WOLFGANG WIGGERS

Foto© by Privat

Erinnerungsarbeit

Viele Ausgaben lang waren im Ox Fotos aus dem Archiv von Wolfang Wiggers zu sehen, geschossen vor über 40 Jahren auf Punkkonzerten in Norddeutschland. Mit diesem Ox endet die Serie und Wolfgang erklärt warum.

Deinen aktuellen und wohl letzten Artikel schicktest du mir mit den Worten: „Ich habe zwar noch viel mehr Fotos, aber zu wenig Erinnerungen an die jeweiligen Konzerte, um vernünftige Artikel darüber zu schreiben.“ Kannst du ergründen, warum du dich an manche Konzerte von vor 40+ Jahren noch detailgenau erinnern kannst, während die Erinnerung an andere verschwunden ist?

Eigentlich ist es eher mein Unvermögen, über Musik als solche zu schreiben. Die Konzerte, die mir so stark im Gedächtnis blieben, dass ich auch etwas darüber schreiben kann, sind die, bei denen neben der Musik irgendetwas Besonderes passiert ist. Du spürst eine Hand auf der Schulter, drehst dich um und dann steht da plötzlich Lydia Lunch neben dir. Oder Nick Cave tritt dir die Monitorbox gegen das Schienbein oder du schleichst dich auf die Bühne und dann beginnt Jello Biafra für dich und deine Kamera zu posen. So etwas vergisst man nicht. Die Eindrücke von anderen Konzerten, waren sie auch noch so einzigartig, etwa THE SOUND, John Cale, beginnen nach dieser langen Zeit sich zu einer etwas verwaschenen Einheit zu vermischen. Wo war das noch, wer hat als Vorgruppe gespielt, wer war damals noch am Bass ... Und dann ist mir natürlich auch aufgefallen, dass meine Artikel über Punk-Konzerte sich zum Teil wiederholen. Selbstverständlich gab es jedes Mal Pogo, Bierduschen und Rotzangriffe.

Wenn man deinen Namen mal bei Discogs eingibt, gibt es diverse Treffer im Kontext der deutschen Wave-Szene der frühen Achtziger, du wirst da bei diversen Platten als Fotograf aufgeführt. War das deine damalige Szene-Beteiligung?
Tatsächlich habe ich viele Kontakte zu Bands über meine Fotos bekommen. Die schrieben mich dann an, ob sie Abzüge bekommen könnten. Dass dann einige Fotos auch für Plattencover genutzt wurden, war eine willkommene Zugabe, über die ich mich natürlich gefreut habe. Einige Fotos habe ich allerdings auch speziell als Coverentwurf geplant. Die Szene-Beteiligung geschah aber auch über die Musik. Neben der Fotografie hatte ich mich schon früh mit elektronischer Musik beschäftigt und mich an vielen Compilation-Tapes hauptsächlich im Ausland beteiligt. Auf Ptôse in Frankreich, Trax in Italien, Touch in England und auf den Samplern von 5th Column in Japan finden sich einige meiner Stücke. Da die Tapes ihren Weg auch nach Deutschland fanden, dauerte es dann nicht lange, bis ich meine Synthesizer, MS-10 und MS-20, sowie meine selbstgebauten Instrumente in die Übungsräume lokaler Bands schleppte, um gemeinsam etwas Lärm zu machen. So bin ich dann letztendlich als „Multi-Instrumentalist“, der aber eigentlich keines der Instrumente im klassischen Sinn beherrscht, bei WdMK und schließlich bei den KASTRIERTEN PHILOSOPHEN gelandet.

Was hat dich als fotografierender Dokumentarist damals angetrieben? Und warst du dann irgendwann „raus“?
Ich habe eigentlich schon als Kind immer eine Kamera dabeigehabt und viel fotografiert. Nach meinen ersten Konzertfotos in den Siebzigern, das waren noch Bands wie GROBSCHNITT, STREETMARK oder die SCORPIONS, die damals praktisch in der Nachbarschaft spielten, merkte ich, dass viele Leute meine Fotos gut fanden. Punk war dann noch einmal so ein gigantischer „Booster“. Plötzlich spielten fast alle in einer Band und an jedem Wochenende gab es unzählige selbstorganisierte Konzerte. Ich glaube, jeder hatte damals das Gefühl, dass gerade etwas Außergewöhnliches passiert. Solch einen Aufbruch hat es wohl vorher und auch nachher in der Musikszene nicht gegeben. Dazu kam ja noch, dass kaum jemand bei den Konzerten fotografierte. Nicht so wie heute, da alles auf tausend Handys festgehalten wird. Eine für mich überaus wichtige Bestätigung bekam ich dann, als Richard Gleim, der leider schon verstorbene Düsseldorfer Fotograf und Punk-Dokumentarist der allerersten Stunde, einige meiner Aufnahmen in sein Werk „Guter Abzug“ aufnahm. Dass ich mit der Bandfotografie aufhörte, war dann keine bewusste Entscheidung. Als ich anfing, bei den KASTRIERTEN PHILOSOPHEN zu spielen, geriet die Fotografie langsam in den Hintergrund. Vielleicht auch beruflich bedingt, denn ich schrieb damals gerade an meiner Doktorarbeit. Heute ärgert mich das maßlos, denn gerade in dieser Zeit hätte ich spannende Fotos besonders im Backstagebereich machen können.

Und was brachte dich vor ein paar Jahren dazu, in alten Fotos und Erinnerungen zu kramen und sie im Ox veröffentlicht sehen zu wollen?
Ich habe es immer als unbefriedigend empfunden, die Fotos im Schrank verstauben zu lassen. So habe ich schon vor etwa 15 Jahren begonnen, alle Negative zu scannen und teilweise im Netz zu veröffentlichen. Das Interesse an den Fotos war groß und es ergaben sich daraufhin viele interessante Kontakte und auch Möglichkeiten, die Bilder in diversen Publikationen zu veröffentlichen. Ein guter Freund, der schon mehrfach Artikel im Ox veröffentlicht hatte, riet mir dann dazu, Fotos mit kurzen Texten zu kombinieren und beim Ox einzureichen.

Was ist mit all den anderen Fotos? Schuhkartons im Schrank – oder digitalisiert und für die Ewigkeit archiviert?
Schuhkartons? Ich befürchte, das passiert mit vielen interessanten dokumentarischen Fotos. Sie landen auf Dachböden oder im Keller, werden vergessen, und später entsorgen die Erben den „Papierkram“ dann im Müll. Ich möchte, dass meine Fotos gesehen werden. All meine Negative sind digitalisiert und zum Beispiel auch im offiziellen Archiv der Punk- und Post-Punk-Szene „Archiv B“ hinterlegt, siehe archivb.de. Einige der Bilder habe ich auch in meinem Flickr-Stream eingestellt. Ich werde oft gefragt, ob ich nicht mal eine Ausstellung in Angriff nehmen möchte. Ich habe mich aber dazu entschlossen, die Fotos lieber in verschiedenen Publikationen, wie Bücher, Cover, Beiheften, unterzubringen. Das funktioniert zur Zeit ganz gut und macht mir Freude.

Was hast du zwischen dem Zeitpunkt der Entstehung der Fotos und dem Abdruck im Ox getrieben? Und was reizt dich bis heute an diesem Punk-Ding?
Bis 2001 habe ich als Postdoc in der Hirnforschung gearbeitet. Danach bis zu meiner Pensionierung als Biologielehrer an Hauptschule und Gymnasium. Nach Aussage meiner Schülerinnen und Schüler habe ich es aber geschafft, nicht zum „typischen Lehrer“ zu werden. Ja, das Punk-Ding ... Für mich war es weniger Pogo und Iro, eher Spontanität und das Gefühl von Freiheit. Die Freiheit, mit der eigenen Kreativität in die Öffentlichkeit zu gehen. Nicht nur konsumieren, auch produzieren. Die Verdener Punks OH78 haben es damals folgendermaßen ausgedrückt: „Ich habe meinen Intellekt verloren, ich fühl mich endlich wieder richtig frei. Ich kann mich jetzt selbst lenken, ich tu was, anstatt zu denken, was andere sagen, ist mir einerlei.“ Nur nicht zu lange grübeln und planen, einfach machen. Das habe ich auch versucht, den Kids in den von mir viele Jahre lang geleiteten Schulbands zu vermitteln, und ich glaube, ich war erfolgreich damit. Und mittlerweile habe ich das alte Achtziger-Jahre-Musikequipment wieder reaktiviert. Funktioniert alles noch einwandfrei! Mal sehen, was daraus wird.