BLOOD COMMAND

Foto© by Oystein Haara

Möglichkeiten statt Konsequenzen

Mit einer Live-Schalte, die von Deutschland aus gleichzeitig nach Australien und Norwegen geht, fühlt man sich schon ein wenig wie beim Eurovision Song Contest. Allerdings treten hier keine Musiker gegeneinander an, sondern sie bilden eine Einheit. Eine echte Einheit. Die ehemalige PAGAN-Frontfrau Nikki Brumen ist seit Mitte 2021 offiziell Sängerin der circa 15.000 km entfernt lebenden Norweger BLOOD COMMAND. Und auch wenn eine gemeinsame Karriere auf diese Distanz zumindest schwierig erscheint, so entsteht beim Gespräch mit Nikki Brumen und Bandkopf Yngve Andersen nichts weiter als der Eindruck, dass hier eine Konstellation entstanden ist, die sich lange gesucht hat.

Von Australien nach Norwegen

Während Nikki Brumen sich in den australischen Abendstunden ein alkoholisches Getränk gönnt, schaut Gitarrist Yngve Andersen, bei dem es noch Morgen ist, etwas verschlafen in die Kamera. Dementsprechend gestalten sich auch die Redeanteile mit den beiden beim Interview, was aber auch der absolut extrovertierten Art von Nikki und der eher nordisch zurückhaltenden Mentalität von Yngve geschuldet ist. Vielleicht genießt Andersen aber auch einfach die Tatsache, endlich das Energiebündel gefunden zu haben, nach dem er schon so viele Jahre gesucht hatte. Lange überlegt, Nikki zu engagieren, hat er zumindest nicht und zu Nikki hätte Zögerlichkeit ohnehin nicht gepasst. Auch wenn das erste persönliche Treffen für sie bedeutete, sich in einen Flieger zu setzen, um die halbe Welt zu fliegen und gleich ein paar Monate im eiskalten Winter Skandinaviens zu verbringen.

Dass ihr euch bei Videokonferenzen seht, ist für euch Normalzustand, oder?
Nikki: Gerade habe ich aber das Gefühl, dass wir uns schon wieder viel zu lange nicht gesehen haben. Aber ja, für circa zwei Jahre war das ein absoluter Dauerzustand.

Diese Konferenzen müssen außerordentlich gut gelaufen sein, immerhin habt ihr beschlossen, dass Nikki zukünftig die Frontfrau von BLOOD COMMAND­ ist, ohne dass ihr euch jemals persönlich begegnet seid.
Nikki: Nach unseren Gesprächen, wenn ich mich hier in Australien ins Bett gelegt habe, sind mir auch hin und wieder Zweifel gekommen. Was, wenn es doch nicht zwischen uns funktioniert? Aber das war halt totaler Quatsch, weil der Funke von Beginn an da war, als würden wir schon viel länger zusammenarbeiten. Es gab keinen Grund, dass sich dies durch ein persönliches Zusammentreffen oder irgendetwas anderes ändern könnte. Manche halten das bestimmt für verrückt, aber für uns war es das ganz und gar nicht.

Wie lange habt ihr den Gedanken mit euch rumgetragen, bis ihr überzeugt wart, dass das eine gute Idee ist? Ein paar Monate, Wochen oder nur Tage?
Nikki: Monate? Es waren Sekunden. Ich glaube, es waren zehn oder vielleicht zwanzig Sekunden, nachdem ich die Nachricht von Yngve gelesen hatte und zugesagt habe.


Yngve, hat dich diese Entscheidungsfreudigkeit nicht doch etwas erschrocken? Hast du von Beginn an alle Konsequenzen abgewägt, die so eine Art von Zusammenarbeit mit sich bringt?
Yngve: Ich habe mir nie Gedanken über die Konsequenzen gemacht, das wäre der falsche Weg. Ich habe nur über die Möglichkeiten nachgedacht.
Nikki: Genauso habe ich die Situation auch gesehen: Da bietet sich eine Gelegenheit und die muss ich wahrnehmen. Vor allem weil die Anfrage mich an einem Punkt in meinem Leben erreichte, an dem ich genauso eine Chance brauchte. Daher habe ich ohne zu zögern zugesagt. Klar, es hätte auch schiefgehen können, aber es hat sich wohl als eine der besten Entscheidungen in unser aller Leben herausgestellt.

Für BLOOD COMMAND ein Album aufzunehmen, während du dich zu Hause in deiner Komfortzone befunden hast, ist eine Sache, allein für mehrere Monate nach Norwegen zu reisen, um dort mit Menschen zu leben und zu touren, die du noch nie persönlich getroffen hast, ist eine andere. Bist du generell ein abenteuerlustiger Mensch, der in Flugzeuge steigt und ...
Nikki: ... verrückte Sachen macht? Das ist eine gute Frage. Natürlich bin ich aufgeschlossen und gehe auf die Menschen zu, aber das ist, wie du richtig angemerkt hast, alles so einfach gewesen, weil ich mich in meiner Melbourne-Bubble bewegt habe. Auch wenn ich schon zweimal mit PAGAN in Europa gewesen bin, hätte ich das Experiment vielleicht nicht gewagt, wenn in der Zeit, in der ich gefragt wurde, ob ich der Band beitreten und meine Welt auf den Kopf stellen möchte, nicht ohnehin einiges passiert wäre, das mir diese Entscheidung erleichtert hat. Damals gab es einige traumatische Ereignisse und viel Trauer in meinem Leben. Vielleicht hätte ich sonst nicht so einfach ja gesagt und wäre auch nicht ohne weiteres in den Flieger gestiegen. Aber als wir uns dann persönlich getroffen haben, hat alles Sinn ergeben, insofern ist ein wenig positive Verrücktheit auch wichtig, denke ich.

Von Norwegen in die ganze Welt

Beide sprechen es nicht explizit aus, aber beim Interview wird deutlich, dass sich hier Musiker:innen gefunden haben, die ihre Visionen und Ambitionen bis zum gegenseitigen Zusammentreffen nur eingeschränkt ausleben konnten. Während PAGAN sich nie zu den Gründen ihrer Auflösung geäußert hatten, wurde der Ausstieg der letzten BLOOD COMMAND-Sängerin Karina Ljone damit begründet, dass diese sich fortan auf ihre bevorstehende Mutterschaft konzentrieren wolle. Beobachtet man allerdings die Euphorie, die Nikki Brumen und Yngve Andersen ausstrahlen, muss man nicht groß zwischen den Zeilen lesen, um festzustellen, dass BLOOD COMMAND bis zu Nikkis Engagement ihr wirkliches Gesicht gesucht hatten und die neue Sängerin das kreative Outlet, das sie fordert und in dem sie ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen kann.

Wie sind die ersten Proben in Norwegen und die Shows in Skandinavien gelaufen, die ihr Anfang des Jahres gespielt habt?
Yngve: Schon die erste Probe war Freude pur. Ein Raum voller glücklicher und lachender Menschen.
Nikki: Alles, was ich dazu sagen kann, klingt vielleicht wie ein Klischee, aber es ist absolut wahr: Das erste Mal zusammen in einem Raum war großartig. Natürlich mussten wir arbeiten und uns um einige Dinge kümmern, aber trotzdem hat jeder Moment einfach Spaß gemacht und es war, als würden wir das schon seit Jahren zusammen machen. Die Jungs haben mir einen tollen Empfang bereitet und mich auf Anhieb unterstützt. Vor allem Yngve ist der größte Supporter geworden, den ich jemals hatte. Diese Art von Unterstützung habe ich in früheren Bands nicht erfahren. Ich möchte nicht schlecht über die Vergangenheit reden, aber den Jungs von BLOOD COMMAND scheint es wirklich nur um die Musik zu gehen. Dementsprechend war dann auch die erste Show: Als wir von der Bühne gingen, war da ein Gefühl der Ekstase.

Sprechen wir ein wenig über das neue Album. Was wolltet ihr dieses Mal anders oder neu machen?
Nikki: Yngve hat es mir damals so erklärt: „Ich möchte, dass BLOOD COMMAND noch mehr nach BLOOD COMMAND klingen.“

Yngve: Richtig. An unserer Ausrichtung sollte sich eigentlich nichts ändern, aber es sollte alles natürlich noch besser werden. Die poppigen Parts noch poppiger, die härteren noch härter und so weiter.

Nikki, das Album war komplett geschrieben und aufgenommen, bevor du dazugestoßen bist. War es schwer für dich, einen Zugang zu den Songs zu finden, weil du an der Entstehung nicht beteiligt warst?
Nikki: Eigenartigerweise habe ich in diesen Songs das perfekte Outlet für mich gefunden. Ich sagte ja eben schon, dass ich während der Zeit, als ich mit BLOOD COMMAND gestartet bin, einige traumatische Erfahrungen zu bewältigen hatte, und die Songs haben mir dabei sehr geholfen. So habe ich einen Weg gefunden, sie zu meinen eigenen zu machen und ihnen persönliche Bedeutung zu verleihen, auch wenn sie nicht für mich geschrieben worden sind. Aber genau das macht einen guten Song ja auch aus. Daher musste ich mich nicht lange einarbeiten und konnte mich sehr schnell auf die Stücke einlassen. Allgemein finde ich, dass man als Künstler offen dafür sein sollte, Einflüsse und Ideen von außen annehmen zu können und diese zu seinen eigenen zu machen. Nur so kann man Neues erfahren und wachsen.

Und wie sah es mit der technischen Seite aus? Warst du dir von Beginn an deiner stimmlichen Fähigkeiten bewusst?
Nikki: Das war ich tatsächlich nicht. Als ich jünger war, habe ich viel gesungen, aber ich habe nie von meinen Eltern oder irgendjemandem Unterstützung dabei bekommen. Also habe ich an meinen Talenten immer gezweifelt und war zurückhaltend, wenn es darum ging etwas auszuprobieren. Als Yngve mich dann fragte, ob ich bei der Band einsteigen möchte, kamen mir schon Bedenken, ob ich wirklich in der Lage bin, das alles zu singen. Ich dachte, dass ich doch nur schreien kann, aber die Songs hatten so viele Harmonien und Clean Vocals. Nach einer kurzen Angstphase habe ich mich dann aber einfach draufgestürzt und mir den Arsch abgearbeitet. Ich habe zweimal die Woche Gesangsunterricht genommen und fünfmal die Woche zu Hause in meiner Küche geprobt, genau wie in allen Pausen bei der Arbeit und manchmal selbst währenddessen. Irgendwann stellte sich dann das Gefühl ein, dass ich das schaffen kann, und als es ins Studio ging, war da kaum noch Nervosität übrig. Ich wollte Yngve zeigen, wie cool ich die Songs hinbekomme. Und jetzt, da wir auch zusammen aufgetreten sind, habe ich ein bisschen das Gefühl, schon immer Teil von BLOOD COMMAND gewesen zu sein. Als hätte es die Band vorher nicht gegeben.
Yngve: BLOOD COMMAND fühlen sich das erste Mal wie eine richtige Band an. Die Band, wie ich sie mir immer gewünscht habe. Alles, was davor passiert ist, waren eher Tests, haha.
Nikki: Meine bisherigen Bands waren ebenfalls nur Wegbereiter für das hier.

Tatsächlich hat sich das Bild der Band auch in der Außenwahrnehmung sehr geändert. Nicht zuletzt wirkt ihr stärker und entschlossener.
Yngve: Schon allein wozu wir jetzt live in der Lage sind, wird dieses Bild noch weiter festigen.
Nikki: Wir haben wirklich tolles Feedback nach den ersten Shows in Skandinavien bekommen. Die Leute meinten, dass BLOOD COMMAND nun endlich eine richtige Frontfrau haben. Ich finde es super, dass es so rüberkommt, weil ich meine ganze Energie in die Live-Performance stecke. Die Show soll etwas sein, woran sich die Leute erinnern. Und dabei habe ich die volle Unterstützung der Band, was sich ebenfalls großartig anfühlt. Ich soll und darf auf der Bühne ich selbst sein und muss mich nicht irgendwie verstellen oder zurückhalten. Nicht nur ich, sondern die ganze Band fühlt sich jetzt wohl auf der Bühne. Das ist etwas, was wir alle noch nie hatten.

Wie sieht also die Prognose für die Zukunft von BLOOD COMMAND aus?
Nikki: Absolute Weltherrschaft, denke ich.
Yngve: Ja, das klingt passend.