KING KHAN

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Sex, Drugs und Soul-Power

Arish Ahmad Khan aka King Khan ist ein wahrer Guru für diejenigen, die im Rock’n’Roll die Erleuchtung suchen. Seit 1999 ist er mit seiner neunköpfigen Psych-Garage-Soul-Kapelle, den SHRINES, unterwegs, und predigt zusammen mit seinem Messdiener Mark Sultan als KING KHAN & BBQ SHOW trashigen Doo-wop. Zehn Jahre nach seinem letzten Gespräch mit dem Ox spreche ich mit dem King über Familie, Drogen und Spiritualität.

Arish, 2005 bist du nach Berlin gezogen ...


Genau. Damals traf ich Miron Zownir, einen unglaublichen Fotografen und Filmemacher, in der Bar Kinsky, die es inzwischen auch nicht mehr gibt. Dort lernte ich ebenso viele Leute des Berliner Undergrounds kennen, etwa auch Roger Baptist, besser bekannt als Rummelsnuff. In Zownirs Film „Back To Nothing“ habe ich dann noch mal mit ihm zusammengearbeitet, er spielt dort Zwillinge. Der Schwarzweißfilm spielt an vielen besonderen Orten, die in Berlin nahezu alle verschwunden sind. Wie auch immer, Gentrifizierung ist echt scheiße.

Was hält dich außer deiner Familie dann noch in Berlin?

Ich liebe diese Stadt mit ihren Menschen immer noch – nur beobachte ich, wie sie zunehmend zerfällt. Die U-Bahn-Linie 8 ist inzwischen die „Drug-Line“, da setzen sich die Leute ihren Schuss direkt auf dem Bahngleis und rauchen Crack auf dem Fußboden. Trotz allem glaube ich immer noch an das Gute im Menschen und zum Glück ist uns und insbesondere meinen Kindern noch nie etwas passiert. Die sind inzwischen Teenager und ebenso vom Rock’n’Roll infiziert – die Flamme wurde also weitergegeben, haha.

Du hast ja auch sehr früh mit der Musik angefangen und bist auch schon früh zu Hause ausgezogen.

Genau, ich bin damals einfach abgehauen. Mein Vater hatte Drogenprobleme und war gewalttätig. Ich erinnere mich auch noch, dass ich mit zwölf Jahren träumte, ihn mit einem Schraubenzieher umzubringen. Als ich ihm während des Frühstücks davon erzählte, lachte er nur. Als ich dann 17 war dachte ich, scheiß drauf, ich muss hier weg. Ich bin dann doch noch mal zurück, um den Bass meines Bruders zu klauen – denn meine Band MAURY POVITCH 3 brauchte damals noch einen, haha. Und mein Bruder ist Arzt geworden, also war das definitiv nicht meine schlechteste Idee.

Wenn du dir jetzt auf deine Töchter anschaust: Wie sind die aufgewachsen?

Als meine Töchter 2000 und 2002 auf die Welt kamen, waren meine Frau und ich uns sicher: bei uns wird’s keine Handys geben. Wir besitzen bis heute keines, obwohl das manchmal echt idiotisch und unpraktisch ist. Unsere Kinder hatten dadurch jedoch nie diese technische Ablenkung und konnten sich kreativ austoben, wenn ihnen danach war. In ihrer Kindheit malten sie viel und kreierten Sachen, was sie sich bis heute bewahrt haben. Und natürlich haben wir ihnen die Liebe zum Rock’n’Roll mitgegeben. Meine Älteste, Saba Lou, wollte mit sieben Jahren einen iPod haben. Ich sagte ihr: „Den sollst du haben, aber wir werden ihn zusammen benutzen.“ Also packte ich all die Musik, die mir wichtig war, auf dieses Gerät. Von GG Allin über Elvis, Buddy Holly klassischen Rock und Rap war alles dabei. Eines Tages kam sie von der Schule heim und meinte: „Hey Papa, ich liebe Big Daddy Kane!“ Ich fragte, welcher Song, und sie sagte „Young, gifted and black“. Yes! Einmal saßen wir mit dem Drummer von den SPACESHITS im Auto und wir redeten über GG Allin. Meine neunjährige Tochter auf der Rückbank meinte nur, sie würde ihn wegen „Drink, fight and F-word“ nicht mögen, haha.

Das scheint eine wirksame Art der Früherziehung gewesen zu sein.

Ja, und das Wichtigste ist doch: sie haben selber ihre Leidenschaft für Rock’n’Roll gefunden. Sie entdecken Platten und Musik, genau wie ich damals mit 15 meine Leidenschaft für die Musik entwickelte. Und eben diese Begeisterung kann ich jetzt mit meinen Kindern teilen. Wir kiffen auch manchmal alle zusammen, das ist eine wirklich schöne Erfahrung, die viel zu wenige Familien zusammen machen. Du legst für diesen Moment alle Hemmungen ab und lachst aus vollem Herzen zusammen, was zusammenschweißt. Frei nach dem Motto „A family that gets high together, stays together“, haha. Ich bin als Jugendlicher immer alleine losgezogen, habe viel gekifft und Acid genommen, weil mich auch niemand richtig aufgeklärt hat. Mit unseren Kindern haben wir von Anfang an offen über Drogenkonsum geredet, daher nehmen sie es auch ernst, wenn wir sie vor etwas warnen. Momentan steigt ja gerade in den USA wieder der Konsum von synthetischen Mitteln wie Fentanyl, einem Opioid. Ich möchte niemandem Vorschriften machen, aber wenn mir junge Menschen so ein Zeug anbieten, werde ich echt sauer.

Und deine Töchter, wie gehen die damit um?

Saba Lou hat gerade ihr Album rausgebracht, das sie mit 15 aufgenommen hat – sie ist eine begnadete Songwriterin! Meine jüngere Tochter hingegen ist begeisterter Metalhead. Ich erinnere mich noch, wie sie mich mit zwölf Jahren anrief, als ich gerade auf Tour war und meinte: „Ich habe ein MOTÖRHEAD-Album entdeckt, ich liebe ,Overkill‘!“ Das hat sie total für sich selber gefunden und wurde da gar nicht von uns beeinflusst – wobei ich in dem Alter auch total auf METALLICA und Grindcore stand. Vor zwei Wochen hat sie mir dann erzählt, dass sie zu OBITUARY geht, haha. Ich bin glücklich darüber, dass sie einen guten Freundeskreis haben. Viele habe ich schon getroffen und lustigerweise kiffen auch alle. Das ist immer ein wichtiger Teil meines Lebens gewesen, denn ich bin überzeugt, dass Gras einen tollen Effekt haben kann, solange du es in Maßen konsumierst. In dem Alter haben meine Frau und ich auch super viel gekifft, sie müssen also unsere Rastafari-Gene geerbt haben, haha.

So offen wie du gehen wenige mit diesen Themen um, gerade in Bezug auf ihre eigenen Kinder. Hat dich da etwas besonders beeinflusst?

Mit 13 oder 14 hab ich eine Werbung für die Cronenberg-Verfilmung von William S. Burroughs’ „Naked Lunch“ gesehen. Danach habe ich direkt das Buch gelesen, worüber ich sehr glücklich bin. Denn das, was ich da las, war so Hardcore und so extrem, dass es alles, was ich bis dahin glaubte, auf den Kopf stellte. Bei bestimmten Passagen im Buch hat mein Kopf auch einfach abgeschaltet. Auf jeden Fall wusste ich danach: Genau so muss wahre Kunst sein. Wenn ich einen Song schreibe, muss er das Potenzial haben, Menschen beim Hören zu verändern. Kunst muss immer Veränderung bedeuten!

Dein Song „I wanna be a girl“ scheint mir ein gutes Beispiel dafür zu sein, will er doch auch Geschlechterrollen auflösen.

Absolut. In der Band bin ich immer derjenige, der eine Menge über Sexthemen witzelt, denn genau darum geht es doch im Rock’n’Roll. Schau nur auf seine Wurzeln: Im Rhythm & Blues der Fünfziger waren die Headliner stets diejenigen mit den expliziten Songs voller versauter Anspielungen. Und genau das soll ja in unserer Musik zelebriert werden! Gerade geht der Trend jedoch wieder zurück ins Mittelalter, wo Homosexuelle diskriminiert werden und Trans-Personen nicht auf die Toilette gehen können, was ein echtes Problem ist. Mit „I wanna be a girl“ wollte ich überholte Gender-Vorstellungen lockern und Leute zum Nachdenken anregen. Ich habe auch mit Trans-Menschen auf unseren Shows gesprochen, die begeistert waren und sich bedankt haben. Ich wollte mich nie anbiedern, sondern glaube, dass ein humorvoller Umgang gute Ansätze für gesellschaftliche Veränderungen bietet. Einfach Spaß haben und sich selbst nicht zu ernst nehmen – ein wichtiges Konzept, das viele Bands leider nicht verstehen.

Dieser Ansatz lässt sich auch in deinen Bühnenoutfits wiederfinden, oder?

Oh ja, unbedingt! Gerade mit Mark Sultan als KING KHAN & BBQ SHOW zelebrieren wir die Perversion. 2015 im Bassy Club haben wir S&M-Outfits getragen, inklusive nippelfreien Shirts, Perücken und Fetischmasken aus Japan. Hinzu kommt mein Übergewicht. Ich habe überhaupt kein Problem damit, meinen nackten Körper zu zeigen. Einige übergewichtige Besucher unserer Shows waren begeistert davon, wie unbeschwert ich meinen nackten Arsch aus der Hose hängen lasse, haha.

Neben der Erotik spielen Voodoo, Soul-Power und Trash ja eine große Rolle für dich und die SHRINES ...

Seit Kindesalter bin ich schon von Voodoo fasziniert. In der Musik geht es auch immer um die Übertragung von Energie und um die Gegensätze von Gut und Böse. Vergleichst du die Ursprünge von Gospelmusik und Rhythm and Blues, wirst du feststellen, dass sie sehr ähnlich sind – mit dem Unterschied, dass der Gospel Gott huldigt und R’n’B die Sünde zelebriert. Da hat Musik einfach eine wahnsinnige Kraft! Auf der Bühne lässt du Menschen komplett ausrasten und in Ekstase ihren Verstand verlieren – ein Erlebnis, das ich das erste Mal durch Punkrock hatte. Damit möchte ich niemals aufhören! Im Grunde ist es also eine sehr spirituelle, aber gleichsam sehr alberne und absurde Sache. Genauso, wie ich in meiner Musik den Schmerz von Menschen nachempfinde und zu meinem eigenen mache, sollten wir auch im Alltag Menschen mit Empathie begegnen, zuhören und wenn nötig, Hilfe anbieten. Wenn ich das auch in meiner Musik verbinden kann, bedeutet das viel für mich. Du heilst die Menschen in gewisser Weise, da du sie vergessen lässt, wie beschissen die Welt eigentlich ist, und sie an etwas Besseres glauben lässt. Etwa daran, durchgeschwitzt ihren Arsch zu bewegen, Spaß zu haben, mit verrückten Leuten nach Hause zu gehen und, na ja, ihr Leben zu zerstören, haha.

Und all diese Spiritualität findet sich dann bei den SHRINES wieder?

Bei der Gründung waren Screamin’ Jay Hawkins und die teilweise echt schrägen Gruselgeschichten meiner Großmutter ein wichtiger Einfluss. In einer dieser Geschichten konnte eine Hexe deine Seele fangen, indem sie dich mit dem Fleisch einer Eule fütterte. Ähnlich lief es mit den SHRINES: Vor zwanzig Jahren habe ich sie mit meinem Zauber belegt und sie können mich nicht mehr verlassen, sonst würde ich sie zerstören, haha.

Das muss ja ein starker Zauber sein, wo ihr doch alle in unterschiedlichen Städten lebt.

Das funktioniert richtig gut. Wir proben super selten, manchmal verabreden wir uns in Berlin oder Kassel. Wir sind eine große Familie, in der viel zusammen geliebt und gelacht wird. Meine Töchter spielen auch ab und an mit – es fühlt sich einfach nach der wahren „Rhythm-and-Blues-Experience“ an.

Wie unterscheidet sich deine Beziehung zu den SHRINES von der zwischen dir und Mark Sultan?

Mark kenne ich, seit wir zusammen bei den SPACESHITS gespielt haben, da war ich 17. Damals wie heute haben wir dieselben Einflüsse: R’n’B, 77er-Punk, RAMONES, Johnny Thunders und Doo-wop. Wir haben uns wirklich kaum verändert – wir lachen immer noch so viel zusammen wie früher. Auf der Bühne sind wir genauso und machen furiosen Rock’n’Roll. Mit Mark konzentriere ich mich aufs Wesentliche, bei den SHRINES gibt’s dafür mehr Soul-Power.

Hast du neben BBQ und den SHRINES noch weitere Projekte?

Gerade habe ich mit Sean von den SPITS als LOUDER THAN DEATH eine 12“ auf In The Red rausgebracht, da machen wir straighten 77er-Punk, ein bisschen wie die ADOLESCENTS. Ich komponiere auch Filmmusik. Gerade bin ich mit dem Soundtrack für die Dokumentation „The Invaders“ von Prichard Smith über die titelgebende Black-Power-Gruppe fertig geworden, an dem ich fünf Jahre gearbeitet habe, wobei ich mich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt habe. Jetzt hat das Projekt Wellen geschlagen und wir wurden von der US-Botschaft in Berlin für eine Reihe von Vorführungen und Lesungen eingeladen.

Und du hast auch mal für das Vice Magazine geschrieben, richtig?

Ja, tatsächlich haben damals alle SPACESHITS-Mitglieder für das Vice gearbeitet. Der Gitarrist, der meine Schwester heiratete, hat damals auch das Vice-Logo gestaltet – damals für lächerliche fünfzig Dollar. Witzig, wenn du dir jetzt anschaust, was für ein millionenschweres Unternehmen daraus geworden ist. Ich bin schon stolz drauf und das war eine gute Zeit – ich habe unter anderem Jay Reatard und NAPALM DEATH interviewt. Ich vermisse es aber definitiv nicht, als Journalist zu arbeiten.

Gibt’s auch bald was Neues von den SHRINES?

Aktuell sind wir alle sehr beschäftigt, bis auf unseren Drummer haben alle Mitglieder der SHRINES auch Kinder, was ich fantastisch finde! Es gibt ein paar neue Songs, aber bis zum nächsten Album wird es noch etwas dauern – hoffentlich dann in den nächsten zwei Jahren.

Hast du Geheimtipps für 2018, was sollten wir musikalisch nicht verpassen?

Unbedingt THE CAVEMEN aus Neuseeland hören, die machen tollen Cleveland-Punk und klingen wie die DEAD BOYS. Und natürlich die STACHES aus Leipzig, die uns bei einigen Konzerten unterstützt haben.