GOLDENEN ZITRONEN

Liftboys

Redet noch irgendwer von Funpunk? Wagt es noch jemand von „Hamburger Schule“ zu sprechen? Beide Male lautet die Antwort: Nein, doch während Trends kommen und gehen, bleibt eine Band wie DIE GOLDENEN ZITRONEN bestehen. Mit „Schaffott zum Fahrstuhl“ haben die Hamburger drei Jahre nach „Deadschool Hamburg“ ein neues Album rausgebracht, Grund für ein Gespräch mit Schorsch Kamerun und Ted Gaier.

Ich treffe die „Goldies“ am Morgen nach ihrem Auftritt im Düsseldorfer „Unique“ im Hotelfoyer. Während man es sich bei Kaffee und Mineralwasser bequem macht, schläft am Nebentisch eine eigentlich nicht mal schlecht gekleidete Dame Mitte 50 ihren Rausch aus. Jaja, die längste Theke der Welt und so ... Ich frage Schorsch nach dem gestrigen Konzert, das zu Beginn etwas angespannt wirkte. Lag das an Düsseldorf? „Nee“, erwidert der. „Wir haben Suzanne Zahnd mit dabei, eine alte Freundin der Band und einst bei der Schweizer Band EUGEN, die vor unserem Konzert noch liest, und da das hier sehr spät los ging, war das Publikum nicht so richtig bereit, sich das in Ruhe anzuhören. Da forderten Leute endlich, das, aus ihrer Sicht, Hauptprogramm zu sehen. Suzanne brach dann ab, ich war selbst nicht da, als das geschah, und wir stritten dann auch erstmal untereinander, wer dafür jetzt verantwortlich sei. Das war ein bisschen doof, aber ab der Hälfte war das Konzert dann ok.“
Seltsam eigentlich – gerade das Publikum der Zitronen hatte ich bislang für eher aufgeschlossen und „studentisch“ gehalten – wollen auch die heute nur Rock’n’Roll? Schorsch: „Ich glaube, dass die Leute bei uns sowas wie eine Lesung schon auch erwarten, denn wir sind ja keine Band, die einfach nur eine Rock’n’Roll-Show macht, ganz im Gegenteil. Wir werden ja sogar immer wieder als Anti-Rockband wahrgenommen. Das wiederum sehen nicht alle so. Die erwarten was Anderes und verhalten sich auch so, als würden gerade AC/DC auf die Bühne gehen. Dabei war unser Publikum schon immer sehr gemischt. Wir haben Punkfans, die über GREEN DAY hinausdenken können, die offen sind, und wenn man das Wort Punk überhaupt benutzen will, hat unsere Musik schon eine Energie, die damit sehr verwandt ist. Das kann man verstehen, wenn man nicht darauf festgelegt ist, wirklich nur klassische Drei-Akkord-Songs hören zu wollen. Wir verstehen uns dabei immer noch auch – aber nicht ausschließlich – als Punkband.“
Apropos Punkband: Das neue Album wirkt gitarrenorientierter als sein Vorgänger, was aber nicht bedeutet, dass auf den üblichen wirr-genialen Stilmischmasch aus Gitarren einerseits und Elektronika andererseits verzichtet worden wäre. „Ich glaube, da sind nicht mehr oder weniger Gitarren drauf als bei der davor“, erklärt Schorsch. „Das hat viel mehr was damit zu tun, wie die Platte entstanden ist: Wir haben auf einer Frickelelektronik-Ebene angefangen zu proben, merkten aber, dass man das nicht so richtig greifen kann, das Ergebnis war nicht so recht fassbar. Daraufhin haben wir versucht, mal wieder ganz simple, stumpfe Songs zu machen, eben so mit Schema A, B, A, Mittelpart, Refrain und so. Das hat uns aber nicht gereicht, das kann’s irgendwie nicht sein. Klar können wir ’nen ganz guten Britpop-Song hinlegen, und als Britpop-Song ist der auch gut, aber das reicht uns eben nicht. Daraufhin haben wir dann unsere gewohnte Methode angewendet, und weil den Songs eben jeweils ein klassischer Gitarrensong zugrunde liegt, wirkt die Platte womöglich gitarrenorientierter. Wir könnten aber niemals einfach nur ’ne Rockplatte machen. Das geht nicht, auch wenn’s schon Spaß gemacht hat, einfach mal nur so zu rocken.“
Als Freunde unkonventioneller Produktionsumstände traf sich das Goldies-Kollektiv, bei dem das Besetzungskarussell sich einmal mehr gedreht hat (wobei das Drin-Raus-Schema klassischer Rockbands hier sowieso nicht greift, man könnte viel mehr von „dynamischen“ Besetzungen in Rückgriff auf einen großen Freundeskreis sprechen), in einem Studio in der rumänischen Hauptstadt Bukarest. „Bei einem neuen Album muss man sich jedes mal neu positionieren“, erklärt Schorsch, „und mit unserer Vorstellung von Intervention muss man immer wieder neu überlegen, wie man sich äußert. Dann gibt’s jedes Mal neue musikalische Impulse, und das alles muss erarbeitet werden. Wir haben diesmal echt sehr lange diskutiert im Vorfeld, und in in den zwei Wochen im Studio in Rumänien haben wir konzeptionell noch viel diskutiert. Wir haben diese Platte in zehn Sessions in Hamburg entwickelt und sind dann nach Rumänien gefahren, in erster Linie um Ruhe zu haben. Es war uns vorher schon klar, dass wir irgendwo anders als in Hamburg aufnehmen würden. Es gab da verschiedene Ideen, etwa Chile, wo das geklappt hätte, aber das war zu teuer und wäre auch etwas absurd gewesen. Dann wäre Norwegen, Tessin oder La Palma möglich gewesen. Das war uns aber zu idyllisch, denn wir sind ja so Nervtypen und fanden Norwegen zu naturmäßig, Tessin zu bourgeois – und haben uns deswegen für Bukarest entschieden. Ich war da schon mal gewesen, hatte dort Silvester 2000 verbracht, meine Mitbewohnerin studiert dort, und so kannten wir da halt auch schon ein paar Leute. Ein Bekannter von uns ist in der dortigen Popszene sowas wie ein Szenemogul, der hatte sofort ein Studio für uns an der Hand, das war also kein Problem. Das war einfacher als La Palma oder Chile, da hätten wir unser Equipment mitschleppen müssen, während das in Bukarest alles vorhanden war. Die Studios dort sind so gut ausgerüstet wie überall auf der Welt auch, besonders billig war es auch nicht, aber angeblich das beste Studio des Landes. Uns war wichtig, rauszukommen aus Hamburg. Wir haben im Winter aufgenommen, und von der Stimmung her passte das auch zur Melancholie der Platte. Wir haben jedenfalls sechs Basic-Tracks gemacht, die wir dann in Hamburg im Alien Sound-Studio fertiggestellt haben. Nach einem Monat war’s das dann endlich.“
Was wären die GOLDENEN ZITRONEN ohne ihre Texte? Kaum eine andere deutsche Band schafft es, einerseits so engagiert Stellung zu beziehen, Forderungen zu stellen und zu analysieren, das andererseits aber auf so lyrische und literarische Art zu tun. Kein selbstverliebtes Gesülze, kein pseudokritisches Geschwülste, sondern einfach in jeder Zeile auf den Punkt kommend. Ted: „Die Texte haben wir diesmal komplett hinterher gemacht, das war auch nicht unser normales Vorgehen. Wir hatten die Stücke, aber noch keine Texte, und mussten erst mal sehen, wie wir da rangehen. Und weil uns „Der Mann, der mit der Luft schimpft“ bei der Probe so WIPERS-mäßig vorkam, dachten wir, wir fragen Jens Rachhut, den früheren Sänger von DACKELBLUT, ob er das nicht singen will. Er hat einen sehr guten Text geliefert, beinahe noch besser als bei seinen eigenen Platten.“ „Traditionell ist es bei uns ja so“, fährt Schorsch fort, „dass es bei uns nicht wie bei anderen Bands den einen Songwriter gibt, sondern dass wir uns zur gemeinsam entstandenen Musik auch immer wieder Gastsänger- und sängerinnen holen, diesmal neben Jens etwa auch Peaches, eine Kanadierin.“ Ted: „Diesmal erklären wir auf der Platte auch nirgends eindeutig, wer jetzt zur Band gehört. Im Nachhinein können wir das auch selbst nicht mehr genau sagen, von wem ein Stück stammt. Bei „Economy Class“ etwa, gibt’s Stücke, wenn wir die nochmal spielen, weiß keiner, von wem das eigentlich ursprünglich stammt. Mir kommt’s so vor, als sei die Band ein Klangkörper, der ein Eigenleben hat. Wir schätzen das, das ist beabsichtigt, und so wollen wir das auch wahrgenommen haben: Die Band als Community. Bei den Texten ist das anders, die haben immer einen eigenen Autor, aber das hat sich als beste Methode herauskristallisiert.“
Auffallend ist dabei, dass die GOLDENEN ZITRONEN sich über all die Jahre ihre, nun, Wut im Bauch bewahrt haben. Ted: „Woher diese Wut kommt? Keine Ahnung, da müsste ich jetzt in mir selber suchen. Ich denke, diese nervöse Energie ist unsere Stärke. Wenn ich jetzt von mir spreche, so sind meine textlichen Vorbilder oder Orientierungspunkte Leute wie Marc Stewart von POP GROUP oder Franz-Josef Degenhardt. Oder wie Johnny Rotten früher bei den SEX PISTOLS oder dann bei PIL gesungen hat. Das hat was mit der Sozialisierung zu tun, und die ist bei Leuten wie zum Beispiel Kante eben anders.“ Schorsch: „Das hat was damit zu tun, dass wir das schon so lange machen, und wo wir herkommen. Damals war das, was du jetzt „Wut im Bauch“ genannt hast, noch eher Normalität.“ Ted: „Dabei hatten wir anfangs gar keine Wut im Bauch. Wenn du unsere Platten so verfolgst, geht das ja erst 1989 los, also dass da Protestsongs entstehen. Seit „Fuck you“ von 1990 ist das so. Davor war es höchstens kokett, wenn da „Ich hasse meine Eltern, ich hasse diese Stadt“ gesungen wurde. Das war eine Persiflage auf Leute, die Wut im Bauch haben, denn es wurde bei uns eigentlich erst sehr spät ernst, denn in der Funpunk-Zeit, als wir noch jugendlich frisch waren und alles duften, war, gab’s dazu irgendwie keinen Grund.“