ACTIVE MINDS

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Ein Vierteljahrhundert D.I.Y.-Hardcore

„D.I.Y. or die“ war vielleicht das Motto der späten Achtziger, um dem Musikbusiness den Mittelfinger zu zeigen. Phrasen dreschen ist einfach, die Umsetzung häufig schwer. Eine der Bands, die die Do-It-Yourself-Idee recht konsequent umgesetzt hat, sind ACTIVE MINDS, ein Bruderduo aus dem beschaulichen Scarborough, U.K., das seit knapp einem Vierteljahrhundert Hardcore spielt, wobei alle Extreme von Melodie bis Grind ausgelotet werden. Mögen auch wegen der Zweierbesetzung mit Gitarre, Drums und Gesang kleinere musikalische Einschränkungen bestehen, wundert man sich doch über die Kraft, die in der Musik steckt, und muss unumwunden zugeben, dass Bobs und Set – wie die beiden heißen – mehr zu sagen haben als so manch anderer Musiker. Anlässlich des Break The Silence-Festivals trafen wir uns deshalb zu einem Plausch auf dem Lande, wo sich selbst Soldat und Soldatin abends nicht mehr zärtlich „Gute Nacht“ sagen mögen, nämlich auf einem ehemaligen Bundeswehrgelände am Arsch der Welt in einem weiteren Land mit „D“.

Warum gibt es kaum ACTIVE MINDS-Interviews?

Set: Weil wir nicht gefragt werden. Die Leute wollen immer das „Neue Ding“ haben. Und das sind wir garantiert nicht.

Ihr seid seit 24 Jahren aktiv – immer zu zweit?

Bobs: Ja, immer zu zweit, das ist für unsere Zwecke ausreichend, wenn nicht sogar optimal.

Und die Band hat sich nie aufgelöst?

Set: Nein, es gab mal sieben Jahre ohne Release, da wurde das Interesse der Leute deutlich weniger, aber seit unserer letzten LP, „It’s Perfectly Obvious That This System Doesn’t Work“, sind wir wieder aktiver und spielen viele Gigs.

Was spielen ACTIVE MINDS als Band zu zweit nun offiziell? Grindcore? Hardcore?

Set: Nein, es ist kein Grindcore, ich würde es eher Punkrock nennen, weil Hardcore ja für viele mittlerweile mit New Yorker Skinheads und Muskelmännern zu tun hat. Aber da hat wohl jeder seine eigene Definition.

Ihr habt ja auf der aktuellen Scheibe beides, viele melodische Punkrock-Songs, aber auch Grind.

Set: Wir hatten sogar darüber nachgedacht, eine Seite der LP mit Punk zu füllen und die andere mit den schnellen Songs, aber uns hat dann doch der Mix besser gefallen. Sonst hätte noch jemand gedacht, das ist eine Split-LP mit zwei verschiedenen Bands.

Für mich sind ACTIVE MINDS immer eine politische Band gewesen. Wenn ihr nach all den Jahren die alten Texte lest, sind sie für euch noch okay, oder denkt ihr manchmal: „Oh, das war doch etwas naiv“?

Bobs: Ich würde heute die Dinge auf eine andere Art und Weise ausdrücken, einiges ist sicher zu stumpf für die heutige Zeit gewesen. Viele unserer ersten Sachen hören sich an, als ob sie von wütenden Teenagern geschrieben wurden. Aber genau das waren wir ja, und jetzt sind wir Menschen mittleren Alters. Wir haben jetzt andere Möglichkeiten, als die Menschen anzuschreien, um sie zu überzeugen.

Set: Die Message ist aber immer noch dieselbe. Wir drücken es heute nur anders aus. Mehr in die Richtung, dass die Leute etwas für sich herausziehen können, aber im Grunde sind wir immer noch geradeheraus.

Ihr scheint auf der neuen Scheibe ja auch einen Faible für Wortspiele zu haben.

Set: Bobs’ Lieblingsbands benutzen viele Wortspiele.

Bobs: Jetzt nicht die typischen Anarchopunk-Bands, aber ich mag es, mit Worten zu spielen und andere Ideen zu bekommen. Es macht mir Spaß, mit doppelten Bedeutungen oder versteckten Hinweisen zu arbeiten.

Habt ihr mal darüber nachgedacht, den Weg zu gehen, den auch CHUMBAWAMBA gegangen sind, also Pop-Musik zu machen, um mehr Leute mit euren Inhalten zu erreichen?

Bobs: Das wäre schwierig, weil der D.I.Y.-Weg, den wir gehen, unglücklicherweise auch Grenzen hat. Du musst dann musikalisch Kompromisse eingehen, und auch in der Art und Weise, in der du dich vermarktest. CHUMBAWAMBA sind bewusst den Weg gegangen, um in den Mainstream zu gelangen, aber erstens würden wir diese Kompromisse nicht eingehen und zweitens würde es mit uns nicht funktionieren, weil wir zu roh und mit zwei Leuten auch zu limitiert sind als Musiker. CHUMBAWAMBA haben viele gute Musiker mit vielen Instrumenten.

Set: Und genau genommen machen wir das, was wir wollen. Wir haben unseren eigenen Stil und bringen lieber ein paar mehr Melodien zu den Crusties.

Bobs: Selbst wenn wir eine Pop-Platte machen sollten, würde die sicher nicht in den Charts landen. Wir sind einfach nichts, was man den Massen verkaufen kann, selbst wenn wir glauben würden, dass das eine gute Idee wäre.

Habt ihr eine Vorstellung, wie viele Platten ihr über die Jahre verkauft habt?

Bobs: Das sind ungefähr 50.000 gewesen.

Das ist eine Menge für eine D.I.Y.-Band.

Bobs: Ja, aber es gibt uns schon länger und wir haben eine Menge Veröffentlichungen auf unserem Label Loony Tunes rausgebracht. Das hört sich nach mehr an, als es ist, umgerechnet sind das 2.000 Scheiben im Jahr. Und die letzten Jahre wurde es auch weniger. Von der ersten LP „Welcome To The Slaughterhouse“ war die Erstpressung mit 2.500 Kopien in zwei Monaten ausverkauft, das ist mit einer Vinyl-LP heutzutage nicht mehr zu schaffen.

Verkauft ihr heutzutage mehr LPs oder CDs?

Bobs: Immer noch mehr Vinyl als CDs. Wir verkaufen CDs nur noch auf Gigs, besonders in Deutschland scheinen CDs aber ziemlich tot zu sein, hier downloaden die Leute den Kram lieber irgendwo.

Set: Bei unserer letzten LP wollten wir nicht nur Vinyl haben, das hätte uns zu sehr limitiert. Deshalb haben wir beides gemacht, aber die Situation ändert sich laufend. Für kommerzielle Label muss es im Moment die Hölle sein.

Bobs: Der Punkt ist doch auch, dass ein CD-Release sofort im Netz zu haben ist. Es ist so einfach zu machen und jeder kann es sich nehmen.

Ich behaupte ja auch immer, dass der beste Kopierschutz Vinyl ist, weil die Leute zu faul sind, das zu rippen.

Bobs: Haargenau so ist es, das wäre schon wieder zu viel Arbeit. Und das ist der Unterschied zum Tape-Trading der alten Tage, damit hatte niemand Probleme und es war eine Arbeit, die von Herzen kam, es brauchte Zeit, Mühe und Geld. Kassetten wollten gekauft und verschickt werden. Es ist emotional etwas anderes, sich hinzusetzen und für einen Freund ein Tape aufzunehmen, als irgendetwas downzuloaden. Heute kopiert sich der eine die Festplatte des anderen mit hunderten Songs, die er nie hören wird, aber: Who gives a fuck?

Ist das Internet für euch denn ein Vorteil?

Bobs: Da bin ich mir noch nicht sicher. Aber bei jedem Fortschritt ist es doch immer so, dass du auch einige gute Dinge einbüßt. Es hat auf jeden Fall Grenzen eingerissen, aber maskiert auch gerade deshalb die ökonomischen Unterschiede, die es immer noch im Leben der Menschen gibt. Als wir zu Tape-Trader-Zeiten jemanden in der Dritten Welt oder im Ostblock einen Brief geschrieben haben, war uns klar, wo die Unterschiede in deren Leben und der Kultur waren. Vielleicht nicht mehr im Ostblock, aber in vielen anderen Ländern sind diese Unterschiede immer noch da, aber für junge Leute am Rechner ist heute Brasilien und Belgien dasselbe.

Letztes Jahr sprach ich mit CLUTCH, die sagten, dass sie nie Geld mit CDs verdient hätten, nur mit Touren und T-Shirts. Warum gibt es keine ACTIVE MINDS-Shirts?

Bobs: Wir sind doch keine Boutique. Die einzige Band, die es genauso hält, sind FUGAZI. Von denen gibt es auch keine Shirts. Und Ian MacKaye hat es mal auf den Punkt gebracht: Wenn dir die Brötchen in einer Bäckerei schmecken, was machst du? Du gehst rein und kaufst dir die Brötchen und nicht ein T-Shirt mit dem Bäckerei-Emblem drauf. Und so halten wir es eben auch.