YUPPICIDE

Totgesagte leben länger/besser

Eine Band, bei der man am besten zu einem Gänseblümchen greift: Es gibt sie, es gibt sie nicht, es gibt sie ... So wurde vor Monaten auf den Visions-Newsseiten die Auflösung der New Yorker Ausnahmeband vermeldet, nur um ein Heft später das Gegenteil zu vermelden.

Eine Fehlmeldung war weder das eine noch das andere, denn die Formation um Jesse Jones und Steve Karp wusste lange Zeit selbst nicht, was Sache ist. Irgendwie ging es schließlich doch weiter, schließlich waren persönliche Zerwürfnisse nicht der Grund für das zeitweilige Ableben gewesen, sondern auseinanderlaufende Lebensplanungen. Im Herbst kam die überhaupt nicht toughe Band mit Brooklyner Wurzeln mal wieder auf Tour, im Gepäck ein Livealbum sowie ein paar neue Songs, was Spekulationen über den weiteren Lauf der Dinge mal wieder Tür und Tor öffnet.
Im sympathischen AJZ Wermelskirchen saßen mir die privat – im Gegensatz zu ihrem wüsten Bühnengebaren – sehr ruhigen Yuppicideler Steve Karp und Jesse Jones gegenüber und machten sich zwischen ein paar Bissen Nudelmampf so ihre Gedanken. „Weißt du“, sinniert Jesse mit nicht zu überhörendem britischen Akzent, „die Hardcore-Szene hat sich in Europa in den letzten Jahren stark verändert, da herrscht mittlerweile ein sehr starker Wettbewerbsdruck. Als wir ’92 erstmals tourten, war es echt noch eine Ausnahme, wenn mal eine New Yorker Band unterwegs war. Heute dagegen versucht jede kleine Band zwei mal im Jahr rüberzukommen, und da wird es natürlich eng. Außerdem hat mittlerweile jede Band ein Label im Rücken, das sie nach Kräften zu pushen versucht. Gerade die Independent-Labels sind in dieser Hinsicht sehr professionell geworden. So ist es heute eigentlich schwerer als damals, auch für uns.“
Labelmäßig sind YUPPICIDE derzeit nämlich „ohne“. Das Live-Album erschien zwar in Zusammenarbeit mit ihrem deutschen Booker und guten Freund Steffen Rose von Navigator Productions, doch eigentlich ist es eine Eigenproduktion. „Wir wollten damit irgendwelchen Bootleggern zuvorkommen: Warum sollen die an einem mies aufgenommenen Livealbum verdienen, wenn wir sowas in astreiner Qualität auch selber machen können“, erklärt Jesse. „Was Wreck-Age Records betrifft, so haben wir unseren Vertrag mit „Dead Man Walking“ erfüllt. Pavlos und Amber haben uns aber bei der Herstellung des Live-Albums sehr geholfen, genauso wie Steffen. Letzendlich sind Verträge und Geschäfte, auch unter Freunden, immer eine ätzende Sache, und so bin ich ganz froh, dass wir derzeit gegenüber niemandem zu irgendetwas verpflichtet sind. Ob es ein neues YUPPICIDE-Studioalbum geben wird, können wir derzeit noch nicht sagen. Wir haben zwar ein paar neue Songs, aber das heißt noch gar nichts.“
Ambitionen in Richtung Profimusikertum haben sich YUPPICIDE – Realisten, die sie sind – mittlerweile abgeschminkt: „Wenn du Hardcore- oder Punkmusiker bist“, meint Steve, „bedeutet das erstmal, dass du ein sehr teures Hobby hast. Daran zu denken, dass du eine Steuererklärung mit der Berufsangabe „Profimusiker“ abgeben kannst, ist völlig utopisch. Bis vor ein paar Jahren war es für jeden in der Hardcoreszene hier undenkbar, dass man eines Tages seinen Lebensunterhalt mit dieser Musik verdient. Auch heute ist das die absolute Ausnahme, und so musst du eben sehen, wie du dich zwischen den Touren und trotz der Band finanziell über Wasser hältst.“
„Ich weiß eigentlich nie so recht, welches mein „richtiges“ Leben ist“, grübelt Jesse. „Das mit der Band auf Tour und im Studio oder das mit meinem normalen Job? Ich hänge irgendwo dazwischen, und da kommst du unweigerlich an einen Punkt, wo du eine klare Entscheidung willst, ob in Zukunft vielleicht deine Band auch dein Job ist. Deshalb sollte man auch sehr vorsichtig sein mit Vorwürfen von wegen Ausverkauf, wenn eine Band sich dann für die Musik als Job entschieden hat. Solche Vorwürfe kommen doch oft von Leuten, die von ihrer eigenen Situation frustriert sind – von tollen „Anarchisten“, die sich mit Sozialhilfe durchschlagen. Fakt ist: Wenn wir ein gutes Angebot bekommen sollten, wüsste ich nicht, wie wir uns entscheiden.“
„Überhaupt: Was heißt „Hardcore“ heute denn noch?“, fragt Mr. Karp, aus dessen Feder übrigens das gesamte YUPPICIDE-Artwork stammt, eher rhetorisch. „Man muss bei seinen Urteilen einfach berücksichtigen, wie sich diese Undergroundmusik entwickelt hat. Klar kann man sagen, vor zehn Jahren sei alles noch ganz anders gewesen, aber der Punkt ist doch der, dass Hardcore was völlig obskures war, wohingegen es heute ein etablierter, akzeptierter Musikstil ist. Man kann eine Sache nicht aus dem Kontext reißen, und so muss man einfach hinnehmen, dass Hardcore heute eine recht normale, weitgehend assimilierte Bewegung ist. Und wenn eine Subkultur von einer Gesellschaft assimiliert wird, werden auch die ganzen Stilmerkmale absorbiert. Was früher schockierend und verrückt war, ist heute trendy und akzeptiert. Heute sagt doch keiner mehr was, wenn du mit roten, hochstehenden Haaren oder Ohrringen zur Arbeit kommst. Vor fünf, sechs Jahren war das undenkbar. Mit Doc Martens war das genauso: Früher trugen die nur Skinheads und echte Hardcore-Punks. Und heute? Selbst Sekretärinnen laufen damit mit. Oder Tattoos, die schocken auch keinen mehr.“
„Genau“, fährt der teilweise mit Teufelsmaske auftretende Jesse Jones fort. „Aber das zeigt doch nur, dass das alles nur Oberflächlichkeiten sind. In Bezug auf die richtig wichtigen Themen spielen die überhaupt keine Rolle. David Byrne hat dazu mal gesagt, der beste Rebell sei der, der total normal wirkt und aussieht. So wirst du akzeptiert und kannst an den entscheiden Machtzentren von innen heraus für Veränderung sorgen. Und so viel Spaß es auch macht, sich zu beklagen, ändern wird sich deshalb gar nichts.“
Und so ist im Falle von YUPPICIDE nur eines klar: Die Typen sind, wie sie es selbst ausdrücken, „Lifers“, Lebenslängliche, die mit ihren 30 Jahren immr noch nichts „Vernünftiges“ machen, von Hardcore nicht wegkommen und das auch nicht wollen. Steve arbeitet sich in seinem Tattoostudio außerhalb New Yorks den Arsch ab und macht nebenher eben Musik, und Jesse hat außer YUPPICIDE noch das ziemlich heiße Eisen Blaze Camo im Feuer. Mal abwarten, ob von denen nicht bald mehr zu hören ist als nur das ziemlich coole Demo.