NASTY

Foto

Der Höhepunkt der Krise

Corona fickt uns alle – es dürfte wohl so gut wie niemand davon ausgenommen sein. Wen es aber wirtschaftlich am allerhärtesten trifft, das ist der Bereich Kunst und Kultur. Und wenn man im gleichen Boot sitzt, kann man sich auch auf einer Ebene auskotzen. So wie mit Matthi Tarnath, Sänger von NASTY.

Als der Zoom-Call, dem Medium der Hochphase der Kontaktbeschränkungen, beginnt, sitze ich wie schon seit Monaten zu Hause, Matthi hockt in seinem Auto, das bis unter die Decke voll mit Kartons und allerlei anderen Dingen beladen ist. „Das ist im Moment mein Büro“, erklärt er. Und schon sieht man ihm deutlich an, dass er gehörig die Schnauze voll hat von der aktuellen Situation. „Man muss ja gerade schauen, wo man bleiben kann. Das geht hier nicht, das geht da nicht, und ich bin jetzt einfach in mein Auto gezogen und erledige von hier aus alles. Es bleibt einem ja bald nichts anderes mehr übrig.“ Da kann ich ja froh sein, immerhin in meiner Wohnung sitzen zu können. Bevor der ganz große Corona-Frust rausplatzt, starten wir dann aber doch erstmal mit dem Interview.

Auf eurem neuen Album „Menace“, das im September erscheint, geht es unter anderen um Süchte, was ein Liedtitel wie „Addiction“ auch direkt auf den Punkt bringt. Im vergangenen Jahr gab es schon einen Non-Album -Track namens „Drogen“. Inwiefern beschäftigt euch persönlich das Thema Drogen und Süchte, dass es so oft künstlerisch aufgegriffen wird?
Das ist etwas, das uns auf jeden Fall sehr beschäftigt, aber es geht hier nicht wirklich um die Abhängigkeit von irgendwelchen Substanzen. Jeder ist in irgendeiner Form süchtig nach irgendwas – oder nach irgendwem. Wir begeben uns in eine gewisse Abhängigkeit von anderen Leuten oder von Umständen, die dazu führen, dass es uns gutgeht. Und es kann sich niemand davon freisprechen, nicht in irgendeiner Art und Weise auch „süchtig“ nach irgendwas zu sein.

Was hältst du von Straight Edge?
Straight Edge ist eine super Sache, da kann man nichts gegen sagen. Ich habe viele Freunde, die Straight Edge sind, und ich war das auch mal eine Zeit lang mit 16. Ich habe dann zwar wieder aufgehört, aber wie gesagt, ich kenne einige, die es noch sind, und ich finde das ganz großartig. Straight Edge ist vor allem eine Sache, die einfach unhatebar ist. Wenn du Straight Edge bist, kann man dich einfach nicht haten, weil du etwas machst und für etwas stehst, das eben objektiv nur gut ist. Das ist genau wie Vegetarismus oder Veganismus. Egal, wie man das selbst findet, man kann es einfach nicht haten. Man steht damit immer auf der Gewinnerseite, da gibt es nichts zu diskutieren, das ist schlicht die gute Seite.

Ende letzten Jahres habt ihr noch gepostet, dass ihr, nachdem ihr 2019 nicht in Wacken spielen konntet, aber 2020 definitiv dabei sein werdet. Leider kam dann alles ganz anders als geplant ...
Es ist einfach ... Diese ganze Situation, das ist der absolute Wahnsinn. Von einem Tag auf den anderen sind alle Pläne für nichts gewesen, alles ist komplett auf den Kopf gestellt. Und das nimmt kein Ende. Das ist das Schlimmste an der Sache, man hängt so in der Schwebe. Niemand weiß, was ist und wie es weitergeht. Und wir stehen da und gucken, wie wir klarkommen sollen. Man muss sich das mal vorstellen ... Der Staat verbietet es einem zu arbeiten, über Monate hinweg, und hat nicht wirklich irgendein Programm, um dich aufzufangen oder um dir entgegenzukommen.

Habt ihr auch so ein Theater mit der Soforthilfe?
Hör mir bloß auf ... Wir haben das hier ja als GbR angemeldet, aber nicht alle von uns. Die anderen schreiben uns Rechnungen für ihre Leistungen. Dann willst du hier was beantragen, geht nicht, dann da was beantragen, dann kommen 5.000 Euro. Ja, wow, wie lange sollen wir denn damit klarkommen? Wir alle sitzen seit Monaten bei Null. Meine Freundin hat ein Catering-Unternehmen – sie ist auch bei Null. Ganze Familien haben einfach mal kein einziges Einkommen mehr und müssen sehen, wie sie über die Runden kommen. Und dann sollen wir Hartz IV beantragen. Das muss man sich echt mal vorstellen. Man darf nicht arbeiten, aber soll Arbeitslosenhilfe beantragen, obwohl man gar nicht arbeitslos ist. Es sollte doch das Mindeste sein, dass ein Staat seine Bürger nicht einfach so ohne Einkommen stehen lässt. Und wenn ich in andere Länder schaue, da läuft das mitunter ganz anders. Einer von uns wohnt in Belgien. Der hat nicht nur eine richtige Soforthilfe bekommen, sondern bekommt jetzt auch jeden Monat 1.200 Euro, bis er wieder arbeiten gehen darf. Und wir stehen hier bei Null. Oder stell dir vor: Die, die was bekommen haben, müssen jetzt noch bangen, ob sie einen Teil zurückzahlen müssen, oder vielleicht sogar alles. Dann nennt sich etwas Hilfe, das in Wahrheit nicht mal echt ist, und man steht wieder bei Null, obwohl man vorher noch gedacht hat, man bekommt Hilfe. Da wirst du also so richtig verarscht.

Mir hat letztens auch jemand gesagt, ich sei verwöhnt und arrogant, wenn ich finanzielle Hilfe vom Staat erwarte, ich kann mir ja auch Nebenjobs suchen und putzen gehen.
Boah ... Da wär ich echt gewalttätig geworden ... Ich mein, die ficken dein Leben! Dein Leben wird gerade einfach so gefickt. Man wird von einer gewissen Position einfach runtergereicht und wird nicht mehr hochgereicht. Genau wie die ganzen Restaurants, die in der Gegend gerade zumachen. Man hat sich alles selbst aufgebaut und war unabhängig, und plötzlich ist man vom Staat abhängig oder muss wieder für wen anderes arbeiten. Die, die die finanziellen Möglichkeiten haben, kaufen den ganzen Laden auf, sprich aus der Mittelschicht fällt ein ganz großer Teil runter, und die von oben investieren und bleiben dann auch im Trockenen. Es ist schon eine heftige Geschichte. Guck mal, wir haben jetzt den Release und können nicht auf Tour gehen. Ein Album rausbringen ohne Tour, das ist echt ... Man weiß nicht, ob man jemals wieder das verdienen kann, was man früher damit eingenommen hat. Ob es jemals wieder so weitergehen kann. Und wann! Wie lange warten wir jetzt noch, und dann weißt du nicht, ob man seine ganze Existenz überhaupt wieder so sichern kann wie vorher. Man hat sich was aufgebaut, was auf einmal gar nichts mehr wert ist.

Letztes Jahr hast du als MnYPnK ein kleines Nebenprojekt gestartet. Wie bist du auf die Idee gekommen, in den HipHop zu gehen?
HipHop habe ich immer schon gern gemacht, zusammen mit Hardcore. Das ist auch eine Untergrundkultur, damit kann ich mich sehr gut identifizieren. Und es gab ein paar Leute, die gesagt haben: „Matthi, wir können uns dich super als HipHopper vorstellen. Probier doch mal ein paar Sachen aus!“ Da war mein Ehrgeiz geweckt. Mit den Leuten hat das dann am Ende aber nicht geklappt, weil ich da noch zu schlecht war. Aber ich bin da irgendwie hängengeblieben. Und dann bin ich durch Zufall ... wobei, eigentlich nicht wirklich Zufall, denn Drave kenne ich ja schon länger. Und er hat ja ein Studio. Und da haben wir einfach mal was ausprobiert, was auch echt super gevibet hat, und sind dann auch dabeigeblieben. Und jetzt ist es auch so, dass wir aktuell wieder ein paar Gespräche führen mit ein paar Sachen. Deshalb ist es jetzt gerade auch ein bisschen ruhig, was unser Output angeht, weil wir uns noch ein bisschen zurückhalten wollen. Aber wir sind schon ganz gut aufgestellt. Wir haben schon ungefähr zwanzig Lieder für die Platte, und wir haben echt ultra Bock darauf. Das ist auch ein guter Ausgleich zu der harten Mucke, die man sonst so macht. Das fühlt sich ein bisschen so an wie Urlaub.

Ist es eigentlich eher ein Vorteil, wenn man jemanden an seiner Seite hat, der auch aus dem harten musikalischen Spektrum kommt? Ich stelle es mir schwierig vor, wenn man neu in ein Genre eintauchen möchte, in dem niemand, der dort aktiv ist, vorher überhaupt schon mal das Wort Core gehört hat.
Ich glaube, es ist vor allem anders, was das Endresultat angeht, weil wir beide etwas mitbringen, das die Szene vielleicht noch weniger kennt, aber wovon wir eben entsprechend Ahnung haben, gerade weil wir aus einer ganz anderen Schiene kommen. Wir haben jetzt mittlerweile natürlich auch viel mit Leuten zu tun, die so richtig aus dem Rap kommen, wobei man natürlich auch sehr viel lernt von den Leuten. Aber die bekommen andersrum auch sehr viel mit, was sie durch uns über Musiklernen können. Das ist echt ein gegenseitiger Austausch des Lernens. Man muss selbst aus seiner Komfortzone raus, wenn man es sonst gewohnt ist, einfach ins Mikro zu schreien. Das ist wie wenn man seine eigene Stimme am Telefon hört und nur denkt: Oh, Kacke ... Das fällt einem manchmal gar nicht so leicht. Deshalb ist das auf jeden Fall ein richtig abenteuerliches Ding, weil wir sozusagen täglich neuen Input bekommen und das dann auch so umsetzen.

Das heißt es wird bald ein Album kommen?
Genau, wie gesagt, wir haben gerade ein paar Gespräche, und je nachdem, ob es dann klappt oder nicht ... Aber sehr wahrscheinlich releasen wir es so oder so selbst, vertriebstechnisch jetzt. Aber ja, da kommt noch so einiges. Und wenn es dann irgendwann mal wieder geht, soll es auch Konzerte und all so was geben.

Wie ist dein Nebenprojekt bei den NASTY-Fans angekommen?
Gemischt. Es gibt ein paar Leute, die das absolut feiern und sagen, das ist total cool, dass wir das machen. Und dann gibt’s natürlich auch die Leute mit „Scheiß-AutoTune“ und „Äh, was ist das?“ oder „Szene verraten“. Oder die meinen, dass es da jetzt nur ums Kohleverdienen geht, von wegen Sellout und so. Dabei war das nun wirklich nie der Plan. Klar, wenn man damit auch Geld verdienen sollte, gern. Kann man ja jetzt gerade auch echt gut gebrauchen ... Aber in erster Linie geht es einfach ums Spaßhaben, und jetzt es ist so gut geworden, dass wir damit an die Öffentlichkeit gehen können. Also machen wir das. Aber natürlich ist das schon so in den Köpfen drin: Der HipHopper als der natürliche Feind des Metallers. Alles Blödsinn ... Metal und HipHop gehen eigentlich schon lange Hand in Hand und kommen ja auch beide irgendwie aus der urbanen Szene. Und wenn du ganz nach damals guckst, da gab es doch so einen Ghetto-Film ... Ich komm jetzt nicht auf den Namen. Aber da haben sich für den Soundtrack HipHopper mit einer kompletten Metalband zusammengetan. Aber ich denke eben auch selbst einfach nicht so in Genres und Szenen und finde, man kann sich auch einfach geil mischen und einfach neue Sounds kreieren. Guck mal: Stichwort Crossover!