SLIME

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Die Neuerfindung einer Legende

Am 30.07.2020 um kurz nach 9 Uhr erreichte uns von Dirk „Diggen“ Jora die Nachricht mit dem Betreff „Diggen verlässt SLIME“. Diggen selbst hatte sie geschickt, und damit schien das Ende einer Band besiegelt, die für die deutsche Punkszene jene Bedeutung hat wie einst die DEAD KENNEDYS für die USA und THE CLASH für UK. Doch schnell stellte sich heraus: die anderen vier in der Band, Elf, Nici, Chris und Alex, hatten keineswegs die Absicht, SLIME „nur“ wegen des Abgangs ihrer Sängers zu beerdigen. Im Herbst 2021 kamen dann die ersten Gerüchte: „Schon gehört? SLIME haben einen neuen Sänger, so ein Berliner Straßenmusiker ...“ Mitte Dezember kam dann der erste neue Song „Komm schon klar“ als Video, und das Echo aus der Szene war weitgehend positiv. Ein neues Album wurde angekündigt, weitere Singles folgten – und Mitte Juli ist es nun soweit, „Zwei“ erscheint, 16 Songs stark, und wer es bisher hören durfte, der stellte fest: SLIME haben sich neu erfunden. Für das Interview besuchten mich Drummer Alex Schwers und Sänger Tex Brasket Ende April an einem sonnigen Sonntagnachmittag im Ox-HQ, und ich stellte bei Bier, Wasser und Häppchen die Fragen, die sich aufdrängten.

Tex, Alex, ich sitze hier zwei Leuten von SLIME gegenüber, von denen Menschen, die das total kleinkariert sehen, sagen würden: Aber das ist ja gar nicht SLIME. Wie ist das, wenn man das jetzt mal auf den Bandalltag herunterbricht? Ist das ein Thema, „alte Band“ versus „neue Band“? Denn auch du, Alex, bist zwar jetzt seit über zehn Jahren dabei, aber im Grunde bist du auch immer noch „der Neue“.

Alex: Darüber haben wir auf dem Weg hierhin noch gesprochen.
Tex: Warum wir noch SLIME heißen? Na, wir haben gesagt, wir sind eine Band, wir sind SLIME, ich bin der Neue. Irgendwann hieß es „Herzlich willkommen bei SLIME“ und ich habe mich gefreut. Die Dynamik einer Band verändert sich ja mit jedem neuen Bandmitglied. Das war schon immer so, bei jeder Band, das wird dir jeder Musiker bestätigen. Aber wir sehen uns ganz klar alle fünf als SLIME. Sonst hätten wir den Namen geändert.
Alex: Aber klar, die Band ist 42 Jahre alt, und jetzt sitzen hier zwei Leute, die die ersten 30 Jahre nicht dabei waren.

Tex, du bist ...
Tex: 42.
Alex: Und ich 48. Somit sitzen wir hier als irgendwie später dazu gekommene Verwalter des Namens SLIME. Das ist die Außenwahrnehmung. Intern ist es natürlich ganz anders, da sind wir jetzt in den zwölf Jahren, die ich dabei bin, gefühlt zum ersten Mal eine richtig frische Band, die nach vorne schaut. Das fühlte sich die letzten Jahre mehr wie die Verwalter eines Namens an, zu dem ich gekommen bin, weil ich einfach gefragt wurde, ob ich da Schlagzeug spielen will. Und im Vergleich dazu fühlt sich das jetzt gerade viel, viel mehr an wie eine Band, die auch als Band agiert. Und wir beide haben für die Band super viel gemacht im letzten Jahr. Es ist unsere Band, aber wir haben natürlich diesen Namen, den man teils fast schon als Ballast bezeichnen könnte, weil einem einige vorwerfen, dass man den ja nur nutzt, um auf den Erfolgen der Vergangenheit aufzubauen. Das ist alles Quatsch. Die Geschichte hat sich aus dem Leben heraus so entwickelt, und es ist jetzt mehr eine Band als die letzten zwölf Jahre.

Woran machst du das fest? Warum fühlt sich das jetzt mehr als Band an als vorher? Was ist mit Tex vorne dran anders?
Alex: Gegenfrage: Hätte ich vor zwei Jahren mit Dirk hier gesessen?

Okay, Frage beantwortet ... Tex, bist du jetzt irgendwie so was wie der Jesus der Band, der Heilsbringer, der dem ganzen Ding neues Leben eingehaucht hat? Du bist ja wohl mehr als „nur“ ein neuer Sänger, weil du die ganze Gruppe mitziehst dadurch, dass du jetzt dabei bist.
Tex: Hahaha ... das kann man so nicht sagen. Da hat schon jeder seine Stärken und Schwächen und seine Charaktereigenschaften, die er einbringt ...
Alex: Die Band SLIME wäre vorbei, wenn du, Tex, jetzt nicht dabei wärst und die Band mit neuem Inhalt gefüllt hättest. Ganz einfach. Die Texte auf der Platte sind komplett von Tex, und als neuer Sänger in eine Band zu kommen, ist immer was anderes, als wenn Bassist oder Schlagzeuger wechseln. Die Leute schauen einen an, das Gesicht der Band ändert sich, das ist was anderes.
Tex: Von außen mag das so wirken ...
Alex: Nein, auch intern ist es so. Jeder hat da seine Rolle und jeder ist da wichtig, aber der Heilsbringer, wie Joachim das gerade genannt hat, das bist gerade du.
Tex: Ich war vorher noch nie in der Rolle. Ich habe als Teenager in Bands gespielt, wir haben in Jugendzentren ab und zu mal einen rausgehauen. Ich musste mich erst mal in die Rolle reinfinden. Nicht die Frontmann-Rolle, sondern, hey, wir sind jetzt eine Band, machen gemeinsam Musik und machen jetzt ein Album, schreiben gemeinsam Stücke. Viel von der Musik kommt auch von Elf und von Christian, dazu viel Input von Alex, gerade was Arrangements angeht. Zu dem ganzen Drumherum und wie es von außen betrachtet wird, fällt es mir schwer, überhaupt Stellung zu beziehen, weil ich noch nie in der Position war. Ich bin froh, dass mein Platz in der Band und mein Aufgabenbereich klar ist. Das ist ein Prozess, und am Anfang kam von mir weniger Input als jetzt. Jetzt reden wir über ganz andere Themen, jenseits von Songstrukturen. Ich habe viele von den Texten mitgebracht, die sind alle sehr autobiografisch. Im Grunde sind die so ein bisschen meine Therapie gewesen, ich habe damit ganz viel aufgearbeitet. Die Songs zu singen ist für mich in erster Linie ein Heilungsprozess gewesen, mehr als alles andere.

Nun gibt es ja bereits ein Narrativ zu eurem Quasi-Comeback, und das geht so: SLIME sind zurück und es singt jetzt Tex, ein zuvor obdachloser Straßenmusiker, den die Band in Berlin entdeckte. Ich denke, die Leute sind neugierig darauf, was die Geschichte dazu ist. Tex, kannst und willst du etwas dazu sagen, wie deine Lebensumstände in den vergangenen Jahren waren?
Tex: Na klar. Erwähnenswert ist aber auch, dass ich nicht mein ganzes Leben auf den Straßen Berlin verbracht habe und ich nicht schon immer dieser U-Bahn-Barde war, sondern ich hatte schon ein paar Leben davor. Ich war verheiratet, ich habe ein Drittel meines Lebens in den USA verbracht, hatte Haus, Kind, Kegel, Auto. Vor sechs Jahren landete ich über ganz viele Umwege in Berlin. Es gab eine Trennung, ich kam eigentlich für eine Umschulung für drei Monate nach Berlin, und aus reiner Geldknappheit fing ich an, von Kneipe zu Kneipe, von Bahnhof zu Bahnhof zu laufen und mir mein Bett im Hostel zu verdienen und gleichzeitig zur Schule zu gehen. Und irgendwann kam einfach ein Punkt, da hat es bei mir Klick gemacht ... und das war bestimmt keine vernünftige Entscheidung, aber es war eine für mich notwendige Entscheidung, um mit mir selber ins Reine zu kommen. Und die lautete: Du machst jetzt Musik. Und was dieses ganze Straßending betrifft ... Ich bin durchaus fähig, einen normalen Job auszuüben. Ich hätte mir längst eine Wohnung besorgen kann, wäre wahrscheinlich schuldenfrei und solvent mittlerweile. Aber das war eine bewusste Entscheidung: Nein, du machst jetzt Musik. Diese Texte sind einfach aus mir rausgepurzelt und ich habe festgestellt, dass ich mich gerade neu erfinden muss, wenn ich mich noch weiterhin selber in Ordnung finden will. Der Rest, das sind die Umstände. Ich meine, die Leute reden immer vom „Leben auf der Straße“ und „die Straßen Berlins sind so hart“. Ich habe im Ghetto gewohnt, in der South Side von Houston, Texas ... und finde es immer „lustig“, wenn Leute hier von Problembezirken reden. Ich schreibe über das, was ich gesehen habe. Und ich freue mich drauf, wenn wir irgendwann über den Punkt wegkommen, dass ich der Typ von der Straße bin. Und wo es anfängt, mehr um meine Musik an sich zu gehen. Das war das Ziel, daran habe ich hart gearbeitet und das werde ich weiterhin machen.

Du sagtest eben, dass deine Texte, die Musik für dich eine therapeutische Wirkung hatten. Dass es dir ein Bedürfnis war, das zum Ausdruck zu bringen, die Lieder sind aus einer konkreten Situation heraus entstanden, das eine ist untrennbar mit dem anderen verbunden.
Tex: Absolut. Ich habe immer auf Bahnhöfen gespielt in Bezirken, wo normale Leute leben. Ich habe mich nie an den Alex gestellt und Touristen bespaßt, auch wenn ich durchaus englische Texte hatte, früher mehr als heute. Ich war auch nie einer, der sich daran orientiert, wo man am meisten verdient, auch wenn manche sagten, geh nach Charlottenburg, da haben die Leute Geld. Ich habe festgestellt, dass die Leute, die wirklich extrem emotional auf meine Musik reagieren, jene sind, die sich damit identifizieren können. Den Leuten musste ich nicht erklären, wo ich war. Die waren selber da. Und selbst wenn ich mal keinen Bock hatte, das für mich zu machen, dann habe ich es für die gemacht, weil mir das was gegeben hat. Und am meisten Geld habe ich da bekommen, wo die Leute am wenigsten hatten.

Beim Thema Obdachlosigkeit bzw. Wohnunglosigkeit in Deutschland wird immer mit vielen verschiedenen Zahlen und Definitionen hantiert. Die Menschen, die man wirklich auf der Straße, in Unterführungen, unter Brücken liegen sieht, sind nur ein kleiner Teil von denen, die generell in der Situation sind, sich keine Wohnung leisten zu können.
Tex: Ganz viele dieser Leute siehst du jeden Tag zur Arbeit gehen. Die sind jeden Tag frisch geduscht und richtig hart am ackern. Und du würdest nie denken, dass sie obdachlos sind. Von dieser Art kenne ich ganz viele, gerade Frauen. „ofW“ lautet das Kürzel, „ohne festen Wohnsitz“. Wenn die Leute an Obdachlose denken, denken sie an Menschen im Schlafsack am Bahnhof und an die offene Hand. Aber das ist wirklich nur ein Bruchteil. Und was die Zahlen zur Obdachlosigkeit betrifft, so gab es in Berlin vor einigen Jahren eine offizielle Obdachlosenzählung. Die hatten sich Freiwillige geholt, die sollten die mal zählen, und dann kam die utopisch niedrige Summe von 2.000 Leuten oder so dabei heraus. Die Betroffenen wussten, die Zähler kommen, und wenn du nicht gefunden werden willst, dann bist du in Berlin richtig, dann wirst du nicht gefunden. Das Projekt ging total in die Hose, und die Dunkelziffer ist so erschreckend viel größer. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass die meisten Leute in diesem Land keine Ahnung haben, was eigentlich los ist. Um das abzudecken, bräuchten wir ein eigenes Interview, und das würde mindestens drei Stunden dauern. Am Ende hat jeder Mensch ohne Wohnung seine eigene Geschichte und du weißt nie, ob du ihm glauben kannst, weil ganz viele Leute einfach eine Geschichte erfinden. Aus Selbstschutz oder aus was für Gründen auch immer.

Wie kam dann die Verbindung zu Chris zustande, wie kam es, dass du bei ihm im Studio deine Musik aufgenommen hast?
Tex: Ich hatte mir im Laufe der Zeit einen Namen gemacht, gerade in alternativen Läden, in den Eckkneipen und so weiter. Ich war einfach so präsent an diesen Orten, dass mich die Leute irgendwann kannten. Es entstanden immer wieder Handyvideos von mir und irgendwann ist eines davon viral gegangen. Das war auf Facebook und irgendwann bei einer Dreiviertelmillion, das war der Song „Parkbank in Treptow“, das war der erste. Und dann kamen noch ein paar andere hinzu und es gab ein paar Artikel, im Intro, in der BZ und so weiter.

Bei YouTube findet man unter Tex Brasket einiges, das ging so 2018/19 los.
Tex: Ja, und mit diesem viralen Video ging es dann über Berlin hinaus. Da haben dann Leute versucht, mich zu finden. Mit einem bin ich dann mitgegangen, der hat mich zu Chris ins Studio geschleppt. So haben wir uns kennen gelernt und haben meine ersten zwei, drei Singles aufgenommen.

Hat dir diese Bekanntheit geholfen, wieder Boden unter die Füße zu bekommen? Dass du merktest, du bist vielleicht ein bisschen besser dran als andere in der Situation?
Tex: Auf jeden Fall. Das war ich vorher schon, weil ich immer zu essen gehabt habe. Ich hatte ein „Handwerk“, das auf der Straße funktioniert. An den Reaktionen auf die Videos habe ich gemerkt, dass ich das anscheinend kann. Anscheinend finden nicht nur Leute am Bahnhof das gut, sondern die sitzen zu Hause am Rechner und hören sich das ein drittes, viertes Mal an. Und hören es auf dem Weg in die Arbeit und schicken dir Nachrichten, weil dir jemand eine Facebook-Seite eingerichtet hat. Das war ein jahrelanger Prozess, das habe ich mir erarbeitet.

Wie bist du das erste Mal mit SLIME in Verbindung gekommen? Wie viel Punk war in deiner Jugend?
Tex: Anfang der Neunziger kam ich als Teenie aus den Staaten zurück, da habe ich Punk für mich entdeckt. Da kam gerade „Schweinherbst“ raus und ich habe mir dann schnell „Alle gegen Alle“ geholt. Sie waren eine sehr prägende Band in meiner Jugend, die mich auch ... ich mag das Wort „politisch“ hier gar nicht so, aber irgendwie sozialkritisch abgeholt hat und sehr augenöffnend für mich war. Die haben Sachen ausgesprochen, die ich so noch nicht formulieren konnte. Ich war damals ein schwieriger Jugendlicher, war an vielen Schulen, habe auch familienmäßig was weg, bin adoptiert, und so bin ich dann in der Punk-Szene gelandet. Mit 15 bin ich immer wieder abgehauen, und damals gab es in München noch eine Punk-Szene, da kamen dann die gefärbten Haare, die Nieten und alles, was damals so dazugehört hat. Und dann die Chaostage in Hannover und das ganze Zeug, das war schon ein sehr prägender Teil meiner Jugend. Später kam viel andere Musik hinzu und ich bin in die USA, habe da ein ganz anderes Leben geführt und bin mit ganz anderen Musikstilen in Berührung gekommen. Aber Punk war immer ein Faktor. Ich habe PROJEKT SCHWARZ ROT gehört, SLIME, GREEN DAY, BAD RELIGION, BLACK FLAG ...

Nun war Punk bis in die Neunziger noch eine Bewegung, in der es diese „Straßenköter-Punks“ gab, die sich in den Fußgängerzonen der Großstädte trafen und Bier tranken. Diese Straßenpunk-Szene, die mag es punktuell in Großstädten wie Berlin noch ganz am Rande geben, aber das sind schon mangels Geld nicht die Leute, die du auf Konzerten siehst. Punk ist heute schon ein relativ arriviertes Ding, denn 30 Euro Eintritt für ein Konzert muss man sich leisten können. Tex, wie viel Punk ist dir in deiner Zeit als Musiker in U-Bahnhöfen noch begegnet?
Tex: Sagen wir mal so: Ohne das, was in Berlin von der Hausbesetzerszene übrig ist, hätte ich gar nicht überlebt, gerade im Winter. Ich wage mal zu behaupten, dass ich ein paar mehr, in Anführungsstrichen, echte Punks kenne als die meisten, die du auf diesen Konzerten sehen wirst. Viele von denen können sich die Tickets gar nicht leisten, und wenn, dann sparen die sich das wirklich vom Munde ab. Im Grunde gibt es zum einen die Musikrichtung Punk und dann die Einstellung Punk. Für mich ist Punk in erster Linie das Vermitteln von extremen Gefühlen. Also ein Lebensgefühl irgendwo zwischen Wut und auch ganz viel Lebensfreude und einer schönen Portion Trotz. Für mich waren PUBLIC ENEMY und NWA so Punk wie BLACK FLAG, wenn nicht sogar ein Stück mehr. Und wenn wir von Punk als Musikstil reden, dann ist einfach passiert, was passieren musste: Die Leute haben ihre Instrumente irgendwann beherrscht, sie sind erwachsener geworden und haben deswegen auch erwachsenere Texte geschrieben. Letztlich machen wir Rockmusik. Und wenn du mich fragst, ob irgendwas noch Punkrock ist, dann sage ich: Ist eine Stromgitarre dabei, spüre ich was? Dann ist das möglicherweise Punkrock, aber das muss am Ende jeder für sich entscheiden.

Nun bringen SLIME den Ballast von 42 Jahren mit. Ballast ist nicht negativ gemeint, denn ein Schiff segelt nicht ohne Ballast. SLIME bringen diese ganzen legendären Platten mit, und Texte, die auch so bedeutsam für diesen Staat sind, dass er sie teilweise sanktioniert, sprich verboten hat. Die USA hatten die DEAD KENNEDYS, UK die SEX PISTOLS und THE CLASH, und Deutschland SLIME. Das ist die Bedeutung, die diese Band hat. Überlegt man sich, wie man mit diesem Anspruch und dem, was die Leute da hineinprojizieren, umgeht, wie man dem gerecht wird?
Alex: Ich kenne keine Band, die seit über vierzig Jahren existiert, die nicht Brüche hat und Ballast mit sich rumschleppt. BLACK FLAG, DEAD KENNEDYS, SEX PISTOLS, das sind alles einflussreiche, wegweisende Bands gewesen, aber auch umstrittene Bands. Oder die RAMONES – was da alles passiert ist, was es da für Geschichten gibt. Das geht gar nicht anders. Bei SLIME ist es genauso, und jetzt geht der Bruch sogar noch darüber hinaus, durch ein neues Gesicht und neue Stimme. Durch eine textliche Veränderung. So ist das Leben, die Zeiten ändern sich. Was soll’s. Ich sehe überhaupt keinen Grund, das griesgrämig und rückwärtsgewandt aufzuwühlen. Entweder ist es geil oder nicht. Unter dem Namen SLIME wurden wegweisende Sachen veröffentlicht, aber auch ein Haufen Scheiße, wenn man mal ehrlich ist. Aber wenn ein paar wegweisende Sachen dabei sind, dann ist es schon mehr als bei ganz vielen anderen. Für mich bringt das Konstrukt Band das mit sich. Fünf Leute, die über vierzig Jahre Musik machen ... Menschen verändern sich. Es gibt ja Leute, die finden nur die ersten drei Platten geil. Wenn man sich vorstellt, SLIME wären jetzt noch so wie bei den ersten drei Platten ... Die ersten drei Platten sind super, aber wie peinlich wäre das, wenn die Band heute noch so wäre? Es gibt nur die Lösung der Brüche und der krassen Weiterentwicklung, wenn man überhaupt eine Band über vierzig Jahre bestehen lassen will. Natürlich gibt es den Vorwurf, man hätte dann eben einen neuen Namen draufschreiben sollen. Aber willst du alles, was davor gewesen ist, über den Haufen werfen? Da ist ganz viel Gelaber dabei und ganz viel romantische Verklärung der Vergangenheit.
Tex: Wir wollen ja auch die alten Songs noch spielen. Es wäre doch peinlich, sich mit einem neuen Namen hinzustellen und zu sagen, wir als ehemals SLIME spielen deren Songs auch noch.
Alex: Es war einfach die Situation entstanden, dass Dirk weg war und wir vier festgestellt haben, dass wir voll Bock haben, in der Konstellation weiterhin zusammen Musik zu machen. So kam es zu der Entscheidung weiterzumachen. Das kann man doch keinem übelnehmen, wenn er seine alten Songs noch spielen möchte.

Du hättest dir ja einfach eine andere Band suchen können, und als Festival- und Konzertveranstalter hast du ja auch immer genug zu tun. Dein Leben hing nicht davon ab, bei SLIME zu trommeln.
Alex: Für mich war das Thema SLIME schon abgehakt – und ich bin jetzt aktiver bei SLIME, als ich es je zuvor war. Und jetzt gerade ist es mir wichtiger, als es das die letzten Jahre war. Ich bin ja nicht doof, ich habe auch gesehen, dass die letzten SLIME-Platten keine revolutionären Veröffentlichungen im Katalog sind. Das ist mir durchaus nicht entgangen. Ich fand die irgendwie gut, aber die haben natürlich an Frische eingebüßt und an Relevanz, weil die Band noch irgendwie so funktioniert hat. Die neue Platte ist anders, man kann es geil finden oder nicht, aber es ist definitiv eine Dringlichkeit da.

Kannst du den Begriff mit Worten füllen? Was macht diese Dringlichkeit, aus?
Tex: Ich finde, dafür spricht die Musik. Wenn du dir die Lieder anhörst, dann spürst du im Idealfall, wenn wir alle unseren Job gut gemacht haben, diese Dringlichkeit.
Alex: Die Dringlichkeit ergibt sich schon alleine dadurch, dass die Texte und die Musik von alleine kommen und raus müssen, und nicht erst krampfhaft gesucht werden. Wir haben uns am Ende ja auch teilweise Texte von anderen schreiben lassen, also auf der letzten Platte. Wir hatten total Bock auf die Band, aber die Inhalte waren uns so ein bisschen abhanden gekommen. Nach acht Platten ist viel gesagt und du wiederholst dich. Und eine Band, die so an ihren Texten gemessen wird wie SLIME, die sich musikalisch immer weiterentwickelt hat und geile Songs hat, und dann steht man und sucht nach einem Text ... Dann kommt einer aus der Band mit einem Text an und die anderen reagieren gar nicht drauf, oder es heißt, das ist nicht so meins, ich sehe das anders, das ist mir zu stumpf ... Wir konnten uns gar nicht mehr so richtig auf ein Ding einigen.

Bei den alten SLIME war also irgendwie die Luft raus.
Alex: Ja, auf jeden Fall. Das, was man da mitgekriegt hat, diese Eskalation mit Dirk am Ende, war ja nur die Spitze des Eisbergs.

Dafür war ja euer Konzert, das ich kurz vor Corona im Februar 2020 gesehen habe, aber noch echt gut. Live hat das schon noch funktioniert, oder?
Alex: Ja, man muss wirklich sagen, dass die Band live tatsächlich ganz am Ende noch mal einen draufgelegt hat im Vergleich zu der Tour davor. Die Konzerte haben bis zum Schluss funktioniert. Das war nicht so, dass da eine Altherren-Combo gestanden hätte. Aber aus dem Rest war die Luft raus. Es gab keine gemeinsame Richtung mehr. SLIME waren nie eine Band gewesen, die sich auf drei alten Platten ausgeruht hat und damit die letzten 15 Jahre ohne neue Veröffentlichungen rumgetourt ist. Den Weg sind SLIME nie gegangen. Es wurde immer Risiko gefahren, es sollte immer weiter vorangehen, auch wenn man sich mal verzettelt hat. Das ist das Wesen von SLIME und das ist ja eigentlich geil.

Tex, hast du die SLIME der jüngeren Neuzeit noch mal live gesehen?
Tex: Nee, ich hatte nie die Kohle.

Nun waren SLIME immer eine Band, die sehr prägend war und sehr stark rezipiert wurde in der klassischen linken Szene. Von der jeder Schritt, jeder Text genau beobachtet wurde. Es war eine Band, die hatte eine Strahlkraft über die Punk-Szene hinaus. Und so wird auch sicher jetzt wieder genau beobachtet, was SLIME machen, was dieser Tex für ein Typ ist, was für Texte schreibt er, was wird da gesagt, wie wird das gesagt, wie kann es gedeutet werden? Bist du dir dessen bewusst? Wie gehst du damit um?
Tex: Es gibt diese Blicke von außen. Ich betrachte selber am liebsten alles erst mal von außen. Und dann gibt es „die“ linke Szene, die – korrigiere mich, wenn ich falsch liege – in den letzten 42 Jahren nicht aufgehört hat, sich weiter zu entwickeln und nicht nur aus Punkrock besteht. Tja, also was ist „die linke Szene“ heute? Reden wir jetzt von Kommentaren auf YouTube? Am Ende sitzt eine Person irgendwo an einem Rechner und hat gerade ein bisschen Freizeit. Manche von diesen Personen sind super nostalgisch und wollen, dass sich nichts verändert. Und sie sind damit im Grunde konservativer als jeder CSUler, der sonntags am Stammtisch sitzt und schimpft. Ich glaube, mit manchen von denen könnte ich mich teilweise besser unterhalten als mit vielen Leuten, die sich als Vertreter der linken Szene betrachten. Da weißt du wenigstens genau, woran du bist. Natürlich war bei der ersten Single die Frage, wie die ankommt. Wie groß ist dieser Nostalgiefaktor? Wie viele neue Leute kommen hinzu, und wie viele springen ab und sagen: „Das ist für mich nicht mehr SLIME!“ Ich freue mich am allermeisten über die Leute, die sagen, ich will es ja irgendwie gar nicht mögen, aber ich kann mir nicht helfen, scheiße, leider geil. Doch davon gibt es richtig viele. Und darüber freue ich mich sehr. Und der Rest? Natürlich machst du dir Gedanken und bist auch dankbar für Feedback. Aber am Ende müssen wir das gut finden, was wir machen und müssen in den Spiegel schauen können und sagen: Geil!
Alex: Das Ding mit links, mit SLIME als Sprachrohr der linken Szene, das ist natürlich so. Aber du kannst in der Band mit jedem Einzelnen reden und jeder definiert links zu sein anders, gerade in dieser Band. Also wir sind fünf extrem unterschiedliche Menschen und können uns auf die Message, die wir jetzt zusammen gerade transportieren, dennoch einigen.

Was ist die Message?
Alex: Die Message kommt jetzt ganz stark vom Text. Das können wir alle tragen. Die ersten Songs waren sehr autobiografisch, schon die erste Single „Komm schon klar“ hat sich mit diesem „Straßending“ beschäftigt. Auf der Platte sind aber auch thematisch ganz anders gelagerte Songs, zum Beispiel „Mea culpa“, das ist quasi eine Weiterführung von „Religion«. Es geht um geht um sexuellen Missbrauch in der Kirche. Du findest kein neues „Bullenschweine“ oder „Deutschland muss sterben“ auf der Platte. Aber es ist auch vierzig Jahre später. SLIME sind da sehr inhomogen. Klar, wenn Sechzehnjährige sich zusammentun und eine Band gründen, sind die ähnlich sozialisiert, aber 42 Jahre später hat jeder seine eigene Lebenserfahrung, seinen eigenen Lebensweg. Das wird alles differenzierter und komplizierter. Was ist heute links? Für wen sind wir jetzt Sprachrohr? Ich kann das gar nicht mehr definieren.
Tex: Entweder du nimmst was mit oder nicht, identifizierst dich mit dem, was wir zu sagen haben als Band, oder halt nicht. Dieses Schubladendenken geht mir sowieso hart auf den Sack. Viel interessanter ist doch, was für Menschen wir erreichen, die überhaupt keinen Bezug zur linken Szene haben. Die du auf Themen aufmerksam machst, worüber sie sich sonst gar keine Gedanken machen. Wo jemand sagt: Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Zum Beispiel gibt es „Taschenlampe“, einen Song über Hausbesetzung. Wir haben im Vorfeld ja schon ein paar Leute die Songs hören lassen, und da waren welche dabei, die haben sich noch nie mit dem Thema auseinandergesetzt, die kennen. das höchstens aus der Bild-Zeitung, wenn mal wieder irgendwo ein Auto brennt. Die haben sich durch diesen Song erstmals mit dem Thema auseinandersetzen müssen und verstanden, dass die paar Freiräume dieser Art, die es noch gibt, erhalten bleiben müssen. Die wissen jetzt, warum es die überhaupt gibt und warum die so wichtig sind. Ich kenne ein Hausprojekt, da wohnen 55 Leute plus Kinder und Hunde und die kriegen es seit Anfang der Neunziger geregelt, sich selbst zu organisieren. Und dann haben sie in ihrer Nachbarschaft noch Leute durchzufüttern und auch Kultur zu bieten und sind eine echte Alternative zu dem, was du sonst so kriegst in Berlin.

Und das alles ist weg, wenn irgendeine auf Jersey registrierte Limited ankommt und sagt, so, das gehört jetzt uns und das verschwindet jetzt alles.
Tex: Dann nimmst du Kindern ihr Zuhause weg. Da sitzen ja nicht nur zwanzigjährige Vollhonks, die Bock auf Randale haben, sondern Leute, die ihre eigenen Entscheidungen treffen und sich nicht dreinreden lassen wollen, wie man zu leben hat oder wie viel Geld man zum Leben braucht. Teil des ganzen Konzepts ist ja, dass man gar nicht so viel Kohle braucht, wenn alle zusammenhalten. Dann müssen wir in diesem Hamsterrad nicht ganz so schnell laufen. Da können wir uns zwischendurch auch mal in die Hängematte legen, uns ans Feuer setzen, uns einfach des Lebens erfreuen. Du hast mehr Zeit, weil du weniger Geld brauchst. Das Thema ist aktuell wie noch nie. Und diese ganzen Projekte sind so bedroht wie noch nie.
Alex: Die ganze Platte ist hochpolitisch, aber auf eine andere Art. Ein AfD-Wähler wird mit der Platte nicht viel anfangen können. Es ist politisch, aber mehr auf einer persönlichen Ebene. Ich bekam zum Beispiel Feedback von Leuten aus der Nachbarschaft, die verfolgen, was ich mache, aber keine SLIME-Fans sind und die mir sagen, das hat mich berührt, da komme ich jetzt mal zum Konzert. Der „korrekte“, irgendwie links denkende Mensch ist ja nicht zwangsläufig Fan von „Wir wollen keine Bullenschweine“ und „Deutschland muss sterben“. Das ist über vierzig Jahre alt und, wenn man jetzt mal ganz ehrlich ist, echt ein bisschen aus der Zeit gefallen. Das ist für viele abschreckend, die aber ja nicht unkorrekt oder doof sind. SLIME waren ja die letzten Jahre schon weit davon weg, und ich denke, manche Menschen fühlten sich davon nicht mehr abgeholt. Durch einen persönlichen Text und eine persönliche Geschichte fühlen die sich ganz anders ins Boot geholt.

Eine Sache muss ich ansprechen, weil die mich getroffen hat, obwohl ich nicht persönlich gemeint war. Das sind Kommentare zu den neuen Videos in der Art: „Das ist ja Deutschrock, da kann ich auch gleich Onkelz hören!“
Alex: Aber was sind das für Leute? Haben die Ahnung von Musik? Ist das, weil die Stimme ein bisschen kratzig ist?
Tex: Ist das unser Problem? Das Ding ist: Was ist ein guter Song? Ein guter Song ist für mich einer, wo ich ansatzweise emotional irgendwie nachvollziehen kann, was da inhaltlich und auch melodisch weitergegeben wird. Im Idealfall so sehr, dass es Bilder in meinem Kopf entstehen lässt, die ich selber sehen kann. Die sind sowieso für jeden anders. Hört doch, was ihr wollt. Wenn es euch nicht passt, was wir machen, hört euch was anderes an! Ich find’s geil. Ich bin stolz drauf.
Alex: SLIME mögen jetzt ein bisschen rockiger sein, das kann ich nachvollziehen. Wobei die letzten Platten auch schon so waren. Wenn man jahrelang ein Instrument spielt, rumpelt man nicht mehr so wie früher. Das kann man scheiße finden. Wenn Leute Trash-Punk bevorzugen, ist das okay, das ist alles Geschmackssache. Aber soll man sich als Band jetzt krampfhaft von irgendwas abgrenzen, wo man sich sowieso nicht zugehörig fühlt? Deutschrock, das ist für mich Udo Lindenberg, ich liebe Udo Lindenberg. Was haben wir also damit zu tun? Teilweise kommen ja da Vergleiche, unglaublich ... Da denke ich mir, hörst du irgendwie hin? Was für eine Attitude hast du im Kopf, dass du das jetzt zusammenbringt?

Tex, du hast als Straßenmusiker Gitarre gespielt. Hast du auch auf dem neuen Album Gitarre gespielt?
Tex: Ja, ein bisschen Akustikgitarre. Ich spiele wahnsinnig gerne E-Gitarre, aber wir haben schon zwei Gitarristen. Und wenn wir jetzt noch mit einer dritten Gitarre anfangen, dann können wir gleich über Steve Vai diskutieren. Bei „Taschenlampe“ und bei „Sein wie die“ spiele ich Gitarre. Das hat sich einfach so ergeben. Bei den größeren SLIME-Konzerten werde ich das auch live machen, aber nicht bei den kürzeren Festival-Gigs und bei den kleineren Support-Shows. Ich habe immer Bock, Gitarre zu spielen, und ich mache auch weiterhin solo Mucke.

Zum Zeitpunkt des Interviews haben SLIME noch nie in der neuen Besetzung live gespielt, aber wenn das Heft erscheint, gab es drei Konzerte im Vorprogramm von BAD RELIGION. Und dann eben im Juli den Auftritt beim Ruhrpott Rodeo.
Tex: Ich habe noch nie vor mehr als 400 Leuten gespielt. Das wird für mich noch spannend.
Alex: Ich habe ihm gesagt, er soll sich das Publikum einfach als Fototapete vorstellen, wenn es zu krass wird.
Tex: Das wird schon. Ja, ich bin nervös, aber ich habe richtig Bock. Das wird jetzt auch echt Zeit.
Alex: Wir gehen ganz offen damit um. Wir sind ja nicht KISS und müssen eine Show abziehen. Die Band wächst da rein. Ich mache mir da überhaupt keine Sorgen
Tex: Das wird für uns ein total spannender Prozess.
Alex: Wir fangen an mit diesen Support-Shows, dann kommen ein paar Festivals und dann unsere Mini-Tour, die eigentlich mal als die ersten Konzerte geplant waren. Danach kommen Konzerte in normaler Größe. Wird dieses Jahr echt volles Programm, das sind bestimmt dreißig Konzerte oder mehr

Habt ihr schon entschieden, was von den Klassikern dabeibleiben wird? 16 Songs sind auf dem Album, allein das ist schon eine Menge Material, das reicht schon aus für eine Show. Wo haben da die alten SLIME Platz?
Tex: Es ist eine Herausforderung. Es wird bestimmt der eine oder andere enttäuscht sein, weil er seinen Lieblingssong nicht hört, ob jetzt von der neuen Platte oder von dem alten Zeug.
Alex: Wir spielen auf jeden Fall „Religion“, „Störtebeker“ und „A.C.A.B.“. Und „Schweineherbst“. So viel können wir versprechen. Manche alte Songs funktionieren auf Anhieb, manche passen einfach nicht zu Tex. Zum Beispiel die Songs von „Sich fügen heißt lügen“ mit den Erich Mühsam-Texten. Die brauchen wir aber auch nicht. Diese Songs sind wie ein Fremdkörper in dem, wie SLIME jetzt sind. Und dann ist das eben so.
Tex: Manche Songs fühlen sich musikalisch einfach verloren an innerhalb der Setlist, die funktionieren einfach nicht, etwa von der Stimmlage her, teilweise aber auch, weil keiner mehr Bock drauf hat.
Alex: Tatsächlich ist es bei mir auch wirklich so, dass die Songs, die ich eh über hatte, auch nichts für Tex sind. Wir sind musikalisch ähnlich sozialisiert. Die, die mir liegen, liegen ihm auch ganz gut. Der größte SLIME-Hit der ersten Ära ist für mich „Religion“, und den haben wir angezählt, losgespielt und der saß. Das war schon so, als ich neu zu SLIME kam. Wenn man was geil findet, fällt es einem als Musiker viel leichter, das zu spielen.

Ich habe von Singen keine Ahnung. Singst du denn anders als Dirk?
Tex: Jeder Sänger singt anders als die anderen. Es kommt auf den Song an. Mein Hauptanliegen ist, den Song entsprechend zu transportieren. Was genau ich da technisch mache, kann dir jemand anders garantiert besser erklären. Ich kann nicht mal Noten lesen, ich habe keine Ahnung, was ich da mache. Ich will, dass die Leute was spüren. Und ich will es selber spüren. Mal singe ich ein bisschen cleaner, manchmal brülle ich richtig, mal spreche ich eher oder kotze es aus. Ich glaube, das können andere besser beurteilen oder darüber fachsimpeln.
Alex: Dirk und Tex sind beide keine Grunzer. Schon früher waren SLIME immer die Band mit jemandem, der richtig gesungen hat, so im Vergleich zu anderen deutschen Punkbands. Etwa wenn du SLIME mit HASS vergleichst. Tex ist auch ein richtiger Sänger, wobei er und Dirk total verschiedene Stimmen haben.

Wie bereitest du dich vor, für die Shows fit zu sein?
Tex: Na ja, auf jeden Fall steht auf meiner To-Do-Liste, mich vorzubereiten. Ich habe auch schon solo zwei Stunden durchgeballert. Das wird körperlich anstrengend, und ich bin nicht mehr der Jüngste, aber auch nicht der Älteste. Meinen Lifestyle muss ich ja auch ein bisschen ändern, mal ein bisschen zur Ruhe kommen und auch mal einen ruhigen Hafen ansteuern. Wo genau, stellt sich jetzt gerade heraus – vielleicht sogar im Pott. Mein Konsumverhalten hat sich schon drastisch geändert, aber da ist noch Luft nach oben. Ich habe Bock, mich wohler zu fühlen und das auch durchzuhalten. Die ersten Sets, die wir jetzt spielen, sind sowieso kürzer als das, was wir dann später machen. Das ist ein ganz guter Nebeneffekt, sich da langsam reinzufinden. Ich stand noch nie auf so einer Bühne mit so einer Band, da muss sich mal sehen, wie viel ich mich bewege und hopse. Es wird kein RAGE AGAINST THE MACHINE-Konzert sein, ich will vor allen Dingen, dass der Song gut klingt. Und das allein ist schon anstrengend genug. Wenn du deinen Job richtig machst, dann musst du keine akrobatischen Kunststücke vorführen. Dann gehen die Leute auch so ab. Das hat auch Dirk jahrelang bewiesen.

Es ist schon spannend, was das für alle Seiten letztlich für ein wichtiger neuer Abschnitt und großes Experiment ist.
Alex: Es ist super aufregend! Es ist ja auch keine „vorbelastete“ Person, die singt, die jeder von einer anderen Band kennt. Tex ist wirklich neu, den kennt man noch nicht mit einer Band auf einer Bühne. Und dazu kommt, dass sich ja jetzt gerade sein ganzes Leben total verändert. Es kommt alles zusammen. SLIME ist eine Konstante, da sind 35 Termine im Kalender, da kommt eine Platte raus. Das ist teilweise echt ein Chaos, das alles irgendwie in die Wege zu leiten. Tex bekommt von der Band volle Unterstützung.
Tex: Das ist eine Herausforderung ...

Das klingt, als ob man da eine Diplomarbeit darüber schreiben könnte: „Punkrock als einschneidendes Lebensereignis“.
Tex: Man könnte fast ein Buch drüber schreiben ...
Alex: Ich finde es interessant zu sehen, dass das für Band als Sozialgefüge ein super spannender Prozess ist. Bei den Konzerten sind bestimmt viele sensationsgeile Leute, die uns scheitern sehen wollen.
Tex: Sagt mir, dass ich was nicht kann. Das war für mich mein ganzes Leben lang schon ein Motivator. Bitte unterschätze mich. Ich habe schon viel gemacht, ich war Handwerker, ich war Bühnenarbeiter, schon lange bevor Veranstaltungstechniker ein Lehrberuf war. Das war mein erster Job. Ich habe mit 19 angefangen, Konzerte aufzubauen. Erst in München, dann in den USA. Und dann war ich lange Tierpfleger, mit Pferden, ich habe auf einer Ranch gearbeitet. Ich habe aber auch schon Burger geflippt und war Tellerwäscher für $5.25 die Stunde. Alles, was irgendwie geholfen hat, die Rechnungen zu bezahlen. Aber eine richtige Lehre gemacht habe ich nie.
Alex: Ich habe mal eine Schreinerlehre gemacht. Und mit dem Abschluss diesen Beruf sofort wieder beendet.