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SOULSIDE

Live In Rome/Live At Forte Prenestino 1989

Die Hardcore-Szene der Achtziger war eine Szene der Käffer, der Kleinstädte. Kennt jemand Leutkirch? Liegt eine Stunde südlich von Ulm, war damals nur über Landstraße erreichbar, aber im dortigen Jugendzentrum veranstaltete ein Typ namens Wip Wiedemann von der Band FREEZING DATE Konzerte.

Unter anderem eben auch im Frühjahr 1989 eines mit SOULSIDE aus Washington D.C., und da wir seit Jahren schon alle Releases auf Dischord abfeierten, war klar, dass wir da sein würden und auch ein Interview führen wollten.

Was in Zeiten ohne E-Mail, Mobiltelefon und wochenlanger Brieflaufzeiten ins Ausland logischerweise eine spontane Angelegenheit war – kein Label, kein Manager, keine Promoagentur, mit der so was wochenlang vorher terminiert werden musste, es könnte ja sein, ein Musiker, so weise wie Nathan, stünde auf Tour emotional so unter Stress, dass man von einem Interview doch lieber Abstand nehmen wolle ...

Nein, damals war man eben eine Stunde früher da, fragte sich nach backstage durch, wurde freundlich begrüßt und führte das Interview (nachzulesen in Ox Nr. 3). Auf eben jener Tour, gebucht von Dolf vom Trust-Fanzine, spielten SOULSIDE kreuz und quer in Europa in Juzes und besetzten Häusern, unter anderem nahe Rom im Forte Prenestino, einer verfallenden Festung aus dem 19.

Jahrhundert, und durch einen Zufall entstand bei dieser Gelegenheit eine erstaunlich brauchbare (und erhalten gebliebene!) Live-Aufnahme, die das polnische Antena Krzyku-Label nun aus ganz persönlichen Gründen im Vinylformat veröffentlicht hat.

Denn damals, die Mauer war noch nicht gefallen, aber Polen schon ein ganzes Stück offener für westliche Bands als die SED-Diktatur nebenan, spielten SOULSIDE im Mai 1989 einen Tag nach einer illegalen Show in Ost-Berlin auch im Studentenclub Palacyk in Wroclaw, kurz vor den Wahlen, die die Solidarnosc-Bewegung an die Macht brachte.

Für Wojtek Kozielski, der die Linernotes des Albums verfasste, war das Konzert ein die Augen öffnendes Erlebnis im Hinblick auf Hardcore und DIY, und nicht nur aus diesem Grund ist dieses Album, das passend zu einer SOULSIDE-Jubiläumstour im Herbst 2019 veröffentlicht wurde, so ein spannendes Zeitdokument einer Band, die wir damals unter „Emocore“ verbuchten – was diese freilich im Interview von sich wiesen.