DIE ÄRZTE

Muss hier jetzt ein Vorwort stehen? Muss ich die ÄRZTE einführen? Nein, wohl eher nicht, sondern stattdessen womöglich erklären, warum dieses Interview in diesem Heft steht. Ganz einfach: Weil wir Lust drauf hatten, oder um es mit den ÄRZTEN - ich zitiere aus "Punk ist..." vom "13"-Album - zu sagen: "Mach dein Ding - steh dazu". Und so zogen Tom, David und ich uns am Rande der "Vans Warped Tour" in Duisburg mit Bela, Rod und Farin in eine ruhige Ecke zurück. Ton ab.

Hat man nach dem tausendsten Interview eigentlich noch irgend was zu sagen?

Bela: So viele haben wir ja noch gar nicht gemacht. Es waren so ungefähr 980. Ausserdem sind wir nicht Arabella Kiesbauer und müssen nicht ständig die Menschheit zulabern. Trotzdem machen wir das immer wieder, es muss wohl sowas wie Sendungsbewusstsein sein. Wenn man nicht auf der Bühne stehen kann, gibt man eben Interviews. Das is so ´ne Hobby-Einstellung, und sonst würden wir Skateboard fahren.

Nun gibt es ja zwei Arten von Interviews: zum einen mit Bands, die nur dünne Bretter bohren und entsprechend wenig Gehaltvolles absondern, und zum anderen Punkbands oder solche, die aus dem Punk kommen, und die, weil Punk von Anfang an ja immer auch sowas wie Sendungsbewusstsein involviert hat, auch mal Gehaltvolleres absondern...

Bela: Naja, aber die ÄRZTE haben sich ja gegründet, weil uns Bands mit Sendungsbewusstsein auf den Senkel gingen und wir da keinen Bock drauf hatten. Damals gab es ja eine Band namens SOILENT GRÜN, das für die Geschichtsforscher unter euch, und da waren auch zwei dabei, die eher so Parolentexte haben wollten, die anderen eher nicht, und daraus sind dann die ÄRZTE entstanden.

Auf der letzten Platte hattet ihr ja passenderweise auch diesen Song gegen Protestsongs namens "Grotesksong". Was gab´s da für Reaktionen?

Farin: Die ganze Palette, gerade aber auch die, dass wir gefragt wurden, ob wir das ernst meinen oder ob es da innerhalb des Liedes noch einen Bruch gebe. Naja, so in der Art halt, und ich finde es langweilig, das erklären zu müssen.

Bela: Die meisten haben schon verstanden, wie wir das meinen, die kriegen das mit, und die, die zweifeln, die Fragen stellen, machen das oft nur um mit uns zu reden.

Unterbrecht mich, wenn ich Blödsinn erzähle, aber ich denke, es ist doch so, dass etwa auf der Fanzine-Ebene und bei kleineren Bands von Seiten des Interviewenden meist ein ehrliches Interesse an der Band vorhanden ist, während genau das immer weiter in den Hintergrund tritt, je grösser die Band und das Heft wird. Da geht´s doch dann oft nur noch darum, dass ein bestimmtes Thema im Heft sein muss. Wie geht ihr damit um?

Bela: Dürfen wir dieses Interview hinterher korrekturlesen? Kriegen wir die Titelseite? Was haben wir ausgemacht? Nein, ganz ernsthaft, es gibt gewisse Zeitungen und Zeitschriften, wo wir die Schreiber kennen und wo wir den Artikel vor der Veröffentlichung zu sehen bekommen und kontrollieren können, ob das richtig geschrieben wurde, was wir gesagt haben. Das einzig willkürliche, was wir mal gemacht haben, war, dass uns Fotografen unterschreiben mussten, keine Fotos an den Bauer-Verlag bzw. die Bravo zu verkaufen.

Farin: Die andere Seite ist, dass wir mittlerweile solche Punk-Methusalems sind, dass es beinahe in jeder Redaktion so ´nen Aussenseiter gibt, der die ÄRZTE geil findet und sich deswegen tatsächlich auskennt. Der muss dann gar nicht so viel dazuphantasieren, weil er die "offiziell wahre" Geschichte der ÄRZTE eben kennt. Wir hatten etwa jetzt überraschenderweise jemand beim Fachblatt, der sich sehr gut mit uns auskennt.

Rod: Oder das "Spiegel"-Interview, das war unglaublich. Die waren so gut vorbereitet, die wussten jeden Mist über uns und haben uns Sachen vorgelegt, da wussten wir gar nichts davon.

Farin: Ja, das war geil, da sass ich dann und fragte mich, ob ich diesen Scheiss wirklich mal losgelassen habe. Der Stern zum Beispiel würde keine Story über uns bringen, was daran liegt, dass wir uns überhaupt nicht anbiedern. Die verstehen auch gar nicht, was es mit uns auf sich hat, die machen halt Westernhagen, der einen Public Relations-Manager hat, der macht für den ´nen Termin klar und dann wird schick auf Ibiza essen gegangen. Okay, wir haben mittlerweile auch ´ne Frau, die für uns die Pressetermine koordiniert, aber das läuft eher so, dass die uns sagt, wann wir wo sein sollen. Wir verschliessen uns eben diesem Grosskotzjournalismus, so gut es geht, wobei ich nicht weiss, ob ich das richtig erklärt habe oder ob das das richtige Wort ist. Wir sind für die einfach nicht interessant genug, denke ich.

Ihr seid ja gewissermassen öffentliche Personen. Wie viel Privatheit kann oder muss man sich da bewahren?

Farin: Wir haben da von Anfang an eine straighte Linie gefahren, mit der Ausnahme, dass wir ´84 eine gefakete Homestory in der Bravo hatten und behauptet wurde, Bela würde im Proberaum wohnen. Darauf bekam er dann jede Menge Angebote von Fans, er könne bei ihnen wohnen.

Bela: Sogar Freunde kamen an und meinten, ich hätte doch nur sagen brauchen, dass ich ´ne Wohnung brauche, hehe.

Farin: Jedenfalls war das die einzige "private" Ausnahme, und die ist auch schon 15 Jahre her. Seitdem haben wir so konsequent nie über unser Privatleben gesprochen, dass das bis letztes Jahr mit der Bravo nie ein Thema für die Medien war, die haben sich damit zufrieden gegeben, was wir so als Band von uns geben, was ja eigentlich auch genug sein sollte. Da, wo ich wohne, war ich sogar fünf Jahre lang regelmässig im Supermarkt und keiner hat mich erkannt. Erst neulich meinte dann einer "Sach mal, du bist doch...". Ich finde, fünf Jahre sind schon eine gute Zeit, und so bekannt sind unsere Fressen dann doch nicht.

Bela: Wir sind halt keine Talkshow-Band, sind super selten im Fernsehen, das bei Harald Schmidt war das letzte und das ist auch schon wieder ´ne Weile her.

Farin: Unsere Zurückhaltung geht da schon beinahe wieder nach hinten los, weil unsere Fans sich beschweren, dass es so wenig "Futter" über und von uns gibt. Da gibt es derzeit intern heftige Diskussionen, wie wir damit umgehen sollen: Mehr Fernsehen oder nicht? Das endet immer an dem Punkt, was wir denn machen sollen, denn im Fernsehen gibt´s ja nix.

Rod: Ein paar lustige Ideen hatten wir ja, aber das klappte dann nicht. Etwa dass wir zu dritt zu "Herzblatt" wollten. Fast wäre das was geworden, die haben uns alle drei gecastet, aber den Witz nicht verstanden und wollten uns einzeln in die Sendung reinnehmen. Das machte aber keinen Sinn.

Ihr meintet eben, ihr würdet euch nicht anbiedern...

Farin : Das mit euch ist natürlich was anderes...

Klar, dafür muss man schon ein bisschen kämpfen. Aber was anderes: Es gibt da so eine unterschwellige Rivalität zwischen den ÄRZTEN und den TOTEN HOSEN, bzw. zwischen ihren Fans. Was sagt ihr dazu? Und wie sieht´s mit der Glaubwürdigkeit aus?

Farin: Ich muss da erstmal vorausschicken, dass ich die Hosen tatsächlich mag. Wir reden miteinander und wir kommen klar. Das Problem, das ich vor ein paar Jahren mit den Hosen hatte, war, dass sich Campino hingestellt hat und behauptete, er sei kein Millionär. Da haben wir nur lachend gesagt, dass er dann aber ziemlich doof sein müsse, bei den Mengen von Platten, die sie verkaufen.

Rod: Campino, frag mal deinen Manager, hehe.

Farin: Das andere ist: Du kannst eben nicht ewig drauf rumreiten, dass du Punk bist. Das haben wir erst viel später gemacht, als schon längst klar war, dass wir keine Punks mehr sind.

Bela: In den Achtzigern sind wir von den ganzen Punks richtig gehasst worden. Die ganzen Leute aus den besetzten Häusern, aus den Jugendzentren, für die waren wir das Letzte, weil wir eben in den grösseren Läden gespielt haben, für die waren wir Verräter. In den Neunzigern hat sich das dann total geändert, und das, obwohl wir alles getan haben, um uns als völlige Verräter zu qualifizieren: wir haben uns "reuniert", obwohl wir vorher geschworen hatten, dass das nie passieren würde. Ich selbst habe das ein halbes Jahr vorher noch im RockHard beschworen...

Farin: Vielleicht hängt es auch damit zusammen, dass die Leute begriffen haben, dass wir das machen, was wir wollen. Ich benutze da immer gerne das Beispiel von unserer Platte "Le Frisur". So eine Platte würde sonst keine andere erfolgreiche Band machen, das würde sich niemand trauen.

Rod: Oder "Bullenschweine", das hätte sich Peter Maffay nicht getraut.

Apropos Punkrock. Privat seid ihr ja, wie man so mitbekommt, durchaus auch musikalisch dem Punkrock nicht abgeneigt, während eure Platten ja nur ganz am Rande musikalisch was mit Punkrock zu tun haben. Also zumindest das, was man konventionell als Punkrock bezeichnen würde, macht ihr nicht.

Farin: Hm, zwischendurch halt mal wieder. "Meine Freunde" zum Beispiel, das geht ja wohl als Punkrock durch, aber deshalb musste natürlich auch wieder ein Death Metal-Part rein - eine Dimension reicht uns eben nicht.

Bela: Ich denke, man hört unseren Platten an zwei, drei, vier Songs schon an, was wir so für Musik hören. Auf "Planet Punk" hörte man, dass wir damals viel von diesem California-Zeug gehört haben, auf der letzten Scheibe, dass wir viel BAUHAUS gehört haben...

Ihr macht ja auch schon mal diverse Side-Projekte. Ist das so ´ne Art, seine musikalischen Vorlieben zum Ausdruck zu bringen bzw. auszuleben?

Farin: Naja, das ergibt sich halt so. Wenn mich MAD SIN anrufen, ob ich nicht auf der Platte mitmachen will und ich in Berlin bin, dann mache ich das halt.

Rod: Mich kennen sie schon, deshalb ruft da keiner mehr an, hehe.

Es gibt da ja noch diese Metalband ZWEI FICKENDE HUNDE...

Bela: Ja, das ist halt so ein Spass-Ding. Mit den ÄRZTEN können wir so viel Metal halt nicht machen.

Rod: Wir sind eben selbst noch Fans, das bewahren wir uns, und wir müssen den Punkrock ja nicht komplett abdecken. Es gibt eben genug Bands, die eine Sparte machen und die wir total lustig oder gut finden, etwa die ZUSAMM-ROTTUNG.

Farin: Die Leute aus dem SATOR-Umfeld aus Schweden sind für mich da ein gutes Beispiel. Die machen noch Labels und andere Bands und tun irre viel für ihre Musik, einfach nur so aus Spass heraus. Ähnlich verhält sich das bei uns, nur nicht mit so viel Zeitaufwand. Die leben das 24 Stunden am Tag.

Themenwechsel: Deutschsprachige Bands bzw. Musiker, die ein paar Millionen Platten verkaufen und ganz oben in den Charts sind, gibt´s nicht so viele, und die teilen sich auch noch in völlige Arschkrampen und akzeptable Bands auf.

Farin: Was meinste denn mit Arschkrampen?

Na, sowas wie Maffay halt. Und dann gibt´s drei Bands auf diesem Level in Deutschland, die aus einer Subkultur stammen und da wohl auch noch verwurzelt sind: das sind die TOTEN HOSEN, DIE ÄRZTE - und die BÖHSEN ONKELZ. Jetzt die Preisfrage: welche dieser drei Bands passt nicht zu den anderen?

Farin: Naja, so wie du das gerade gesagt hast gehören schon diese drei Bands in diese Kategorie. Dabei haben die ONKELZ aber eine Vergangenheit, die wir auch kennen, persönlich kennen, und wir haben mehr oder weniger unangenehme Zusammenstösse und Begegnungen mit denen gehabt.

Bela: Und wir haben auch schon ganz gute Lacher über die gehabt.

Farin: Das Ding ist, dass es eigentlich völlig überflüssig ist, jetzt hier über die zu reden. Von der Vergangenheit her läuft da halt was parallel, und zwischen den Fans aller drei Bands gibt´s eben so eine gewisse Rivalität.

Wenn jetzt Fragen zu so einem Thema wie den ONKELZ kommen, wie geht ihr damit um? Denkt ihr drüber nach, was ihr da antwortet, habt ihr da im Hinterkopf, dass ihr jetzt aufpassen müsst?

Farin: Wir wollen gar nicht über die reden. Nur noch soviel: Ich finde, das ist eine ganz schlechte Band, und jedes Wort, das man in der Öffentlichkeit über sie verliert, wertet sie nur auf. Selbst wenn ich sage, wie schlecht die musikalisch und textlich sind.

Okay, ich meinte die ONKELZ jetzt auch nur als Beispiel.

Farin: Ja, aber die ONKELZ sind eben nicht nur ein Beispiel, das ist ein spezielleres Thema als das meiste andere. Ich und die beiden anderen könnten natürlich genau ausführen, was wir dazu denken, aber wir machen damit Werbung für die falsche Sache.

Fans... Handelt es sich dabei in eurem Fall nicht vor allem um weibliche Wesen?

Farin: Ich gebe zu, wir haben auch ein paar männliche Fans, nicht nur Frauen.

Darauf wollte ich ja hinaus: Frauen sind ja weibliche Wesen über, naja, 16... Also sind das bei euch doch eher Mädchen.

Bela: Was? Hey, komm mal runter von deinen Vorurteilen, Alter.

Ich meinte ja auch nur, dass es vorher Probleme geben kann...

Bela: Mit wem?

Na, wenn´s auffliegt...

Farin: Wenn man mal ein Konzert von uns sieht, dann sind die Leute, die vorteilsfrei alles toll finden, was man macht - was durchaus schön sein kann, wenn man mal einen schlechten Tag hat -, schon eher die Jüngeren. Je älter sie werden, desto mehr andere Konzerte haben sie gesehen und desto kritischer werden sie, auch wenn sie bei uns vielleicht weniger kritisch sind als bei vielen anderen Bands, das gebe ich ja durchaus zu. Aber die machen gute Stimmung, und es ist nicht so, wie man vielleicht denkt, dass die ganzen ersten Reihen keine Schamhaare haben. Wir wissen das, wir haben da schon Stichproben gemacht.

Stichprobe, haha, guter Wortwitz...

Farin: Ja, gut, ich gebe es zu, das war geschmacklos. Die haben natürlich alle keine Schamhaare, die sind ja alle frisch rasiert.

(Grosses Gelächter, anzügliche Witze von allen Beteiligten, die leider nicht mehr exakt reproduzierbar sind...)

Farin: Scheisse, jetzt habe ich den Faden verloren!

Haha, sehr witzig, den Faden...

Farin: Okay, okay. So jung ist unser Publikum aber gar nicht, aber wenn jemand erst vierzehn ist, der fällt schon auf. Aber klar, es gibt auch Zehnjährige auf den Schultern der Eltern. Wenn da so zwei Generationen von Fans vor uns stehen, das sind so Situationen, wo ich mir furchtbar alt vorkomme.

Bela: Und wenn wir noch ein paar Jahre warten, kommen sie zu dritt, dann haben wir so Pyramiden von ÄRZTE-Fans vor der Bühne.

Eure Konzerte sind ja nicht gerade kleine Veranstaltungen, und eure Fans himmeln euch an, für die seid ihr Stars. Verträgt sich sowas mit Punk, der ja damals wie heute auch gegen Starkult und seine Auswüchse antritt?

Bela: Diese Sache hatten wir mit uns schon ganz am Anfang geklärt, als eben nach SOILENT GRÜN die ÄRZTE gegründet wurden. Wir nahmen damals, 1984 war das, am Berliner Senats-Rockwettbewerb teil, haben gewonnen und brauchten das Geld auch dringend. Und damals sind wir als Popband angetreten, ganz bewusst. Wir haben nach wie vor in den gleichen Läden gespielt, auch in besetzten Häusern, haben die Leute "mit poppigen Grüssen" begrüsst und wurden genauso angerotzt wie vorher auch, aber mit dem feinen Unterschied, dass wir jetzt ´ne Popband waren. Und plötzlich wurde dann die Bravo auf uns aufmerksam, das war das Grösste für ´ne Band wie uns, für jemanden mit so ´ner Anti-Haltung.

Farin: Das war schon ´ne ziemliche Ironie: Wir sollten plötzlich so tun wie Pop-Stars.

Bela: Gleichzeitig war die Bravo natürlich so ein Hass-Objekt, und irgendwie passte das plötzlich alles zusammen: wir als Anti-Band zur damaligen Berliner Punkszene, die Bravo, unsere Verarschungsschiene.

Farin: Zielt deine Frage darauf ab, ob wir uns jetzt als Verräter fühlen da oben?

Nö, eigentlich nicht, das war nur so als Frage gedacht.

Farin: Na dann. Für uns ist das eher eine Frage, wie ernst man sich selber nimmt. Wenn man natürlich Verfechter des Einzigen, Wahren und Guten ist und meint, alles muss schön klein bleiben, dann hätten wir uns schon ´85 auflösen müssen. Ich denke, es ist dumm und kurzsichtig, eine Band dann Scheisse zu finden, wenn sie erfolgreich ist, einfach ausgehend von dem Selbstverständnis, sich selbst für was Spezielles zu halten und der Denkweise, dass man eine Band, die man selbst gut findet, doch nicht mit so vielen anderen Leuten teilen kann. Also lautet die Konsequenz, dass entweder der eigene Geschmack oder die Band Scheisse ist. Und dabei stimmt womöglich beides nicht.

Bela: Um auf damals zurückzukommen: Mit der Bravo lief das ziemlich gut, wir hatten dann ´nen Majordeal, es kam uns alles zwar ziemlich seltsam vor, aber uns stand auch nichts im Weg, denn es gab für uns keine Regeln, die wir hätten über Bord werfen müssen. Die einzige Regel war irgendwie anders zu sein, unser Ding durchzuziehen.

Kann es sein, dass euch andere Leute ernster nehmen als ihr euch selbst? Ich denke da an Zwölfjährige, die euch völlig anhimmeln und sowas.

Farin: Ich denke, in dem Alter ist das ziemlich normal. Die Leute werden älter, kommen in die Pubertät und denken dann über sowas auch anders. Was ich erschreckend oder besser gesagt ziemlich intensiv finde, sind eher so Sachen, wenn Leute ankommen und erzählen, dass sie uns seit ´83 hören, 500 Konzerte besucht haben und unsere Musik auf ihrer Hochzeit gespielt haben. Ob wir denn wüssten, was wir ihnen bedeuten? Da merkst du, du bist ein total wichtiger Teil von deren Leben, und dann erwarten die natürlich auch, dass du sowas wie ein Messias bist - und nicht, dass du dich wegdrehst und sagst "Tut mir leid, ich habe jetzt gar keine Lust mit dir zu reden". Da bricht für die ´ne Welt zusammen. Oder es kommen Leute an und fragen, ob sie mir die Hand schütteln dürften, und da reagiere ich eher so, dass ich frage warum, das sei doch keine besondere Hand. Sowas finde ich beängstigender als kleine Mädchen, denn bei denen weiss ich, das geht vorbei.

Denkt man an sowas, an Verantwortung, wenn man Texte schreibt?

Farin: Da noch nicht, sondern dann, wenn wir uns zusammensetzen und entscheiden, welche Lieder auf Platte kommen.

Bela: Ich denke da an "Saufen", ein Lied, das ich gerne auf der Platte gehabt hätte als Statement zu einer bestimmten Richtung, diesem Alki-Fun-Punk, von dem wir uns losgesagt haben und wo´s immer nur um Alkohol geht. Dieser Song ist so echt und gottgleich, ich liebe ihn, aber trotz meines Vetos wurde der dann nur auf die B-Seite von "Männer sind Schweine" gepackt. Naja, ich muss natürlich zugeben, dass das schon ´ne richtige Entscheidung war, denn wenn du so sturzbesoffene, grölende Typen in der ersten Reihe hast, dann ist das nicht so toll. Da kann ich schon eher damit leben, dass "Männer sind Schweine" unser Äquivalent zu "Zehn kleine Jägermeister" ist.

Haben eure Fans denn auch Hosenträger in Deutschland-Farben an? Bei gewissen Bands ist sowas ja durchaus zu beobachten.

Farin: Unsere Fans an und für sich nicht, nee. Aber wir machen auf sowas aufmerksam. Zur Zeit von "Schrei nach Liebe" haben wir da aber eine interessante Erfahrung gemacht. Da bekamen wir einen Brief, der war total geil. Der schrieb: "Ich habe mich total gefreut, als ich gehört habe, die ÄRZTE sind wieder zusammen. Ihr seid meine Lieblingsband, ich stehe auf deutsche Musik. Und dann tanze ich in der Disco zu "Schrei nach Liebe" und muss plötzlich feststellen, ihr singt über mich und singt "Arschloch!". Da hab´ ich gemerkt, ihr seid linke Zecken!" Original so kam der Brief, und das hat uns dann doch überrascht. Weil früher haben wir immer gedacht - aber das war wohl ´ne naive Annahme-, so wie wir drauf sind, zwar nicht kommunistische Vorkämpfer, aber doch das Gegenteil von rechts, das kommt doch rüber. Wir dachten, dass uns nur linke Zecken gut finden, also ich meine im weitesten Sinne liberale, aufgeschlossene, moderne junge Menschen, die viel zu intelligent sind für Rassismus.

Wenn man ´ne Menge Platten verkauft, verdient man auch ´ne Menge Geld und kann das dann sowohl behalten wie auch viel Gutes damit anstellen. Spricht man über sowas?

Rod: Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder wir machen das nicht, oder wir machen es und reden nicht drüber. In beiden Fällen reden wir nicht drüber.

Als Band, die Erfolg hat, kann man sich entweder drum kümmern, dass die Eintrittspreise und das Merchandise erschwinglich bleiben, oder man scheisst auf die Moral und kassiert richtig ab.

Farin: Es gibt ja immer wieder Bands, die behaupten, sie hätten auf sowas keinen Einfluss, aber das ist falsch. Wenn du keinen Einfluss mehr darauf hast, bist du einfach dumm. Klar, du kannst einschlagen, wenn dir die Industrie eine Million für die Merchandising-Rechte bietet. Nun sitzen da bei der Industrie aber schlaue Leute, die da nicht ohne Grund sitzen, und die wissen schon, warum sie dir eine Million geben. Du brauchst dich dann nicht zu wundern, wenn ein T-Shirt 50 Mark kostet. Wir dagegen haben uns bis auf ein paar kleine Ausnahmen nie von unseren Rechten getrennt, auch wenn die Angebote manchmal schon verlockend waren.

Bela: Was die Eintrittspreise anbelangt, so fällt mir da die Geschichte ein, wie wir mal nach einem Konzert noch in ein Juze gegangen sind, um PROPAGANDHI zu schauen. Wir hatten wie immer für drei Leute einen Bodyguard dabei, und natürlich haben uns ein paar Leute erkannt, das wurde dann sogar ein bisschen heikel. Und da machten uns dann echt so Typen an, warum wir nicht mehr für 10 Mark spielen würden. Aber weisste, wenn wir für ´nen Zehner spielen würden, wären diese Typen die ersten, die meckern würden, dass wir nicht für ´nen Fünfer spielen.

Rod: Aber das ist ein Problem, das alle Bands haben, speziell Punkbands. SLIME mussten sich damals mit Bierdosen bewerfen lassen, weil sie für 6 DM gespielt haben. Daran, dass die auch das Benzin von irgendwas bezahlen mussten, hat keiner gedacht.

Apropos Gewalt. Habt ihr in letzter Zeit mal so richtig auf´s Maul bekommen?

Farin: Soll das jetzt ein Antrag sein?

Bela: So, wie ich es sehe, steht´s drei zu drei...

Rod: Nee, wir sind verbal ziemlich stark und suchen eher die geistige Schlägerei.

Farin: Und ich kann schnell rennen.

Bela: Es gibt schon immer wieder Leute, die sich messen wollen, so Schwachmaten halt, die wollen, dass du sie provozierst, damit sie zuschlagen können.

Farin: Ja, aber witzigerweise haben dann selbst solche Leute irgendwie Respekt vor uns. Die kommen an, sind richtige Schränke, haben sich schon zig mal geprügelt, aber verfallen dann in unserer Gegenwart diesem Rockstar-Mythos. Die stehen dir gegenüber, wollen dich eigentlich anmachen, aber dann rattert´s und du merkst, dass sie denken, dass man ja so ´nen Rockstar nicht einfach hauen kann. Ich bin ja stärker, aber andererseits...

Ihr habt euch ja reformiert...

Farin: Ist schon wieder sechs Jahre her, Tom, du hast wohl viel gekifft in letzter Zeit.

Hm, geht so, aber sagt mal, habt ihr es bereut?

Farin: Klar, die letzten Jahre waren zum Kotzen, ich wünschte, ich hätte es nicht gemacht, aber die Verträge... Und das Finanzamt sitzt mir auch im Nacken.

Bela: Sagen wir mal so: Wenn ich an der Tankstelle stehe und mein Wagen ist vollgetankt, dann lasse ich das Benzin immer noch ein bisschen laufen, einfach so, weil ich´s eben habe. Und ich nehme natürlich immer nur Super Plus.

Farin: Willste die Wahrheit hören? Es ist immer noch voll geil, sonst würden wir auch nicht weitermachen. Nach der letzten Tour sind wir uns nach dreieinhalb Monaten Tour tatsächlich mal ein bisschen auf den Sack gegangen, denn davor haben wir zwei Monate zusammen Promo gemacht und waren davor drei Monate im Studio und davor waren wir zusammen auf Reisen. Letztendlich waren wir beinahe ein ganzes Jahr lang jeden Tag zusammen und da haben wir uns etwas genervt. Das haben wir jetzt so gelöst, dass wir dieses Jahr ausser diesen vier Festivalterminen alles abgesagt haben, und jetzt geht das auch wieder.

Sind eigentlich die DEPP JONES-Platten noch irgendwo zu bekommen?

Rod: Nee, das ist echt ´ne Rarität. Die Sony macht da keine Neupressung, die sind blöd. Die haben aber mal angerufen und wollten ´ne "Best of..." machen.

DEPP JONES waren damals ja nicht gerade ein Superseller.

Bela: Das würde ich so sicher nicht sagen. Man könnte das auch durchaus als F.L.O.P. bezeichnen...

Farin: Im Gegensatz zur grandiosen Band KING KONG, die dann doch noch ein paar Platten weniger verkauft hat, haha.

Was macht ihr derzeit denn so ausserhalb der ÄRZTE?

Farin: Ich will nächstes Jahr nach der neuen ÄRZTE-Platte anfangen, meine Solo-Platte aufzunehmen. Mit anderen Leuten mache ich nichts, weil ich denke, dass ich keinen finde, mit dem ich mehr auf einer Wellenlänge bin als mit den beiden hier. Andererseits merke ich halt, dass es Sachen gibt, die ich gerne machen will, die die beiden aber nicht so toll finden.

In welche Richtung wird die Solo-Sache gehen?

Farin: Vereinfacht gesagt höre ich gerne Salsa und Punkrock. Jedenfalls müssen viele Bläser dabei sein.

Bela: Das klingt so, wie wenn du zum Mexikaner gehst und du kriegst ´ne Sauce mit ´ner Kakerlake drin.

Farin: Genau so ´ne Musik!

Bela, was macht dein Comic-Verlag EEE?

Bela: Er läuft, er läuft gut. Ich muss mich da tierisch viel drum kümmern, ohne einen Pfennig Geld zu verdienen, aber es macht tierisch viel Spass. Ansonsten habe ich bei ´nem Film mitgemacht, "Baldower" heisst der und kommt im Februar ins Kino. Zuerst war ich nur als Schauspieler gefragt, doch dann hatten die Probleme, an Musikrechte zu kommen und ich bot ihnen an, statt 40.000 Mark für ´nen Schlager aus den Sechzigern auszugeben lieber mir 2.000 Mark zu geben.

Ihr habt schicke Anzüge an. Werdet ihr eigentlich von Hugo Boss ausgestattet oder sind die selber gekauft?

Bela: Die haben wir gefunden.

Rod: Wir sind in den Bus von Frosch-Sportreisen eingestiegen, da lagen diese Anzüge und wir haben die einfach genommen.

Farin: Scheisse, wir hätten einfach nicht den Nightliner von SICK OF IT ALL nehmen sollen...

Bela: Früher war es so, dass immer die Leute von Adidas oder Puma ankamen und uns nach unserer Schuhgrösse fragten. Die haben dann einfach was geschickt, in der Hoffnung, wir würden das auf der Bühne oder auf Fotos tragen. Na, und heute kommen halt auch Leute von anderen Marken...

Danke schön, das war´s!