BOB FLANAGAN - Supermasochist

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Fighting Sickness With Sickness

Es passiert selten, dass mir ein einziger Film direkt zwei Interviews wert ist, aber es handelt sich auch um einen ganz besonderen Film und einen ganz besonderen Menschen, den Regisseur Kirby Dick in seiner Dokumentation “Sick - The Life & Death Of Bob Flanagan, Supermasochist” bis zu seinem Tod “begleitet”. Ausführlich besprochen habe ich den Film in diesem Heft übrigens auch zweimal, das zweite Mal in der Nr. 51 anlässlich seines deutschen Kinostarts in diesem Jahr, trotz guter Kritiken leider eher mal ein Totaldebakel. Chance vertan! Dafür gibt es in den Staaten inzwischen eine DVD des Films, allerdings ohne besondere Extras. Und bitte bloß nicht die englische DVD des British Film Institutes kaufen, denn die haben die bigotten Engländer um fast zehn Minuten geschnitten.

Bob Flanagan starb 1996 im Alter von 43 Jahren an der unheilbaren Erbkrankheit Mukoviszidose, eine extrem schmerzhafte Funktionsstörung der sekretproduzierenden Drüsen. Ein Jahr später stellte Dokumentarfilmer Kirby Dick seinen Film fertig, der in 90 Minuten zeigt, wie Flanagan seine Krankheit als Performance-Künstler verarbeitete und daraus einen von Sadomasochismus dominierten Lebensstil entwickelte, zusammen mit seiner Partnerin Sheree Rose, einer Fotografin. Vieles an diesem Film wird zartbesaiteten Menschen tatsächlich etwas „krank“ vorkommen, denn Flanagans Leben wurde von permanenten Grenzüberschreitungen und Extremen geprägt. Ebenso zeigt der Film aber einen sehr warmherzigen, humorvollen und intelligenten Menschen, vor dessen Überlebenswillen man wirklich nur den Hut ziehen kann. Ein wirklich mitreißender, nicht ganz leicht zu verdauender Film, nicht zuletzt, weil die Hauptfigur deutlich vom Tod gezeichnet ist. Gleichzeitig gelang Flanagan durch seine Kunst auch der Brückenschlag zur Popkultur, zum Beispiel durch seine Beteiligung an „100 Reasons“, einer Performance von Mike Kelly, die später bei SONIC YOUTH auf deren Platte „Dirty“ auftauchte, und seinen Auftritt im NIN-Video „Happiness in slavery“ von Jonathan Reiss. Wer mehr über Bob Flanagan erfahren will, empfehle ich, sich das hervorragende Re/Search-Buch „Bob Flanagan: Supermasochist“ zuzulegen oder „The Pain Journal“, ein von Flanagan in seinem letzten Lebensjahr verfasstes Tagebuch.
Allerdings wird der positive Gesamteindruck von „Sick“ dadurch überschattet, dass sich der Regisseur und Flanagans Witwe Sheree Rose nach Fertigstellung der Films völlig überwarfen, was auch ein wenig den Wahrheitsgehalt dieses bemerkenswerten Zeitdokuments schmälert. Jede Geschichte hat zwei Seiten, und die Wahrheit liegt wahrscheinlich wieder irgendwo dazwischen. Wem soll man also mehr Glauben schenken, demjenigen, der bisher alleinig von dem Film profitieren konnte, oder der Frau, die gut 15 Jahre an der Seite des selbsternannten „Supermasochisten“ verbracht hat? Macht euch selbst ein Bild, ich sprach mit beiden.


Kirby, glaubst du, es gibt einen richtigen und einen falschen Weg, eine Dokumentation zu drehen?

Was meine Filme angeht, gerate ich da einfach rein. Sicher gibt es einerseits sehr ambitionierte, aber auch sehr stereotype Wege, so was zu machen. Aber im Prinzip kann sich jeder eine Kamera nehmen und so was machen – man filmt einfach mal alles. Was es interessant macht, sind eigentlich die Fehler, wenn man das so nennen will, die dabei entstehen bzw. eine gewisse Naivität.

Und wie sieht es dabei mit dem Wahrheitsgehalt aus?

Das Thema ‚Wahrheit‘ ist natürlich sehr angreifbar. Wenn ich einen Film sehe, denke ich, dass irgendwo in einem Bild eine bestimmte Wahrheit stecken muss, was natürlich immer vom Willen und der Sorgfalt des Filmemachers abhängt. Sicher gibt es auch bei einer Doku eine Form von Manipulation, wie bei jedem filmischen Erlebnis, aber bei einer Doku gibt diese ‚Wahrheit‘ dem Ganzen eine andere Dynamik, die ansonsten nicht existiert.

Was mich bei „Sick“ immer wundert, ist, dass er überall unheimlich gute Kritiken bekommt und auf Festivals ausgezeichnet wurde, aber darüber hinaus nicht besonders hoch in der Publikumsgunst steht.

Für manche Leute sind Themen wie SM in so einer direkten Form sehr anziehend, das gilt auch für mich, aber viele haben Angst davor. Wenn sie wüssten, dass es in dem Film auch diese anderen Ebenen der Beziehung gibt, wenn sie die Welt durch Bobs Augen sehen könnten, würden sie sich auch den Film anschauen wollen, aber sie haben Angst vor einer Szene, in der jemand einen Nagel durch seinen Penis schlägt und glauben, sie können das nicht ertragen – aber es geht. Ich hatte mich schon sehr früh entschieden, dass diese Szene in voller Länge im Film sein muss. Und dass ich den Film so strukturieren müsste, dass man an dieser Stelle versteht, warum es im Film ist, nicht unbedingt, warum Bob es tut.

Sind denn solche Szenen wirklich notwendig gewesen, die ein „normales“ Publikum eher mal abschrecken?

Es würde vielleicht auch ohne diese Sachen funktionieren, aber das hätte mich nicht interessiert. Wenn ich das nicht zeigen würde, hätte ich auch einen wichtigen Aspekt von Bobs Persönlichkeit zensiert. Ich war auch von dem Gedanken begeistert, dass eine Menge Leute in einem Raum eingesperrt sein würden und sich ansehen müssten, wie sich jemand einen Nagel durch den Penis schlägt. Ich habe den Film inzwischen auf der ganzen Welt gezeigt und kann ihn mir wirklich nicht mehr anschauen, aber immer, wenn diese Szene kommt, gehe ich rein und schaue mir die Reaktionen an, das ist wirklich amüsant, haha. Es gibt immer Leute, die dann rausgehen, aber ich wäre auch enttäuscht, wenn das nicht so wäre. Denn das würde bedeuten, dass ich zu vorsichtig gewesen wäre.

Würdest du das, was Bob tut, als pervers bezeichnen?

Wenn man das unter einem klinischen, medizinischen Gesichtspunkt betrachten würde, wäre es sicher pervers – selbst Bob würde es so nennen. Aber bei ihm kommt das ja von seinen frühen Erfahrungen mit SM, wo man beginnt, die Schmerzen zu lieben und so mit ihnen umzugehen. Bob benutzt das natürlich im Kontext einer Performance und präsentiert es auch so.

Wie kam es überhaupt dazu, dass du über Bob Flanagan einen Film gemacht hast?

Mitte der 90er saß ich an einem Drehbuch namens ‚Guy‘. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich, es wäre an der Zeit mal einen wirklich persönlichen Film zu machen und das Leben von jemand zu beobachten. Und ich wollte einen Film über einen Künstler machen, über den kreativen Prozess, der meistens immer romantisiert wird. Außerdem interessierte mich das Thema Tod, und ich wollte einen Film über jemand machen, der sehr krank ist, über den Prozess des Sterbens. Das kam alles irgendwie zusammen und ich dachte, Bob wäre die perfekte Person. Zumal ich ihn kannte, und er nur fünf Minuten von mir entfernt wohnte. Während des Films kam ich ihm sehr nahe, das gilt auch für Sheree. Ich wusste, dass sie sich sehr nahe standen, aber mir war nicht klar, dass sie so in den kreativen Prozess involviert war. Es war ziemlich faszinierend, sie gab ihm wie eine richtige Domina all diese Aufgaben, die er erfüllen musste. Aber er war natürlich der kreative Teil, der es umsetzte, auch wenn sie ihn dazu zwang. Es gab eine Phase, wo sie ihn zwang, jeden Tag etwas zu schreiben, da er sehr faul sein konnte. Und wenn er es nicht tat, bekam er Prügel ... Diese Kollaboration war ein sehr faszinierendes Element für mich. Weil diese Befehle auch etwas Sexuelles hatten, ihn stimulierte das.

War es mehr ein Spiel oder eine Form sexueller Abhängigkeit?

Keins von beiden, es war ein erotischer Kick wie jede Form von intensivem Sex. Es gab ihrer Beziehung eine besondere Bedeutung. Sex ist natürlich immer ein Spiel, wo manipuliert und gequält wird. Außerdem war Bob ein Masochist, das hat ihn schon in jungen Jahren erregt. Der Film zeigt auch, dass man so was nicht einfach überwindet. Es wäre natürlich eine amüsante Vorstellung, wenn es ein Programm für Anonyme Masochisten geben würde, haha. Wie bei jedem Paar, das mit SM zu tun hat, gibt es einen Erfahrungsprozess. Sie fingen sehr früh damit an, gingen in Clubs und machten Performances und lebten das öffentlich auf Partys aus. Es gab da auch einen sozialen Aspekt.

Könnte man Bob Flanagan als SM-Pionier bezeichnen?

Ich denke schon, zumal man dieses Element in seiner Kunst schon sehr früh findet. Er hatte sicher einen großen Einfluss, auch wegen des Re/Search-Buches. Es gab sicher auch andere Leute, aber man muss ihn definitiv dazu zählen.

Das Re/Search-Buch erschien schon 1993, inwiefern hatte das einen Einfluss auf den Film gehabt?

Als ich das Buch las, hatte ich bereits angefangen, den Film zu machen. Es gibt tolle Sachen, die darin abgehandelt werden, aber es gibt auch genug anderes, was nicht vorkam, und das wollte ich im Film haben. Auch bezüglich Sheree, denn in dem Buch war nur ein kurzes Interview mit ihr. Außerdem wurde Bob darin mehr aus einer SM-Perspektive betrachtet und weniger als Künstler. Es war auch nicht besonders humorvoll, mal abgesehen von den Bildunterschriften, die von Bob stammen. Der Film sollte das Re/Search-Buch abdecken und noch mehr zeigen.

Wie bei jeder Doku stellt sich natürlich die Frage, inwieweit Bob Flanagan im Film mit dem echten Bob Flanagan deckungsgleich ist?

Man darf dabei nicht vergessen, dass Bob ein Performer war. Man bekommt hier einen bestimmten Charakter zu sehen, wie eigentlich bei jeder Doku. Wenn man einen Film über einen Performer macht, kommt da noch eine andere Ebene hinzu. Ein guter Performer ist sich natürlich darüber im Klaren, dass er aufgezeichnet wird und versucht, sich von seiner besten Seite zu zeigen. Selbst in den Momenten, die sehr intim wirken, gibt es ein Element dieser Professionalität. Auch nicht im Film ist, dass er sehr aggressiv und gemein werden konnte. Zum Teil, weil Menschen eben nun mal so sind, und natürlich, weil er oft starke Schmerzen hatte. Wenn er angepisst war, ließ er das an anderen Leuten aus, vor allem an Sheree. Aber selbst, wenn er richtig gemein war, hatte das immer noch etwas humorvolles. Es konnte sehr amüsant sein, sich von ihm zur Schnecke machen zu lassen, haha. Aber es gab auch so schon genug provokante Themen im Film, und es war mir wichtiger, dass eine Verbindung zwischen Bob und dem Zuschauer entsteht. Es gibt da eine ‚Superhelden‘-Qualität bei ihm, die ich erhalten wollte. Bob war für viele Leute ein Held, für Leute, die krank waren, oder aus der SM-Szene kamen. Deshalb hat der Film auch diesen Kultstatus, weil Bob diese ‚Larger than life‘-Qualitäten besitzt. Er selbst spielte ja auch mit diesem Superhelden-Image. Jeder Mensch hat auch eine abstoßende Seite, aber es ist schwer, so was vernünftig zu integrieren.

Allerdings stammt viel von dem Material, was man in „Sick“ zu sehen bekommt, gar nicht von dir, sondern von Sheree. Schmälert das nicht deine Eigenleistung?

Nein, überhaupt nicht, gerade dieser Prozess hatte mich ziemlich gereizt, da mir klar wurde, wie interessant es sein könnte, mit diesem Material zu arbeiten. Sheree ist eine tolle Fotografin, sollten ihre Photos mal veröffentlicht werden, wäre das fast eine historische Aufarbeitung einer kompletten Szene in LA, aber als Filmemacherin war sie weniger versiert. Aber man kann die Welt von Bob durch ihre Augen sehen, durch das Material, das sie aufgenommen hat.

Sheree sieht das allerdings anders, ich fand im Internet folgenden Kommentar von ihr: „As co-producer of ‚Sick‘ I have mixed emotions about the film. Contrary to screen credits, I ‚directed‘ at least 58 minutes of the film over a period of 14 years. Kirby Dick came along when Bob was near the end, and I wanted another person to take on the role of documentor of Bob‘s life, as I wanted to be close to Bob without the burden of a camera in my hands. To my horror, not only did Kirby let me down – he was not present for the last three days of Bob’s life, so all the footage of Bob in the hospital was taken by me under much stress, he then took control of the footage and edited it to suit his own agenda. Kirby distorted the time line, left out some important details, and did his best to put me in an unfavourable light.“


Ich weiß, dass Sheree nicht gut auf mich zu sprechen ist. Es gibt Dinge, die wahr sind und andere nicht. Ich bin sehr früh in der Entstehungsphase des Film ihr ganzes Material durchgegangen. Bob, Sheree und ich kamen überein, so viel wie möglich davon zu verwenden. Es war tolles Material und passte gut in den Film, aber viel davon lag einfach unbenutzt rum, wie irgendwelche Homemovies. Ich habe regelmäßig Material davon in den Film eingefügt, und das hat sie auch gesehen, es gab deswegen nie Probleme. Erst als der Film herauskam, kamen diese Probleme auf. Vorher war sie eigentlich ganz glücklich, wie ich das Material verwendet hatte, und wie ich sie dargestellt hatte. Sicher hat sie die Sachen gefilmt, aber für einen anderen Zweck – diesen Film habe ich gemacht. Es gab nie eine Diskussion darüber, wer der Regisseur des Films ist. Aber es sind ein paar unglückliche Sachen passiert. Zum Beispiel hätte ich damals nie gedacht, dass man den Film auf dem Sundance Festival zeigen würde, oder dass er sogar einen Preis bekommen würde. Und da ich die erste Hälfte des Festivals immer interessanter fand, arrangierte ich, dass Sheree und die anderen in dieser Zeit anwesend waren, mehr konnte ich mir auch nicht leisten. Sheree fuhr dann wieder ab, und der Film bekam einen Preis, und sie war unglücklicherweise nicht mehr da. Dadurch gab es gewisse Spannungen.
Warum ich nicht da war, als Bob starb, hatte folgenden Hintergrund. Wir hatten ja keine Ahnung, wann Bob sterben würde, und sechs Monate zuvor akzeptierte man mich als Regisseur für ‚Guy‘, ein 1 Million Dollar-Film. Was passierte war, dass der Film zwei oder drei Tage bevor Bob starb in die Vor-Produktion ging. Ich hatte noch nie zuvor mit so einem Budget gearbeitet und konnte da nicht einfach weg. Ich hatte Sheree aber eine der Kameras gegeben, denn der Moment des Todes sollte unbedingt im Film sein. Für den Film war das letztendlich ein Glücksfall, denn wie sich herausstellte, waren die Photos, die Sheree stattdessen von Bobs Tod machte, viel besser, als wenn man es gefilmt hätte. Wie auch immer, ich will Sherees Beteiligung nicht schmälern, denn ihre Photos, ihr Filmmaterial und meine Beziehung zu ihr waren sehr wichtig, um den Film überhaupt machen zu können. Aber sie war nie der Regisseur des Films.

 


Sheree, wie kam es eigentlich zu dem Filmprojekt über Bob, und wann kam dabei Kirby Dick ins Spiel?

Ich traf Bob 1980, und es entwickelte sich schnell eine sehr enge Beziehung. Zu dieser Zeit habe ich als Fotografin überwiegend Reise- und Porträt-Photos gemacht. Durch Bob wurde ich in die Welt von Sadomasochismus und alternative Lebensstile eingeführt – ich war da noch sehr naiv. Er erzählt mir auch, dass er krank sei und Mukoviszidose habe. Und jeder, den ich traf, erzählte mir, dass Bob in zwei Jahren sterben würde. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, ich liebte ihn und dachte: Gut, dann versuche ich, diese Zeit zu dokumentieren und ihn so berühmt wie möglich zu machen. Bekanntlich lebte er länger als zwei Jahre, aber ich hörte nie auf, sein Leben zu dokumentieren. Ich war sehr darauf bedacht, dass sich unser Sexualleben auch in unserem öffentlichen Leben fortsetzte. Wir wurden als Paar bekannt, das SM praktizierte, SM-Clubs besuchte und dort Performances machte – später auch in Kunstgalerien. Das war Mitte der 80er, und kaum jemand hatte das in dieser Form bisher gesehen, diese Verbindung von SM und Kunst in einem öffentlichen Kontext, außerhalb des Schlafzimmers oder eines SM-Clubs. In dieser Zeit trafen wir viele Leute aus der Kunstszene und dazu gehörten auch Kirby Dick und seine Frau, sie waren Fans von uns. Aber wir arbeiteten nie mit ihm zusammen.
Und als es Bob schlechter ging, wollte ich ihn nicht länger alleine photographieren, ich wollte mich mehr um ihn kümmern. Wir wählten Kirby, weil er ein Freund war, und weil er schon Sachen in dieser Richtung gemacht hatte. Die eigentliche Konstellation beinhaltete keinen Star, Produzenten oder Regisseur, nur uns drei. Er tat nicht viel von dem, was ich wollte und als Bob sterbend im Hospital liegt, war Kirby nicht da. Er ließ uns drei Tage, bevor Bob starb, mit einer kaputten Kamera zurück, weil er einen anderen Job hatte. Darüber war ich sehr verärgert, da er auch nicht in der Lage war, für einen Ersatz zu sorgen. Ich benutzte meine Kamera, wenn ich daran dachte, und deshalb gibt es einige Sequenzen von Bobs Tod, ansonsten wäre da gar nichts. Dann gab ich ihm das Material, damit er es zusammenschneiden sollte. Er machte ein paar Versuche, aber es kam keine gute Version zustande, weshalb er eine andere Person damit beauftragte: Dody Dorn, die Bob nie getroffen hatte, aber den Film dann schnitt.
Als es um die Credits ging, meinte er, ich solle meinen Namen weglassen, da es sonst wie ein reines Ego-Projekt aussehen würde. Das war ein Jahr nach Bobs Tod, und ich befand mich in einem schlechten Gemütszustand und traute deshalb Kirby, was offensichtlich ein Fehler war. Durch einen Rechtsanwalt teilte ich ihm dann mit, dass mein Name auf jeden Fall genannt werden müsse. Okay, sagte er, du bist Co-Produzent, aber das ist mein Film, ich habe dabei Regie geführt. Die Wahrheit ist, 60 Minuten des Films bestehen aus Material, das ich oder Bob gefilmt haben. Er hat eine starke Persönlichkeit und glaubt, dass es sein Baby sei. Ich wollte dabei auch nie der Star sein, ich war glücklich, im Hintergrund zu sein und ein bestimmtes Bild von Bob zu kreieren. Ich wollte deswegen vor Gericht ziehen, aber der Rechtsanwalt meinte, ich hätte nicht genug Geld, um Kirby zu verklagen, da er schon all diese Verträge mit unterschiedlichen Verleihern hatte. Wir reden seitdem nicht mehr, und ich habe bisher auch keinen einzigen Penny der Einnahmen gesehen. Er behauptet, er hätte kein Geld damit verdient, und ich habe nicht die Mittel dagegen anzugehen.

Das ist natürlich eine sehr schizophrene Situation, man sieht einen Film, der einem sehr nahe geht und erfährt dann von all diesen Dingen. Wie soll man sich da verhalten?

Ich habe nie gesagt, dass der Film schlecht ist, und ich weiß auch, dass ihn viele Leute mögen, weil er Bobs Humor zeigt und seine Courage im Angesicht seiner schweren Krankheit. Es ist eine interessante Story, aber höchstens 20% davon sind wirklich akkurat, vor allem am Ende, denn Kirby war ja nicht dabei. Leute, die Bob kannten, mögen den Film deshalb auch nicht. Aber die ihn nicht kennen, finden den Film wundervoll. Es ist nicht die Wahrheit, aber ein Teil davon. Bei jeder Doku steht jemand dahinter, der Dinge manipuliert. Für mich ist das eine komische Situation, ständig sprechen mich Leute an, wie wundervoll der Film wäre, und ich sage: Vielen Dank, aber Kirby ist ein Dieb. Er ist kein netter Mensch und hat mich scheinbar nie gemocht, genauso wenig wie Bob, er hat uns nur benutzt. Das ist aber nichts Neues, vielen Leuten in Dokus ergeht es so. Und so wird niemand die Wahrheit über Bobs Tod erfahren. Denn es gab einen Moment, wo ungefähr 40 Leute im Krankenhaus waren, all seine Freunde und seine Familie. Und er gab in seinem Totenbett eine 40-minütige Performance, bei der sich die Leute vor Lachen kaum halten konnten, aber das ist nie gefilmt geworden. Das war eine der tollsten Vorstellungen, die Bob je gegeben hat. Das werde ich Kirby nie vergessen, man verlässt seinen eigenen Film nicht am letzten Tag, wenn die Hauptfigur im Sterben liegt. Kirby hat mehr Anerkennung dafür bekommen, als er eigentlich verdient. Aber das heißt nicht, dass ich mich nicht freuen würde, dass der Film gute Kritiken bekommt, denn ich will, dass Bob noch populärer wird.

„Sick“ zeigt einige wirklich intime Momente von Bobs Leben, wie groß ist dabei die Gefahr, dass so ein Film die Grenze zur „Ausbeutung“ einer Person überschreitet?

Das kann man nie ausschließen, aber Bob liebte es photographiert zu werden. Ich musste ihn nicht dazu zwingen, er genoss die Aufmerksamkeit. Insofern war das nie Ausbeutung, da ich die Person dokumentierte, die ich in meinem Herzen hatte. Wir haben auch lange Zeit kaum etwas von diesen Sachen öffentlich gezeigt, weil ich es eben nicht ausbeuten und in irgendwelchen Zeitungen haben wollte. Erst als sein Tod näher rückte, sprachen wir darüber und entschieden uns, dass daraus ein Film werden sollte. Aber ich stimme dir zu, wenn man etwas filmt und anderen Leuten zeigt, beutet man etwas aus und verzerrt es. Menschen verhalten sich vor der Kamera anders, und man hat noch den speziellen Standpunkt des Filmemachers.

Einer der Kernsätze von Bobs Lebensphilosophie lautete „Fighting sickness with sickness“, aber klingt das nicht viel zu negativ?

Bob ist ja bekanntlich mit einer schrecklichen Krankheit geboren worden, so dass er niemals ohne Schmerzen atmen konnte, seine Schwester starb schon sehr früh daran. Schmerz war die beherrschende Konstante in seinem Leben. Durch frühe Erfahrungen mit Masturbation wurde ihm bewusst, dass er die Schmerzen zeitweise ausblenden konnte. Weil er die Schmerzen nicht kontrollieren konnte, begann er sie zu erotisieren, wodurch er etwas dagegen tun konnte. Insofern war es ein sehr hoffnungsvoller Negativismus für ihn. Denn viele Leute mit dieser Krankheit sterben in jungen Jahren, weil sie mit den Schmerzen nicht fertig werden. Doch Bobs starker Willen und sein unglaublicher Humor machten das möglich. Als er das mit ‚Fighting sickness with sickness‘ sagte, meinte er es vor allem als Scherz. Viele Leute haben Krankheiten, aber sie sprechen nicht darüber, Bob tat das, er zweifelte es an und kehrte es nicht unter den Tisch, und das ist ganz sicher nicht ‚krank‘. Auf jeden Fall ist es ein ziemlich aufrichtiger Weg damit umzugehen. Ich kann auch nicht über die Beweggründe normaler, gesunder Leute reden, die mit SM zu tun haben, Bob war einfach anders und einzigartig. Seine Botschaft war: Wenn dir etwas Schlimmes widerfährt, kämpfe dagegen an, lass es nicht von deinem ganzen Leben Besitz ergreifen.

Wie sah eigentlich dein Verhältnis zu SM aus? Du warst ja, bevor du Bob trafst, eher eine „normale“ Hausfrau.

Da war ich aber auch schon drei Jahre geschieden und hatte in dieser Zeit als Psychologin gearbeitet. Aber es stimmt, dass ich zu diesem Zeitpunkt nichts mit SM zu tun hatte. Als geschiedene Frau war ich sehr unglücklich darüber, wie Männer sich mir in sexueller Hinsicht näherten, so als ob sie das Recht dazu hätten. Ich wollte neue Erfahrungen machen, wusste aber nicht, wie die aussehen würden. Und SM war etwas, worüber die Leute nicht redeten, es gab keine SM-Bilder, das war der Underground. Ich war sehr überrascht, als Bob mir erzählte, er sei Masochist, da ich fast nichts darüber wusste. Mein Interesse an SM war dann nicht nur sexueller Art, es war auch sehr politisch, da ich dachte, als Frau könnte ich jetzt mit einem Mann zusammensein, der unterwürfig ist und all das macht, was ich sage. Das war meine politische Agenda. Und Bob glaubte auch daran, deshalb war es etwas, was wir nicht nur im Schlafzimmer taten.

Inwiefern wart ihr denn zu dieser Zeit in die Underground-Szene von Los Angeles involviert?

Wir waren Teil einer sehr undergroundigen Kunstszene, dazu gehörte auch jemand wie Mike Kelley, der später ziemlich bekannt wurde. Zur selben Zeit gründeten wir auch eine SM-Gruppe, die Society Of Janus, die bereits ein Jahr zuvor in San Francisco gegründet wurde, aber wir brachten sie nach LA. Viele der frühen Treffen fanden in meinem Haus statt. Erst waren es nur 15 Leute und plötzlich hatten wir über 100 Mitglieder. Bei den Treffen zeigten wir, wie man jemand auspeitschte oder Piercings machte. Irgendwann griff die Kunstszene das dann auf, und ich wurde im Buch ‚Modern Primitives‘ erwähnt. Bis wir irgendwann Anfang der 90er damit auch in den Galerien waren. In den 80ern waren Bob und ich die treibende Kraft, die das ins Bewusstsein der Leute brachten. Bob arbeitete damals auch in einem Laden namens The Gauntlet, das war 1983 der einzige Ort, wo man ein Piercing bekommen konnte. 20 Jahre später ist jeder gepierct, aber zu dieser Zeit war es niemand. Heute ist das nichts besonderes mehr, aber als Bob damals in der Öffentlichkeit einen Nasenring trug, war das ziemlich ungewöhnlich. Und weil Bob so aufrichtig und humorvoll war, hatte das auch nichts erschreckendes oder schmutziges an sich. Er brachte da ein Element ein, wodurch es für die Leute akzeptabler wurde.

Ich habe auch einige deiner feministischen Theorien im Kontext von SM gelesen, fand aber, dass du dir es da etwas leicht machst, denn nur die simple Umkehrung der Geschlechterrollen kann es doch wohl auch nicht sein ...

Ich gebe dir Recht, dass nur die Umkehrung der Rollen die Situation nicht besser macht, und ich bin auch nicht mehr so radikal, wie ich es in den 80ern war. Aber das Patriarchat gibt es jetzt seit vielen tausend Jahren, und Frauen haben nie wirklich die Kontrolle gehabt. Solange man kein richtiges Gleichgewicht findet, muss man eben das andere Extrem wählen. Ich glaube auch nicht, dass SM die alleinige Antwort darauf ist, aber es ist eine Alternative. Denn Männer müssen nicht immer die Aggressoren sein und alle Entscheidungen treffen, das können Frauen auch. Für Bob war SM aufgrund seiner Krankheit die richtige Antwort. Ich war, bevor ich Bob kannte, in keiner SM-Beziehung und auch nicht nach Bobs Tod, das ist jetzt sieben Jahre her. Bei den Männern, die ich treffe, fühle ich nicht dieselbe Energie wie bei Bob. Und ich bin jetzt auch einfach älter geworden. Als ich Bob traf, war ich um die 30 und jetzt bin ich fast 60. Da verändert sich das Leben, und Sex ist nicht das Wichtigste darin.
Im Moment herrscht eine große Verwirrung vor, was Mann-Frau-Beziehungen angeht. Wenn man nur daran denkt, wie viele Scheidungen es gibt. Da ist offensichtlich etwas nicht in Ordnung. Und ich weiß auch nicht, wer sich zuerst ändern muss, die Männer oder die Frauen. Zuerst dachte ich, die Frauen müssten aggressiver werden und wissen, was sie wollen, und sich nicht von Männern schlecht behandeln lassen. Aber auch Männer müssen verstehen, dass sie ihre Aggressionen einschränken müssen. Und auch die Kinder wissen nicht, wie eine richtige Beziehung aussehen soll. Sie sehen nur das, was sie vom Fernsehen kennen und was ihre Eltern ihnen vorleben. Für Bob und mich war es einfach, wir hatten ein Ziel, wir liebten uns und glaubten daran, was wir taten. Es war wie ein Vertrag, wir wussten, was wir wollten, und jeder konnte jederzeit Nein sagen. Es war nicht so wild und verrückt, wie das vielleicht in der Phantasie vieler Leute erscheinen mag.

Du hast ja aus deiner ersten Ehe zwei Kinder, die inzwischen schon älter sind. Wie sind die damals mit eurer besonderen Beziehung klar gekommen?

Ich habe ihnen das nie aufgedrängt. Sie haben Bob im Haus gesehen, wie er den Abwasch machte und die Wäsche gewaschen hat. Und sie wussten, dass Bob alles machte, was ‚Mami‘ ihm sagte – ‚Mami‘ bestimmte die Regeln. Sie haben dabei aber nie den SM-Hintergrund gesehen, aber als sie älter wurden, haben wir es auch nicht vertuscht. Ich hatte wie gesagt auch Treffen in meinem Haus, wo Leute Ledersachen trugen. Und wir redeten da über die Performances, aber ich habe sie nie direkt daran teilhaben lassen. Dennoch war es nie ein großes Geheimnis. Beide kennen auch den Film, und es macht ihnen nichts aus. Und wir haben natürlich nie etwas vor ihren Augen gemacht. Es gab nie ein konkret sexuelles Verhalten vor den Kindern. Viele ihrer Freunde fingen dann auch mit Tattoos und Piercings an und waren sehr überrascht, als sie erfuhren, wer wir waren. Vielleicht hat das meinem Sohn und meiner Tochter sogar einen besseren Status verliehen, haha.