TODESKOMMANDO ATOMSTURM

Foto© by Stefan Gruber

Nicht-dogmatische Selbstermächtigung

Die Münchener Band TODESKOMMANDO ATOMSTURM hat nach sechs Jahren mit „Endlich Zukunft“ ein neues Album vorgelegt. „Endlich“ möchte auch ich sagen, denn das, was die fünf da runterreißen, hinterlässt bei mir das gleiche Gefühl wie vor rund dreißig Jahren das erste Album von ... BUT ALIVE. Es ist ehrlicher, zorniger und politischer Punkrock mit klarer Kante und jeder Menge Hits. Gründe genug, um sich mal mit Lea (voc), Chrissi (gt), Pölle (bs) und Tobi (gt) zu unterhalten. Nur Schlagzeuger Matze war nicht dabei.

Warum hat es so lange bis zur neuen Platte gedauert?

Lea: Unser letztes Album „Hunger der Hyänen“ ist 2016 erschienen. Danach haben wir uns nicht sofort wieder ans Songwriting gemacht, sondern vor allem viele Konzerte gespielt. In der Zeit haben wir schon immer ein bisschen an neuem Zeug gebastelt, aber für einen echten Arbeitsfluss war ein bisschen die Luft raus. Als wir wieder Bock hatten, neue Sachen intensiver anzugehen, kam Corona.
Pölle: Da wir das Virus von Anfang an sehr ernst genommen haben, hatten wir also erst mal gar keine Möglichkeit mehr, zusammen im Proberaum zu stehen. Hinzu kam, dass Chrissi vor der Pandemie nach Berlin gezogen ist. Wir haben zwar versucht, eine Art digitalen Workflow zu erarbeiten, aber so richtig gelingen wollte uns das nicht. Ende 2021 konnten wir vereinzelt ein paar Konzerte spielen und haben da beschlossen, alle neuen Songs auf einem Tonträger festzuhalten. Wir haben also die bestehenden Songbaustellen fertig gebastelt, bis alle von uns zufrieden waren, und hatten aus diversen Gründen auch nur ein kleines Zeitfenster zur Verfügung, um die Songs im Studio aufzunehmen. Ich bin sehr froh, dass wir die Platte jetzt in den Händen halten können.

Der Titel lautet „Endlich Zukunft“ und das Coverbild zeigt die fast schon bedrohliche Tristesse eines Betonhochhauses. Was war so faszinierend an der Kombination?
Pölle: Zusammen mit dem Artwork lässt der Titel viel mehr Raum für unterschiedliche Interpretationen. Ich habe „Endlich Zukunft“ nie optimistisch verstanden, da eine lebenswerte Zukunft gefühlt weiter weg ist als je zuvor. Bei mir ist das Glas aber auch meistens halb leer.
Tobi: Die Welt ist im Umbruch und in vielen Bereichen sind wir an Punkten angekommen, zu denen wir nie wollten. Ob sie den Titel jetzt eher sarkastisch oder hoffnungsvoll interpretieren, bleibt den Hörer:innen selbst überlassen. Ich finde aber, er setzt eine gute Klammer um die Songs, die fast alle das Thema Zukunft auf ihre Weise in sich tragen.

In „Dead Punks“ kritisiert ihr einen Teil der Punk-Szene zu Recht als „Männlich, weiß und Machoscheiß, borniert, sediert und unreflektiert“, der Song endet dann mit „Punk is dead. Punk is dead, but Punks are not“. Wie löst ihr diesen – vielleicht auch vermeintlichen – Widerspruch für euch auf? Und seht ihr durch die #PunkToo-Diskussion eine Spaltung der Szene?
Lea: Na ja, es ist ja nicht wirklich ein Widerspruch. Das, was unter dem Label Punk läuft, ist eben häufig überaltert, festgefahren und konservativ. Das hat dann aber meiner Ansicht nach nicht mehr viel mit Punk zu tun, wie ich ihn interpretiere. Punk ist für mich, wenn der Status quo hinterfragt wird, und das ist mit #PunkToo sehr aktuell passiert. Die Diskussion war mehr als überfällig und an der Reaktion vieler, deren Verhalten in Frage gestellt wurde und wird, merkst du, dass es super wichtig ist, über strukturellen Sexismus auch in unserer Szene zu sprechen. Wenn einzelne Leute sich angegriffen fühlen oder sich mit dem Thema nicht auseinandersetzen wollen, dann kann es bestimmt sein, dass diese sich von „der Szene“ distanzieren. Aber mir als betroffene Person ist es ehrlich gesagt ein bisschen egal, wenn bestimmte Typen es nicht packen, dass ihr Verhalten beziehungsweise ihre Privilegien in Frage gestellt werden. Seit wir diese Diskussionen offener führen und Dinge benannt werden, fühle ich mich in unserer Szene um einiges wohler. FLINTA*-Personen werden plötzlich nicht nur als Bandanhängsel gesehen, sondern es ist ins Bewusstsein der Leute getreten, dass wir auch Musiker:innen sein können. Dass wir nicht nur Partybegleitung sind, sondern wir wirklich selber Bock auf das laute Konzert und den Pogo haben. Dass ich beim nächsten Konzert vielleicht nicht die bin, die das Bandessen kocht, sondern die, die an dem Abend Technik macht. Die Liste lässt sich beliebig fortführen. Für mich und sehr sehr viele FLINTA*-Personen ist es unglaublich befreiend, nun endlich Dinge offen zu diskutieren. Und ich glaube, am Ende haben alle was davon.
Chrissi: Die Frage nach dem Spaltungspotenzial finde ich wesentlich interessanter. Ich glaube, Spaltung entsteht da, wo beide Seiten sie wollen und keine Bereitschaft besteht, die jeweils andere mitzunehmen. Das Mitnehmen passiert aber nicht von alleine und setzt einiges an Reflexion voraus. Die ist zum einen großteils mindestens unangenehm, zum anderen ist das eine ziemlich einseitige Geschichte, was nun mal bei jeder strukturellen Diskriminierungsform so ist – am Ende reden wir einfach über Sexismus, auch wenn der Song noch andere Themen hat. Da kann ich mich auch nicht ausnehmen. Konkret heißt das, dass etablierte Akteure der Szene von ihrem hohen Ross des Alleinvertretungsanspruchs runterkommen müssen, und da haben sich einige in den letzten Jahren nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Dieses Heft gehört leider auch dazu, aber ich will es als Prozess sehen und auch ich als Typ fühle mich in einem progressiven Umfeld wohler, weswegen ich letztendlich auch diesen Text geschrieben habe.

In „Tigerbalsam“ geht es um das Älterwerden. Warum habt ihr den Song geschrieben?
Tobi: Uns gibt es als Band jetzt 14 Jahre. Wir waren teilweise noch sehr jung, als wir angefangen haben, gemeinsam Musik zu machen, und sind gemeinsam älter geworden. Wir hatten viel Spaß zusammen und haben viel gestritten, und in jedem Fall war es bis hier her sehr intensiv. Da war es an der Zeit, dieses Gefühl mal in einem Song festzuhalten. Nicht nur auf die Band bezogen, sondern auf Punk im Allgemeinen. Wie es sich früher angefühlt hat, wie es sich jetzt anfühlt.

„Tag des Feuers“ und „Kabul calling“ beschreiben die Realität in Brasilien und in Afghanistan. Was waren die Auslöser für euch, diese bitteren Realitäten in euren Texten zu verarbeiten.
Tobi: 2019 brannte der Amazonas in Brasilien so heftig wie noch nie, nachdem Farmer sich am sogenannten „Tag des Feuers“ zur Brandrodung verabredet hatten. Die damals neue Regierung unter dem rechtsradikalen Hassprediger Bolsonaro bestärkte die Aktion noch und machte klar, dass von ihrer Seite keine Konsequenzen zu erwarten seien. In Brasilien kam unter Bolsonaro einfach alles zusammen. Sein Versuch, die Demokratie auszuhöhlen, sein Rassismus und Sexismus, das Leugnen des Klimawandels und der Corona-Pandemie. Das hat mich auf eine diabolische Weise fasziniert und so ist der Text entstanden. Wenigstens wurde Bolsonaro inzwischen wieder abgewählt. Zu „Kabul calling“: Ich habe vier Jahre mit jungen Geflüchteten gearbeitet. Ein Großteil kam aus Afghanistan. In der Zeit habe ich viele erschütternde und verstörende Geschichten gehört und immer wieder zusehen müssen, wie den Menschen hier nur Steine in den Weg gelegt wurden, anstatt ihnen das Ankommen zu erleichtern. Viele wurden dreifach traumatisiert. In ihrem Herkunftsland, auf der Flucht und dann durch den bürokratischen Apparat in Deutschland. Wenn du über Monate nicht weißt, ob du morgen abgeschoben wirst, keine Arbeitserlaubnis bekommst und in menschenunwürdigen Unterkünften wohnen musst, macht dich das psychisch fertig. Ich habe immer mal wieder mit dem Gedanken gespielt, diese Zeit musikalisch zu verarbeiten, war mir aber nicht sicher, ob wir uns die Geschichten dieser Leute zu eigen machen dürfen. Außerdem hatte ich Angst, dass es am Ende zu pathetisch wird. Pathetisch ist es auf alle Fälle geworden, aber scheiß drauf. Es ist ein guter Song.

Warum habt ihr euch bei „Über den Trugschluss der feministischen Punkrockparty“ dazu entschieden, den Text auf Französisch zu schreiben. Eine schöne Sprache zweifellos, aber ...
Lea: Französisch ist eine Sprache, in der ich mich sehr wohl fühle, und ich wollte schon immer einen französischen Song schreiben. Es geht in dem Text um Selbstermächtigung. Und um das Gefühl, von vielen nicht verstanden zu werden. Ich finde, da ist eine Sprache, die nicht jede:r versteht, ein ganz gutes Bild.