreten. Also haben wir erst die eine EP gemacht, um die Leute vorzubereiten, und erstaunlicherweise hat sich die EP bisher recht gut verkauft. Eine zweite EP haben wir dann rechtzeitig zur Tour veröffentlicht und verkaufen sie jetzt auch nur bei den Konzerten. Die Idee ist, wie in den frühen Techno-Tagen, mit dem schnellen Medium der EP anzufangen und dann später das Album nachzuschieben, das die EP-Songs zusammenfasst. In den USA läuft die erste EP richtig gut, in England auch, Deutschland ist okay, aber ein gutes Stück weniger. Und es ist vor allem ein schönes Gefühl zu sehen, dass sich die Leute noch für deine Musik interessieren.

Warum denkst du, dass die Platte gerade in den USA so gut läuft?

Weil es der Sound ist, nach dem die Leute suchen. Als wir im September dort live spielten, kamen die Leute – junge Leute! –, weil sie unsere Songs im College Radio gehört hatten und es ihnen gefallen hatte, nicht weil wir diese Klassiker-Band sind. Nicht das übliche Lob von wegen: Euer ‚Pink Flag’-Album hat mein Leben verändert. Was natürlich auch schön ist – sondern eine Anerkennung dessen, was wir aktuell machen.

Gibt es eine Lieblings-Coverversion eines WIRE-Songs?

Ja, das ist die NEW BOMB TURKS-Version von ‚Mr. Suit’. Und ‚Map Ref 41N 93W’ von MY BLOODY VALENTINE ist auch sehr schön.

In meinem Fall wäre das eindeutig „1 2 X U“ von MINOR THREAT. Aber ich bin eben auch mit US-Hardcore aufgewachsen.

Ich muss gestehen, ich kenne diese Coverversion gar nicht. US-Hardcore kam eben ein paar Jahre später als der UK-Punk und in einer Phase, als sich in Großbritannien absolut niemand für diese Musik interessierte. Die musikalische Entwicklung in England und den USA läuft manchmal eben völlig asynchron, und dann hast du wieder eine Phase wie jetzt, wo London und New York sich musikalisch sehr nah sind.

Welche Rolle spielen WIRE heute in eurem Leben: Ist das eine Sache, auf die ihr euch total konzentriert, oder „nur“ ein vorübergehendes Engagement?

Ganz einfach: Wir wollen das, was wir tun, zu 100% tun, mit ganzem Herzen. Aber klar, wir haben auch noch ein Leben außerhalb der Band, aber ich verwende derzeit sehr viel Zeit auf die Band, nicht nur auf Tour, sondern auch im Studio und beim Label. In den letzten zwei Jahren habe ich den Großteil meiner Zeit für die Band verwendet. Wenn wir jetzt etwas Erfolg haben, kommt das nicht von ungefähr. Ansonsten sind wir ganz normale Typen, die nicht bei jedem Schritt denken: ‚Mann, wir sind eine Legende!’. Du brauchst auch noch ein normales Leben. Trotzdem: du musst, wenn du dich für eine Band entscheidest, 100% geben, ansonsten vergiss es! Und gerade, wenn du mal in unserem Alter bist, kostet das alles noch viel mehr Energie und Anstrengung, da lässt du es besser gleich bleiben, wenn du nicht alles geben kannst und willst.

Colin, ich danke dir für das Interview.