KORA WINTER

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Unsere Lebensrealität

Mit ihrer neuen Platte „Gott segne, Gott bewahre“ reißt die Berliner Band ein paar Wände ein. Nicht nur musikalisch setzen sie sich dabei zwischen alle Stühle, auch in ihren Texten sprechen die Jungs Themen an, die man in ihrem Genre eher selten zu hören bekommt. Wir haben uns mit Sänger Hakan und Gitarrist Ferhan getroffen, um genau über diese Dinge zu reden.

Wie geht es euch?

Hakan: Gut. Müde. Kalt. Gestresst. Am Rande des Wahnsinns. Also alles im absoluten Normalzustand.
Ferhan: Okay und gut.

Ihr hattet am Wochenende die ersten Shows von eurer Tour. Wie war es?
Hakan: Ja, Leipzig und Altenburg. Leipzig war Bombe. Altenburg war auch gut. Es war ein bisschen ein Gamble. Wir haben auf der Tour jetzt ein paar solcher Dates, wo es spannend wird, wie viele Leute kommen. In Altenburg haben wir in der Roten Zora gespielt, was eigentlich ein ganz cooler antifaschistischer Schuppen ist. Aber wir haben auf jeden Fall auch ein paar Leute rausgespielt. Es sind sowieso nicht so viele gekommen und als wir fertig waren, waren noch weniger da. Vielleicht wollten die mehr Pogo und keine Doublebass-Parts?

Wie findet ihr das? Denkt ihr „Scheiße“ oder „Geil, wir sind immer noch edgy genug, dass wir selbst die edgy Leute verschrecken“?
Ferhan: So kann man es auch sehen.
Hakan: Ach, keine Ahnung. Dass jemand gehen muss, ist immer noch ein besseres Zeichen als gar keins. Lieber die beschissenste Band des Abends sein als bloß irgendeine.
Ferhan: So bleibt man wenigstens noch in Erinnerung.
Hakan: „Weißt du noch, damals in Altenburg, als wir KORA WINTER gesehen haben? Das war so scheiße, Alter“. Solche Unterhaltungen müssen wir provozieren.

Auf eurem neuen Album geht es ja viel um Schubladendenken, die Wahrnehmung einer Person durch die Gesellschaft und die Wahrnehmung von euch als Band durch die Szene. Fasse ich das so richtig zusammen?
Hakan: Ja, schon. Ich glaube, es gibt viele verschiedene Arten, auf das Album zu gucken. In erster Linie geht es natürlich um die Lebensrealität eines Migranten der zweiter Generation in Deutschland. Und eine Ebene darunter das Ganze noch in einer Subkultur. Also jemand, der sich eigentlich mit der Welt, in der er groß geworden ist, identifizieren will, aber ständig daran scheitert und sich selber fragt, woran das eigentlich liegt. Und dann kommt man irgendwann auf so Themen wie Bildungsgleichheit, Chancengleichheit, Sexualität oder Männlichkeit.
Ferhan: Ich habe die Bedeutung des Albums erst viel später für mich herausgezogen, als Hakan sie mir ein bisschen nähergebracht hat. Die Lyrics sind nämlich erst sehr spät dazugekommen. Aber komischerweise, wie das auch in der Vergangenheit schon oft passiert ist, hat sich die Bedeutung dann irgendwie gefügt. Die Musik hat auch zum Inhalt gepasst, ohne dass das von Anfang an so beabsichtigt war.
Hakan: Ich bin kein aktiver Songwriter bei Kora. Ich kümmere mich eher um die Arrangements und alles, was die Postproduktion angeht. Aber ich leite oft den Songwritingprozess, sobald so die ersten Demos entstehen, mit an, weil ich ein Gefühl dafür habe, wie sich musikalisch ein Narrativ bilden kann, das irgendwo hinführt. Aber dass das Album so wurde, wie es jetzt ist, das war ein Prozess von mehreren Jahren. Das sind Gedanken, die ich mir nicht innerhalb von einem Monat gemacht habe, in irgendeinem Songwriting Camp oder so. Das sind Texte und Notizen, die irgendwo schon herumgeflogen sind und die ich schließlich zu diesem Album zusammengebastelt habe.
Ferhan: Der erste Song des Albums zum Beispiel hat ein Gitarrenriff, das schon super alt ist. Das klingt total wie von türkischer Musik inspiriert. Aber das war überhaupt nicht so geplant. Und jetzt ist es eben der erste Song des Albums, der quasi diese ganze Thematik und das ganze Album einleitet, was ja eigentlich total passt.

Wie würdet ihr die Platte mit nur einem Wort beschreiben? Damit ihr es einfacher habt fange ich an und sage „schroff“.
Hakan: Schroff. Mir fällt gerade auf, dass das eins meiner deutschen Lieblingswörter ist, im Positiven. Ich will die ganze Zeit so was sagen wie „radikal “oder so, aber es ist nicht radikal. Es ist jetzt nicht irgendwie super verhärtet in irgendeiner politischen Haltung. Es ist halt Lebensrealität. Lebensrealität, weil es meiner Meinung nach, und da bin ich so arrogant, das behaupten zu wollen, das erste Mal ist, dass im deutschsprachigen Metal eine Band ein Album aus dieser Perspektive geschrieben hat. Und ich sage das nicht, weil ich dachte: Oh geil, da kann ich jetzt mal was für mein Image tun. Sondern das ist ein Album, wie ich mir es mein Leben lang von deutschem Metal gewünscht hätte. Es ist auch nicht deshalb ein Metal Album, weil Metal so ein geiles Genre ist, sondern weil ich finde, dass diese Thematik genau diesen Sound verdient hat. Da hätten wir jetzt keine Jazz-Platte machen können.
Ferhan: Ja, ich glaube, das ist ein ganz guter Punkt. Ich sehe das genauso. Ich glaube, was oft mit dem Genre zusammenhängt und was mich persönlich immer sehr stört, ist, dass Metal oder Hardcore häufig sehr klischeebeladen sind. Wenn mich jemand zum Beispiel fragt, was für eine Musik wir machen, und ich sage „Metal“, dann graust es mich selbst schon vor dem Begriff. Weil das erst mal so ein diverses Genre ist, aber andererseits auch so krass mit vielen Klischees behaftet ist, mit denen ich mich wirklich absolut gar nicht identifiziere. Und ich glaube, dass das bei den anderen ähnlich ist. Das Album ist einfach sehr klischeelos. Ich weiß nicht, ob das ein Wort ist. Das Gegenteil von Klischee.
Hakan: Ja, aber fällt dir jetzt kein Wort mehr ein außer klischeelos?
Ferhan: Vielleicht auf die Musik und die Instrumente fokussierter. Mehr als alles, was wir bisher gemacht haben. Mehr auf den Punkt gebracht und eben fokussiert.