MARCH

Foto© by Titia Hahne

Abhauen und die Welt retten!

Vor drei Jahren haben MARCH zum ersten Mal außerhalb der Niederlande so richtig auf sich aufmerksam gemacht. Mit dem Album „Set Loose“ ließen sie ähnliches Potenzial wie THE BABOON SHOW aufblitzen. Doch dann kam die Pandemie und die Band musste alle Pläne auf Eis legen. Mit ihrem neuen Album „Get In“ will das Quartett aus Breda an der niederländisch-belgischen Grenze endgültig durchstarten mit Punkrock im Spannungsfeld von PRESS CLUB bis DISTILLERS. Sängerin Fleur van Zuilen und Schlagzeuger Thomas Frankhuijzen erklären im Interview vor ihrer Show im Würzburger Club Immerhin, was sie mit ihren Songs erzählen wollen.

Das Timing für euer letztes Album „Set Loose“ war denkbar schlecht. Gerade als es veröffentlicht wurde, begann die weltweite Pandemie. Wie seid ihr damit umgegangen?

Fleur: Das war eine Katastrophe. Wir wollten gerade das erste Konzert unserer Release-Tour spielen, als die Pandemie ausbrach. Also musste die komplette Tour abgesagt werden. Eine riesige Enttäuschung für uns alle. Das war die schlechteste Zeit, die man sich vorstellen kann, um ein Album zu veröffentlichen. Ein paar Bands konnten ihre Releases gerade noch stoppen, aber unser Album war draußen. Nichts mehr zu machen. Wir mussten die Situation einfach nehmen, wie sie kam. Natürlich haben wir uns über das Album sehr gefreut, aber wir mussten alles auf Stopp stellen. Gerade weil wir vor allem eine Live-Band sind, war es besonders grausam, mit einem fertigen Album zu Hause zu sitzen. Das war schmerzhaft.

Wie hat sich das finanziell ausgewirkt? Ihr hattet bestimmt einiges investiert, etwa in Merchandise-Artikel.
Thomas: Zum Glück haben wir nicht viel Geld verloren. Die Verkäufe wurden einfach verzögert, aber natürlich hatten wir weniger Einkünfte in dieser Zeit. Die Shows wurden einfach verschoben, aber wenigstens nicht komplett abgesagt.
Fleur: Zum Glück haben wir keine Tourdaten auf unsere Shirts drucken lassen, deshalb lagen die einfach jahrelang im Schrank, bis wir sie verkaufen konnten. Wir mussten einfach warten, bis alles wieder aufgemacht hat, und dann an gleicher Stelle einfach weitermachen. Denn es lief es auch gleich ziemlich gut, wir haben seitdem eine Menge Shows gespielt. Wir hatten auch das Gefühl, dass die Platte immer noch relevant ist und die Leute sich freuen, diese Songs auch live zu hören.

Jetzt, drei Jahre später, kommt das neue Album „Get In“ raus. Fleur, du hast darüber gesagt, es sei wie ein Spiegel unserer Zeit. Wie hast du das gemeint?
Fleur: In den Texten habe ich versucht, die Essenz dessen unterzubringen, was ich in der Welt um mich herum beobachte. Wie fühlt sich das an? Jeder einzelne Song transportiert ein anderes Gefühl, ob es um Umweltverschmutzung oder korrupte Politiker geht oder darum, wie die Menschen miteinander umgehen. Jeder Song hat eine eigene Botschaft. Gleichzeitig ist es aber auch eine Reflexion unserer Tage, ohne zu direkt den Finger auf konkrete Personen oder Ereignisse zu richten. Es geht eher darum, wo wir uns generell befinden. Aber auf eine Art und Weise, zu der man auch tanzen kann, haha.

Gib mir doch ein paar Beispiele, worum es konkret in den Songs geht.
Fleur: Die erste Single „All on red“ zum Beispiel schildert, wie schwierig es angesichts der Flut an Informationen ist, die jeden Tag auf uns einprasselt, den Überblick zu behalten und zu entscheiden, was wichtig ist und was nicht. Mir fällt es unheimlich schwer, Entscheidungen zu treffen, und momentan finde ich es noch schwerer als früher. Es gibt so viele Optionen, ich finde es hart, einen von verschiedenen Wegen oder ein bestimmtes Produkt auszuwählen. Das überfordert mich permanent. Ich bin immer ganz erleichtert, wenn ich mal eine Wahl getroffen habe. Aber dafür muss ich mir immer selbst in den Hintern treten. „Heart undressed“ dagegen, ist ein Heartbreak-Song, den ich für eine Freundin geschrieben habe, die sehr gelitten hat. Das war eine schlimme Trennung, von einem Menschen, der sie aufs Übelste betrogen hat. Ich kann das gut nachvollziehen, weil ich vor ein paar Jahren das Gleiche durchgemacht habe. Wenn einem das Herz gebrochen wird, fühlt man sich nackt und verwundbar und man hat das Gefühl, das alles wieder bei Null anfängt. Ich wollte ihr mit dem Song einfach sagen, dass man aus so einer Krise auch immer gestärkt herauskommt. Und „Second to destroy“ etwa ist eine Zeile, die ich mir aus dem Song „It takes time to build“ von BEASTIE BOYS geklaut habe. „It takes a second to wreck it / It takes time to build.“ In diesen Zeilen steckt so viel Wahrheit drin, das hat mich immer beeindruckt. Es braucht einfach Zeit, wichtige Dinge aufzubauen, aber man muss sich immer der Verwundbarkeit bewusst sein. Egal, worum es geht. Man muss sich immer bewusst sein, dass binnen Sekunden alles einstürzen kann. Aber solange man im Sattel sitzt, sollte man jeden Moment genießen. Das sind vielleicht die drei persönlichsten Songs auf der Platte.

Das Artwork von „Get In“ ist wirklich toll geworden. Dafür hast du selbst kleine Modelle gebastelt, die du als „Apocalyptic Hot Wheels“ bezeichnest. Wie bist du darauf gekommen?
Fleur: Wir haben für unsere drei Platten einen handgemachten Style und jeweils eine bestimmte Farbe ausgesucht. Das erste Album „Stay Put“ ist unser gelbes Album mit einem Hund aus Porzellan als Motiv. Das zweite Album „Set Loose“ ist schwarz gehalten mit bunten Blumenmotiven. Und das neue Album ist eben unser rotes Album mit den Spielzeugautos im „Mad Max“-Style. Ich mag es, wenn Dinge ein einfaches Konzept und hohen Wiedererkennungswert haben. Als die Farbe für „Get In“ feststand, habe ich mit verschiedenen Motiven gespielt, die die Essenz der Songs einfangen können. Dann habe ich irgendwo diese Hot Wheels gesehen, die von irgendwelchen Freaks zu Endzeit-Karren aufgepimpt wurden. Das fand ich unheimlich cool und so habe ich als Erstes einen Tourvan für MARCH gebastelt. Dann habe ich mir von meinen Neffen ein paar von diesen Hot Wheels besorgt und mich ein paar Tage lang in meiner Wohnung eingesperrt, um am Design zu werkeln. Heute ist alles digital, deshalb hat es sich unheimlich gut angefühlt, etwas Analoges zu schaffen. Mit Schere, Feile und Kleber. Das haben wir bei unseren ersten beiden Platten auch so gemacht. Für jeden Song von „Get In“ habe ich ein anderes Auto entworfen, die kann man im Booklet der Platte alle sehen. Das sieht super aus und hat wirklich Spaß gemacht. Ich mag das Konzept eines Fluchtfahrzeugs und weil für mich Musik und Artwork zusammengehören, hat das einfach perfekt für unser neues Album gepasst. Steig ein und genieß die verrückte Fahrt! Lass uns abhauen und die Welt retten! Oder so. Haha.

Wo und mit wem habt ihr das Album aufgenommen?
Thomas: Produziert hat das Album Bart Hennephof, der spielt Gitarre bei der bekannten niederländischen Metalband TEXTURES. Ich kenne ihn schon seit meiner Kindheit und er hatte für das letzte Album „Set Loose“ schon die Gesangsaufnahmen gemacht. Wir alle waren der Meinung, dass er damals einen großartigen Job gemacht hat, deshalb haben wir ihm diesmal das komplette Album anvertraut. Also haben wir uns relativ früh zusammengesetzt und alles besprochen, was normalerweise nicht unsere Art ist. Sonst gehen wir mit fertigen Songs ins Studio, aber dann kann der Produzent nicht mehr viel Einfluss nehmen. Das wollten wir diesmal anders machen. Deshalb haben wir ihn zu einem sehr frühen Zeitpunkt ins Boot geholt, damit er uns schon im Songwriting-Prozess unterstützen kann. Das hat uns wirklich geholfen, beim Aussortieren unserer Ideen, was wir verwerfen und was wir weiter ausarbeiten wollen. Ich persönlich fand es besonders cool, weil er aus einer anderen Szene kommt und dadurch einen völlig anderen Blick auf unsere Songs hat.
Fleur: Die Arbeit mit Bart hat unseren Horizont erweitert. Wir haben schon vorher als Band gut kooperiert, aber wir haben alle ganz unterschiedlichen Hintergründe. Gemeinsam haben wir uns im Punkrock getroffen, aber wir sind eigentlich immer noch auf der Suche nach der Musik, die perfekt zu uns passt. Deshalb war es schön, jemanden zu haben, der MARCH von außen betrachtet und uns auf Dinge aufmerksam macht, die uns nie aufgefallen wären. Abgesehen davon ist er ein viel besserer Musiker als wir alle. Er weiß also genau, was passiert. Wir wissen manchmal selbst nicht so genau, was wir da machen, da kann es sehr hilfreich sein, jemanden zu haben, der wertvolle Tipps gibt.

Die Tour zum neuen Album startet am 4. November in eurer Heimatstadt Breda in einem Club namens Mezz. Ist das der Ort, an dem alles angefangen hat?
Fleur: Mezz ist der Ort, an dem Bands aus Breda ihre ersten Auftritte haben. Als ich 16 Jahre alt war, habe ich dort ehrenamtlich gearbeitet. Damals habe ich Thomas die SMS geschrieben, ob er nicht eine Band mit mir gründen will. Wir hatten dort auch unseren ersten Proberaum. Für uns ist das tatsächlich eine Art Wohnzimmer. Die Proberäume gibt es inzwischen leider nicht mehr, aber wir treten immer wieder dort auf. Es gibt da eine Initiative namens „Punkrock Riot“, ein Kollektiv von Enthusiasten, die uns schon oft gebucht haben. Und jetzt haben wir eben unsere erste Headliner-Show dort. Das ist sehr cool, wir sind schon ganz aufgeregt. Da gehen 650 bis 700 Leute rein und Anfang August war schon die Hälfte der Tickets weg. Das dürfte also ein toller Abend werden.

Fleur, im Dezember hast du eine Solo-EP unter dem Künstlernamen Flora Skuller veröffentlicht. Wie bist du darauf gekommen und wie klingt sie?
Fleur: Die klingt völlig anders als die Musik, die ich mit MARCH mache. Als Künstlerin versuche ich, mich ständig weiterzuentwickeln und neue Dinge auszuprobieren. Ich war mir immer unsicher, wenn es ums Songwriting ging, und ziemlich schlecht darin, Songs fertig zu machen. In meinem Notizbuch tummeln sich über 200 verschiedene Ideen, die noch nicht ausgereift sind. In der Pandemie habe ich dann den Ehrgeiz entwickelt, einen Song komplett bis zum Ende durchzuziehen. Damit ich mir selbst auf die Schulter klopfen und sagen kann: Ich kann das. Und daraus ist dann eine EP mit fünf Tracks geworden. Das war also eine sehr persönliche Sache. Ich wollte mir selbst beweisen, dass ich gute Songs schreiben und veröffentlichen kann. Das Großartige daran war, dass die Leute meine Solo-Songs wirklich mögen. Aufgenommen habe ich die fünf Tracks im Studio von Tim van Doorn in Antwerpen. Dort hat er schon Künstler wie Tim Vantol oder ANTILLECTUAL aufgenommen. Meine Solo-Stücke klingen ein bisschen wie EELS, weil ich diese Band sehr mag.

Ich kenne die niederländische Punk-Szene nicht besonders gut, nur eine Handvoll Bands wie JOHN COFFEY, ANTILLECTUAL, IGUANA DEATH CULT oder eben MARCH. Wie steht es um die Szene bei euch?
Fleur: Ich hasse es, wenn ich das sagen muss, aber das ist wahrscheinlich der Grund, warum wir so oft in Deutschland unterwegs sind. Für Indie- und Alternative Rock gibt es jede Menge Möglichkeiten in den Niederlanden, beim Punkrock ist das anders. Dafür ist das Publikum dort einfach viel kleiner als in Deutschland. Aber es gibt definitiv ein paar coole Punkbands in den Niederlanden. Neben den von dir genannten gibt es zum Beispiel LONE WOLF aus Rotterdam, die Skatepunk-Band DRUNKTANK oder TWO AND A HALF GIRL aus Utrecht. Auch in Amsterdam gibt es richtig gute politische Bands wie HANG YOUTH oder PLOEGENDIENST, die beide auf Niederländisch singen. Alles großartige Bands. Und natürlich hat die Rückkehr von JOHN COFFEY eine Welle der Euphorie bei Fans von lauter Musik in den Niederlanden ausgelöst. Das spürt man sogar im Radio. Ich bin außerdem überzeugt, dass es momentan großen Bedarf an Punkrock gibt, die Leute werden immer frustrierter und wütender und das kann man vor allem bei den Kids beobachten. Die wirken auf mich so was von bereit für Punkrock.

Ein Thema beschäftigt Punkrock-Fans weltweit: die plötzliche Auflösung von ANTI-FLAG, nachdem Vergewaltigungsvorwürfe gegen Sänger Justin Sane laut wurden. Wie geht es euch damit? Ihr habt mit ANTI-FLAG die Bühne geteilt.
Fleur: Ich habe die Musik von ANTI-FLAG gehört, seit ich 16 war. Deshalb gehöre ich zu den Leuten, die sich massiv verraten fühlen. Wenn man jahrelang auf der Bühne vehement mehr Frauenrechte einfordert und dann kommt so eine Story ans Tageslicht ... Ich habe mir den Podcast angehört und alle Infos dazu im Netz gesammelt, um mir selbst ein Urteil zu bilden. Das passt alles überhaupt nicht gut zusammen. Das ist wirklich schrecklich und es ist noch schlimmer, weil die Agenda der Band stets das komplette Gegenteil dieser Handlung war. Das ist ganz schön hart für mich.