QUESTIONS

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Freundschaft, Bruder- und Schwesternschaft

Die Oldschool-Hardcore-Band QUESTIONS aus São Paulo feiert ihr zwanzigjähriges Bestehen mit der neuen LP „Libertatem!“ und einer Europatour, die sie auch nach Deutschland führt. Charakteristisch ist, dass die Band erst seit ein paar Jahren auf Portugiesisch singt, was alles sehr authentisch macht. Meine Fragen beantwortete Gitarrist Pablo.

Pablo, stell eure Band bitte kurz vor.


Wir sind seit zwanzig Jahren dabei. Die anderen Jungs in der Band sind Sänger Edu, Euzinho spielt Schlagzeug und Helinho am Bass. Wir leben in den Vororten von São Paulo. Wir haben bisher sechs Alben veröffentlicht, von denen die letzten vier in Europa bei Toanol und Underdogs Records veröffentlicht wurden.

Was macht ihr in eurem Leben außerhalb der Szene?

Wir alle haben natürlich andere Jobs. Eduzinho ist Schlagzeuglehrer, Helio ist Journalist, Edu ein unabhängiger Künstler und ich bin Film- und Video-Editor.

In Deutschland haben wir ein Bild von Brasilien als ein Land, das zwischen den sehr reichen und den sehr armen Leuten tief gespalten ist. Wir bekommen euren rassistischen, sexistischen und faschistischen Präsidenten mit, der gegen Minderheiten hetzt, wie Personen aus dem Kreise der LGBTIQA oder Farbige. Was ist da dran?

Leider ist das alles wahr. Der derzeitige Präsident ist ein Rechtsextremist, der die grundlegenden Menschenrechte nicht respektiert und keine Gelegenheit verpasst, seinen Hass gegen jeden auszudrücken, der kein weißer, reicher, heterosexueller Mann ist. Er hat die Wahl gewonnen, nachdem sein Hauptkonkurrent, Ex-Präsident Lula, bequemerweise wegen Korruption ins Gefängnis gesteckt wurde. Ich will mich nicht auf die Diskussion über Lulas Unschuld einlassen, aber die Tatsache, dass er während des Wahlkampfes verurteilt wurde, als er in den Umfragen führte, ist, gelinde gesagt, sehr merkwürdig. Jedenfalls ist unsere Regierung rechtsextrem, sie verachtet die Demokratie, sie will und wird versuchen, das Land in eine Diktatur zu verwandeln. Ich hoffe, das Volk kann sie aufhalten. Das Hauptproblem in Brasilien ist meines Erachtens tatsächlich der Unterschied zwischen Arm und Reich, der schon immer sehr groß war. Dieser Präsident versucht nicht, ihn zu bekämpfen, er macht ihn größer.

Beschreibe mal eure Heimatstadt.

Nun, São Paulo ist eine riesige Stadt, zwölf Millionen Menschen, es ist verrückt. Es ist das Finanzzentrum des Landes und wir haben Einwanderer aus der ganzen Welt. Wenn du Geld hast, haben wir hier das Beste, was eine Großstadt bieten kann – Kunst, Kultur, gutes Essen und so weiter. Wir alle haben aber auch diese riesigen Probleme, die meist durch Ungleichheit verursacht werden. Tausende leben auf der Straße, Millionen leben unter sehr harten Bedingungen in den Favelas, es gibt Gewalt und Umweltverschmutzung, Überschwemmungen, ein Verkehrschaos – die Liste ließe sich endlos fortführen. Die Stadt zwingt einen, produktiv zu sein und keine Zeit zu „verschwenden“, du fühlst dich immer wie auf der Flucht.

Leitmotiv eurer Musik und Texte ist die permanente Ungerechtigkeit. Auf der anderen Seite bezeichnet ihr euch selbst als positive Hardcore-Band. Wie passt das zusammen?

Wenn man all die Ungerechtigkeit um sich herum erkennt, kann es einen sehr frustrieren und wütend machen. Dadurch sind wir aber nicht gelähmt. Im Gegenteil, wir nutzen das als Antrieb, um zu versuchen, etwas in der Welt zu verändern, auch wenn es utopisch klingt.

Ist es heutzutage gefährlich, den Präsidenten zu beleidigen?

Ja, natürlich. Die Polizei zum Beispiel fühlt sich vom Präsidenten ermächtigt, jeden zu verfolgen, der sich der Regierung entgegenstellt.

Wie hat sich Brasilien seit der Wahl Bolsonaros entwickelt? Und was bedeutet es für eure Band als Teil der Hardcore-Szene?

Alles ist eine Katastrophe. Die Wirtschaft wächst nicht, die Arbeitslosigkeit ist nicht zurückgegangen, es gibt immer mehr Obdachlose, die verantwortungslose Ausbeutung der natürlichen Ressourcen wird gefördert, der Dollarkurs ist höher als je zuvor, Bildung, Gesundheit und Kultur werden sabotiert, Staatsbetriebe werden an meist ausländische Käufer verscherbelt. Ich könnte noch stundenlang weitermachen. Diese Regierung dient diesem Land nicht, ihr einziges Ziel ist es, ihre Macht zu festigen und alles zu verkaufen, was sie kann. Sie hat dazu eine verrückte, unzeitgemäße fundamentalistische und religiöse Agenda. Für uns ist alles schlimmer als je zuvor. Wir müssen immer mehr arbeiten, da unser Geld einen Scheiß wert ist. Das macht es schwieriger, innerhalb des Landes zu touren, weniger Leute gehen zu Shows, die Fahrtkosten sind wahnsinnig hoch. Es bedeutet auch, dass es heute viel schwieriger ist, nach Europa zu reisen, als noch vor einigen Jahren. Andererseits sind wir der Meinung, dass die Rolle der Hardcore-Szene wichtiger wird, da wir zusammenhalten und vereint gegen all das kämpfen müssen.

Ist die Punk- und Hardcore-Szene direkten Repressionen ausgesetzt?

Ich würde nicht sagen, dass es jetzt eine spezifische Repression gegen Punk und Hardcore gibt, denn die Szene ist nicht so groß und die Regierung ist noch keine „explizite“ Diktatur. Aber ich bin sicher, dass sie unsere Szene hassen und versuchen werden, sie irgendwann zu verdrängen. Sie werden versuchen, jede Kunstform zu zensieren, die ihre Ideen nicht unterstützt. Wenn es so weiter geht, kann ich mir vorstellen, dass die Polizei irgendwann Veranstaltungsorte schließen und Shows verhindern wird. Etwas, das seit Beginn dieser Regierung noch viel mehr passiert, ist die Repression gegen die armen Menschen bei den Favela-Partys. Vor einigen Wochen hat die Polizei von São Paulo neun Kinder getötet. Und niemand wurde bestraft.

Vor einigen Monaten sahen wir euer Land brennen – riesige Amazonasgebiete, die von korrupten Geldmachern abgefackelt werden, unterstützt von Bolsonaro.

Ich bin kein Fachmann, aber ich habe gelernt, dass Teile des Amazonasgebietes jedes Jahr zu einer bestimmten Zeit des Jahres aufgrund der globalen Erwärmung brennen. Der Unterschied besteht nun darin, dass die illegale Ausbeutung des Waldes unter Missachtung aller Erhaltungsgesetze gefördert wird, vor allem durch die Großbauern. Sie brennen den Wald nieder, um Vieh zu züchten und Fleisch zu exportieren. Frühere Regierungen versuchten zumindest, die Zerstörung zu verhindern oder zu verlangsamen, und waren dabei mehr oder weniger erfolgreich. Aber dieser Präsident und seine Regierung leugnen oder kümmern sich nicht um die globale Erwärmung und um nachhaltige Ressourcen. Sie sagen, es sei alles eine „kommunistische Verschwörung“. So verrückt es auch klingen mag, sie geben den NGOs die Schuld an den Bränden. Als der Direktor des Nationalen Instituts für Weltraumforschung sagte, die Daten zeigten, dass die Brände im letzten Jahr zugenommen hätten, feuerte der Präsident den Mann. Es ist unglaublich. Dieser Präsident hasst die Wissenschaft, er hasst das Wissen und ist stolz auf seine eigene Unwissenheit.

Was bedeutet Hardcore für euch?

Hardcore ist für uns zweifellos eine weltweite Bewegung. Diese Musik und diese Botschaft haben die Kraft, zu kommunizieren und Menschen mit den unterschiedlichsten Lebensumständen zu verbinden. Sie hat uns so viele Türen geöffnet, sie hat unser Leben völlig verändert, sie hat uns an Orte gebracht, die wir uns nie vorstellen konnten. Wir haben Europa sechs Mal bereist, einschließlich aller östlichen Länder, Russland, der Ukraine und der Türkei. Wir waren letztes Jahr auch in Mexiko. Für uns bedeutet Hardcore Freundschaft, Bruder- und Schwesternschaft. Es geht um den Respekt zwischen den Menschen. Wir wollen Erfahrungen teilen und daraus lernen. Wir wollen gegen all die Ungerechtigkeiten anschreien, protestieren und unseren Zorn auf positive Weise rauslassen. Und natürlich auch Spaß an der Musik haben.

Ihr macht eine Tour zu eurem zwanzigjährigen Bestehen und spielt Shows in Europa und Deutschland. Habt ihr eine besondere Beziehung zu Europa?

In Europa zu spielen, war ein Traum, den wir verwirklichen mussten. Es war etwas, das uns alles bedeutete, als wir SEPULTURA und andere brasilianische Bands sahen, die seit den Achtziger Jahren dort spielten. Wir haben es 2007 zum ersten Mal getan und 37 Shows in 17 Ländern gespielt, wir hatten die beste Zeit unseres Lebens. Später machten wir fünf weitere Europatourneen, wir trafen so viele nette Leute, bekamen viele Freunde, es war mehr, als wir je erwartet hatten. Wir haben also gute Beziehungen in ganz Europa und können es kaum erwarten wiederzukommen. Wir sehen uns auf den Shows!