Falsche Prophet:innen

Foto

Punkhistorische Betrachtungen (Teil 2)

In diesem Text geht es um die Punk/Hardcore-Szene der Achtziger Jahre in (aber nicht nur) der schwäbischen Provinz, wo man aufgrund der vor Ort grassierenden Alternativlosigkeit äußerst mobil sein musste, wenn es darum ging, am gegenkulturellen Angebot teilnehmen zu können. Es geht hier aber auch um die Bedeutung von „The International P.E.A.C.E. Benefit Compilation“ und wie man über diese aus einem Heidenheimer Vorort nach New York und San Francisco gelangte – zumindest mental.

Der Punkt der Skizzierung

Über den Punkt der Skizzierung hinausgehen oder hinauswachsen („Rise above! We’re gonna rise above!“, BLACK FLAG), wollten auch sehr viele Bands, die in der Retrospektive dem Genre „American Hardcore“ subsumiert werden können. Ich war – nun kommen wir wieder auf die „Underground Hits“ zurück – dermaßen fasziniert, dermaßen anverwandelt von diesen nordamerikanischen Bands, die Hardcore machten und damit die dominanzdurchwirkte Welt aus den Angeln zu heben versuchten ...

P.E.A.C.E.
Und hier kommt eine weitere, von Dave Dictor (MDC) und dem Maximumrocknroll zusammengestellte, auf R Radical Records veröffentlichte Compilation ins Spiel, von der ich heute sagen würde, dass sie für mich und meine zu schärfenden Orientierungen in Sachen revolutionärer Formationen die mit Abstand einflussreichste war: „The International P.E.A.C.E. Benefit Compilation“ (1984). Da war ich dann schon 16. Immerhin. (Das Akronym P.E.A.C.E. steht übrigens für Peace, Energy, Action, Cooperation, Evolution). 55 radikal linke Bands aus fünf Kontinenten kamen hier auf einer Doppel-LP zusammen, um einen solidarischen Beitrag zu (über deren Verkauf erzielten) Erlösen zu leisten, die dann an Organisationen gespendet wurden, die die Weitergabe oder den Handel von oder mit Atomwaffen bekämpfen oder die Zurverfügungstellung von Mitteln zu deren Herstellung zu unterbinden versuchen. Dies war ein konkreter, signifikanter Beitrag zur Verhinderung (oder zumindest substanziellen Delegitimierung) der damals tatsächlich drohenden, potenziell in alles verbrennender Hitze endender Eskalation des so genannten Kalten Kriegs, die von den rechtskonservativen Wenden in den USA (unter Reagan) und in Großbritannien (Thatcher) bewusst zugespitzt wurde. Auch Helmut Kohl war ein großmachtambitionärer Protagonist der „Konservativen Wende“. In diese benefitäre, global vernetzte, Emanzipationen voranbringende Szene oder Bewegung von unten, in diese außerparlamentarische, antifaschistische „Nie wieder Krieg“-Connection wollte ich tief eintauchen. Es ist immer noch unfassbar, welche Combos da für den einzig richtigen Zweck zusammengekommen waren. Und für mich bedeutete dies, mit oder durch den Sampler global zu denken (und zwar antikolonialistisch, antiimperialistisch, revolutionär-internationalistisch) wie auch lokal, also vor meiner (mit Unrat zugestellten) Haustüre, zu handeln, in Aktion zu treten („Think globally, act locally“).

Think globally, act locally Pt. I
Deshalb mussten ich und Roger – vor Ort („lokal“) aktiv werdend – vom Wehrenfeld aus auch noch in die Heidenheimer Punk-Szene eintauchen (weil wir dann mehr waren). Was uns sehr schnell gelungen ist. Kulminationspunkte dieses Eintauchens ins deviante Milieu waren sicherlich mein Kassettenvertrieb und mein erstes Fanzine namens „Stuhlgang“, das im Juli 1985 zu den ersten Heidenheimer Chaostagen erschienen war. Aber: Da war dann auch gleich ein Mehr an Alkoholismus, Zerrüttetheit, harten Drogen, Gewaltförmigkeit, Straße. (Das Wort „Punk“ mit „faulendem Holz“ zu übersetzen, das allenfalls als Zunder verwendbar sein könne, war für mich immer die schlüssigste Translation. Zunder ist nämlich leicht brennbares Material; genauso fühlte ich mich – ich war leicht brennbares Material.)

Devianz
Die von mir und Roger nun potenzierte, also milieuspezifisch kategorisierbare Devianz bedeutete für uns selbst auch ein Mehr an Gefahr für „Leib und Seele“. Aber eben auch ein Mehr an gegenkulturellen Partizipationsoptionen. Ohne dies wären wir nie aus unseren Dreckslöchern im Wehrenfeld herausgekommen; so viel steht fest ... Und dann schlich sich nach geraumer Zeit so etwas wie eine Arbeitsteilung ein: Ich, ein kleiner Punker aus einer Vorstadt, versorge die am Brunnen vor dem Kaufhaus Steingass in HDH-City herumlungernden, herumschnorrenden, herumpöbelnden Punx mit Auftrittsdaten und -orten geiler Kapellen (und ich war sehr gut informiert; ich machte quasi nichts anderes als Ausschau zu halten) – und dann besorgen sich aus diesem fertigen, kaputten Haufen Leute Autos und wir fahren mittwochs oder freitags oder samstags zu fünft, sechst (ein Auto) oder zehnt (zwei Autos) nach Geislingen an der Steige oder nach Göppingen. Mit Göppingen, das von uns relativ häufig angesteuert wurde, verbindet mich zum Beispiel ein traumatisches Erlebnis: Wir passten nicht alle in solch eine heruntergeschundene Karre und ich hatte die Klaustrophobietest-Arschkarte gezogen, musste also in den geschlossenen, auch zum Fahrzeug-Inneren nicht offenen Kofferraum kriechen – die Bullen durften von außen ja nichts sehen, sollten sie plötzlich auf die Idee kommen, uns irgendwo zu kontrollieren. Ja, und dann haben sich diese Punx einen Spaß daraus gemacht, mich bis nach Göppingen kein einziges Mal aussteigen zu lassen – was fast eine Stunde dauern kann von HDH kommend – und in Göppingen selbst haben sie dann inszenatorisch so getan, als hätten sie mich vergessen, und sind einfach von der Karre weggelatscht Richtung Veranstaltungsort. Natürlich wurde ich dann noch „befreit“; aber das war ’ne echt krasse Nummer gewesen ...

Das D.O.A.-Trauma
Aber auch ich baute manchmal Scheiße. Ich weiß es noch ganz genau, weil ich so aufgeregt war: D.O.A., die Erfinder:innen des Begriffes „Hardcore“ für die Art von „Musik“, die ich bald allen anderen Arten von Musik gegenüber präferieren sollte, sollten im selbstverwalteten EppleHaus in Tübingen spielen. Ich musste in der Heidenheimer Punk-Szene sehr viel Überzeugungsarbeit leisten; schließlich hatte ich sie so weit und wir fuhren mit zwei Autos nach Tübingen, wo wir ebenfalls sehr häufig waren. (Die Sitzplätze im Auto reichten dieses Mal aus; es war unter der Woche.) Und siehe da: Wir kamen am EppleHaus an, alle Parkplätze im Umkreis frei, kein Auflauf, absolut tote Hose, ein paar Leute, die im Jugendzentrum herumlungerten – und uns Heidenheimer*innen mit großen Augen ansahen, als wir sie nach dem „heutigen“ Konzert zu fragen anschickten. Es stellte sich schnell heraus, dass D.O.A. erst eine Woche darauf spielen würden (am 2. Oktober 1985) und dann noch nicht einmal im EppleHaus, sondern im ClubHaus! Shit. Kacke. Glück für mich, dass ich mit nach HDH zurückfahren durfte ...

Verzahnung
Ansonsten hat es aber eigentlich immer ganz gut geklappt mit der Verzahnung: „Ich weiß, wo und wann und mit wem was geht“ und „Ihr bringt mich und Roger irgendwie da hin“. (Ich selbst habe sowieso erst mit 20, also im Sommer 1988, meinen Pkw-Führerschein gemacht und ihn Anfang 1990 bereits wieder abgenommen bekommen ...) Und genau jetzt wäre es eigentlich an der Zeit, darüber zu schnacken, wie das denn in diesen 8743 anderen, „geglückten“ Fällen war, wir also irgendwo – schon auf der Fahrt uns hart wegballernd – hingebrettert sind und Besucher*innen der unglaublichsten Konzerte werden durften.

Lost Places of Punk and Hardcore
Joachim Hiller hat mich vor Kurzem gefragt, wie es denn wäre, wenn ich unter der grandiosen Ox-Rubrik „Lost Places of Punk and Hardcore“ die größere Umgebung von Ulm (und bei Augsburg, wo es beispielsweise das Musikcafé Waldeslust in Rohrenfels gab, siehe Ox 150) übernehmen und darüber eine konzerthistorische Abhandlung fürs Fanzine abliefern könne (mit dem Fokus auf die Achtziger) – natürlich mit möglichst vielen detaillierten Konzertlocation-Deskriptionen. Und „in Ulm, um Ulm und um Ulm herum“ war in dieser Hinsicht wirklich die Hölle los damals. Mir war aber sehr schnell klar, dass ich das (so schnell) nicht hinbekommen würde. Aus zwei Gründen: Erstens, das ist jetzt alles zwischen 31 und 38 Jahren her. Wenn ich mich also authentisch daran zu erinnern versuche, dann erscheinen vor meinem geistigen, getrübten Auge selbstverständlich nur die (durch)blitzenden Highlights, die sich potenziell für immer in die Netzhaut eingebrannt haben. Sie sind aber eben nur mutmaßlich abrufbare Highlights, also im schlimmsten Falle eine nicht repräsentative Rückschau sehr persönlicher Provenienz. Zweitens: Dies ist oder wäre sehr viel Arbeit, die zu leisten ich zurzeit nicht im Stande bin. Ich müsste nämlich in erhöhtem Maße sekundär recherchieren und diese mühevoll zusammengeklaubten Rechercheergebnisse mit meinen unvollständigen Erinnerungen, deren Konfiguration in Grund 1 abgesteckt wurde, in Einklang bringen. Das wäre zumindest mein Anspruch. (Der hierbei zu hoch wäre ...)

Erinnern heißt Kämpfen
Ich will ja nicht in Nostalgie verfallen; für mich bedeutet dieses an und für sich von meiner Person deduzierte sozialhistorische Erinnern immer Kämpfen oder besser: Dass das, was da von mir, an mir und durch mich erinnert wird, für heutige linke Kämpfe, Widerstände, Emanzipationsbestrebungen nutzbar gemacht werden könne – fußend auf (positiven und negativen) Erfahrungen, die vor Dekaden gemacht wurden. Um in gesellschaftlichen Praxen das jeweils Gegebene aktiv überschreiten, mit anderen Menschen zusammen „eigene Geschichte“ machen zu können – „unter vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen“ (Marx). Selbstzweckhafte, im Schwelgen leuchtende Berichte, die „in ihrer Zeit“ hängen bleiben, bringen mich (und die damit angesteuerten, in höchstem Maße reflektierenden Rezipient:innen oder gegenwärtigen Gefährt:innen) nicht voran, verharren im etwas verloren wirkenden Geschichten-Erzählen (eines 53-Jährigen). Deshalb habe ich mir gedacht, wieder an jenem Punkt meines vorliegenden Texts anzuknüpfen, den ich für den Exkurs zur Heidenheimer Punk-Szene verlassen musste, der aber noch nicht zu Ende geführt worden war: „Think globally, act locally.“

Think globally, act locally Pt. II
Ich wollte beispielsweise aus meiner eigenen, persönlichen, diskursbefähigenden und -befähigten Rezeption der P.E.A.C.E.-Compilation den damit induzierten Mutualismus als prioritären Indikator für meinen Emanzipations- oder Emanzipierungs-Grad herausdestillieren. Zur Vereinfachung spiele ich das mit dem und am P.E.A.C.E.-Sampler durch, der bewusst im Orwell-Jahr 1984 auf die Menschheit losgelassen wurde, weil genau er sich für genau dies perfekt anbietet: Ich nehme also diese zwei Platten zur Hand, knalle mir die 55 Tracks rein, stelle einen gewissen roten Faden fest (auch wenn es Lieder gibt, die musikalisch nicht weiter von anderen, darauf zu findenden Liedern entfernt sein könnten: „It’s you“ von CRASS zum Beispiel von „Finira Mai“ von WRETCHED) und wende mich dann dem Mehr, also der Message, den Ansprüchen, den Aussagen der vertretenen Bands zu. Wenn ich all dies intensiv betreibe (es soll ja irgendeine „transformative“ Bedeutung für mein Leben haben), dann muss ich bei jeder Band über den einen Beitrag, den sie für ein aufwändiges gemeinsames Projekt abgeliefert hat, hinausgehen, also in Erfahrung bringen, woher sie kommt, was sie bisher wo veröffentlicht hat, wo sie zurzeit lebt, also ihren politischen Mittelpunkt hat, wie der spezifische städtische oder dörfliche Kontext zu bewerten ist, in dem sie sich bewegt oder gegen den sie sich widerständisch stemmt Und schließlich muss ich sie auf der Metaebene kontextualisieren, also das politische Herrschaftssystem, den bürgerlich-kapitalistischen Nationalstaat beschreiben, in dem sie theoretisch und praktisch und künstlerisch als Gruppe agiert – und keine der P.E.A.C.E.-Sampler-Bands hat bei der Länderzuweisung den Ort einer befreiten Gesellschaft angegeben oder angeben lassen. All dies machen zu können, bedeutet tatsächlich, als Einzelne:r unglaublich privilegiert zu sein: Das fängt damit an, damals überhaupt an das in relativ niedriger Stückzahl gepresste Konzept-Album herangekommen zu sein, geht über die aufwändige Beschäftigung damit und endet mit der freien Zeit, die dafür verwendet werden muss, sie zu interpretieren, zu analysieren, zu vergleichen, einzuordnen und so weiter.

Kontextualisierung
Kontextualisierung war gerade bei den Formationen aus den USA immer sehr wichtig; unter anderem deshalb, weil dieses bürgerlich-kapitalistische Land solch unvorstellbare Ausmaße hatte, weil es dort gefühlte 1,37 Millionen Bands gab, die punk oder hardcore oder hardcore-punk waren, und weil die politischen und kulturellen Bedingungen innerhalb der Vereinigten Staaten extrem variierten – und zwar allgemein auf die Bundesstaaten bezogen, aber auch innerhalb von Städten oder gar Metropolen. Ich sah bei der P.E.A.C.E.-Zusammenstellung also, dass hier englische Anarch@-Punk-Bands à la SUBHUMANS und CONFLICT neben THE PROLETARIAT und ICONOCLAST standen, die aus den USA waren (hier: from Southeastern Massachusetts und from Los Angeles), aber das sagte noch nichts darüber aus, ob dies künstlich erzeugte, kompilative Konfliktfreiheit war oder suggerieren sollte. Bei zwei US-Bands wurde dieses Dilemma fast greifbar: CAUSE FOR ALARM und FALSE PROPHETS.

Das NYHC-Problem
Beide Bands waren aus New York und sind aus der New York Hardcore [NYHC]-History nicht wegzudenken, beide Formationen können als für die Szene „important and significant“ tituliert werden. Und beide hauten voll rein – mit „Time will tell“ und „Banana split republic“. Aber mensch musste hier nur genau hinsehen (was ich ja sowieso machen wollte) und begriff sehr schnell, dass da mit CAUSE FOR ALARM eine Band auf diesem äußerst einflussreichen anarchistischen Sampler gelandet war, die da eigentlich nicht hingehörte. Den an der US-amerikanischen Westküste sitzenden, zutiefst religions-, sekten-, evangelikalen- und esoterikfeindlichen Sampler-Konzeptionalist:innen muss dies damals bereits bewusst gewesen sein. CAUSE FOR ALARM wollten ihren 1982 geschriebenen Song „Beyond life and death“ abliefern; dieser war den P.E.A.C.E.ler:innen aber „zu religiös“, weshalb auf den aktuelleren „Time will tell“ zurückgegriffen wurde. Und „Time will tell“ ist für mich musikalisch die hardcorige Entladung purer Energie, die im BAD BRAINSschen Gewand heruntergesmasht wird. Ein unvergessliches Brett, ein Meilenstein des thrashigen Hardcores.

What’s the message?
Und die Message? Nun ja, der Text ist sehr schwer ins Deutsche zu übertragen, weil er nicht nur überaus hartnäckig im Abstrakten hängen bleibt, sondern auch noch Begriffe zur Anwendung bringt, bei denen das von ihnen Benannte allzu facettenreich daherkommt. (Wer oder was ist zum Beispiel dieser „Keeper“, von dem „wir alle umgeben“ sind?!) Ganz grob geschnitten geht es im Text darum, von rein „symbolischer“ Politik oder allgemein vom „nichtsändernden Symbolismus“ weg zur „Revolte“ zu kommen, „um ein Individuum werden zu können“. Der „Keeper“, vielleicht der „Oberste Hüter der konservativen, ordnenden, entindividualisierenden Werte“, gewinnt dann aber wieder (die Kontrolle?), und die*der zuvor Revoltierende kann dies alles „nicht (mehr) ertragen“, die angestrebte „Unabhängigkeit“ rückt wieder in weite Ferne (ist nicht mehr erkennbar). Und weil der „Keeper“ jetzt auch noch deinen (?) „Verstand“ zumachen lassen („close your mind“), also zensorische Gedankenkontrolle ausüben, will (er muss „göttliche“ Fähigkeiten haben), musst „du“ (?) alles dafür tun, „dein“ (?) eigenes Herz (also so etwas wie „Innerlichkeit“) zu bewahren und es „den Schlüssel“ sein zu lassen. Was mit diesem „herzerfüllten“ Schlüssel dann geöffnet werden solle, wird uns Rezipient:innen nicht beantwortet. Es kann im spirituellen Kontext aber nur das „Öffnen“ einer rational nicht erklärbaren, transzendenten Wirklichkeit gemeint sein, die der materiellen Welt zugrunde liegt, die konkret – beispielsweise über revolutionäre Klassenkämpfe, in die sich auch „unabhängige“, autonome, „open minded“ Punx einbringen –, nicht überwunden werden kann. Statt Revolution oder Sozialrevolte harmlose, leicht beherrschbare, immaterielle Innerlichkeit, die den Status Quo nicht unterminiert.

Beyond Life and Death
Und beim abgewiesenen Lied? Nun, „Beyond life and death“ war dann reinster, offensichtlicher Krishnacore! In eigenen Worten gehe es darin „um Spiritualität und die Freiheit vom Elend des materiellen Lebens“ (siehe oben). Der Text spotte „über ein Leben voller materieller Probleme“ und vermittle seine Botschaft „auf eine spirituelle und positive Weise“. Er lasse die Rezipient:innen denken, „dass diese Jungs [von CAUSE FOR ALARM] sicherlich wissen, wovon sie reden, und dass es Schutz in einem spirituelleren, bewussteren Leben gibt“ („Schutz“ eben auch vor Veränderung, vor Emanzipation, vor Rationalität, vor Vernunft, vor „Diesseitigkeit“). Es bedürfte einer eigenen umfangreichen soziologischen Abhandlung, um fein säuberlich die Massivität des Einflusses der „Krishna“-Bewegung auf einen nicht unbeträchtlichen Teil des NYHC herauszuarbeiten und ihn (wissenschaftlich) bloßzustellen. Mir war auch ohne diese sofort klar, mit den P.E.A.C.E.-Macher:innen in San Francisco d’accord zu gehen, auch wenn ich von ihrer richtigen, nachvollziehbaren Entscheidung, diesen religiösen Song vehement abzulehnen, zu diesem Zeitpunkt noch gar nichts wissen konnte. Vor allem vor dem Hintergrund meiner eigenen, intensiven Auseinandersetzungen mit materialistisch-analytischen Erklärungen/Durchdringungen konkreter Zusammenhänge ausbeuterischer, unterdrückerischer Produktionsverhältnisse, die bestimmt nicht auf eine „spirituelle Weise“ überwunden werden können ...
Diesen irrationalen, antifeministischen, homophoben, „lebensrechts“-bewegten, reaktionären, selbstzweckkaritativen, komplexitätsnegierenden, transzendenten, sphärisch aufgeladenen Krishna-Spritualismus, der da Einzug in die NYHC-Szene hielt, habe ich immer zum Kotzen gefunden. Später, im Rhein-Neckar-Raum, wurde in den 1990er Jahren gar zum Boykott von SHELTER-Konzerten aufgerufen. Die linksradikale Polit-Szene, die selbst selbstverwaltete Konzerte mit korrekten HC-Bands veranstaltet hat, verteilte vor den Läden, in denen Ray Cappos „Hare Krishna hardcore punk band“ auftreten sollte, Flyer, in denen sich vernichtend mit dem Krishna-Wahn auseinandergesetzt wurde.

(Fortsetzung folgt im nächsten Ox)