CHARGE 69

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Punkrock-Karaoke

Eine beeindruckende Liste an Gästen hat die französische Oi!-Band CHARGE 69 da für ihr neues Album „Much More Than Music“ zusammengetrommelt: So teilen sich unter anderem Roger Miret, Campino und Charlie Harper das Mikrofon, um jeweils einem Lied ihre Stimme zu leihen. Wir haben uns bei Caps nach der Geschichte hinter den jeweiligen Gastsängern erkundigt.

Wie bist du auf die Idee gekommen, euer neues Album komplett mit Gastsängern zu besetzen?


Diese Idee schwirrte mir schon seit zehn Jahren im Kopf herum. Ursprünglich hatte ich allerdings den Plan, eine Art Best-Of-Compilation aufzunehmen. Da das Ganze aber etwas Besonderes werden sollte, und wir ja zum größten Teil in englischsprachigen Ländern unterwegs sind, sollte eine Auswahl unserer stärksten Songs in einer englischen Fassung neu aufgenommen werden. Ich weiß allerdings nur zu gut, wie schrecklich unser Akzent im Englischen klingt. Es gibt echt nichts Schlimmeres, als Lieder mit dämlichen, französischem Akzent hören zu müssen, daher verwarf ich diese Idee recht bald wieder. Doch dann kamen mir die ganzen befreundeten Bands und Szenegrößen in den Sinn, die wir so in den Jahren auf Tour oder bei Konzerten kennen gelernt hatten, und das Projekt „Much More Than Music“ nahm langsam Gestalt an ...

Wie gestalteten sich die Aufnahmen der einzelnen Songs?

Zu Beginn überlegten wir gemeinsam, welche unserer Songs mit auf das Album sollten. Als die Songauswahl feststand, nahmen wir im Studio zuallererst eine Instrumentalversion jedes einzelnen Liedes auf. Als Produzenten entschieden wir uns wieder für Jon Caffery, da wir mit seiner Produktion unseres letzten Albums „Résistance Electrique“ äußerst zufrieden waren. Als wir Jons Zusage hatten, teilten wir nach einem groben Mix die Songs jeweils einem Sänger oder einer Sängerin zu und schickten ihnen jeweils zwei Dateien, einmal unsere ursprüngliche Fassung des Songs und dann eine neuaufgenommene Instrumentalversion. Als alle mit der Zuteilung einverstanden waren, ließen wir ihnen eine grobe Übersetzung des Originaltextes zukommen, die sie sich später noch anpassen konnten. Matt Dangerfields Part ist eine Ausnahme, da er einen bisher unveröffentlichten Song bekam. Dann ging es nur noch darum, für jeden jeweils ein Studio in der Nähe zu finden, wo sie ihren Gesangspart aufnehmen konnten, um das Ganze dann zum Abmischen zurück an Jon zu schicken. Nachdem alle den finalen Mix abgenickt hatten und eventuelle Änderungswünsche berücksichtigt waren, standen die zehn Songs für das Album fest. Glaub mir, das war ein ganz schöner Haufen Arbeit!

Wie beurteilst du jetzt mit etwas Abstand das abgeschlossene Projekt?

Wir haben ja jetzt geschlagene zwei Jahre daran gearbeitet und du kannst mir glauben, wenn ich dir sage, dass mit der Fertigstellung für uns ein Traum wahr geworden ist! Punkrock ist meine Passion und bereits seit einer ganzen Weile zum Lebensinhalt geworden, und umso mehr freue ich mich, dass wir unser neues Album mit all den Gästen umsetzen konnten, denen ich auf jeden Fall sehr dankbar bin. An dieser Stelle möchte ich aber auch die erwähnen, die ebenfalls an der Produktion beteiligt waren: Jon Caffery, Lionel Titeux und Alicia. Danke, ihr alle habt mir so ziemlich das schönste Geschenk gemacht, das ich mir vorstellen kann!

Nun zu den einzelnen Sängern. Lass uns anfangen mit ...

Charlie Harper, UK SUBS


Der gute Charlie war der Erste, den ich gefragt habe. Mit ihm verbindet mich eine besondere persönliche Geschichte: Als ich mir 1980 „Another Kind Of Blues“ kaufte, das erste Album der UK SUBS, und ich die Band dann 1983 auf einem Konzert in der Nähe von Saarbrücken im Klub Tote Hose endlich mal live erleben durfte, war das eine Offenbarung für mich. Nach der Show unterhielt ich mich noch mit Charlie, wir tauschten unsere Nummern aus und er meinte nur, ich solle mich doch melden, wenn’s mich mal nach London verschlägt. Im darauffolgenden Sommer war ich tatsächlich in der britischen Hauptstadt und erinnerte wieder mich an das Gespräch mit Charlie. Umso überraschter war ich, als ich ihn dann wirklich zu Hause am Telefon erreichte. Er erklärte mir, wie ich mit der Bahn von der Victoria Station nach Brixton komme, wo er schon auf mich wartete. Wir gingen auf den Markt – der, den man auch im Film „Rude Boy“ sehen kann – und kauften ein paar Zutaten für eine köstliche Pasta ein, die Charlie dann später auftischte. Was ein herzliches Willkommen für den wütenden Jungen, der ich damals gewesen bin! Wir quatschten viel über die UK SUBS und Punk und bevor ich mich dann wieder verabschiedete, gab er mir noch eine Menge Patches und Sticker mit auf den Weg. Charlies sympathische, warmherzige und großzügige Art hat mich einfach umgehauen, so dass ich ab diesem Zeitpunkt immer versuchte, die UK SUBS zumindest ein paar Mal im Jahr live zu sehen, und auch das Privileg, die Bühne mit der Band teilen zu dürfen, so oft wie möglich wahrnahm. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Bekanntschaft mit Charlie Harper damals mein Leben verändert hat und vieles anders gelaufen wäre, wenn er mir nicht die entscheidende Inspiration gewesen wäre.

TV Smith, THE ADVERTS

THE ADVERTS habe ich in ihren jungen Jahren leider nie live auf der Bühne gesehen, aber liebte schon immer ihr Debütalbum, „Crossing The Red Sea With ...“. Immer wieder wurde mir von verschiedenen Leuten empfohlen, mal ein Solokonzert von TV Smith zu besuchen. Um ehrlich zu sein, hielt sich meine Motivation damals in Grenzen ... Ich änderte meine Meinung jedoch schlagartig, als ich TV Smith in Oslo bei einem Auftritt zwischen den RIOTS und GBH sah, allein mit seiner Akustikgitarre. Er schaffte es, mich in seinen Bann zu ziehen und er sorgte für eine wirklich einzigartige Atmosphäre – die Leute um mich herum hatten Spaß und tanzten! Ein paar Jahre später begleiteten wir mit ihm zusammen die UK SUBS auf deren Wintertour durch Europa und ich erzählte ihm von meinem Projekt. Er sagte mir direkt begeistert zu. Er ist ein brillanter Texter und hat auch die Lyrics für „Uniform“ verfasst, den Song, der von Campino gesungen wurde.

Campino, DIE TOTEN HOSEN

Als Teenager zog ich englische Punkbands französischen vor. In den Jahren 1977 bis ’83 kamen meine größten Inspirationen aus Großbritannien, doch auf einmal begann sich die Szene dort aufzulösen und ich sah mich verstärkt in der deutschen Punk-Szene um. Unter vielen guten Bands hatten DIE TOTEN HOSEN besonders mein Interesse geweckt, die hatten ohne Ende gute Songs und wurden mit den Jahren immer besser. Anders als gewohnt verloren sie im Laufe der Zeit nicht an Power, und es gibt kaum Bands, die so eine Menge starker Alben veröffentlicht haben. Mir war dann auch kein Weg zu weit, um die Jungs und ihre umwerfende Show so oft wie möglich live zu sehen, in Saarbrücken, Losheim, Trier, Düsseldorf und wer weiß noch wo. Als ich bei Campino anfragte, ob er bei unserem Album mitmachen würde, habe ich nicht wirklich mit ihm gerechnet. Aber ihm gefiel die Idee, und wir mieteten ein Studio in Köln und er kam vorbei und nahm den Song auf. Campino ist einfach ein total bodenständiger, netter Kerl, ich war so überwältigt, dass mir fast die Spucke wegblieb. Er mochte auch die anderen Tracks, die wir ihm vorspielten – mir persönlich bedeutet es sehr viel, ihn auf dem Album dabei zu haben.

Arturo Bassick, THE LURKERS/999

Ich erinnere mich noch gut an mein erstes Treffen mit Arturo, das war damals auf einer Frankreichtour mit meiner ersten Band PKRK, er spielte damals bei 999. Ich glaube, das war in den frühen Neunzigern und es war total verrückt: Nach der Tour fragten uns 999 nämlich, ob wir als Opener für ihren nächsten Auftritt in London spielen wollten. Das war damals mein erster Gig dort und ich war von der Vorstellung wirklich beeindruckt, dass ich zum ersten Mal auf der Bühne spielen würde, auf der schon so viele meiner Helden gestanden hatten. Arturos Gastfreundschaft kannte keine Grenzen, er nahm uns nach dem Konzert noch allesamt mit in seine Wohnung. Jahre später habe ich ihn dann auf verschiedenen Festivals wiedergesehen, zusammen mit den LURKERS, oder wenn er für THE BUSINESS Bass spielte. Wir standen über die Jahre also immer irgendwie in Kontakt, der Kerl ist auch einfach ein echt großherziger Mensch. Es ist jedes Mal schön, ihn zu treffen.

Micky Fitz, THE BUSINESS

In den Anfangsjahren von CHARGE 69 teilten wir uns ein paar Mal mit THE BUSINESS die Bühne. Die waren schon immer eine fantastische Band und es war uns immer eine Ehre, im selben Atemzug mit dem Kerl genannt zu werden, der Klassiker wie „Real enemy“, „Blind justice“ oder „Drinking and driving“ geschrieben hat. Micky war auch stets bereit, sich ein Bier mit dir zu genehmigen – oder auch mehrere – und er ist für jeden Spaß zu haben. Es gab so viele gute Abende mit Micky. Heute sehen wir uns immer noch regelmäßig auf Festivals und Konzerten, er war auch mit der Erste, der mir für „Much More Than Music“ zugesagt hat.

Roger Miret, AGNOSTIC FRONT

Unser Drummer Laurent wollte unbedingt, dass wir auch Roger fragen, ob er Lust hat, sich an dem Album zu beteiligen. Im Gegensatz zu Laurent, der AGNOSTIC FRONT-Fan der ersten Stunde ist, konnte ich selber nie besonders viel mit Hardcore anfangen, auch wenn ich zugeben muss, dass AF ein paar echt starke Songs haben. Eigentlich war es so: Mitte der Achtziger, als ich noch für das Fanzine Chaotic Society schrieb, fiel mir deren Debütalbum „Victim In Pain“ in die Hände und ich gab es weiter an Laurent und damit war es um ihn geschehen. Mit Roger ist er inzwischen gut befreundet und hat sich wahnsinnige 74 AF-Tattoos stechen lassen – ein Fan mit Haut und Haaren! Roger sagte auf seine Anfrage hin dann auch direkt zu.

Matt Dangerfield, THE BOYS

Ach ja, Matt Dangerfield und die BOYS. Wieder eine Band, die ich in all den Jahren nie live gesehen hatte. Letztes Jahr schlug meine Freundin dann vor, zu ihrem Konzert nach Frankfurt zu fahren – was für ein genialer Gig! Sie haben alle ihre Klassiker gespielt, aber auch ein paar Lieder vom neuen Album, wie zum Beispiel das hervorragende „I’m a believer“. Nach der Show blieb noch Zeit für einen kurzen Plausch, und die Jungs waren echt begeistert, dass wir für den Gig den ganzen Weg von Frankreich nach Frankfurt auf uns genommen hatten. Matt sagte mir direkt zu, bei „Much More Than Music“ mitzumachen. Uli vom Wild at Heart in Berlin, nebenbei eine unserer Lieblingslocations, hat Matts Part aufgenommen und das Ergebnis ist einfach nur umwerfend.

Colin Abrahall, GBH

GBH waren auch immer eine von Laurents und meinen Lieblingsbands. Sie waren so schnell und voller Energie, dass sie sich damals von allen Bands, die mit dem Punkrevival aufkamen, deutlich abhoben. In den frühen Achtzigern sahen wir ein paar ihrer Konzerte in den Vogesen und dem Klub Le Crash in Freiburg, zu der Zeit, als gerade ihre Single „Give Me Fire“ erschienen war. Ja, das waren die wirklich verrückten Jahre. „City Baby Attacked By Rats“ und „City Baby’s Revenge“ sind einfach nur pure Energie. In den Neunzigern spielten wir dann einige Gigs in Tschechien und Frankreich zusammen und hatten mit den Jungs aus Birmingham jedes Mal super viel Spaß. Wir haben sich auch mal zu Hause besucht, sie haben uns immer unterstützt. Und Colin war ohne großes Tamtam sofort bereit, einen Song für unser neues Album einzusingen. Da kamen wir natürlich direkt auf „The 80’s“, der Track passt einfach wie die Faust aufs Auge!

Beki Bondage, VICE SQUAD

Beki war damals in den frühen Achtzigern ohne Zweifel die Prinzessin des Punkrevivals. Ich war natürlich auch in ihrem Fanclub und hatte die Mitgliedernummer 590. Wie so viele andere Bands habe ich VICE SQUAD in ihren Anfangsjahren leider nie live gesehen. Später, während meiner Zeit in England, spielten sie keine Konzerte und tourten nie durch Frankreich. Als ich vor circa 15 Jahren von ihrem Comeback erfuhr, machte ich ihnen das Angebot, auf Combat Rock eine Platte zu veröffentlichen. Daraus wurde dann die EP „Lavander Hill Mob“ und im Zuge dessen traf ich mich mal mit ihr und dem Rest der Band in London auf ein paar Pints in der Gegend der Victoria Station. So bekam ich sie nach all den Jahren doch noch zu Gesicht. Wir blieben danach in Kontakt und Beki erklärte sich bereit, „Rockstar attitude“ für uns singen.

Greg Cowan, THE OUTCASTS

Die OUTCASTS waren in den frühen Achtzigern populär, insbesondere wegen ihrer Veröffentlichungen auf New Rose in Frankreich. Lange Zeit waren sie eine der letzten Bands aus der Ära, die noch unterwegs waren und Konzerte spielten, so auch damals, als ich vorhatte, einen ihrer Gigs in Paris zu besuchen. Aber irgendwie sollte es nicht sein: Das Auto meines Kumpels, mit dem ich mich auf den Weg zum Konzert machte, gab den Geist auf. Danach spielten die OUTCASTS erst mal keine Konzerte mehr, und ein Kontakt zu Greg kam erst Jahre später zustande, als ich ihm vorschlug, ihre erste Single auf Combat Rock neu aufzulegen. Greg würde ich als ziemlich lockeren Typen beschreiben, den ich dann so ziemlich genau dreißig Jahre nach dem verpassten Gig in Paris mit den OUTCASTS in einem kleinen Club in Deutschland live sah. Das Konzert war leider nicht sehr gut besucht, aber die Band lieferte ein hervorragendes Set mit allen Klassikern ab. Mein ursprünglicher Plan, direkt nach dem Konzert den Nachhauseweg anzutreten, wurde von Gregs sehr überzeugender Argumentation schnell zunichte gemacht – es brauchte nicht wirklich viel, um mich rumzukriegen – und wir verbrachten die ganze Nacht zusammen auf Kneipentour. Glaub mir, an dem Gerücht, dass Iren eine gewisse Affinität zum Alkohol haben, ist definitiv was dran!