GARY MARX

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Behind the poison door

Gitarrist Gary Marx gründete 1980 gemeinsam mit Andrew Eldritch in Leeds THE SISTERS OF MERCY, die speziell in ihren ersten Jahren einige EPs und ein Debütalbum in Gestalt von „First And Last And Always“ (1985) einspielten, die bis heute für Legionen von Gothic-Rock-Bands als Blueprint und genreprägende Veröffentlichungen gelten. In dieser Formation entstand die erste Single „The Damage Done“ (1980), eine Reminiszenz an Neil Youngs Song „The needle and the damage done“, welche über das bandeigene Label Merciful Release veröffentlicht wurde. Nachdem John Peel in seiner Radiosendung „The Damage Done“ gleich zweimal spielte, verkaufte sich die erste und einzige Auflage von 1.000 Stück fast komplett. Anschließend stießen Bassist Craig Adams (der später bei THE MISSION und THE CULT spielte und heute bei THE ALARM aktiv ist) und der zweite Gitarrist Ben Gunn zur Band. Anstatt eines Drummers – auf der Debütsingle versuchte sich noch Andrew Eldritch als Drummer – bediente man sich der Drum-Machine Dr. Avalanche, die später auf Tour von dem THE MARCH VIOLETS-Mastermind Simon Denbigh bedient wurde.

„We never got a drummer, because drummers don’t fit into anybody’s personal chemistry“, bemerkte Andrew Eldritch dazu. Nach einigen Singles und EPs, wie unter anderem „Body Electric“ (1982), „Alice“ (1983), „The Reptile House EP“ (1983) und der legendären Single „Temple Of Love“ (1983), spielte die Band mit „First And Last And Always“ ihr bestes Album ein, was dann bereits über den Major WEA Records veröffentlicht wurde. Persönliche musikalische Huldigungen (der Bandname selbst ist einem Song von Leonard Cohen entnommen) – speziell von Andrew Eldritch – finden sich in den Coverversionen der SISTERS OF MERCY, wie von „Gimme shelter“ (THE ROLLING STONES), „1969“ (THE STOOGES) sowie „Gimme gimme“ (ABBA), in etwa so unschlagbar gut wie die Coverversion von THE LEATHER NUN, und „Knocking on heaven’s door“ (Bob Dylan). Bereits 1984 kam es zu ersten Spannungen innerhalb der Band und Ben Gunn wurde ersetzt durch Wayne Hussey (ex-DEAD OR ALIVE).

Kurz nach der Veröffentlichung des Debütalbums verließ Gary Marx entnervt die Band, in der er fast die Hälfte der Songs dieses Albums geschrieben hatte und mit beispielsweise „Poison door“, „Some kind of stranger“ (von Marx einst als „A perverse weeding march“ beschrieben), „Amphetamine logic“ und „Nine while nine“ mit die besten Songs überhaupt zum Output der Band beigesteuert hatte. Die Legende besagt, dass der Song „Walk away“ von diesem Album bereits eine Anspielung von Eldritch auf den Weggang von Gary Marx war, der anschließend mit Sängerin Anne-Marie Hurst von THE SKELETAL FAMILY die nicht minder ikonisierten GHOST DANCE gründete, die unter anderem für THE RAMONES und THE SAINTS Support spielten, und bis 1990 sehr erfolgreich bestanden.

Was sich nach dem Ausscheiden von Wayne Hussey abspielte, so die juristischen Auseinandersetzungen um den alten Bandnamen und des von Eldritch neu lancierten Folgeprojekts THE SISTERHOOD und seine zunehmend an Klaus Kinski gemahnenden Interviews, zählte dann zu den unschönen Auswüchsen der Folgegeschichte der SISTERS OF MERCY. Nachdem Gary Marx 1995 einem gemeinsamen Freund sein Bedauern über den mangelnden Output neuer Songs der SISTERS OF MERCY kundtat, bekam er Tage später einen Anruf von Eldritch. Daraufhin entstanden zehn neue Songs, die nahezu 13 Jahre lang nicht veröffentlicht wurden. Gary Marx ist seit einigen Jahren wieder musikalisch aktiv und beantwortet einige Fragen.


Gary, du hast in der Vergangenheit zwei Soloalben eingespielt, „Nineteen Ninety Five And Nowhere“ und „Pretty Black Dots“, wobei mich Letzteres ein wenig an ein Soloalbum von Chris Reed von RED LORRY YELLOW LORRY als CHRIS REED UNIT erinnert und sehr viel mehr dunkle Singer/Songwriter-Einflüsse aufweist und wenig mit dem originären Sound der Sisters gemein hat. Was waren deine Einflüsse während der Aufnahmen zu diesen Alben?

Ich will nicht zu pedantisch erscheinen, aber ich muss dich etwas korrigieren. Während „Nineteen Ninety Five And Nowhere“ zu keinem Zeitpunkt als Soloalbum konzipiert war, ist „Pretty Black Dots“ in der Tat von Beginn an ein echtes Soloalbum von mir gewesen, das in der Tat unter dem Einfluss des von dir angesprochenen Genres entstanden ist. Allerdings hat dieses Album – und da bin ich mir im Vergleich zu Chris Reed nicht ganz sicher – fast einen Hang ins Tragisch-Komische. Den wohl größten Einfluss zu dieser Zeit hatten THE MAGNETIC FIELDS und ganz speziell ihr umfangreiches Triple-Album „69 Love Songs“. Ich hatte ursprünglich – noch bevor ich dieses Album gehört habe – eine ganz ähnliche Idee und Intention und wollte 45 Songs, verteilt auf drei eigenständige Alben, veröffentlichen, die in kurzen Abständen erscheinen sollten, und zwar um meinen 45. Geburtstag herum. Als ich erkannte, dass mir THE MAGNETIC FIELDS mit einer ähnlichen Idee zuvorgekommen waren, beließ ich es beim ersten Teil der Trilogie und beim Album „Pretty Black Dots“. Außerdem begannen bereits die Arbeiten zum „Nineteen Ninety Five And Nowhere“-Album und ich bin dann nicht wieder zu diesem Konzept mit 45 Songs zurückgekehrt – allerdings habe ich alle Songs fertig geschrieben –, zumal ich dann auch 50 geworden bin. Natürlich gibt es auch einige aktuelle Bands wie die WHITE STRIPES, die ich sehr mag, und ich habe wieder einige Post-Punk-Bands wie THE MODERN LOVERS, WIRE und MAGAZINE für mich neu entdeckt, sowie die Soloalben von Brian Eno. Du wirst jetzt nicht zwingend deren Musik in meinen Songs wieder finden, denn ihr Einfluss ist mehr der einer ähnlichen Einstellung und Herangehensweise an Musik.

Gerade einige Songs von „Nineteen Ninety Five And Nowhere“ wie „Open season“ oder „Zapruder“ klingen sehr nach den frühen SISTERS OF MERCY oder THE MISSION. Soweit ich verstanden habe, ist das Album aus einer Zusammenarbeit mit Andrew Eldritch entstanden.

Als ich Andrew 1995 über einen gemeinsamen Freund übermitteln ließ, dass mich der dürftige Output an neuen Songs der Sisters etwas erstaunt, hatte er mich gebeten, einige Songs für ihn zu schreiben, was ich dann auch getan habe. Ich schickte ihm anschließend die Songs zu, aber er hat dann nicht mehr darauf reagiert. Der Gedanke war ursprünglich, dass er diese Songs für ein potenzielles neues Album der SISTERS OF MERCY verwenden würde. Es war nicht so, dass wir uns zu irgendeinem Zeitpunkt persönlich im Studio getroffen hätten. Andrew hat diese Songs nie unter dem Banner der Sisters verwendet und der einzige Grund, warum ich sie dann 2007 doch veröffentlicht habe, war das enorme Interesse von vielen Sisters-Fans, die mich darum gebeten haben, nachdem ich dieses Thema in einigen Interviews angesprochen habe. Es war viel von einem „Lost album“ die Rede und ich habe dann die Vokal-Parts selbst übernommen – auch wenn ich zunächst daran gedacht habe, die Songs von jemand anderem singen zu lassen – und das Album unter meinem Namen veröffentlicht. Ich habe einiges an den Songs verändert, da sie ja ursprünglich von der Sprachmelodie auf Andrew zugeschnitten waren. Ich habe die Stücke bewusst sehr nahe am alten Sound der SISTERS OF MERCY orientiert. Allerdings habe ich viele der ursprünglichen Keyboard-Parts, die sehr stark an das „Floodlands“-Album erinnerten, ganz am Schluss wieder im Zuge der letzten Feinarbeiten im Studio nivelliert, weil ich nicht ganz zufrieden mit ihnen war. Andrew hat es dann auch abgelehnt, dass wir gemeinsam ins Studio gehen, um die Songs zu überarbeiten, um sie etwas zeitgemäßer klingen zu lassen. Da es eben dazu nicht gekommen ist, klingen sie, wenn du mich fragst, deshalb mehr nach THE MISSION und den ganzen frühen Sachen, die wir mit den Sisters eingespielt haben.

Und du hast wieder mit einer Drum-Machine gearbeitet.

Wie gesagt, mit war es sehr wichtig, den ursprünglichen Sound der SISTERS OF MERCY zu generieren, und da nun mal Andrew als Sänger nicht zur Verfügung stand, war der Einsatz einer Drum-Machine für dieses Ziel absolut unabdingbar.

Chris Reed hat einmal erwähnt, dass er nie wieder mit großen Labels zusammenarbeiten will und seine musikalischen Aktivitäten lieber selbst steuert und alle Geschicke in die eigene Hand nimmt. Ich denke, dir geht das ähnlich.

In der Tat und ich gehe mal davon aus, dass das auf Gegenseitigkeit beruht. Die Majors brauchen Musiker wie mich und Chris Reed nicht und zum Glück brauchen wir sie auch nicht. Um ganz ehrlich zu sein, glaube ich heute, dass wir sie niemals gebraucht haben. Das enorme finanzielle Budget, dass wir für das erste Album der SISTERS OF MERCY zur Verfügung hatten, hat nicht zu besseren Aufnahmen oder Songs geführt im Vergleich zu unseren Veröffentlichungen vor „First And Last And Always“, die mit sehr geringen finanziellen Mitteln entstanden sind.

Anne-Marie Hurst ist seit 2009 wieder musikalisch aktiv und spielt live, neben eigenen neuen Songs, alte Stücke von THE SKELETAL FAMILY und GHOST DANCE. Bist du noch im Kontakt mit ihr, und wie wahrscheinlich ist es, von dir Songs bei deinen Konzerten zu hören, die du für die SISTERS OF MERCY und GHOST DANCE geschrieben hast?

Ich habe seit den Zeiten von GHOST DANCE keine Konzerte mehr gegeben und ich habe keine Interesse, daran irgendetwas zu ändern, somit ist stellt sich die Frage, was ich bei einem Konzert spielen könnte, erst gar nicht. Mein Fokus liegt klar auf der Arbeit im Studio und es ist wenig wahrscheinlich, dass sich daran jemals etwas ändert. Ich bin noch unregelmäßig mit Anne-Marie in Kontakt und ich bin froh, dass sie dieses erfolgreiche Comeback hat, das Ganze ist ja mehr eine SKELETAL FAMILY-Reunion. Für mich kommt es auf keinen Fall in Frage, jemals unter dem marketingträchtigen Banner „ex-SISTERS OF MERCY“ oder „ex-GHOST DANCE“ aufzutreten. Das mag den einen oder anderen enttäuschen, aber wer mich kennt, weiß, dass das keine Überraschung ist und auf der Hand liegt.

Apropos, ich habe gerade eine Band namens THE LEGION aus Leeds gehört, die nicht nur einen perfekten early SISTERS OF MERCY-Sound spielt, sondern sich gleich das gesamte Artwork der ganz frühen Veröffentlichungen der SISTERS OF MERCY komplett zu Eigen gemacht hat. Bist du darauf, was ihr für einen enormen Einfluss als Band erreicht habt?

Um ehrlich zu sein, habe ich für diese Art der Reminiszenz nicht viel übrig. Das richtet sich nicht gegen THE LEGION, die ich ohnehin nicht kenne, sondern ist ein ganz generelles Statement in Bezug auf diese Art von Reminiszenz. Natürlich bin ich stolz auf das, was wir in den ersten fünf Jahren mit den SISTERS OF MERCY erreicht haben, und ich freue mich darüber, wenn junge Musiker in der Art und Weise von uns beeinflusst sind, wie wir es damals von Marc Bolan oder Francis Bacon waren.

Kannst du zum Schluss skizzieren, was du nach dem Split von GHOST DANCE gemacht hast, bis du vor einigen Jahren wieder musikalisch aktiv geworden bist?

Um es kurz zu machen: Ich war noch einige Jahre als Musiker tätig, nach dem ich GHOST DANCE verlassen hatte, so in etwa bis 1993, allerdings gibt es keine Veröffentlichungen aus dieser Zeit. Die Hintergründe erspare ich mir an dieser Stelle. Dann bin ich in die Richtung musikalische Erziehung gegangen und habe einen Lehrauftrag an Paul McCartneys Liverpool Institute of Performaning Arts/LIPA angenommen, an dem ich dann hauptberuflich viele Jahre gearbeitet habe. Ziel war es, den kreativen Prozess und die Begabungen junger Menschen zu fördern und in die – sagen wir mal – richtigen Bahnen zu lenken. Es ging darum, ihnen die Grundlagen des Songwritings beizubringen, die Art und Weise, wie man seine Songs individuell auf der Bühne vorträgt und letztlich auch um die Vermittlung der „Spielregeln“ des Musikgeschäfts und wie man als junger Musiker innerhalb dieses Business zurechtkommt. Allerdings empfand ich in den zehn Jahren, in denen ich dieser Tätigkeit nach gegangen bin, immer eine gewisse innere Spannung, noch einmal etwas anderes zu machen, was direkt mit meiner eigenen Musik zu tun hat. Wenn man sich selbst in seinem künstlerischen Streben nach vorne bringen und weiterentwickeln will, um seine Karriere voranzubringen, ist die Arbeit als Lehrer in einem relativ eng abgesteckten Rahmen und Umfeld eher hinderlich für dieses Bestreben. Ich habe dann wieder angefangen, eigene Songs zu schreiben und einzuspielen, die ich zuvor teilweise auch zu Lehrzwecken am LIPA verwendet habe, um meiner musikalischen Entwicklung neuen Antrieb zu geben. Es schien mir nur logisch, diese Songs dann auch zu veröffentlichen. Und nun bin ich wieder als Vollzeitmusiker aktiv.