KOMPLIKATIONS

Foto

Aachener Synth-Punk-Offenbarung

Als ich vor einigen Monaten in nostalgisch grauhaariger Schwermut anprangerte, dass man Bands mit der Klasse der SCREAMERS um Tomata Du Plenty heutzutage wie die Nadel im Heuhaufen suchen muss, gab mir ein Bekannter den Ratschlag, meine Ohren in Richtung deutsch-belgischer Grenze, genauer Schnittstelle-Aachen/Lüttich, auszurichten, da dort womöglich die Erlösung in Form der KOMPLIKATIONS auf mich warten könnte. Angestachelt von derartigen Versprechungen, begab ich mich auf den digitalen Highway und begegnete in Form des Songs „Defect“ und und ihrer bisher einzigen Scheibe „Step Forward“ einer Erleuchtung, wie ich sie beileibe nicht erwartet hatte. Hier traf Hass auf schiere Verzweiflung, gebündelt in einem Synth-Punk-Gewitter, das man in derartiger Qualität nur selten geboten bekommt. Getriebene Überzeugungstäter, die Musik als Ventil für die Erfahrungen ihres eigenen Lebens definieren. Mit Alen, der neben seiner Passion als Sänger der KOMPLIKATIONS ebenfalls seit vielen Jahren als Booker und Qualitätsgarant unter dem Banner PGL Aachen die dortige Szene bereichert, ein Interview zu führen, war da nur der nächste logische Schritt.

Alen, wie läuft es bisher mit eurer aktuellen 12“ „Step Forward“? Gerade neue Bands haben es in Zeiten von Download & Co. ja inzwischen immer schwerer.

Unsere Platte läuft sehr gut und ist fast verkauft! Dass man die Platte auch umsonst auf der Rockstar-Records-Labelseite downloaden kann, hat dem Verkauf nicht geschadet. Im Gegenteil, so mancher, der sich die 12“ runtergeladen hat, hat sie auch im Anschluss direkt beim Label mitbestellt und bei unserer Kleinauflage von 550 Kopien gingen bisher viele direkt bei Konzerten weg.

Positiv wirkt sich doch sicher aus, dass KOMPLIKATIONS alles andere als ein austauschbares Massenprodukt sind und euer Stil schon von Haus aus Leute anspricht, die ein gewisses Hintergrundwissen besitzen und in der Regel Vinylfetischisten sind?

Ja, ein austauschbares Massenprodukt sind wir wohl eher nicht. Dafür ist unsere Musik zu speziell. Hintergrundwissen? In Deutschland vielleicht, in Belgien und Frankreich sind die Klänge von Synthies in Bands deutlich bekannter. Viele junge Leute, die uns bisher dort gesehen haben, kennen SCREAMERS oder die UNITS nicht, sie hören uns sehr wertfrei, ohne den Vergleich zu alten Bands zu ziehen.

Unüberhörbarer Einfluss sind neben den SCREAMERS aus L.A. auch andere Bands dieser Richtung, wie die UNITS, NERVOUS GENDER oder auch METAL URBAIN. Was zeichnet diese Bands für euch aus und warum fristen sie, abseits ihres Legendenstatus, inzwischen eher ein Schattendasein?

SCREAMERS faszinieren mich, ohne Zweifel. Sie waren insofern der Auslöser zur Gründung der Band, als dass ich ebenfalls keine Gitarre und keinen Bass in der Band wollte. Das war meine Bedingung. SCREAMERS und METAL URBAIN kenne ich schon sehr lange, UNITS habe ich erst 2010 für mich entdeckt und NERVOUS GENDER kenne ich bis heute nicht ernsthaft. Schaut man sich die SCREAMERS- und METAL URBAIN-Clips, speziell „Panik“ und „Paris Maquis“, auf YouTube an, gehen bei mir alle Haare hoch, Energie pur! Das, was sie in den Augenblicken gefühlt haben, ist auch irgendwie in mir. Das bin ich, das ist mein Ding. Sie waren aber nur der Anstoß, die Basis und das Grundgerüst. Wir haben die Musik nicht neu erfunden, aber wir haben unsere eigenen Abdrücke gesetzt. Ein SCREAMERS-Cover war unser erster Song, danach haben wir uns selbst gefunden. Wir sind mit Sicherheit nicht die einzigen, die diesen Musikstil gut finden, aber scheinbar füllen wir zur Zeit eine Lücke, indem wir diese Art von Musik spielen.

Du selbst bist schon seit etlichen Jahren nicht nur in Bands aktiv, sondern organisierst noch dazu Konzerte in Aachen und bist auch sonst sehr aktiv. Wie wichtig ist dir dieses Engagement und wie gehst du mit Enttäuschungen um? Was motiviert dich, immer weiterzumachen?

Anfang der Neunziger habe ich mal überlegt, aus Aachen weg und in eine große Stadt wie Berlin oder Hamburg zu ziehen, habe mich aber letztendlich entschieden, in Aachen zu bleiben. In einer kleinen Stadt kann man sich schnell einen Namen machen, schneller etwas erreichen. Außerdem war Aachen damals sehr interessant und es gab viel zu erleben. Somit habe ich angefangen, Konzerte zu organisieren, und meinen Beitrag für eine lebendige Szene geleistet. 2013 sind es dann 21 Jahre, die ich Konzerte und Partys veranstalte. Mein großes Hobby! Das Ganze mache ich seit 1999 unter dem Namen PGL Aachen, also „Punx gegen Langeweile“. Kurzzeitig gab es mal einen Berlin-Ableger über die SHOCKS und die PGL Holland über ANTIDOTE. Die haben dann Name und Logo verwendet und da es meine Freunde sind, habe ich damals zugestimmt. Heute würde ich das niemanden mehr erlauben. Die PGL Aachen ist mein Baby, mir sehr wichtig und geht heute weit über den Status Konzertveranstalter hinaus, es ist mehr so ein sozialer Event geworden. Die Leute kommen meistens, ohne die Bands zu kennen, und viele vertrauen meinem Musikgeschmack und freuen sich auf einen schönen Abend. Den versuche ich ihnen zu geben. Ich lasse in der Regel nur Bands spielen, die mir persönlich gefallen. Ich bin da sehr konsequent und lehne auch Bands von Freunden ab, wenn sie mir nicht zusagen. Das macht sich aber bezahlt, denn in den letzten Jahren hatte ich kein schlecht besuchtes Konzert mehr. Das ist gut für meinen Geldbeutel und für die Bands, die bei mir auftreten. Ich gebe Bands nämlich immer eine Mindestgarantie, auch, wenn ich dabei Miese mache und das war am Anfang oft genug der Fall. Heute komme ich immer auf plus minus null. Geld habe ich mit meinen Konzerten nie verdient, aber ich habe nun die Möglichkeit, in vielen Ecken von Europa und teils Amerika umsonst zu schlafen. Ich glaube, in Paris kann ich monatelang unterkommen, ohne dass ich jemandem auf den Wecker gehe, denn aus der Stadt hatte ich schon so manche Band. Das ist billig und praktisch, und mein Lohn. Enttäuschungen gab es nie wirklich, wenn man von einigen sehr schwach besuchten Konzerten absieht. All die vielen neuen und guten Bands treiben mich voran und motivieren mich.

Zurück zu den KOMPLIKATIONS. Inwiefern hilft euch die deutsch-belgische Zusammenarbeit innerhalb der Band und die Freundschaft zu Bands wie FRUSTRATION? Gerade in Belgien und Frankreich nimmt Synth-Punk und Cold Wave ja einen deutlich höheren Stellenwert ein als hierzulande.

Ich bin froh, in einer Länder übergreifenden Band zu spielen. Ich fahre einmal die Woche zur Probe nach Liège, was etwas mehr als eine Stunde hin und zurück bedeutet. Das hat den Nachteil, dass es Zeit und Benzin kostet, aber wir proben dadurch sehr gewissenhaft und ich bin gerne in Liège. Ben und Lio sind sehr angenehme Zeitgenossen und es macht Spaß, mit ihnen was zu unternehmen. Wir sind ja über die Band hinaus auch gute Freunde geworden. Positiv ist auch, dass wir alle drei über sehr viel Live-Erfahrung verfügen, die wir gut für Konzerte nutzen können. Ein Vorteil ist natürlich auch unsere Freundschaft zu FRUSTRATION. Wir haben schon oft mit ihnen gespielt und das brachte uns immer viel Publicity.

Die Freundschaft zu der Szene und den Bands in Frankreich, Belgien und Holland hat in Aachen ja quasi Tradition. Wie hat sich das über die Jahre entwickelt?

Aachener sind sehr reisefreudig und überall zu finden. Es gibt viele Freundschaften von Aachenern ins benachbarte Ausland und es ist normal, zu Veranstaltungen und Treffen nach Holland oder Belgien zu fahren. Konzerte in Belgien und den Niederlanden sind in der Regel billiger als in Deutschland und die Atmosphäre zumeist lockerer und tanzfreudiger. Unser Dreiländereck ist sehr aktiv, wir pflegen hier Freundschaften seit Jahrzehnten. Das „Borderland“ hier ist eine Bereicherung für uns alle und außerhalb von Aachen möchte ich in Deutschland nicht wohnen. Nach Paris sind es mit dem Thalys zweieinhalb Stunden, nach Berlin mit dem ICE sechs, da ist selbst London für uns näher. Heute spürt man die Grenzen auch nicht mehr wirklich. In den Achtzigern sah das noch ganz anders aus, da konnte ein Trip nach Holland schon mal zu einer Geduldsprobe an der Grenze werden, wenn der Zöllner einen schlechten Tag hatte.

Welche Bands aus diesen Ländern würdest du Leuten empfehlen, die sich angesichts eurer aktuellen Scheibe vor Begeisterung gar nicht mehr einkriegen können?

Etwas Vergleichbares kenne ich nicht, aber es gibt eine Menge neuer Bands, die einen tollen Synthiesound hinbekommen, nur wavelastiger oder mit mehr Mut zum Experiment. Neben FRUSTRATION höre ich gerade viel Musik von Bands wie LA FEMME, PIERRE & BASTIEN, LE PRINCE HARRY, CHEVEU, SCORPION VIOLENTE, PASSION ARMÉE und PÉRIPHÉRIQUE EST.

Wie bist du mit den Leuten zusammengekommen, die jetzt die KOMPLIKATIONS-Mannschaft stellen?

Ben und Lio sind beide aus Liège in Belgien. Lio „Lee Lewis“, unseren Mann für die Tasten, habe ich vor drei Jahren bei einem PGL-Aachen-Konzert kennen gelernt, als er mir eine CD seiner eigentlichen Hauptband LE PRINCE HARRY zusteckte. Ben, den Schlagzeuger, kenne ich schon seit den frühen 90er Jahren, als er noch bei der belgischen Hardcore/Punk-Legende HIATUS spielte. Wir haben uns aber irgendwie aus dem Augen verloren und erst zwanzig Jahre später wieder getroffen, als er für unseren ersten Drummer Karsten aka KCR aus Aachen das Trommeln übernahm. Karsten hat bei uns von Juni 2011 bis März 2012 gespielt und mit ihm haben wir auch unsere Platte eingespielt.

Wie schafft man es als Band durch den Musikbiz-Dschungel zu kommen, ohne sich auf zweifelhafte Geschäfte und halbgare Geschichten einzulassen, vor allem wenn für manche die eigene Integrität beim Anblick von Scheinen und Publicity schnell den Bach runtergeht?

Ein gefestigter Charakter hilft! Gut ist auch, wenn man ein ausreichendes Einkommen außerhalb der Musik hat ... warum lacht mich mein Konto an dieser Stelle nur aus? Ferner ist es auch nicht verkehrt, sich ab einem gewissen Zeitpunkt mal die Frage zu stellen, wohin die Reise gehen soll.